Online-Wahlkampf 2009
Gruscheln, Twittern, Bloggen: Im Bundestagswahlkampf 2009 nutzten die Parteien intensiv das Internet zur Wählermobilisierung. Parteien und Spitzenkandidaten haben ihre Internetauftritte grundlegend überarbeitet und waren im Web 2.0 aktiv. Die Mehrheit der Nutzer will sich jedoch noch nicht so richtig mit den Wahlkämpfern anfreunden.
Die überarbeiteten Homepages der Parteien und Spitzenkandidaten sind im Bundestagswahlkampf 2009 ein Schaufenster zu den sonstigen Netz-Aktivitäten, leiten zu den unterschiedlichen Web 2.0-Profilen weiter und stellen mit Videos und großformatigen Fotos auf den Startseiten die zentralen und aktuellsten Partei-Botschaften in den Mittelpunkt. Mehr und ausführlichere Informationen gibt es in der Regel erst auf weiterführenden Seiten.
Bewegung hin zu den Wählern
Mit dieser Strategie reagieren die Parteien darauf, dass sich laut ARD/ZDF-Onlinestudie 2009 etwa ein Drittel der Deutschen online politisch informiert, aber nur wenige Internetnutzer dazu direkt und aktiv die Partei-Homepages ansteuern. Die Parteien bewegen sich im Internet also an die Orte, an denen sie mögliche Wähler vermuten und wo deren alltägliche Internetkommunikation stattfindet. Vorrangig sind dies die sozialen Netzwerke und die großen Web 2.0-Plattformen. Überträgt man dieses Bild in den Offline-Wahlkampf, steht der Infostand auf dem belebten Marktplatz und nicht in einer Seitenstraße.Soziale Netzwerke
Die vergleichsweise jungen sozialen Netzwerke gehören heute für viele Deutsche zur alltäglichen Kommunikation und sind als Startseite die zentrale Sprungmarke für die Internetnutzung. Sie vereinen zahlreiche Funktionen, die zuvor separat stattfanden (z.B. Chats, Weblogs, Foren und Instant Messaging). 29 Prozent der deutschen Internetnutzer sind laut der repräsentativen ARD/ZDF-Onlinestudie 2009 Mitglied in einem oder mehreren sozialen Netzwerken. Hochgerechnet sind dies etwa 14,6 Millionen Menschen. Aus der Gruppe der 14- bis 19-Jährigen sind 74 Prozent der Onliner in den sozialen Netzwerken angemeldet.Die meisten Unterstützer und Freunde erreichen Parteien und Kandidaten im Online-Wahlkampf 2009 in den sozialen Netzwerken studiVZ und meinVZ. Die Betreiber des seit 2007 zur Holtzbrinck-Verlagsgruppe gehörenden und im Oktober 2005 ursprünglich als Studentenplattform gestarteten Projekts lenken ihre nach eigenen Angaben etwa 9,5 Millionen Mitglieder durch prominent platzierte Links auf den jeweiligen Startseiten in die so genannte "Wahlzentrale". In diesem anlässlich des "Superwahljahrs" 2009 neu eingerichteten Angebot der VZ-Plattformen sind Profile der Parteien und Kandidaten verlinkt, deren Echtheit geprüft ist und die von den Parteien oder Kandidaten selbst erstellt und gepflegt werden. In der Regel sind hier aktuelle Bausteine der Kampagnen und Hintergrundinformationen zu finden. Per Mausklick auf "Finde ich gut" können die Nutzer Parteien und Kandidaten zu ihrem persönlichen Netzwerk hinzufügen, sie unterstützen und sie "gruscheln" (eine Mischung aus virtuellem Grüßen und Kuscheln). Mehrere tausend virtueller "Freunde" haben die Parteien und Kandidaten bei meinVZ/studiVZ auf diese Weise gefunden.
Außerdem kommentieren die Nutzer die Profilseiten der Parteien und Kandidaten. Die Parteien moderieren die eingehenden Nachrichten. Ein nicht unerheblicher Teil des veröffentlichten Feedbacks ist negativ: Von Pauschalkritik am politischen System und aktuellen politischen Entscheidungen bis hin zur dezidierten Auseinandersetzung mit Partei- und Wahlprogrammen ist hier eine ganze Bandbreite an Rückmeldungen zu finden.
Die VZ-Gruppe hat sich erst im Mai 2009 für Parteien und Politik geöffnet. Vergleichbare Wahlkampfaktivitäten laufen auch bei sozialen Netzwerken wie Facebook aus den USA oder dem in Süddeutschland starken wer-kennt-wen.de sowie anderen Plattformen bis hin zum Seniorennetzwerk feierabend.de. Diese erreichen jedoch nicht die Reichweite von studiVZ und meinVZ. Im August 2009 erlaubte auch das auf Wirtschaft und Businesskontakte spezialisierte deutsche Netzwerk XING Partei-Diskussionsgruppen für seine nach eigenen Angaben etwa 3,4 Millionen deutschsprachigen Mitglieder. Zudem sind zahlreiche Bundestagsabgeordnete und deren Mitarbeiter Mitglieder bei XING.
Die im Bundestag vertretenen Parteien haben neben diesen Angeboten aus der Privatwirtschaft zudem eigene soziale Netzwerke. In diesen können sich – je nach Konzept – Parteimitglieder und Sympathisanten anmelden und vernetzen. In den meisten Parteinetzwerken gibt es Anregungen, wie die Nutzer im Wahlkampf selbst aktiv werden können. Die Bandbreite reicht hier vom Schreiben von Leserbriefen und Blogkommentaren, Teilnahme an Online-Umfragen oder Chats von Massenmedien bis hin zum Veranstalten einer Spendenparty.
Web 2.0-Plattformen
Besonders aktiv sind die Parteien auch bei der Videoplattform YouTube, die zum US-amerikanischen Google-Konzern gehört. Fast alle haben hier Kanäle für ihre Webvideos eingerichtet. Regelmäßig veröffentlichen die Kampagnenverantwortlichen hier Wahlspots, Mitschnitte von Reden oder eigens für das Web produzierte Clips. Die Besonderheit: Die Webvideos können von anderen Nutzern auf ihren Internetseiten eingebunden werden.Die aus den USA stammende Plattform Twitter wiederum findet im Bundestagswahlkampf 2009 ein großes Medienecho, das sich jedoch nur bedingt in Nutzerzahlen widerspiegelt. Bei Twitter, seit 2006 auf dem Markt, werden bis zu 140 Zeichen lange Kurznachrichten ähnlich einer Handy-SMS versendet und veröffentlicht. Der Unterschied zum Mobiltelefon ist jedoch, dass diese Nachrichten von anderen Twitter-Nutzern abonniert werden ("Follower") können und somit eine größere Verbreitung erzielen. Inzwischen haben sich auch Meinungsumfragen oder Votings zu bestimmten Themen via Twitter etabliert. Die Parteien nutzen Twitter im Wahlkampf unter anderem für blitzschnelle Reaktionen und Kommentare auf Aktionen des politischen Gegners oder Medienberichterstattung.
Angesichts der Vielfalt der genutzten Plattformen lässt sich eine Mehrfachverwertung der Kampagnenbotschaften beobachten: Ein Video ist nicht nur auf Videoplattformen wie Youtube zu sehen, sondern wird auch in den sozialen Netzwerken eingebunden und bei Twitter angekündigt bzw. verlinkt. Nachrichten in Textform werden automatisch per RSS-Feed ausgespielt und sind so auf einer Vielzahl von Kanälen zu sehen.
Allgemein betrachtet läuft die Kommunikation eher von den Parteien zu den Wählern, die Parteien begreifen das Internet also vorrangig als Medium zur Verbreitung ihrer Botschaften. Allerdings antworten die Parteien durchaus auf konkrete an sie gerichtete Fragen. Ein wirklicher Dialog mit den Unterstützern findet jedoch nicht statt.