Idee und Wirkung des Wahl-O-Mat
Das Internet ist zu einem unverzichtbaren Kommunikationskanal vor Wahlen geworden. Am Beispiel des "Wahl-O-Mat" wird deutlich, welche Grenzen internetbasierte politische Angebote kennzeichnen.Einleitung
Die Kommunikation im Internet ist vor Wahlen zu einem obligatorischen Bestandteil der politischen Öffentlichkeit geworden. Die Parteien nutzen das - nicht mehr ganz "neue" - Medium, um ihr personelles und inhaltliches Angebot zu präsentieren, Anhänger zu gewinnen, Mitglieder zuorganisieren und Spenden zu sammeln. Dabei beobachten die Parteien aufmerksam die Entwicklungen in der Online-Kommunikation und versuchen, diese gegebenenfalls in ihr Angebot zu integrieren; so wurden vor der Bundestagswahl von den Parteien erstmals neuere Anwendungen wie Weblogs (Online-Journale) oder Podcasts (im Internet verbreitete Audiodateien) eingesetzt.[1]
Überdies bieten überparteiliche Institutionen (z.B. Online-Medien, Universitäten, NGOs) Netzangebote vor der Wahl an. Die Bundeszentrale für politische Bildung hat sich mit einem eigenen Internetangebot zur Bundestagswahl (unter www.bpb.de ) sowie insbesondere mit dem so genannten "Wahl-O-Mat" eingebracht. Über fünf Millionen Mal ist bis zum 18. September 2005 der Wahl-O-Mat gespielt worden. Somit hat sich ein beträchtlicher Teil der Wahlbevölkerung mit 30 Thesen aus dem Wahlkampf konfrontieren lassen und dazu per Mausklick Stellung bezogen. Der Wahl-O-Mat ermittelt, inwieweit die Ansichten des einzelnen Benutzers den jeweiligen Parteipositionen entsprechen. Schließlich zeigt er die Partei mit der höchsten Übereinstimmung sowie den Anteil der Übereinstimmung mit den anderen im Wahl-O-Mat vertretenen Parteien an.[2]
Dieses Online-Angebot der Bundeszentrale für politische Bildung hat sich zu einem prominenten und stark nachgefragten überparteilichen Netzangebot entwickelt, das auf dem besten Weg ist, zu einem festen Bestandteil der bundesdeutschen politischen Vorwahlöffentlichkeit zu werden. Zum ersten Mal war der Wahl-O-Mat 2002 anlässlich der Bundestagswahl online gestellt worden und wurde seinerzeit bereits 3,6 Millionen mal gespielt. Seitdem ist der Wahl-O-Mat bei verschiedenen Landtagswahlen sowie bei der Europawahl 2004 im Einsatz gewesen.
Die Wurzeln des Wahl-O-Mat liegen in den Niederlanden. Dort wird ein baugleiches Instrument, der so genannte StemWijzer, seit 1985 vom Instituut voor Publiek en Politiek (IPP), einer überparteilichen Institution für politische Bildung, vor Wahlen eingesetzt: zunächst als Papierversion, später in digitaler Fassung auf Disketten und seit 1998 im Internet. Der StemWijzer ist bereits zu einer festen Größe in der niederländischen politischen Öffentlichkeit geworden.
In Deutschland sind vor und neben dem Wahl-O-Mat in den vergangenen Jahren weitere "voting indicators" zum Einsatz gekommen, u.a. von der "Zeit" in Verbindung mit der Universität Passau ("Wahltest") oder von der Universität Duisburg-Essen ("Wähler-Informationssystem"). All diese Angebote unterscheiden sich zum Teil erheblich vom Original. Mit dem Wahl-O-Mat und seinen Online-"Verwandten" lassen sich drei bedeutsame gesellschaftliche Phänomene in den Blick nehmen: die niedrige Wahlbeteiligung bei den Erst- und Zweitwähler/-inne/n sowie die Veränderungen der Mediennutzung und die "Digitalisierung" der politischen Öffentlichkeit.
Der Einsatz der Online-Tools findet vor dem Hintergrund einer abnehmenden Wahlbeteiligung, gerade bei den Erst- und Zweitwähler/-inne/n, und einer zunehmenden Entfremdung der Jugendlichen von den traditionellen Formen der Politik und Repräsentation statt.[3] Dabei ist der Wahl-O-Mat (wie auch die Internet-Aktivitäten von Parteien und sonstigen Organisationen) eine Reaktion auf Veränderungen in den Kommunikationsgewohnheiten - nicht nur - junger Menschen und auf die ansteigende Bedeutung von Online-Kommunikation: Die jüngste Online-Studie von ARD und ZDF hat ermittelt, dass mittlerweile rund 58 Prozent der Bevölkerung über 14 Jahre regelmäßig das Internet nutzen. Dieser Anteil ist bei jungen Menschen außerordentlich hoch: Von den 14 bis 19-Jährigen nutzen 90,1 Prozent bzw. von den 20 bis 29-Jährigen 85,3 Prozent das Netz.[4]
Somit lässt sich der Wahl-O-Mat in die Debatten um die partizipationsfördernden Potenziale des Internets einordnen. In Deutschland wird seit über zehn Jahren (andernorts schon länger) mit wechselhaften Konjunkturen die Frage diskutiert, ob und - wenn ja - wie das Internet die Qualität politischer Kultur und Kommunikation verändert, vielleicht sogar fördern kann. Derzeit liegt der realitätsgeprägte Befund vor, dass das Internet zum Teil ergänzende, zum Teil eigene Beiträge zur politischen Beteiligung inner- und außerhalb der bestehenden Organisationen leisten kann, die Fall für Fall analysiert und bewertet werden müssen.[5] Im Weiteren geht es darum zu schauen, inwiefern ein Online-Angebot wie der Wahl-O-Mat zur Mobilisierung beitragen kann und was sich daraus über die Potenziale und Defizite der Netzkommunikation ableiten lässt.