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Ein Lamento, das in die Irre führt | Europäische Wirtschaftspolitik | bpb.de

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Die Leiden des lusitanischen Musterschülers Sparen unvermeidbar Zeigen Spanien, Irland und Portugal, dass die angebotsorientierte Politik sich auszahlt? Es schmerzt, aber die Reformen wirken Crash-Kurs mit jeder Menge Kollateralschäden Ist Spanien über den Berg? Von Gesundung kann keine Rede sein Rückkehr zum Normalzustand Hat die Sparpolitik Irland aus der Krise geholfen? Via Dolorosa ohne Alternative Die Generation der stillen Verzweiflung Hat die Politik der Troika Griechenland genutzt? Die Schrumpfpolitik ist gescheitert Griechenland hat alle Möglichkeiten Zur Rolle Deutschlands in der Schuldenkrise (2014) Ist Deutschland ein Modell für Europa? Die Mär vom gesunden Staat Marktkonform und doch sozial gerecht Hat Deutschlands Bilanzüberschuss die Krise beschleunigt? Die Eurokrise ist eine Zahlungsbilanzkrise Europa braucht Deutschland, Deutschland braucht Europa Bedrohen unterschiedliche Lohnkosten die Stabilität der Eurozone? 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Ein Lamento, das in die Irre führt

Hermann-Josef Tenhagen

/ 5 Minuten zu lesen

Deutschland fährt gut mit der Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank, findet der Wirtschaftsjournalist Hermann-Josef Tenhagen. Dass die EZB zum Sündenbock für mäßige Lohnrunden, eine verfehlte Steuerpolitik und eine Tradition der Selbstbedienung bei Banken und Versicherern gemacht wird, ärgert ihn.

Hermann-Josef Tenhagen (© picture-alliance, Eventpress)

Seit Jahren lamentieren Bankenverbände und Versicherer, die Europäische Zentralbank (EZB) würde mit ihrer Niedrigzinspolitik Sparer und Versicherungskunden enteignen. Und raunen dann weiter, diese Politik des (italienischen) EZB-Chefs Mario Draghi sorge doch nur dafür, dass die undisziplinierten Südeuropäer so weiter machen könnten wie bisher. Auf Kosten ihrer deutschen Kundinnen und Kunden.

Das ist verlogen, verkennt Ursache und Wirkung und lenkt von der Verantwortung eben jener Banken und Versicherer für das schwindende Vermögen ihrer Kundinnen und Kunden ab. Wenn deren Vermögen nicht wächst, während Aktionäre und Immobilienbesitzer eine Bonanza abfeiern, versagen doch Banken und Versicherer, nicht die Zentralbank. Wer es wie die deutschen Banken und Sparkassen nicht schafft, überzeugende Angebote für 1900 Milliarden Euro auf den tagesfälligen Konten der Kundinnen und Kunden hierzulande anzubieten, versagt bei seiner Kernaufgabe als Finanzdienstleister.

Das Versagen hat System. Banken und Versicherer sind oft gar nicht an der Mehrung des Vermögens ihrer Kundinnen und Kunden interessiert. Sie messen im Alltag nicht einmal, was damit passiert. Oder ob sie mit ihrem Management der Kundengelder besonders zum finanziellen Erfolg der Kundinnen und Kunden beitragen. Fragen Sie bei Ihrer Bank einfach mal nach, wie viele Managerinnen und Manager einen Bonus bekommen, weil sie das von ihnen verwaltete Geld besonders erfolgreich gemehrt haben. Dabei haben viele Führungskräfte dort ein Betriebswirtschaftsstudium absolviert – und wissen deshalb genau, dass sie eine Zahl oder eine Leistung für Kundinnen und Kunden nicht optimieren können, ohne sie zuvor ordentlich zu messen.

Versicherer finden ihre früheren Versprechen an Millionen Kunden lästig

Das Argument, es interessiere die Banker und Versicherungsmanager nicht, was mit dem Wohlstand ihrer Kundinnen und Kunden passiert, ist natürlich gemein. Allerdings gibt es bereits erste Versicherungskonzerne, die offen ankündigen, ihre Lebensversicherungskunden am liebsten loswerden zu wollen. Versicherer finden also ihre früheren Versprechen an Millionen Kundinnen und Kunden lästig, nachdem sie ihnen zuvor Milliarden an Provisionen aus den Taschen gezogen haben.

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All das beweist noch nicht, dass Banken und Versicherungsmanager Unrecht haben, wenn sie sagen, dass die Politik der EZB ihre Kundinnen und Kunden hierzulande ärmer macht, damit sie den hochverschuldeten Ländern Südeuropas helfen kann. Die Verteilungswirkungen sind aber in Wahrheit andere. Erinnern wir uns: Die Euro-Krise und die daraus folgende Politik der EZB waren und sind eine Reaktion auf ausgeuferte Kreditvergaben und Finanzentscheidungen zu Beginn des Jahrtausends. Griechenland, Irland, Portugal und Spanien waren deshalb vor zehn Jahren große Schuldner bei deutschen, französischen und niederländischen Banken. Vor allem um diese Banken und Versicherungen zu retten und einen zweiten Kollaps nach dem globalen Finanzdesaster der Jahre 2008 und 2009 zu verhindern, haben EU-Finanzminister und EZB die später so betitelten Krisenländer Griechenland, Irland und Portugal aufgefangen. In der Folge bekamen von Großbanken über Versicherer bis hin zu Landesbanken und Finanzinvestoren alle ihre dort verliehenen Gelder größtenteils zurück. Die Schuldentitel landeten unter den Rettungsschirmen der Regierungen der Länder und bei den Notenbanken.

Nachdem sich die einstigen Geldgeber erfolgreich aus der Schlinge gezogen hatten, änderte sich ihre Haltung, vor allem in Deutschland. Jetzt sollte die EZB bitte eine Kehrtwende einläuten und Zinsen erhöhen, damit Banken und Versicherer Südeuropäern zu hohen Zinsen erneut Geld leihen – und ein zweites Mal von der Krisenpolitik profitieren können. Diesen „Doppelwhopper“ zu Lasten Südeuropas mochte aber nicht einmal das deutsche Finanzministerium mittragen. Es hielt sich mit Kritik an der Niedrigzinspolitik der unabhängigen EZB zurück. Schon aus purem Eigeninteresse.

Wieso Eigeninteresse, könnten die geneigten Leserinnen und Leser jetzt fragen – ganz einfach. Wenn die Bundesrepublik ihre Schulden praktisch zu null Prozent Zinsen aufnehmen kann und alte, teure Schuldpapiere auf Schuldpapiere mit solch niedrigen Zinssätzen umschulden kann, hilft das dem Finanzminister enorm, eine „schwarze Null“ zu erreichen. Jeder Prozentpunkt weniger Zinsen, den er auf seine Schuldtitel zahlen muss, verringert die Zinslasten für das Finanzministerium um 12,5 Milliarden Euro im Jahr. Wenn der Bund auf seine zehnjährigen Staatsanleihen also statt 3,3 Prozent Zinsen vor einigen Jahren nur noch die heutigen 0,3 Prozent Zinsen zahlen muss, spart das bei 1250 Milliarden Euro Schulden des Bundes Jahr für Jahr 37,5 Milliarden Euro.

Auch Anleger und Arbeitnehmer profitieren von Nullzins-Politik

Vom Kurs der EZB hat aber nicht nur der deutsche Finanzminister profitiert, sondern auch Anlegerinnen und Anleger, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschlands starker Exportindustrie. Die Nullzins-Politik sorgt dafür, dass der Wert des Euro trotz einer unberechenbaren Politik in den USA nicht zu stark steigt. Exporte aus Europa in den Rest der Welt bleiben preiswert. Der Exportvizeweltmeister Deutschland profitiert davon besonders.

Und das nicht nur außerhalb der Europäischen Union, sondern auch beim Handel innerhalb des Euro-Raums. Der Euro mildert die Auswirkungen der deutschen Exporterfolge bei der Bewertung der heimischen Währung ab. Ohne Währungsunion würde eine nationale Währung wie die D-Mark bei solchen Exporterfolgen stark aufwerten, Exporte würden also teurer werden und Arbeitsplätze schwieriger zu erhalten sein. So aber beeinflusst die Wirtschafts- und Exportstärke der gesamten Eurozone den Euro-Kurs.

Alles in allem profitiert Deutschland also von der Niedrigzinspolitik der EZB. Diese schafft und erhält Arbeitsplätze, sie schont die Staatskasse – und sie hat zu Beginn auch deutsche Banken und Versicherer vor den Folgen einer Euro-Krise gerettet. Aus dieser Perspektive eilt es nicht mit dem Ende der Niedrigzinspolitik.

Wenn die deutsche Volkswirtschaft als Ganze profitiert, heißt das jedoch noch lange nicht, dass dieser Profit bei jedem ankommt – das kommt er ganz sicher nicht. Die Europäische Zentralbank wird jedoch zum Sündenbock für Ergebnisse der Tarifpolitik, (steuer-)politischer Entscheidungen und für die Ergebnisse einer Tradition der Selbstbedienung bei Banken und Versicherern gemacht.

Drei Beispiele: Spitzengehälter in der Exportindustrie stehen weiter Magerlöhnen im Dienstleistungsgewerbe gegenüber, explodierende Managergehälter den Magerlohnrunden für Belegschaften. Die Rufe nach der erneuten Senkung des Spitzensteuersatzes werden lauter – gleichzeitig nimmt die Beschäftigung im Niedriglohnsektor zu, was ohne Veränderung der Rentenformel die Gefahr von Altersarmut erhöht.

Die Sparerinnen und Sparer bekommen in der Niedrigzinsphase letztlich genauso wenig wie sie in den Phasen vorher die tatsächlich möglichen Zinsrenditen erhalten haben (siehe Grafik). Eigentlich könnten niedrigen Zinsen den Bank- und Versicherungskunden damit gleichgültig sein, solange die Inflation auch niedrig bleibt. Denn eine Geldentwertung fände dann nicht statt. Allerdings haben es die meisten Banken in den vergangenen 30 Jahren nur selten geschafft, ihren Kundinnen und Kunden für ihre Anlagen Renditen zu zahlen, die sich wenigstens in der Nähe der Inflationsrate bewegen. Und all das liegt nicht an Mario Draghi.

Ulrike Herrmann (© Herby Sachs/WDR)

Standpunkt Ulrike Herrmann:

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Hermann-Josef Tenhagen ist seit Oktober 2014 Chefredakteur des gemeinnützigen Verbraucherportals Finanztip. Zuvor war er 15 Jahre lang Chefredakteur der Zeitschrift Finanztest, eines Monatsmagazins der Stiftung Warentest. Im April 2017 erschien im Econ Verlag sein Buch "Wie Sie mit wenig Aufwand viel Geld sparen".