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Solidarausgleich in der Rentenversicherung | Rentenpolitik | bpb.de

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Solidarausgleich in der Rentenversicherung

Gerhard Bäcker Ernst Kistler

/ 5 Minuten zu lesen

Innerhalb des bestehenden Systems der Gesetzlichen Rentenversicherung gibt es verschiedene Vorschläge für Reformen, die den Solidarausgleich stärken. Diese können – zumindest für bestimmte Versichertengruppen – wesentlich zur Reduzierung heutiger und künftiger Altersarmut beitragen.

Ein Begleithund zieht einer Rollstuhlfahrerin die Schuhe aus. Eine unmittelbare Erhöhung von Renten kann auch für jene Beschäftigten erreicht werden, wenn die Rentenabschläge, die bei einem vorzeitigen Rentenbezug fällig sind, reduziert oder ganz gestrichen werden. (© picture-alliance/dpa, Themendienst)

Schließung von Sicherungslücken

Die ausgeprägte Äquivalenzorientierung der deutschen Rentenversicherung wird durch Elemente des sozialen Ausgleichs ergänzt. So werden Pflichtbeiträge, denen niedrige Arbeitsverdienste zugrunde liegen (der Durchschnittswert aus allen Pflichtbeiträgen muss im Versicherungsverlauf weniger als 75 Prozent des Durchschnittsentgelts aller Versicherten betragen), bei der Rentenfestsetzung auf das 1,5fache, maximal auf 75 Prozent, aufgewertet (das entspricht 0,75 Entgeltpunkte). Da diese Regelung – bezeichnet als "Rente nach Mindesteinkommen" bzw. "Rente nach Mindestentgeltpunkten" – nur für Versicherungszeiten vor 1992 gilt, liegt die Forderung nahe, sie zu verlängern oder gar zu entfristen um damit eine unmittelbar wirksame Anhebung von Niedrigrenten zu erreichen.

Ob eine Verlängerung dieser "Rente nach Mindestentgeltpunkten" wirklich zielgerichtet ist, ist jedoch fraglich, weil sie zu einer starken Begünstigung von Versicherten mit längeren Phasen von Teilzeitarbeit führen könnte. Die individuellen Arbeitszeiten werden von der Rentenversicherung nämlich bislang nicht erfasst. Ein Niedrigeinkommen kann insofern auch ein Einkommen bei hohen Stundenentgelten, aber nur kurzer Arbeitszeit sein. Versicherte mit niedrigen Stundenentgelten hingegen, die vollzeitig arbeiten (müssen), blieben von der Vergünstigung ausgeschlossen, wenn sie die Grenze von 75 Prozent des Durchschnittsentgelts überschreiten.

Begrenzung der Rentenabschläge

Eine unmittelbare Erhöhung von Renten kann auch für jene Beschäftigten erreicht werden, wenn die Rentenabschläge, die bei einem vorzeitigen Rentenbezug fällig sind, reduziert oder ganz gestrichen werden. Solange die Inanspruchnahme einer Altersrente vor Erreichen der Regelaltersgrenze nur als frei gewählt angesehen wird, lassen sich Abschläge vertreten. Kaum begründbar ist jedoch, dass auch Erwerbsgeminderte, die wegen ihrer schweren Erkrankung schon frühzeitig aus dem Erwerbsleben ausscheiden müssen und im Schnitt sehr niedrige Renten erhalten, noch zusätzlich durch Abschläge "bestraft" werden (vgl. Interner Link: Erwerbsminderungsrenten).

Versicherungspflicht von Minijobs

Zur Schließung von Versicherungslücken und Erhöhung von Rentenansprüchen kann die Versicherungs- und Beitragspflicht von geringfügig Beschäftigten beitragen. Dafür sprechen auch arbeitsmarktpolitische Überlegungen, da das breite Segment der so genannten Mini-Jobs mehrfachen Benachteiligungen unterliegt und nur eine Gleichstellung mit regulären Arbeitsverhältnissen diesen Missstand beheben und die Begrenzung vor allem von Frauenarbeit auf ein geringes Stundenvolumen überwinden kann.

Zwar sieht auch die seit 2013 geltende Neuregelung der Minijobs vor, dass die Versicherungs- und Beitragspflicht in der Rentenversicherung zum Regelfall wird; so dass durch die Zahlung von Arbeitnehmerbeiträgen vollwertige Ansprüche in der Gesetzlichen Rentenversicherung entstehen können. Da jedoch die Möglichkeit der Befreiung besteht ("opt-out"), ist zu bezweifeln, dass es zu einer flächendeckenden Absicherung kommt. Die Mehrheit der Betroffenen zieht weiterhin die Beitragsfreiheit vor.

Vermeidung von kurzer Teilzeitarbeit

Ein wirklich eigenständiger Alterssicherungsschutz besteht auch bei einer vollen Beitragszahlung nur dann, wenn ein Einkommens- und Stundenvolumen weit oberhalb der Einkommensgrenze von 450 Euro erreicht wird. Deshalb wird in der politischen und wissenschaftlichen Debatte davon ausgegangen, dass die Grenze von 450 Euro wie eine Sperre wirkt; sie verhindert, dass das Arbeitsangebot von Frauen ausgeweitet und der eigenständige Alterssicherungsanspruch über ein höheres Stundenvolumen und ein höheres Einkommen verbessert wird. Ziel sollte sein, diese „gläserne Decke“ zu durchbrechen und das Stundenvolumen auszuweiten.

Bewertung von Zeiten der Arbeitslosigkeit

Zum sozialen Ausgleich in der Rentenversicherung zählen neben der Beitragszahlung für Zeiten der Kindererziehung und der Pflege auch die Beitragszahlung für Zeiten von Arbeitslosigkeit. Die größten Lücken entstehen während des Bezugs von Arbeitslosengeld II, da der Bund dazu seit 2011 überhaupt keine Beiträge mehr leistet (vgl. Interner Link: Bestimmungsfaktoren für die Rentenhöhe).

Eine ausreichend hohe Beitragszahlung wäre aber notwendig, wenn vermieden werden soll, dass Langzeitarbeitslose nur mit Niedrigrenten rechnen können. Durch Beitragszahlungen erwachsen Ansprüche, die sich aber erst mit dem Renteneintritt in den Renten widerspiegeln. Für Rentner in näherer Zukunft und von heute bewirkt die Schließung von Lücken dagegen keine Verbesserung. Es wird deshalb auch vorgeschlagen, Zeiten längerer Arbeitslosigkeit im Rahmen der Gesamtleistungsbewertung als beitragsgeminderte Zeiten mit bis zu 0,5 Entgeltpunkten pro Jahr anzuerkennen, so dass Sicherungslücken gezielt geschlossen werden können.

Ausweitung der Kindererziehungszeiten

Bei der Dauer der rentenrechtlichen Anerkennung von Kindererziehungszeiten kommt es auf das Geburtsjahr des Kindes an. Für Geburten vor 1992 werden je Kind 24 Monate oder zwei Entgeltpunkte berücksichtigt, für Geburten ab 1992 pro Kind aber 36 Monate oder drei Entgeltpunkte. Eine sozialpolitische Begründung für diese Ungleichbehandlung gibt es nicht. Alleine fiskalische Überlegungen sind dafür verantwortlich. Insofern liegt die Forderung auf der Hand, diese willkürliche Unterscheidung nach dem Geburtsjahr des Kindes aufzuheben und alle Mütter gleichzustellen. Dies würde bei vielen Frauen zu einer Schließung von Versicherungslücken und zu einer entsprechenden Verlängerung ihrer Versicherungsbiografien führen.

Stabilisierung des Rentenniveaus

Ein unmittelbar positiver Effekt für alle Renten, also für Zugangs- wie Bestandsrenten, würde hingegen erreicht, wenn die so genannten Dämpfungsfaktoren bei der Rentenanpassung – zumindest zum Teil – zurückgenommen und damit das Rentenniveau stabilisiert würde. Denn die abgebremste Entwicklung des aktuellen Rentenwerts fördert die Ausbreitung von Niedrigrenten und die Gefahr der Altersarmut. Damit wird in den nächsten Jahren gleichsam automatisch der Kreis jener älteren Menschen zunehmen, deren Rente trotz langjähriger Versicherungspflicht und Beitragszahlung den Schwellenwert des Grundsicherungsniveaus unterschreitet (vgl. Interner Link: Überschneidung von Grundsicherung und Rente).

Strukturelle Armutsfestigkeit

Aus den skizzierten Leistungsprinzipien der Rentenversicherung lässt sich schlussfolgern, dass es nicht darum geht, im Alter im jeden Fall eine Rente oberhalb des Armuts- bzw. Grundsicherungsniveaus zu garantieren. Eine niedrige Rente lässt sich nicht per se als Problem einstufen. Kriterium für die Leistungsfähigkeit der gesetzlichen Rente ist jedoch ihre "strukturelle Armutsfestigkeit": Das Leistungsniveau der Rentenversicherung sollte so bemessen sein, dass nach einer langjährigen Vollzeitbeschäftigung und einer entsprechenden Beitragsleistung die Nettorenten auf jeden Fall oberhalb der vorleistungsunabhängigen Grundsicherung liegen. Je höher das Rentenniveau, umso ausgeprägter ist die Armutsfestigkeit. Wer also über Armutsrisiken im Alter redet, kann bei den gegebenen Leistungsprinzipien der Rentenversicherung nicht einfach die Frage nach der Höhe des Rentenniveaus ausblenden.

Zu berücksichtigen ist auch, dass die Ausgleichswirkungen der skizzierten Reformstrategien, wie Mindestlöhne, Verlängerung der Rente nach Mindesteinkommen, Absicherung von SGB II-Leistungsempfängern, drei Jahre Kindererziehungszeiten für alle Mütter, durch die Absenkung des Rentenniveaus zunehmend an Bedeutung verlieren. So wird selbst bei einem Mindestlohn von über 10 Euro und bei einer langjährigen Vollzeitbeschäftigung die Rente noch unter dem Grundsicherungsniveau liegen, wenn das Rentenniveau gerade einmal einen Wert von 43 Prozent erreicht . Dies ist aber der Grenzwert, der durch die Auswirkung der Dämpfungsfaktoren bei der Rentenanpassung bis zum Jahr 2030 zu erwarten ist. Der gleiche Zusammenhang gilt für die Rente nach Mindesteinkommen.

Weitere Inhalte

Gerhard Bäcker, Prof. Dr., geboren 1947 in Wülfrath ist Senior Professor im Institut Arbeit und Qualifikation der Universität Duisburg-Essen. Bis zur Emeritierung Inhaber des Lehrstuhls "Soziologie des Sozialstaates" in der Fakultät für Gesellschaftswissenschaften der Universität Duisburg-Essen. Forschungsschwerpunkte: Theorie und Empirie des Wohlfahrtsstaates in Deutschland und im internationalen Vergleich, Ökonomische Grundlagen und Finanzierung des Sozialstaates, Systeme der sozialen Sicherung, insbesondere Alterssicherung, Arbeitsmarkt und Arbeitsmarktpolitik, Lebenslagen- und Armutsforschung.

Ernst Kistler, Prof. Dr., geboren 1952 in Windach/Ammersee ist Direktor des Internationalen Instituts für Empirische Sozialökonomie, INIFES gGmbH in Stadtbergen bei Augsburg. Forschungsschwerpunkte: Sozial- und Arbeitsmarktberichterstattung, Demografie, Sozialpolitik, Armutsforschung.