Wahlverhalten und Parteiensystem
Das Ende der Stabilität? Wahlverhalten und Parteiensystem unterliegen in Deutschland einem stetigen Wandel.
Wie lassen sich die im vorangegangenen Kapitel beschriebenen Erklärungsmuster auf die Wahlentscheidung zum Deutschen Bundestag anwenden? Bei einer ersten Interpretation des Wahlergebnisses vom 22. September 2013 stechen die folgenden Besonderheiten deutlich hervor (Karl-Rudolf Korte 2015, Richard Hilmer/Stefan Merz 2014, Eckhard Jesse 2014):
- Merkel siegte 2013 in historischen Ausmaßen. Zeitweilig schien am Wahlabend sogar eine absolute Mehrheit für die Unionsparteien möglich, wie es bislang lediglich Konrad Adenauer 1957 gelang.
- Wie Merkel schafften es nur Adenauer und Kohl, nach einer Bundestagswahl mindestens dreimal gewählt zu werden.
- Erstmals seit 2002 profitierten die Volksparteien wieder von Stimmenzuwächsen. Dass die Stimmengewinne der einen Volkspartei nicht zulasten der anderen Volkspartei gingen, sondern beide zeitgleich zulegten, trat zuletzt bei der Bundestagswahl 1965 ein.
- Während Union und SPD in der 2005 gebildeten zweiten Großen Koalition nur knapp 440.000 Stimmen trennten, war der Abstand dieses Mal mit knapp 7 Millionen Stimmen deutlich größer.
- Nach der Wahl sind lediglich vier Fraktionen im Deutschen Bundestag vertreten: CDU/CSU, SPD, Linke und Bündnis 90/Die Grünen.
- Mit 4,8 Prozent verfehlte die FDP den Einzug in den Bundestag um nur 90.000 Stimmen. Die Liberalen sind erstmals nicht im Parlament vertreten – ein existenzieller Schock für eine Partei, die im Bund so lange Regierungsverantwortung trug wie keine andere. An der Sperrklausel scheiterte ebenfalls die Anfang 2013 gegründete AfD, die jedoch auf Anhieb 4,7 Prozent der Wählerstimmen erhielt.
- Knapp sieben Millionen Wählerstimmen (15,7 Prozent) fielen der Fünfprozenthürde zum Opfer; so viele wie bei keiner Wahl zuvor.
- Immer mehr Wählerinnen und Wähler nutzen die Briefwahl. Ihr Anteil stieg von 21,4 Prozent (2009) auf 24,3 Prozent (2013).
- Die Zahl der Wechselwähler stieg leicht an. Während ihr Anteil bei der Bundestagswahl 2009 noch bei 31 Prozent lag, gab diesmal ein Drittel der Wählerinnen und Wähler einer anderen Partei die Zweitstimme als bei der vorherigen Bundestagswahl.
- Seit 1998 ist die Wahlbeteiligung erstmals gestiegen. Mit 71,5 Prozent war sie zwar etwas höher als 2009 (70,8 Prozent), aber immer noch deutlich geringer als bei vorherigen Wahlen zum Deutschen Bundestag.