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Ziele der Alterssicherung | Rentenpolitik | bpb.de

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Ziele der Alterssicherung

Gerhard Bäcker Ernst Kistler

/ 5 Minuten zu lesen

Die Debatte um Reformbedarfe in der Alterssicherung ist in ihrer Vielfältigkeit kaum noch zu übersehen. Um hier einen systematischen Überblick zu geben, ist aufzuzeigen, welch unterschiedliche Leistungsziele dem System der Alterssicherung zugewiesen werden.

Eine Mutter hilft ihrer Tochter bei den Hausaufgaben. Gesellschaftlich notwendige Tätigkeiten wie die Kindererziehung oder die Pflege Angehöriger verursachen Unterbrechungen der Erwerbstätigkeit und somit auch Sicherungslücken in der Altersversorgung. (© picture-alliance, APA/picturedesk.com)

Zu unterscheiden ist zwischen mehreren Zielen:

  1. Ältere Menschen sollen ein Einkommensniveau erreichen, das oberhalb des bedürftigkeitsgeprüften Grundsicherungsniveaus liegt und damit Armut verhindert.

  2. Der im Verlauf des Erwerbslebens erreichte Einkommens- und Lebensstandard soll auch in der nachberuflichen Lebensphase weitgehend beibehalten werden können. Die Alterssicherung hat die Aufgabe des Einkommensersatzes und der Lebensstandardsicherung.

  3. Die Ziele Armutsvermeidung und Lebensstandardsicherung sollen nicht nur Gültigkeit zum Zeitpunkt des Altersübergangs haben, sondern im Verlauf der gesamten, oft Jahrzehnte langen Rentenphase. Die Leistungen der Alterssicherung müssen deshalb laufend an die allgemeine Einkommens- und Preisentwicklung angepasst werden.

  4. In der Alterssicherung sollen auch jene Unterbrechungen abgesichert werden, in denen aufgrund von Krankheiten, Behinderungen oder Arbeitslosigkeit eine Erwerbsarbeit nicht aufgenommen werden konnte oder die nicht durch Erwerbsarbeit und Erwerbseinkommen bestimmt sind, in denen aber gesellschaftlich notwendige Tätigkeiten verrichtet worden sind (Kindererziehung, Pflege). Dies betrifft insbesondere die Alterssicherung von Frauen.

Betrachtet man die Einzelsysteme in dem 3-Säulen-Modell, so wird sichtbar, dass sie diese Ziele nur teilweise oder auch gar nicht erfüllen können. Die geltenden Konstruktionsprinzipien stehen in vielen Punkten dagegen . Ganz generell gilt, dass weder die Gesetzliche Rentenversicherung noch die private und/oder die betriebliche Vorsorge in der Lage sind, Einkommensarmut im Alter grundsätzlich zu verhindern. Denn alle drei Systeme sind erwerbsorientiert und beziehen sich auf die vormalige Stellung auf dem Arbeitsmarkt und die Höhe der Erwerbseinkommen. Eine Pauschalleistung oder einen Grundbetrag/eine Grundrente für alle, die zumindest das Bedarfsniveau der Grundsicherung erreicht, gibt es nicht. Eine solche Bedarfsorientierung findet sich allein bei der fürsorgeförmigen Grundsicherung im Alter, die allerdings nur dann greift, wenn im Kontext des Haushaltes (also unter Anrechnung sämtlicher Einkommen der Haushaltsmitglieder) Bedürftigkeit besteht (vgl. Interner Link: Leistungsprinzipien der Grundsicherung).

Erwerbsorientierung heißt, dass im Arbeitsleben Beiträge an die Rentenversicherung oder an private Lebensversicherungen gezahlt, Sparbeträge an Banken überwiesen oder Entgeltbestandteile in die Einrichtungen der betrieblichen Altersversorgung übertragen werden. Voraussetzung dafür ist, überhaupt über ein disponibles, aus Erwerbstätigkeit resultierendes Einkommen zu verfügen und dass diese Übertragungen kontinuierlich und langfristig erfolgen. Prinzipiell gilt: Je höher die Übertragungen und je länger sie im Zeitverlauf erfolgen, desto höher auch das spätere Alterseinkommen. Dies bedeutet im Umkehrschluss, dass Personen, die nur sehr wenig verdienen oder auch nur kurzfristig erwerbstätig sind, auch nur geringe Leistungsansprüche erwerben. Personen, die nicht erwerbstätig sind oder deren Erwerbseinkommen kaum oberhalb der Armutsschwelle liegt oder die längerfristig auf Hartz-IV Leistungen angewiesen sind, müssen deshalb mit dem Risiko von Altersarmut rechnen, wenn sie nicht über einen Partner/eine Partnerin oder Vermögen abgesichert sind. Da eine – aufgrund von Niedrigentgelten und/oder einer geringen individuellen Arbeitszeit (Teilzeit) – "schlechte" Einkommensposition und kurze Beschäftigungsdauer sehr häufig miteinander verknüpft sind, konzentrieren sich niedrige Renten auf Frauen. Ob allerdings im Alter tatsächlich eine Armutslage eintritt, lässt sich nicht allein an der Höhe einzelner Renten festmachen. Entscheidend ist die Höhe des gesamten Haushaltseinkommens bzw. nach dem Tod des Partners die Höhe der eigenständigen und der abgeleiteten Ansprüche (Hinterbliebenenrente) (vgl. Interner Link: Alterseinkommen und Altersarmut).

Die Kopplung zwischen Art und Ausmaß von Erwerbstätigkeit und Erwerbseinkommen einerseits und Alterssicherungsansprüchen andererseits ist bei der betrieblichen und vor allem bei der privaten Altersvorsorge besonders stark ausgeprägt . Hier herrscht ein strenges Äquivalenzprinzip, während in der Gesetzlichen Rentenversicherung das Prinzip der Teilhabeäquivalenz durch Elemente des Solidarausgleichs zumindest ein Stück weit ergänzt wird. Der Solidarausgleich kommt u.a. bei der rentenrechtlichen Anerkennung von Kindererziehungs- und Pflegezeiten, bei den Zurechnungszeiten im Fall der Erwerbsminderung und bei der Beitragszahlung für Empfänger von Arbeitslosengeld zum Ausdruck. Zudem ist das Leistungsspektrum der betrieblichen und privaten Vorsorge begrenzt, anders als die Gesetzliche Rentenversicherung deckt es in der Regel weder das Risiko der Erwerbsminderung noch das Risiko der Verwitwung ab. Und es gilt − nicht zu letzt − dass die Mitgliedschaft in der Rentenversicherung verpflichtend ist, während die Teilnahme an der betrieblichen und privaten Vorsorge freiwillig ist.

Ob allerdings die erwerbsbezogenen Leistungen im Alter so hoch sind, dass von einem Einkommensersatz oder einer Lebensstandardsicherung gesprochen werden kann, bleibt offen. Das Leistungsniveau der gesetzlichen Rente im Vergleich zum Arbeitseinkommen wird durch die Höhe des aktuellen Rentenwerts bestimmt. Um das als "Rentenniveau" definierte Verhältnis zwischen Renten und Arbeitnehmerentgelten und damit die Lohnersatzrate zu ermitteln, werden die durchschnittlichen Nettoarbeitsentgelte mit den Nettorenten, die sich aus 45 Entgeltpunkten errechnen, in Beziehung gesetzt (vgl. Interner Link: Rentenanpassung). Je höher das Rentenniveau, umso eher kann die im Erwerbsleben erreichte Einkommensposition auch im Alter beibehalten werden. Zugleich ist die Rentenversicherung durch das Prinzip der Dynamisierung geprägt: Der aktuelle Rentenwert wird jährlich automatisch nach Maßgabe der Einkommensentwicklung der Beschäftigten angepasst. Jedoch folgt die Anpassung der Lohnentwicklung nur noch gebremst, so dass das Rentenniveau seit Jahren sinkt und sich auch in Zukunft noch weiter verringern wird. Bei der kapitalbasierten betrieblichen und privaten Versorgung kann ein bestimmtes Leistungsniveau (in Relation zum Arbeitseinkommen) überhaupt nicht bestimmt werden, dies insbesondere dann nicht, wenn es sich bei der bAV um reine Beitragszusagen handelt (vgl. Interner Link: Betriebliche Altersversorgung). Denn die spätere Höhe der Rente hängt nicht von der Lohnentwicklung sondern von der Entwicklung auf den Kapitalmärkten, konkret von der Verzinsung bzw. von den Renditen der Anlagen (abzüglich der Aquisitions- und Verwaltungskosten) ab. Eine automatische Anpassung der Rentenleistung in Bezug auf den allgemeinen Wohlstands- und Einkommenszuwachs im Verlauf der Bezugsjahre gibt es insofern auch nicht .

Angesichts dieser Konstruktionsprinzipien der drei Säulen geht es bei der Reformdebatte letztlich immer um die Frage, ob und inwieweit diese grundlegenden Prinzipien verändert werden sollen. Viele der Vorschläge und Modelle muten für die Nicht-Experten schnell "sozialtechnisch" an. Entscheidend ist aber immer, welche Auswirkungen sie haben. Denn die Auswirkungen können sich auch – beabsichtigt oder unbeabsichtigt – auf das gesamte Sozialsystem und auf angrenzende Bereiche erstrecken, so auf den Arbeitsmarkt und die Arbeitsverhältnisse; und sie könnten Anstoß zu einem grundsätzlichen Wechsel des wohlfahrtsstaatlichen Arrangements geben. Auch ist zu berücksichtigen, dass sich einzelne Ansätze nicht zwingend ausschließen, sondern sich auch ergänzen können.

Deshalb trägt die Reformdebatte einen im hohen Maße politischen Charakter; sie ist durch unterschiedliche Wertvorstellungen und Leitbilder über die zukünftige Gestaltung des Sozialstaates geprägt. Wenn auch häufig unausgesprochen, so geht es immer auch um das Verhältnis von Markt, Staat und Gesellschaft und um die Vorstellungen von Gerechtigkeit und die Gewichtung von Leistungs- und Bedarfsgerechtigkeit.

Weitere Inhalte

Gerhard Bäcker, Prof. Dr., geboren 1947 in Wülfrath ist Senior Professor im Institut Arbeit und Qualifikation der Universität Duisburg-Essen. Bis zur Emeritierung Inhaber des Lehrstuhls "Soziologie des Sozialstaates" in der Fakultät für Gesellschaftswissenschaften der Universität Duisburg-Essen. Forschungsschwerpunkte: Theorie und Empirie des Wohlfahrtsstaates in Deutschland und im internationalen Vergleich, Ökonomische Grundlagen und Finanzierung des Sozialstaates, Systeme der sozialen Sicherung, insbesondere Alterssicherung, Arbeitsmarkt und Arbeitsmarktpolitik, Lebenslagen- und Armutsforschung.

Ernst Kistler, Prof. Dr., geboren 1952 in Windach/Ammersee ist Direktor des Internationalen Instituts für Empirische Sozialökonomie, INIFES gGmbH in Stadtbergen bei Augsburg. Forschungsschwerpunkte: Sozial- und Arbeitsmarktberichterstattung, Demografie, Sozialpolitik, Armutsforschung.