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Ländliche Mobilität

Alexander Klinge

/ 8 Minuten zu lesen

Die Mobilität im ländlichen Raum steht vor großen Herausforderungen. Aktuell wird der größte Teil der Strecken mit Pkws zurückgelegt, der öffentliche Nahverkehr verliert zunehmend an Attraktivität. Können Mobilitätssysteme wie autonom fahrende Kleinbusse oder autonomes Carsharing nachhaltige zukunftstaugliche Lösungen sein?

Autonom fahrender Linienbus in Monheim, Rhein (© picture-alliance)

Mobilitätsbedürfnisse im ländlichen Raum

Die Mobilität im ländlichen Raum steht vor großen Herausforderungen. Im aktuellen Mobilitätssystem werden auf dem Land für 60 Prozent aller Strecken Pkws oder andere Kraftfahrzeuge verwendet, also der motorisierte Individualverkehr (MIV). Demgegenüber wird der öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV) durch eine geringe Taktung, eingeschränkte Bedienzeiten und unzureichende Gebietsabdeckung in ländlichen Räumen zunehmend unattraktiv.

Zeitgleich gewinnen nachhaltige Mobilitätssysteme politisch an Bedeutung, um die Klimaziele Deutschlands und der Europäischen Union (EU) zu erreichen. Der ländliche Raum spielt dabei eine Schlüsselrolle, da der tägliche mobilitätsbedingte CO2-Fußabdruck in kg/Person hier um fast ein Viertel höher liegt als in den Städten. Aufgrund spezieller Mobilitätsbedürfnisse ist die Umsetzung einer nachhaltigen Mobilität auf dem Land jedoch mit Schwierigkeiten verbunden. Durch die größeren Distanzen zwischen Arbeitsplatz, Schule, Freizeitaktivitäten und Einkaufsmöglichkeiten ergeben sich längere tägliche Wegstrecken. Dieser Prozess wird durch einen Bevölkerungsrückgang und abnehmende Arbeitsplatzzahlen in den ländlichen Gemeinden sowie eine zunehmende Konzentration der wirtschaftlichen und alltäglichen Aktivitäten in Mittelzentren, also Städten mittlerer Größe in einer dünner besiedelten Umgebung, angetrieben.

Aufgrund des häufig unattraktiven ÖPNV-Angebots und fehlender Alternativen werden die Mobilitätsbedürfnisse meist mit dem eigenen Pkw bedient. Dies führt unter anderem zu höheren Umweltbelastungen sowie einer geringeren Kostendeckung der ÖPNV-Betreiber und höheren Wegkosten für Autofahrerinnen und Autofahrer. Neben der ökologischen Bedeutung ländlicher Mobilität ist mit dem Thema auch eine soziale Dringlichkeit verbunden. So führen Defizite in der Daseinsvorsorge zu vergleichsweise mangelhaften Versorgungsangeboten von Waren und Dienstleistungen des täglichen Bedarfs. Dies trägt zur Benachteiligung spezifischer Bevölkerungsgruppen, insbesondere von Seniorinnen und Senioren und Personen mit geringem Einkommen bei, da diese zumeist auf den ÖPNV angewiesen sind und eine starke soziale Verankerung in den Bezugsgebieten haben. Bei vielen anderen Bevölkerungsgruppen treibt die wahrgenommene Benachteiligung gegenüber anderen Lebensstandorten die Abwanderung aus ländlichen Regionen voran. Abbildung 1 stellt die sozialen, ökologischen und ökonomischen Mobilitätsprobleme des ländlichen Raums und deren kausale Zusammenhänge zusammenfassend dar.

Abbildung 1: Mobilitätsprobleme in ländlichen Räumen (Interner Link: Grafik zum Download) (© bpb)

Um diese mehrdimensionalen Herausforderungen zu lösen, müssen auch neue Mobilitätsangebote geschaffen werden. Denn die in Großstädten erprobten Mobilitätslösungen, wie zum Beispiel Sharing-Angebote und per App bestellbare geteilte Taxidienste (sogenanntes "Ridepooling" von Betreibern wie Uber, BerlKönig, Free Now etc.) sind im ländlichen Raum wirtschaftlich und praktisch nicht tragbar – unter anderem wegen geringer Nachfrage durch eine entsprechend geringere Einwohnerdichte und aufgrund der oft unzureichenden Mobilfunknetzabdeckung.

Regionalzug der Deutschen Bahn (© picture-alliance/dpa)

Aktuelle Statistiken

Die Unterschiede der beschriebenen Mobilitätsbedürfnisse und Herausforderungen im ländlichen Raum zu städtischen Zentren lassen sich besonders anhand eines Vergleichs der Wegstrecken, des Wegzwecks und der verwendeten Verkehrsmittel ("Modal Split"), veranschaulichen (vgl. Abbildung 2).

In den Stadtregionen (Metropole und Regiopole) liegen die Tageswegstrecken der Einwohnerinnen und Einwohner bei 36 bzw. 37 Tageskilometern. Diese Tageskilometerzahl ist bei Regio- und Metropolen nahezu identisch auf die angegebenen Wegzwecke verteilt. So werden in beiden Raumtypen die längsten Strecken für Freizeitaktivitäten und die kürzesten für Ausbildung oder Einkauf zurückgelegt. Deutlich wird, dass in städtischen Gebieten der MIV (also private Pkws) stärker genutzt wird als der ÖPNV (Busse und Bahnen). In einer Mittelstadt im ländlichen Raum liegt die Tagesstrecke mit 37 Kilometern auf dem Niveau einer Regiopole, jedoch liegt der Anteil der Nutzung von privaten Pkws deutlich höher. So werden 49 Prozent der Tageskilometer auf dem Land mit dem Auto zurückgelegt, während der ÖPNV und das Fahrrad als Fortbewegungsmittel weniger bedeutsam sind.

Diese Tendenzen verstärken sich noch in dörflichen und kleinstädtischen Räumen. Die Tagesstrecke liegt aufgrund der größeren Distanzen höher, bei 43 Tageskilometern, wobei der Streckenzuwachs gegenüber der Mittelstadt ausschließlich mit dem Pkw zurückgelegt wird. Lediglich zwei Tageskilometer werden mit öffentlichen Verkehrsmitteln zurückgelegt, dafür sechs mit Mitfahrgelegenheiten.

Die Abbildung veranschaulicht, dass die Hierarchie des Wegzwecks mit geringfügigen Abweichungen in allen Raumtypen gleichbleibt. Somit sind die Mobilitätsbedürfnisse unabhängig davon, ob man auf dem Land oder in der Stadt lebt. Klar wird jedoch auch, dass auf dem Land wesentlich größere Distanzen überbrückt werden müssen, um die jeweiligen Bedürfnisse zu erfüllen. So werden im ländlichen Raum zwar ähnliche Distanzen für Freizeitaktivitäten wie in einer Metropole zurückgelegt, doch die Strecke für das tägliche Pendeln zur Dienst- oder Arbeitsstätte ist deutlich länger (18 statt 13 km).

Abbildung 2: Modal Split, Wegzweck und Tagesstrecke in km (Stadtregion, Landregion) (Interner Link: Grafik zum Download) (© bpb)

Autonomes Fahren als möglicher Lösungsweg?

Um eine attraktive Alternative zum MIV in ländlichen Räumen zu bieten, müssen flexible und bedarfsorientierte Lösungen geschaffen werden. Eine Leerfahrt oder Fahrt mit niedriger Passagierzahl im Linienbus bringt gegenüber dem MIV vor allem ökologisch keine Vorteile. Im ländlichen Raum ist es von besonderer Relevanz, mit dem öffentlichen Nahverkehr große Flächen zu erschließen und ihn an die individuellen Mobilitätsbedürfnisse der Bevölkerung anzupassen. Ziel sollte es sein, den ÖPNV zu stärken oder zumindest die Alleinfahrten im Privatauto zu reduzieren. Zugangswege müssen verkürzt und der Zeitaufwand für den Weg in das nächstgelegene Stadtzentrum mit dem MIV vergleichbar sein.

Das autonome und vernetzte Fahren (avF) kann hier zur Lösung beitragen. Es kann die bestehenden Probleme aber auch verschärfen, wenn sich das Verkehrsaufkommen durch die zusätzlichen Fahrzeuge insgesamt noch weiter erhöht. Ein Ziel der Mobilitätswende ist es daher, ÖPNV- und Sharing-Angebote nach Möglichkeit attraktiver als den autonomen Individualverkehr zu gestalten. Die Formulierung der rechtlichen und politischen Rahmenbedingungen für den Einsatz des avF spielt hierbei die entscheidende Rolle.

Für einen Überblick fasst Abbildung 3 mögliche Anwendungsfälle des avF im ländlichen Raum zusammen. Schematisch wird die Zersiedelung im ländlichen Raum in den äußeren Bereichen und die Konzentration der wirtschaftlichen Tätigkeiten im Stadtzentrum (Mitte der Abbildung) dargestellt. Die Anwendungsbereiche des avF im ländlichen Raum beziehen sich auf autonome Kleinbusse als bedarfsorientierte Lösung zur Flächenerschließung und als Zubringerdienste zu ÖPNV-Hauptstrecken (z. B. S-Bahn und Zugstrecken). Ein weiteres Einsatzgebiet sind autonome Carsharing-Lösungen als Alternative zum Taxi und als Möglichkeit, den Zweitwagenbesitz zu verringern.

Anwendungsbeispiel 1: Autonome ÖPNV Shuttles

In zahlreichen Pilotprojekten im ländlichen Raum (vgl. z. B. HubChain , Bad Birnbach , AutoNV_OPR ) werden Möglichkeiten erprobt, den ÖPNV durch autonome Shuttles zu ergänzen. Hauptziel aller Projekte ist eine Verbesserung der Mobilitätsversorgung durch die Anpassung der ÖPNV-Verfügbarkeit an den Bedarf der Nutzerinnen und Nutzer. Das avF kann hierbei eine Schlüsselrolle übernehmen. Denn durch eine hohe Verfügbarkeit könnten autonome Kleinbusse individuelle Mobilitätsbedürfnisse passend bedienen oder auch die "letzte Meile" zum nächstgelegenen Bahnhof zeitlich flexibel überbrücken. Daneben bieten autonome Shuttles auch die Möglichkeit zur Inklusion von Personen, die aufgrund von Mobilitätseinschränkungen bisher von der Nutzung des ÖPNV, besonders in ländlichen Gebieten, ausgeschlossen waren.

Die in den Pilotprojekten eingesetzten Shuttles fahren bislang noch sehr langsam (zwischen 15 und 25 km/h) und nur mit einem Sicherheitsfahrer an Bord, welcher in speziellen Situationen eingreifen kann. Autonome Shuttles stellen also erst perspektivisch eine Alternative zum Pkw im ländlichen Raum dar. Für einen erfolgreichen Einsatz fehlen bislang sowohl die Zeitersparnis für die Nutzerinnen und Nutzer als auch der wirtschaftliche Vorteil für die Betreiber. Nicht zuletzt müssen auch bestimmte rechtliche Rahmenbedingungen noch angepasst werden: So fehlen beispielsweise ein einheitliches Genehmigungsverfahren für Fahrzeuge mit autonomen Fahrfunktionen, eine klare Haftungsregelung im Schadensfall, aber auch eine fehlerfreie technologische Objekterkennung. Zudem sind die nötigen technischen Komponenten noch sehr teuer und die Technologie ist gesellschaftlich noch nicht besonders akzeptiert.

Abbildung 3: Anwendungsfälle autonomer Fahrfunktionen (Interner Link: Grafik zum Download) (© bpb)

Anwendungsbeispiel 2: Autonomes Carsharing:

Während es im städtischen Raum als neues Mobilitätskonzept längst verfügbar ist, ist das Modell des flexiblen sowie stationsbasierten Carsharings im ländlichen Raum für Betreiber nicht rentabel. Hauptgrund dafür ist der Zusammenhang zwischen Nutzungsfrequenz und Standort: Während in den Hotspots im Innenstadtbereich die Nachfrage die Verfügbarkeit an Fahrzeugen übersteigt, werden außerstädtische Gebiete weniger frequentiert. Das führt dazu, dass der Betreiber die Fahrzeuge zurück in die Innenstadt befördern muss. Durch eine Automatisierung des Zu- und Wegführens der Fahrzeuge könnten auch im ländlichen Raum profitable Nutzungsfrequenzen und Gesamtnutzungszeiten entstehen. Erst dann könnte auch die Anschaffung von privaten Pkws durch Carsharing-Angebote vollständig ersetzt werden.

Auch ob ein autonomes Carsharing-Angebot sich gesellschaftlich und wirtschaftlich durchsetzt, hängt letztlich von der zukünftigen rechtlichen und wirtschaftlichen Ausgestaltung dieses Bereichs ab. Sollte das Modell nur als Zusatzangebot zum Privatauto existieren und der Pkw-Besitz insgesamt nicht sinken, könnte sich am Ende auch ein gegensätzlicher Effekt in Form eines erhöhten Verkehrsaufkommens und der Konkurrenz zwischen Carsharing, Taxi und ÖPNV einstellen. Um diesem Effekt entgegenzuwirken, müssen neue Mobilitätsangebote auch im Pkw-Bereich ergänzend zum bzw. integriert in den ÖPNV entwickelt werden.

Fazit

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das autonome und vernetzte Fahren einen möglichen Lösungsweg für die vorab aufgezeigten Mobilitätsprobleme im ländlichen Raum darstellt. Mobilität ist ein Schlüsselthema der Daseinsvorsorge. Eine bessere ÖPNV-Abdeckung und die Integration neuer Mobilitätsangebote trägt zur Gleichstellung aller Bevölkerungsgruppen bei. So kann der zunehmenden Abwanderung entgegengewirkt werden und der ländliche Raum wieder an Attraktivität gewinnen.

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Alexander Klinge ist wissenschaftlicher Referent am IKEM und derzeit im Bereich Mobilität tätig. Seine Arbeitsschwerpunkte liegen in der ökonomischen Bewertung moderner und flexibler Bedienformen des ÖPNV. Er unterstützt die Umsetzung zahlreicher Projekte mit dem Fokus auf hochautomatisierte und autonome öffentliche Verkehrsmittel.