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Grußwort "Internetopia ist zerplatzt – Es lebe das Internet!" auf der Konferenz "Netzkultur Freunde des Internets" | Presse | bpb.de

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Grußwort "Internetopia ist zerplatzt – Es lebe das Internet!" auf der Konferenz "Netzkultur Freunde des Internets"

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Die Konferenz Externer Link: Netzkultur Freunde des Internets ist eine Kooperation zwischen den Externer Link: Berliner Festspielen und der Externer Link: Bundeszentrale für politische Bildung/bpb, die am 30. November 2013 in Berlin stattgefunden hat.

Internetopia ist zerplatzt – Es lebe das Internet!

Was ist nur mit dem Internet los? Diesem gegenwärtig größten aller amerikanischen Träume, der gerade dabei ist, sich - golemgleich - durch seine eigenen Erschaffer in einen Klumpen Lehm aufzulösen.

Der Hoffnung auf den herrschaftsfreien Diskurs, den geschützten unzensierten Raum, in dem alle alles sagen können und allen alle Türen offen stehen. Dem Versprechen von wahrer Freundschaft und erfüllter Liebe, der Begegnung über Grenzen und Klassen hinweg. Dem Ort des Austauschs - geistiger aber auch materieller Güter - jenseits der kapitalistischen Verwertungslogik. Der neuen grenzenlosen Agora, in der nunmehr echte Partizipation aller möglich ist. Ein Ort, den sich Ernest Callenbach nicht bunter hätte ausmalen können.

All das soll nicht real sein, sondern nur eine Fassbinder'sche "Welt am Draht"? (Externer Link: http://www.youtube.com/watch?v=086qpNMCeYU) Zuerst waren es noch kleine Störungen, die uns aufhorchen ließen. Im scheinbar kostenlosen Raum waren unsere Daten auf einmal die Währung, Diskurse in Chats und Foren manipuliert. Schließlich ist es jeder Kontakt, jede Bewegung, jeder noch so intime Austausch, der gesehen, überwacht und in riesigen Serverfarmen im ewigen Eis Orwellscher Arsenale für die Ewigkeit gespeichert wird. Aber bei allem Wehklagen über den "Untergang des Netzes", wie wir meinten, es gekannt zu haben: Sind wir nicht im Netz nunmehr dort angekommen, wo wir in der realen Welt schon lange sind? Anders als Fred Stiller in Fassbinders Film fehlt uns die Möglichkeit, am Ende in die dann hoffentlich endgültige reale und perfekte Welt "aufzusteigen". Im Offline - wie im Online-Modus haben wir offenbar nur diese eine Welt. Und das, was wir beobachten, ist die - nunmehr auch mental nachvollzogene - Zusammenlegung zweier Welten: hier wie dort wird Geld verdient, ausgebeutet, betrogen, überwacht, ausgegrenzt, gemobbt, begrenzt. Und hier wie dort werden Menschen von der Teilhabe an politischen Prozessen ausgeschlossen. Aber hier wie dort gab und gibt es eben auch das Gegenteil: Gemeinschaft, Beteiligung, Wissensvermehrung, Kreativität und Ermöglichung, Privatheit und Öffentlichkeit, kurz Freiheit.

Internetopia zerplatzt. Aber es ist nicht das Netz, das seit einigen Monaten nicht mehr das zu sein scheint, was es einmal zu sein schien. Es ist unsere Vorstellung vom Netz. Über "Netzkultur" zu sprechen heißt also über unsere Welt zu sprechen, innerhalb und außerhalb des Netzes. Über unsere Gesellschaft, unsere Politik, die Möglichkeiten sich zu beteiligen und die Möglichkeiten, als Privatperson vor dem Zugriff von wem auch immer - und wo auch immer - geschützt zu sein. Es geht um nicht weniger als um die Rückeroberung und Wiederbelebung grundlegender Rechte und die Selbstbestimmung durch mündige Bürger: hier wie da! Mit diesem realistischen - sicher auch kritischen - Blick lassen sich die Chancen des Internets vielleicht entspannter neu austarieren. Und dass diese Chancen erheblich sind, das werden Sie in den kommenden Wochen und in zahlreichen Diskussionen bei unserer Veranstaltungsreihe sehen: online wie offline! Oder mit Friedrich Hölderlin: "Komm! ins Offene, Freund!"

- Es gilt das gesprochene Wort -

Fussnoten