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Bevölkerungsvorausberechnungen | Rentenpolitik | bpb.de

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Bevölkerungsvorausberechnungen

Gerhard Bäcker Ernst Kistler

/ 7 Minuten zu lesen

Wie sehen Zahl und Altersstruktur der Bevölkerung in 30 oder 40 Jahren aus? Welche Entwicklung nehmen die Geburtenrate und die Lebenserwartung? Führt die hohe Zuwanderung zu einer demografischen Entlastung? Mithilfe von Bevölkerungsvorausberechnungen können Trends sichtbar gemacht werden.

Der demografische Wandel ist keine neue Erscheinung: Die erste Generation von Frauen in Deutschland, die erstmals weniger Kinder geboren hat als zum natürlichen Bevölkerungserhalt nötig sind, wurde bereits Ende des 19. Jahrhunderts geboren. (© picture-alliance, Bildagentur-online/Tips )

Charakteristika demografischer Veränderungen

Der demografische Wandel gehört inzwischen, bezogen auf praktisch alle Lebens- und Politikbereiche, zu den meistdiskutierten (und meiststrapazierten) gesellschaftlichen Veränderungen. Im Kern versteht man unter demografischem Wandel die Entwicklung von Bevölkerungszahl und -struktur (v. a. hinsichtlich Alter, nationaler bzw. regionaler Herkunft – Stichwort: Migration – und auch Zusammenleben in Haushalten/Familien; letzteres als Problem im Schnittpunkt von demografischem und sozialem Wandel). Wesentliche Einflussfaktoren sind die Geburtenrate, die Lebenserwartung, Wanderungsbewegungen und auch die Bildung bzw. die Auflösung von Haushalten.

Im Gegensatz zu weit verbreiteten Irrtümern ist der demografische Wandel keine neue Erscheinung (die z. B. mit dem so genannten "Pillenknick" eingesetzt hätte), sondern begleitet die Menschheit seit ihrem Bestehen. Ein Beispiel: Die erste Generation von Frauen in Deutschland, die erstmals weniger Kinder geboren hatte als zum natürlichen Bevölkerungserhalt nötig sind, wurde bereits Ende des 19. Jahrhunderts geboren. Ein anderes Beispiel zeigt, Migration, d. h. die Ein- und Auswanderung, begleitet die Geschichte in Europa und in Deutschland über Jahrhunderte.

Zwei Eigenschaften der demografischen Veränderungen müssen berücksichtigt werden:

  • Demografische Prozesse verlaufen erstens in der Tendenz eher schleichend und bleiben damit, vor allem hinsichtlich ihrer Konsequenzen, oft lange außerhalb der öffentlichen Aufmerksamkeit.

  • Zweitens sind sie nur schwer bzw. allenfalls langfristig zu beeinflussen. Dafür sind demografische Vorausberechnungen – von Sonderfällen wie Kriegen oder Seuchen abgesehen – zumindest auf mittlere Frist gemeinhin wesentlich sicherer/zuverlässiger als z. B. ökonomische Prognosen.

Allerdings: Langfristige Vorausberechnungen über 30 oder gar 50 und mehr Jahre sind aber ebenfalls höchst unsicher: Letztlich stellen sie immer nur ein mechanistisches Fortschreiben von Trends der Vergangenheit (sog. Stützzeitraum) unter bestimmten Annahmen dar.

Über die Entwicklungen der Vergangenheit gibt es Daten aus vielen Quellen. Spannend ist die Frage, wie sich die Bevölkerung insgesamt und einzelne Gruppen in Zukunft entwickeln werden und welche Prozesse dahinter stehen. Diese Fragen werden heute mit umfangreichen Modellrechnungen angegangen, wobei die Zahl der notwendigen Annahmen und die Einigung auf die Entwicklungstrends einzelner Größen (z.B. Lebenserwartung oder Geburtenrate) von großer Bedeutung für die Ergebnisse sind.

Komponenten der Vorausberechnungen

In Deutschland werden daher amtliche Bevölkerungsvorausberechnungen durchgeführt. Deren Vorgehen, Annahmen und Ergebnisse werden vom Statistischen Bundesamt publiziert. Im kurzfristigen Zeithorizont kann man von Prognosen sprechen. Alle langfristigen Modellrechnungen sollten jedoch immer als solche auch bezeichnet und in ihren Annahmen und Vorgehensweisen transparent gemacht werden.

Alle Ergebnisse sind also als "Wenn – dann – Aussagen" zu interpretieren. Die amtliche Statistik arbeitet in Deutschland mit den so genannten koordinierten Bevölkerungsvorausberechnungen (kBvb); aktuell ist die 13. kBvb , sie enthält acht verschiedene Varianten und drei Modellrechnungen. Solche Modellrechnungen werden erstellt, um die isolierten Auswirkungen singulärer Veränderungen – z. B. einer extremen Steigerung der Geburtenrate – als Referenz aufzuzeigen.

Geburten

Zusammengefasste Geburtenziffer in Deutschland 1985 - 2016 (Interner Link: Grafik zum Download) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/

Die zusammengefasste Geburtenziffer liegt in Deutschland aktuell bei etwa 1,59 Kindern je Frau im gebärfähigen Alter. Das ist gegenüber 2006 (1,33) zweifellos ein Anstieg, aber nur ein schwacher − und: Wie stabil dieser Anstieg sein wird, ist ungewiss. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Geburtenhäufigkeit in den alten Bundesländern seit Mitte der 70er Jahre relativ stabil ist (nach einem deutlichen Rückgang in der zweiten Hälfte der 60er Jahre). Währenddessen war sie in den neuen Bundesländern seit der Wiedervereinigung drastisch rückläufig, hat sich aber langsam erholt und auf das westdeutsche Niveau eingependelt (vgl. Abbildung "Zusammengefasste Geburtenziffer in Deutschland 1985-2016").

Der Eindruck, dass der Rückgang der Geburtenziffer erst seit Mitte der 1960er Jahre eingesetzt hat, täuscht aber. Auch hat der Rückgang der Geburten in den 1960er Jahren nicht nur mit der Freigabe der Pille zu tun, sondern auch mit dem Ende des Wirtschaftswunders durch die (kleine) Krise zur Mitte dieses Jahrzehnts. Die übliche Rede vom "Pillenknick" verkennt auch, dass es sich bei der rückläufigen Geburtenhäufigkeit um einen sehr langfristigen Trend handelt, der schon Anfang des letzten Jahrhunderts mit dem Übergang in die Industriegesellschaft eingesetzt hat.

Mit Blick auf die Zukunft spricht − trotz einer momentan zu beobachtenden leichten Entwicklung in dieser Richtung − wenig dafür, dass ein insgesamt grundlegender und dauerhafter Umschwung im generativen Verhalten geschehen wird und künftig absehbar eine Geburtenrate (von etwa 2,1) erreicht wird, die die Konstanz der Bevölkerung sichern würde. Das würde voraussetzen, dass die derzeit hohe Quote der Frauen, die kinderlos bleiben, zurück geht und dass zugleich die Kinderzahl je Frau ansteigt. Ein internationaler Vergleich zeigt aber auch, dass Deutschland zu den Staaten mit der niedrigsten Geburtenhäufigkeit zählt und dass in einer Reihe von europäischen Ländern höhere Geburtenziffern (z.B. Frankreich mit fast 2 und Dänemark mit 1,7 Kindern je Frau) realisiert werden. Um ein solches Niveau zu erreichen, müssten allerdings die Rahmenbedingungen für die Entscheidung, ein Leben mit Kindern zu führen, verbessert werden. Das gilt vor allem für die Vereinbarkeit von Berufstätigkeit und Kindererziehung.

Lebenserwartung

Für die demografische Betrachtung der Lebenserwartung bzw. Sterblichkeit sind von Bedeutung sowohl

  • die durchschnittliche Lebenserwartung (bezogen auf ein neugeborenes Kind) als auch

  • die fernere Lebenserwartung (durchschnittliche Restlebenserwartung von Personen, die ein bestimmtes Alter bereits erreicht haben).

Lebenserwartung von Neugeborenen 1931/1934 - 2013/2015 (Interner Link: Grafik zum Download) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/

Die steigende durchschnittliche Lebenserwartung hat wesentlichen Einfluss auf die Einwohnerzahl. Die niedrige Geburtenhäufigkeit wird teilweise kompensiert. Die fernere Lebenserwartung informiert über die im Durchschnitt noch übrig bleibenden Lebensjahre. Die Summe aus erreichtem Alter und fernerer Lebenserwartung steigt mit zunehmendem Alter, da die Risiken, früh zu sterben, überwunden sind. Die wichtigste Maßgröße ist hier die fernere Lebenserwartung der älteren Menschen (ab einer Altersgrenze von 65 Jahren), die also – in der Regel – nicht mehr erwerbstätig sind und Renten gleich welcher Art erhalten. Da diese Gruppe überwiegend von Einkommensübertragungen lebt, bedeutet eine Verlängerung der ferneren Lebenserwartung, dass sich die Dauer der Übertragungen verlängert und die Ausgaben in den Alterssicherungssystemen steigen.

Fernere Lebenserwartung im Alter von 65 Jahren 1901 - 2060 (Interner Link: Grafik zum Download) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/

Die mittlere Lebenserwartung von Neugeborenen liegt 2013/2015 bei 78,2 Jahren (Männer) bzw. 83,1 Jahren (Frauen) (vgl. Abbildung "Lebenserwartung von Neugeborenen laut Sterbetafeln"). Die fernere Lebenserwartung (vgl. Abbildung "Fernere Lebenserwartung im Alter von 65 Jahren 1901-2060") von 65jährigen beträgt 17,8 Jahre (Männer) bzw. 21 Jahre (Frauen). Für die Zukunft kann von einem weiteren, langsamen Anstieg ausgegangen werden. Dafür sprechen die Trends der zurückliegenden Jahre, die internationalen Vergleiche (die Lebenserwartung in Deutschland liegt im Mittelfeld vergleichbarer Länder) sowie die Erwartungen über die Entwicklung der Lebens- und Arbeitsbedingungen, des medizinisch-technischen und -pharmakologischen Fortschritts und der gesundheitlichen und pflegerischen Versorgung.

Die Vorausberechnungen des Statistischen Bundesamtes (Variante 2/"Kontinuität bei stärkerer Zuwanderung") gehen für die Zukunft davon aus, dass sich mittlere wie fernere Lebenserwartung bis 2060 kontinuierlich erhöhen und zwar

  • bis auf 84,8 Jahre (Männer) bzw. 88,8 Jahre (Frauen) bei den Neugeborenen und

  • bis auf 22,0 Jahre (Männer) bzw. 25,0 Jahre (Frauen) bei den 65jährigen. Damit werden Männer, die das 65. Lebensjahr erreicht haben, dann im Schnitt 87,0 Jahre und Frauen sogar 90,9 Jahre alt.

Durchschnittl. Rentenzugangsalter und Rentenbezugsdauer 1980 - 2017 (Interner Link: Grafik zum Download) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/

Die Zunahme der Lebenserwartung wirkt sich – bei gegebenem Rentenzugangsalter – unmittelbar auf die Systeme der Alterssicherung aus. Ob in kapitalgedeckten oder umlagefinanzierten Systemen – die Renten müssen länger gezahlt werden. Die Daten der Rentenversicherungsstatistik weisen auf das Problem hin (vgl. Abbildung "Durchschnittliches Rentenzugangsalter und Rentenbezugsdauer 1980 − 2017"): So betrug die durchschnittliche Bezugsdauer einer Versichertenrente 1960 in den alten Bundesländern 9,9 Jahre und stieg – trotz langfristig gestiegenem Rentenzugangsalter – bis 2017 auf 18,1 Jahre (Männer) und 21,3 Jahre (Frauen).

Zuwanderung

Die zu erwartenden Veränderungen im Umfang und in der Altersstruktur der Bevölkerung hängen sehr stark von der Nettozuwanderung (Zuwanderung nach Deutschland abzüglich von Ab- bzw. Rückwanderungen) ab. In der Vergangenheit haben die Zuwanderungen die jährlichen Geburtendefizite (Saldo von Sterbefällen und Geburten) mehr als ausgeglichen, so dass die Einwohnerzahl in Gesamtdeutschland von 78 Mio. (1970) auf etwa 82,3 Mio. (2000) gestiegen ist. Zwischen 2000 und 2010 veränderte sich die Bevölkerungszahl nur wenig, sie weist aber ab 2010 − vor allem aufgrund der hohen Zuwanderung − wieder deutlich nach oben. Im Jahr 2017 errechnet sich eine Zahl von 82,7 Mio. Menschen in Deutschland.

Die zukünftige Einschätzung der Nettozuwanderung erweist sich als besonders schwierig. Der Trend der Zuwanderung wird nämlich durch die politischen Entwicklungen in der Welt, aber auch durch die wirtschaftlichen, arbeitsmarktlichen und sozialen Rahmenbedingungen in Deutschland bestimmt. Die empirischen Befunde zeigen, dass die Nettozuwanderung in Zeiten eines eklatanten Arbeitsmarktungleichgewichts mit hoher Arbeitslosigkeit und schwacher konjunktureller Entwicklung rückläufig ist. Bei einem Beschäftigungszuwachs und einer (tatsächlichen oder unterstellten) Kräfteknappheit in bestimmten Sektoren, Berufen und Tätigkeitsprofilen aber nimmt dieser Trend verzögert wieder zu. Vor allem aber hängt die Zuwanderung von der Situation in den Krisen- und Bürgerkriegsländern wie Syrien, Irak, Afghanistan ab.

Wanderungen zwischen Deutschland und dem Ausland 1993 – 2017 (Interner Link: Grafik zum Download) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/

Die hohe Zahl von Flüchtlingen und Asylbewerbern, die beginnend ab 2014/2015 in Deutschland Schutz und bessere Lebensbedingungen suchen, ist in den Vorausberechnungen des Statistischen Bundesamtes berücksichtigt. Hier wird der Wanderungssaldo mit jährlich 200.000 Personen ab 2021 beziffert und eine schrittweise Anpassung von 500.000 Personen im Jahr 2014 auf 200.000 im Jahr 2021.

Die Entwicklung seit 2010 weist zudem darauf hin, dass eine hohe Zahl von Bürgern aus der EU (im Rahmen der Personenfreizügigkeit) in Deutschland eine Beschäftigung sucht. Die äußerst schlechte wirtschaftliche Lage in den südlichen bzw. östlichen Ländern der EU einerseits und die günstige Wirtschafts- und Arbeitsmarktentwicklung in Deutschland andererseits, führen zu einer hohen EU-Binnenwanderung.

Zwar ist es völlig ungewiss, wie sich die Migrationsentwicklung in den nächsten Jahren zeigt und wie hoch der Netto-Zuwanderungseffekt (also abzüglich der Rückwanderungen) sein wird. Angesichts eines Wanderungssaldos von 1,4 Mio. in 2015, 0,5 Mio. in 2016 und 0,4 Mio. in 2017 werden die längerfristigen Vorausberechnungen unsicher bleiben. Insgesamt weisen aber alle Anzeichen darauf hin, dass der positive Wanderungssaldo nicht abbrechen wird; eher ist das Gegenteil wahrscheinlich.

Allerdings: Selbst bei einem hohen und dauerhaften Wanderungssaldo werden die Zuwanderungsgewinne das Geburtendefizit nicht ausgleichen können. Rückgang und Alterungsprozess der Bevölkerung werden gebremst, nicht aber gestoppt.

Weitere Inhalte

Gerhard Bäcker, Prof. Dr., geboren 1947 in Wülfrath ist Senior Professor im Institut Arbeit und Qualifikation der Universität Duisburg-Essen. Bis zur Emeritierung Inhaber des Lehrstuhls "Soziologie des Sozialstaates" in der Fakultät für Gesellschaftswissenschaften der Universität Duisburg-Essen. Forschungsschwerpunkte: Theorie und Empirie des Wohlfahrtsstaates in Deutschland und im internationalen Vergleich, Ökonomische Grundlagen und Finanzierung des Sozialstaates, Systeme der sozialen Sicherung, insbesondere Alterssicherung, Arbeitsmarkt und Arbeitsmarktpolitik, Lebenslagen- und Armutsforschung.

Ernst Kistler, Prof. Dr., geboren 1952 in Windach/Ammersee ist Direktor des Internationalen Instituts für Empirische Sozialökonomie, INIFES gGmbH in Stadtbergen bei Augsburg. Forschungsschwerpunkte: Sozial- und Arbeitsmarktberichterstattung, Demografie, Sozialpolitik, Armutsforschung.