Rating-Agenturen
Rating-Agenturen bewerten die Kreditwürdigkeit von Finanzprodukten, Unternehmen und Staaten. Im Zuge von Subprime- und Staatsschuldenkrise sind sie massiv in die Kritik geraten. Insbesondere die "großen Drei": Standard & Poor's, Moody's und Fitch.
Definition und Funktion
Rating-Agenturen erstellen Kreditratings für Schuldinstrumente (zum Beispiel Anleihen) sowie für Emittenten solcher Instrumente. Sie sollen damit in der Theorie zur Transparenz des Kapitalsmarktes beitragen.Eine wichtige Rolle bei der Berechnung von Eigenkapitalanforderungen für Banken spielen besondere Ratingagenturen: die External Credit Assessment Institutions (ECAIs) und in den USA die Nationally Recognized Statistical Rating Organizations (NRSRO), die von den jeweiligen Regulierungsbehörden einen besonderen Status verliehen bekommen haben. In den USA haben insgesamt neun Agenturen den NRSRO-Status.[1] Aus Sicht der Wirtschaftspolitik liegt hier ein Kartell mit einer erheblichen Machtballung vor. Die Praktiken der Ratingagenturen sind im Zuge der Subprime- und Finanzkrise sowie der Staatschuldenkrise in die Kritik geraten.
Hintergrund und Geschichte: U.S.-amerikanisches und kontinentaleuropäisches Wirtschaftssystem sowie Entstehung der Agenturen
Um die Funktion der Agenturen einordnen zu können, muss man sich mit ihrer Entstehungsgeschichte befassen. Dazu wiederum ist es notwendig, Grundzüge der traditionellen Unterschiede zwischen angelsächsischem und kontinentaleuropäischem Wirtschaftssystem zu verstehen. Das angelsächsische System ist traditionell kapitalmarkt-, investmentbanking und eigenkapitalorientiert. Das kontinentaleuropäische und dabei insbesondere das deutschsprachige System war traditionell bank- und kreditorientiert. Hier spielten seit dem 19. Jahrhundert die Sparkassen sowie die Volks- und Raiffeisenbanken eine wichtige Rolle in der Wirtschaft.Im kapitalmarktorientierten System investiert ein Investor direkt in ein Unternehmen oder kauft Anleihen. In einem kreditorientierten System geben viele Sparer ihr Geld der Bank, die es dann an Handels- und Industrieunternehmen verleiht. Das kreditorientierte System ist insofern langfristiger und nachhaltiger angelegt, als dass eine Bank mit dem Schicksal ihrer Kreditnehmer lange verknüpft bleibt. Im investmentbankingorientieren System betätigt sich die Investmentbank als Produktschöpfer oder Makler, übernimmt aber keine langfristige Verantwortung.
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Ratingagenturen – Heimliche Strippenzieher der Wirtschaft (02.02.2017)
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Dieser Podcast ist eine Produktion des Bayerischen Rundfunks. Die bpb veröffentlicht ihn mit freundlicher Genehmigung als verlinktes Angebot.
© 2017 radioWissen, Bayerischer Rundfunk
Eine klassische Bank nimmt Kundengelder entgegen und gibt dafür Kredite. Auf der Aktivseite seht die Mittelverwendung (welche Kredite gegeben wurden und welche Investments im eigenen Namen getätigt wurden), auf der Passivseite steht die Mittelherkunft (Kundengelder, aufgenommene Kredite, Eigenkapital). In diesem Sinne sind Investmentbanken keine Banken und sie investieren auch nicht.[2] Investmentbanken nehmen keine Kundengelder und vergeben kaum Kredite – lediglich kurzfristige Kredite zur Finanzierung einer Transaktion. Sie investieren auch nicht langfristig, wie es Investmentgesellschaften tun. Investmentbanken kreieren und verkaufen Finanzprodukte – sie sind Finanzingenieure und Makler.
Das bankorientierte System beruht daher wesentlich mehr auf langfristigen, vertrauensvollen Kreditbeziehungen; im Gegensatz zum investmentbankingbasierten System dass durch schnellere Geschäfte geprägt ist. Zur Entstehung der U.S.-amerikanischen Agenturen ist aber das Verständnis eines weiteren Faktors unerlässlich. Die Entstehungsgeschichte der Agenturen reicht buchstäblich bis in die Zeit des Wilden Westens zurück, als Lewis Tappans Mercantile Agency 1841 eröffnete.
Lug und Betrug sind in gewissem Maße Bestandteil jedes Wirtschaftssystems. Es kann aber kein Zweifel darüber bestehen, dass Lug, Betrug, Schwindel und Insolvenzen in der hoch mobilen, von Einwanderern geprägten Gesellschaft der Vereinigten Staaten wesentlich häufiger vorkamen, als in den statischen, durch Zünfte, Adel und feste Herrschaftsstrukturen geprägten Gesellschaften Mitteleuropas.[3] Vertrauen in den „ehrenwerten Kaufmann“ war – und ist – in der amerikanischen Gesellschaft deutlich weniger vorhanden als traditionell in Mitteleuropa. „Haben Sie jemals beobachtet, wie wenig Vertrauen es zwischen Mann und Mann gibt – speziell: zwischen Fremden und Fremden?“ schreibt Hermann Melville in seinem 1857 erschienen Buch Der Schwindler.[4] Auch Banken – die in den USA viel zahlreicher und oft kleiner waren als in Mitteleuropa – gingen häufig in die Insolvenz.
Diese Geschäftslücke nutzte als erstes Lewis Tappan mit seiner Mercantile Agency. Über ein System anonymer Informanten und Spitzel bot er an, Profile über jeden Geschäftsmann und jedes Geschäft zu erstellen. Die Agenten – Rechtsanwälte, Kassierer und andere – wurden nicht direkt vergütet, sondern erhielten einen Prozentsatz der eingetriebenen oder geretteten Forderungen. Die Geschäftsidee boomte. Bereits im Jahr 1857 beschäftigte die Commercial Agency über 2000 Agenten. Bald fanden sich Nachahmer: die alle zwei Jahre erscheinenden Bradstreet’s Commercial Reports deckten 1857 17.000 Unternehmen, 1862 bereits 200,000 Unternehmen in 6,400 Städten ab.[5] Standard & Poors wurde 1860 gegründet, Moody’s 1909 und Fitch 1913.
Es bleibt festzuhalten, dass der Ursprung der Ratingagenturen aus einem System des Misstrauens heraus entstand, um juristisches und gesellschaftliches Versagen zu kompensieren.