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Die Versorgungsstrukturen des Gesundheitswesens in der Schweiz | Gesundheitspolitik | bpb.de

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Die Versorgungsstrukturen des Gesundheitswesens in der Schweiz

Thomas Gerlinger Renate Reiter

/ 5 Minuten zu lesen

Ein charakteristisches Merkmal der Gesundheitsversorgung in der Schweiz besteht in der gemischtwirtschaftlichen Struktur der Leistungsanbieter. Dabei erfolgt die ambulante Versorgung überwiegend durch niedergelassene, freiberufliche Ärztinnen und Ärzte. Krankenhäuser sind zumeist in öffentlichem Eigentum (vor allem Kantone, Kommunen); daneben spielen aber auch private Träger eine gewisse Rolle.

Felix-Platter-Spital in Basel. (Patrick Tschudin / Flickr) Lizenz: cc by-nc-sa/2.0/de

Öffentliche Akteure: Public Health

Seit der zweiten Hälfte der 1980er-Jahre hat der Public-Health-Gedanke eine deutliche Aufwertung erfahren. Mit ihm wuchs auch die Aufmerksamkeit für Prävention und Gesundheitsförderung in der schweizerischen Gesundheitspolitik. Dieser Wandel schlug sich im Krankenversicherungsgesetz (KVG) nieder, das eine Reihe von einschlägigen Bestimmungen enthält. So zählt es nun zu den Aufgaben der Krankenversicherungen, die Verhütung von Krankheit zu fördern. Außerdem haben die Krankenversicherer und die Kantone gemeinsam eine Institution zu betreiben, die Maßnahmen zur Krankheitsprävention und Gesundheitsförderung anregen, koordinieren und evaluieren soll. Diese Aufgabe nimmt die Stiftung "Gesundheitsförderung Schweiz" wahr.

Sie finanziert ihre Ausgaben über die Krankenversicherungsprämien, die von den Krankenkassen an die Stiftung weitergeleitet werden. Die vom Bundesrat festgelegte Beitragshöhe beläuft sich seit 1998 auf 2,40 Schweizer Franken pro Jahr und Versicherten. Damit stehen ihr jährlich rund 18 Millionen Franken zur Verfügung.

Die Stiftung verfolgt das Ziel, die Bürgerinnen und Bürger dazu zu befähigen, das eigene Leben in einem gesundheitsförderlichen Sinne zu gestalten. Das Konzept geht also über die bloße Krankheitsprävention hinaus: Individuelle Ressourcen sollen gestärkt und gesellschaftliche Rahmenbedingungen gesundheitsgerecht gestaltet werden. Instrumente sind unter anderem die Förderung von Eigenkompetenzen der Bevölkerung, die Entwicklung von Konzepten für eine nationale Gesundheitsförderungspolitik und die finanzielle Unterstützung von Projekten. Die Stiftung orientiert ihr Handeln an drei Kernthemen: "Gesundheitsförderung und Prävention stärken", "Gesundes Körpergewicht" sowie "Psychische Gesundheit – Stress". Ein besonderer Schwerpunkt liegt dabei auf dem Ziel, die soziale Ungleichheit von Gesundheitschancen, die auch in der Schweiz sehr ausgeprägt ist (Bisig/Bopp/Minder 2001), zu verringern.

Das Konzept der Gesundheitsförderung spielt aber trotz mancher Fortschritte auch bei den gesundheitspolitischen Akteuren eine nur marginale Rolle. Als Indikator dafür mag gelten, dass die Ausgaben für Prävention im Jahr 2005 mit 1,13 Milliarden Franken lediglich 2,2 Prozent der Gesundheitsausgaben ausmachten, die Ausgaben für Gesundheitsförderung lagen sogar bei nur 15,9 Millionen Franken beziehungsweise 0,1 Prozent der Gesundheitsausgaben (Bundesamt für Statistik 2007, S. 41; eigene Berechnungen).

Von weit größerem Gewicht als die Stiftung ist auf dem Gebiet der Präventionspolitik das Bundesamt für Gesundheit (BAG). Dabei handelt es sich um eine staatliche Einrichtung. Nach eigener Aussage arbeitet das BAG ebenfalls auf der Grundlage eines ganzheitlichen Gesundheitsansatzes (Bundesamt für Gesundheit 2002). Allerdings liegen seine Kernaufgaben auf den klassischen Feldern der Präventionspolitik: der Überwachung von Chemikalien, dem Strahlenschutz, dem Schutz vor Giften, der Sicherheit von technischen Einrichtungen und Geräten, dem Umgang mit Betäubungsmitteln und Sera, der Lebensmittelkontrolle sowie der Überwachung und Prävention von Infektionskrankheiten.

Ambulante Versorgung

Niedergelassene Ärztinnen und Ärzte sind das Rückgrat der ambulanten medizinischen Versorgung. 90 Prozent aller Personen, die ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen, suchen zunächst eine niedergelassene Ärztin oder einen niedergelassenen Arzt auf. Allerdings werden ambulante medizinische Leistungen in erheblichem Umfang auch an den Spitälern erbracht. Die Versicherten haben im ambulanten Bereich das Recht der freien Arztwahl, sofern sie nicht eine Versicherung mit eingeschränkter Wahl der Leistungserbringer abgeschlossen haben. Die Schweiz zählt mit Deutschland zu den wenigen Staaten, die im Rahmen der sozialen Krankenversicherung den Versicherten einen direkten Zugang zu ambulant tätigen Spezialistinnen und Spezialisten ermöglichen.

In freier Praxis waren 2007 knapp 15.600 Ärztinnen und Ärzte tätig; ihr Anteil an allen berufstätigen Ärztinnen und Ärzten betrug damit 53,7 Prozent (Foederatio Medicorum Helveticorum 2007). Damit liegt er deutlich über dem betreffenden Anteil niedergelassener Ärztinnen und Ärzte in Deutschland. Allerdings ist hierbei zu berücksichtigen, dass in der Schweiz etwa 2.000 Ärztinnen und Ärzte ihre Praxis in einem Krankenhaus eingerichtet haben.
Die Arztzahlen und die Arztdichte haben – wie in anderen OECD-Staaten auch – seit den 1970er-Jahren stark zugenommen. Mit 20,4 frei praktizierenden Ärzten je 10.000 Einwohner im Jahr 2005 [5: 50] liegt die Schweiz bei der Arztdichte weltweit in der Spitzengruppe. Dabei ist der Anteil der Spezialisten unter den frei praktizierenden Ärzten mit Praxistätigkeit sehr hoch: 2007 waren lediglich 23,0 Prozent von ihnen Allgemeinmediziner oder Praktische Ärzte, hingegen 77 Prozent Spezialisten [4]. Trotz der im Durchschnitt hohen Arztdichte treten in bevölkerungsarmen Regionen vermehrt Schwierigkeiten auf, die Versorgung sicherzustellen. Vor allem die hausärztliche und die pädiatrische Versorgung sind davon betroffen.

In der Schweiz war bis zum Jahr 2000 im ambulanten Bereich keinerlei Steuerung der Arztzahlen möglich. Ärzte, die über die erforderliche Qualifikation verfügen, hatten das Recht der freien Niederlassung und konnten zulasten der Krankenversicherer Leistungen erbringen. Dies hat sich erst unter dem Eindruck anhaltend hoher Steigerungsraten bei den Krankenversicherungsausgaben geändert: Einstweilen existiert bis 2008 ein Zulassungsstopp für frei praktizierende Ärzte.

Niedergelassene Ärzte haben – anders als in Deutschland – das Recht, Medikamente abzugeben (Dispensierrecht). Dies regeln die Kantone. In 13 der 26 Kantone ist diese Abgabe uneingeschränkt gestattet; in neun Kantonen generell verboten und in vier Kantonen nur in ländlichen Regionen gestattet (Hänggeli/Stettler/Jau/Hersperger/Bradke 2007, S. 57).

Stationäre Versorgung

Im Jahr 2006 standen in 333 Anstalten etwa 41.800 Betten für die stationäre und teilstationäre Versorgung zur Verfügung, davon knapp 24.800 in Krankenhäusern für allgemeine Pflege und 16.700 in Spezialkliniken (psychiatrische Kliniken, Rehabilitationskliniken, Chirurgiekliniken etc.). 62 Prozent der Krankenhäuser sind in öffentlicher Hand, 38 Prozent in privater Hand. Insgesamt gab es während dieses Jahres 1.158.000 stationäre und 274.000 teilstationäre Behandlungsfälle. Auf 1.000 Einwohner entfallen damit 150 stationäre und 36 teilstationäre Behandlungsfälle. Die durchschnittliche Verweildauer betrug 12,4 Tage, bezogen auf Akutkrankenhäuser 9,0 Tage. Sowohl die Anzahl der Krankenhäuser und Betten als auch die durchschnittliche Verweildauer sind seit den 1970er-Jahren drastisch reduziert worden. Die durchschnittliche Verweildauer liegt mit 9,6 Tagen (2004) immer noch deutlich über dem Durchschnitt der OECD-Staaten, allerdings ist die Akutbettendichte mit 3,9 je 1.000 Einwohner mittlerweile unter den OECD-Durchschnitt (4,1) gesenkt worden (Saladin/Wegmüller/Gillioz/Bienlein 2007, S. 335).

Versorgungsprobleme und Managed Care

Der medizinischen Versorgung in der Schweiz wird im Allgemeinen ein hohes Niveau attestiert. Seit den 1990er-Jahren genießt das Thema der Qualitätssicherung eine erhöhte Aufmerksamkeit. So hat das KVG die einschlägigen Anforderungen an die Leistungsanbieter angehoben. Leistungsanbieter müssen zum Beispiel ein Qualitätskonzept erarbeiten und dieses in einem detaillierten Maßnahmen- und Zeitplan konkretisieren. Die wichtigsten Eckpunkte sind in Qualitätsverträgen mit den Finanzierungsträgern festzulegen. Der Bundesrat kann außerdem systematische wissenschaftliche Maßnahmen und Kontrollen zur Qualitätssicherung vorsehen. Auch sind seit dem Inkrafttreten des KVG zahlreiche Initiativen zur Qualitätssicherung auf den Weg gebracht worden. Dennoch sieht sich auch das schweizerische Versorgungssystem mit Qualitäts- und Effizienzproblemen konfrontiert. Ein wichtiger Grund liegt darin, dass die starke Stellung der Fachärztinnen und -ärzte und die oftmals fehlende Koordination durch Hausärztinnen und -ärzte das Entstehen jener Schnittstellenprobleme begünstigen, die auch im deutschen Gesundheitswesen zu beobachten sind.

Die Einführung von Managed Care durch die Förderung von HMOs, Hausarztmodellen und anderen Versorgungsformen mit einer eingeschränkten Wahl der Leistungserbringer (siehe Abschnitt Interner Link: "Die Finanzierung des Gesundheitswesens in der Schweiz") sollten helfen, diese Defizite zu beseitigen. Zu durchgreifenden Verbesserungen ist es aber – darauf deuten jedenfalls bisherige Ergebnisse hin – bisher nicht gekommen (siehe Abschnitt Interner Link: "Jüngere Reformen").

Quellen / Literatur

Achtermann, Wally/Berset, Christel (2006): Gesundheitspolitiken in der Schweiz – Potential für eine nationale Gesundheitspolitik, Bd. 1: Analyse und Perspektiven. Bern

Bisig, Brigitte/Bopp, Matthias/Minder, Christoph E. (2001): Sozio-ökonomische Ungleichheit und Gesundheit in der Schweiz. In: Mielck, Andreas/Bloomfield, Kim (Hrsg.): Sozialepidemiologie. Eine Einführung in die Grundlagen, Ergebnisse und Umsetzungsmöglichkeiten, Weinheim und München, S. 60 - 70

Bundesamt für Gesundheit (2002): Unser Leitbild. Bern

Bundesamt für Statistik (2007): Kosten und Finanzierung des Gesundheitswesens 2005. Neuchâtel

Foederatio Medicorum Helveticorum (2007): FMH-Ärztestatistik 1930 - 2007
Externer Link: http://www.fmh.ch/services/statistik/aerztestatistik.html

Hänggeli, Christoph/Stettler, Simon/Jau, Jürg/Hersperger, Martina/Bradke, Sven (2007): Freipraktizierende Ärztinnen und Ärzte. In: Kocher, Gerhard/Oggier, Willy (Hrsg.): Gesundheitswesen Schweiz 2007 - 2009, S. 47 - 57

Kocher, Gerhard/Oggier, Willy (Hrsg.)(2007): Gesundheitswesen Schweiz 2007 - 2009. Eine aktuelle Übersicht. Bern

Obinger, Herbert (1998): Politische Institutionen und Sozialpolitik in der Schweiz. Der Einfluß von Nebenregierungen auf Struktur und Entwicklungsdynamik des schweizerischen Sozialstaates. Frankfurt am Main

Rosenbrock, Rolf/Gerlinger, Thomas (2006): Gesundheitspolitik. Eine systematische Einführung, 2., vollst. überarb. u. erw. Aufl. Bern

Saladin, Peter/Wegmüller, Bernhard/Gillioz, Anne/Bienlein, Martin (2007): Spitäler. In: Kocher, Gerhard/Oggier, Willy (Hrsg.): Gesundheitswesen Schweiz 2007 - 2009, S. 333 - 351

Wirthner, Adrian/Ulrich, Volker (2003): Managed Care. In: Zenger, Christoph A./Jung, Tarzis (Hrsg.): Management im Gesundheitswesen und in der Gesundheitspolitik. Kontext – Normen – Perspektiven. Bern u. a.

Fussnoten

Weitere Inhalte

Prof. Dr. Dr. Thomas Gerlinger ist Professor an der Fakultät für Gesundheitswissenschaften der Universität Bielefeld, AG 1: Gesundheitssysteme, Gesundheitspolitik und Gesundheitssoziologie.

Dr. Renate Reiter, Institut für Politikwissenschaft der FernUniversität in Hagen