Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Impulsreferat von Thomas Krüger zum 4. Thüringer Kulturforum am 9. Juli 2014 in Sonderhausen | Presse | bpb.de

Presse Pressemitteilungen Pressetexte 2024 Archiv Reden Archiv Pressekits Fotos | Logos | Banner Logos Virtuelle Hintergründe Thomas Krüger Jahresrückblicke Jahresberichte Auszeichnungen Pressekontakt

Impulsreferat von Thomas Krüger zum 4. Thüringer Kulturforum am 9. Juli 2014 in Sonderhausen

/ 7 Minuten zu lesen

"Kultur ist Dialog. Diesen Dialog beginnen wir bei uns selbst", so heißt es in dem 2011 vorgelegten Thüringer "Leitbild Kultur". Dieses Leitbild, das aus dem 1. Thüringer Kulturforum 2010 hervorgegangen ist, "versteht sich als Beitrag zur Beschreibung unserer kulturellen Identität. Es ist die Vergewisserung über die Bedeutung unserer Kunst und Kultur. Es definiert unseren Weg und unsere kulturpolitischen Ziele". Dieses Leitbild enthält auch Aussagen zu kultureller Bildung und Teilhabe, die nun im 4. Thüringer Kulturforum zum Thema "Netzwerke für Kulturelle Bildung" verhandelt werden sollen. Ich möchte Ihnen gerne, an die empirischen Befunde im Jugendkulturbarometer anknüpfend, einige Thesen als Dialogangebot vorstellen, die Sie in den Workshops vertiefen oder verwerfen können.

1. Alle behaupten, Kulturelle Bildung hätte Konjunktur. Ich nicht! Meine Hypothese ist, dass die kulturelle Bildung in eine Überforderungssituation geraten ist, bildungspolitische Engführungen lösen zu müssen. Der aktuelle Hype um Kulturelle Bildung entsteht u.a. als Reaktion auf die Output-orientierte Bildung im Zuge des PISA-Prozesses, vor allem in den naturwissenschaftlichen und Sprachfächern. Bildung ist in den letzten 20 Jahren zunehmend einem ökonomischen Nutzenparadigma unterworfen worden. Sie kennen die weiteren Stichworte wie G 8 bzgl. Abitur und Bolognaprozess, was die Hochschulausbildung betrifft. Die Kulturelle Bildung kommt hier gerade recht, weil mit ihr rhetorisch behauptet werden kann: Bildung muss mehr sein, als die Zurichtung für die Arbeits- und Wissensmärkte. Gemeint ist jedoch nicht die kritische Reflexion ökonomischer Instrumentalisierung von Bildung, sondern die Freisetzung von zusätzlichem kreativen Know-how, das man sich vom kulturellen Kapital verspricht. Kreativität ist eben auch eine ökonomische Kategorie im Turbokapitalismus.

2. Die ökonomischen und dabei immer auch globalen Reformprozesse nehmen das kulturelle Kapital unserer Gesellschaften gleich mehrfach in den Dienst. Auf der einen Seite geht es um die Reproduktion von kulturellen Traditionen, um den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu unterstützen. Kulturelle und hier vor allem ästhetische Erzählungen legen dabei Bindekräfte frei, die eine Ökonomie der maximalen Gewinnmaximierung nicht aus sich selbst hervorbringen kann und will. Auf der anderen Seite ist die Wirtschaft auf die Kreativität junger Menschen angewiesen, um Produkte zu entwickeln, die sich mit dem entsprechendem Lifestylefaktor besser verkaufen. Gekauft und verkauft wird also immer auch kulturelle Identität. Hierfür müssen die Jugendkulturen aktiviert werden. Früher waren Jugendkulturen wichtig für die Abgrenzung gegenüber der älteren und etablierten Generation. Das sind sie potentiell immer noch, nur mit dem Unterschied, dass die ältere Generation und mit ihr das ökonomische Kapital heute den Spieß umgedreht hat, um sich das kreative Potential der nachwachsenden Generation schon heute zu Nutze zu machen: Ein weiteres anschauliches Beispiel, wie der postfordistische Kapitalismus Techniken etabliert, seine Gewinnmaximierung zu Lasten der nächsten Generation zu optimieren.

3. Anne Bamford hat in ihrem wichtigen Beitrag "The wow-factor" auf die Differenz zwischen "education in arts" und "education through arts" hingewiesen. Die "education in arts" beschreiben mehr oder weniger den Bereich der "ästhetischen Bildung", der Bildung in den Künsten, die wie bereits gezeigt für die ökonomischen Interessen sehr gut in den Dienst genommen werden kann. Die "education through arts", also die Bildung durch die Künste, oder wie der ehemalige Direktor der Akademie Wolfenbüttel Karl Ermert sagt "die Auseinandersetzung mit "Welt" im Medium der Künste", zielt in ihrem Kern auf Persönlichkeitsbildung ab. Diese Dimension von Persönlichkeitsbildung ist auch in der politischen Bildung konstitutiv. Und sie ist im Unterschied zur ästhetischen Bildung, für die man viel besser Standards entwickeln kann, ambiguitiv, also man kann nicht genau wissen, was am Ende bei ihr herauskommt. Persönlichkeitsbildung zielt auf Selbstreflexion, Selbstwahrnehmung und Selbstwirksamkeit mit dem Ziel eigener Kritik- und Urteilsfähigkeit ab. Persönlichkeitsbildung legt soziale, kulturelle und politische Kompetenzen frei, die plurale demokratische Gesellschaften so lebenswert und überhaupt überlebensfähig machen.

4. Meine Kernthese lautet deshalb: Kulturelle Bildung, die sich nicht überfordern oder gar instrumentalisieren lassen will, sollte von ihrem Ziel der "education through arts" her denken und als Bildungsziel die Bildung einer kritisch reflektierenden, eigenständigen wie sozialen und kulturell kreativen Persönlichkeit anstreben. Eine substantiell verstandene Persönlichkeitsbildung kann am Ende des Tages auch wieder im Verbund mit ästhetischer Bildung das individuelle wie gesellschaftliche kulturelle Kapital freilegen, was Kreativität nicht nur als ökonomisch domestiziert versteht.

5. Ich plädiere für eine Kulturelle Bildung, die nicht von vornherein durch Experten "kontrolliert" und "zertifiziert" und planwirtschaftlicher Steuerung unterworfen wird. Kreativität am "Gängelband" kann es nicht geben. Sie ist mehr als bloße Professionalität. Helle Becker hat beim letzten Bundeskulturkongress das Programm "Jedem Kind sein Instrument" zitiert und darauf verwiesen, dass man es auch als "Drohgebärde" verstehen könne. Kulturelle Bildung kann und will mehr sein. Sie lässt sich auf offene und ambiguitive Lernszenarien ein, die das Ergebnis dieser Bildungsprozesse nicht zu kennen beansprucht. Es lassen sich dennoch einige Qualitätsmerkmale beschreiben: Kulturelle Bildung in unserem Sinne baut zwingend auf Teilhabe und Beteiligung auf. Ohne "Partizipation von Anfang an" lassen sich die Ziele einer Persönlichkeitsbildung nicht denken, geschweige denn erreichen. Zum Zweiten kommt man ohne eine reflektierte Standort- und Kontextanalyse nicht aus. Persönlichkeitsbildung hat nichts mit der Akkumulation von Wissen zu tun, sie ist nicht quantitativ beschreibbar. Vor allem aber ist sie nicht im luftleeren Raum denkbar. Zum Dritten bedarf es einer kritischen Kompetenz, das eine vom anderen zu unterscheiden und dafür argumentative Gründe und durchdachte Bewertungen heranzuziehen. Zum Vierten - noch einen Schritt weitergehend - kommt so etwas wie Differenzerfahrung als Kompetenz hinzu. Gerade Kulturelle Bildung vermag diese Transfers zu leisten, wenn im reflektierten und künstlerischen Gebrauch der Medien, im Rollenspiel oder in der museal inspirierten Recherche Andersheit erlebbar wird. Fünftens schließlich darf die Response-Erfahrung durch eine wie auch immer geartete Öffentlichkeit nicht außer Acht bleiben. Die Präsentation des Bildungsergebnisses - in welcher ästhetischen Form auch immer - führt zu der für Persönlichkeitsbildung konstitutiven Selbstwirksamkeitserfahrung.

6. Kulturelle Bildung braucht Lernorte. Statt Kulturelle Bildung in das Korsett von Formaten und politischen Zielen zu pressen, sollten sich Verantwortliche in kulturellen, edukativen und politischen Institutionen auf die Aktivierung und Vernetzung der Infrastrukturen konzentrieren. Eine kulturelle Institution, erst recht eine öffentlich subventionierte, verdient ihren Namen nicht, wenn sie sich nicht für kulturelle Bildungsprozesse verfügbar macht. Wie wir aus der Diskussion um das audience development wissen, kommt es nicht auf ein bisschen mehr an Vermittlungsangeboten an, sondern um die Ausrichtung der gesamten Institution auf ihre Zielgruppen und damit im Kern um ein politisches Selbstverständnis der jeweiligen Einrichtung. Eine Bildungsinstitution, die sich nur auf die eigenen Curricula beschränkt und sich nicht permanent selbst hinterfragt und entgrenzt, verliert ihren eigentlichen Anspruch. Ähnliches gilt für die Jugendhilfeeinrichtungen im außerschulischen Bereich. Zwischen diesen politischen „Zuständigkeitsbereichen" muss es permanente Interaktion, Kooperation und Vernetzung geben. Für Kulturelle Bildung sind alle gleichermaßen zuständig, weil es bei Persönlichkeitsbildung um einen generalistischen Anspruch geht, der sich nicht in Verwaltungszuständigkeiten erschöpft.

7. Die Offenheit Kultureller Bildung hat implizit auch zur Folge, dass es keine eindeutige Profession kultureller Bildner gibt. Künstler, Pädagogen aber auch Peers unterschiedlicher Milieus können gleichermaßen als Akteure relevant werden, wenn sie bereit sind, in ihrer jeweiligen Profession Grenzen zu überschreiten und sich selbst als Mitlernende begreifen. Josef Beuys Diktum: "Das Atelier ist zwischen den Menschen" beschreibt sehr gut, dass Kunst nicht “verwaltet" entsteht. Sie braucht die Interaktion und die Autonomie. Das heißt natürlich nicht, dass es keinerlei Qualifikationen bedarf. Im Gegenteil: Qualifizierung und Fortbildung sind unverzichtbar. Sie sollten jedoch beachten, jederzeit der Offenheit kultureller Bildungsprozesse Rechnung zu tragen. Es gibt keine Königswege Kultureller Bildung. Kulturelle Bildung ist Interaktion, Verständigung, Dialog, Aushandlung und Positionierung - jeweils in Vielfalt und Pluralität.

8. Kulturelle Bildung vor Ort braucht Unterstützung. Dabei geht es vor allem um finanzielle Ressourcen, die – wie wir wissen – knapp sind. Die Aktivierung und Vernetzung der bereits unterstützten Infrastruktur ist deshalb unabdingbar. Aber Aktivierung und Vernetzung dürfen nicht der Lückenbüßer für fehlende Mittel sein. Sie benötigen konzeptuelle Ansätze, die auf der Basis von qualitativer Grundlagenforschung priorisieren, wie und mit welchen Zielen vernetzt und aktiviert werden soll. Dabei können dann Gesichtspunkte wie der demografische Wandel bei Frage der Aktivierung von Engagement ebenso relevant werden, wie die gezielte Schwerpunktbildung z.B. in der frühkindlichen Bildung. Kulturelle Bildung ist deshalb auf eine übergreifende konzeptionelle Unterstützung angewiesen, die sie nicht in ein Korsett zwingt, wohl aber einen Rahmen absteckt, in dem Dynamiken sich erst offensiv entfalten können.

9. Unsere Gesellschaften haben sich in den letzten Jahrzehnten dramatisch diversifiziert. Sozialkulturelle Untersuchungen, wie die Sinus-Milieu-Studie zeigen überzeugend, wie vielfältig und plural Menschen ihr Leben verstehen und organisieren. Die verschiedenen Modernisierungswellen haben traditionelle Milieus zerlegt und neue Gestaltungs- und Erfahrungsräume eröffnet. Auch wenn das quantitativ in Thüringen noch nicht so zu Buche schlägt: Deutschland ist heute ein Einwanderungsland und wird es bleiben. An alldem darf Kulturelle Bildung nicht vorbeigehen. Methodenvielfalt und interkulturelle Kompetenzen haben sich in den Kanon Kultureller Bildung irreversibel eingeschrieben. Kulturelle Bildung hat damit umzugehen, dass es die deutsche Kultur nur noch im Plural geben wird. Vor diesem Hintergrund zielt eine auf Persönlichkeitsbildung gründende Kulturelle Bildung in letzter Konsequenz auf die kulturelle und implizit auch die politische Teilhabe Aller in unserer Gesellschaft. Die Freiheit der Kunst und Kultur unter den Grundrechten des Grundgesetzes ist mithin eine gute Investition, jeglichen Versuchen der Instrumentalisierung - gerade auch den ökonomischen - erfolgreich die Stirn zu bieten. Kopf hoch - und nicht die Hände!

- Es gilt das gesprochene Wort -

Fussnoten