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Rede auf dem Sommerempfang des Weiterbildungsverbunds "Kultur Bildet Weiter" des Thüringer Theaterverbands und der LAG Spiel und Theater in Thüringen (6.6.2016, Erfurt) | Presse | bpb.de

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Rede auf dem Sommerempfang des Weiterbildungsverbunds "Kultur Bildet Weiter" des Thüringer Theaterverbands und der LAG Spiel und Theater in Thüringen (6.6.2016, Erfurt)

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Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, liebe Theatermacherinnen und -macher!

Ich erinnere mich selber an zwei „Weiterbildungen“, die ich in der letzten Zeit besucht habe.

Die erste war genau genommen eine Fachtagung: sie hieß „Was darf die Kunst? Über die Freiheit der Kunst und die Wiederkehr des Religiösen“ in der Akademie unter den Bäumen in Genshagen. Es ging bei der Tagung um die ganz großen Fragen unserer Zeit, um den gesellschaftlichen Diskurs seit dem Attentat auf die französische Zeitung Charlie Hebdo und die Frage, was Kunst darf und ob, und von wem ihr Grenzen auferlegt werden dürfen.

In einer zweiten Weiterbildung habe ich mich als Behördenleiter mit dem Thema „Diversity Management in der öffentlichen Verwaltung" beschäftigt. Hierbei ging es darum, sich mit der immer größer werdenden Heterogenität unserer Beschäftigten im öffentlichen Dienst auseinanderzusetzen und Techniken und Methoden des Diversity Managements zu lernen, um diese Vielfalt aktiv zu fördern.

Wie sie an beiden Weiterbildungen sehen, sowohl im Bereich des Behörden-Managements als auch in der gesellschaftspolitischen Tagung in Genshagen ging es jeweils darum, sich mit den aktuellen Herausforderungen zu beschäftigen, vor denen wir als politische und kulturelle Bildnerinnen und Bildnern, als Theatermacher und Kunstschaffende stehen, inhaltlich wie organisatorisch: Der Herausforderung, dass das Land in dem wir leben sich in unterschiedlicher Hinsicht verändert hat. Die gesellschaftliche Pluralität nimmt zu und wird immer sichtbarer. Kürzlich haben wir den „Datenreport“ der bpb in Berlin vorgestellt: die dort vorgestellten Zahlen und die in den Medien vor allem im Spätsommer und Herbst des letzten Jahres dauerpräsente Entwicklung der Fluchtmigration nach Deutschland sprechen für sich. Jeder fünfte Mensch in Deutschland hat seine Wurzeln im Ausland. Und es sieht nicht so aus, als ob diese Quote in absehbarer Zeit sinken wird - im Gegenteil. Schauen wir nur auf die Kinder in Deutschland unter sechs Jahren, da hat schon jedes dritte einen Migrationshintergrund.

Und wie Sie ja gerade hier in Thüringen auch wissen, gibt es ja nicht gerade wenige Menschen, die sich durch diese faktische Entgrenzung ihres Ankers beraubt sehen und eine Sehnsucht nach Homogenität entwickelt haben, nach Eindeutigkeit und Abgrenzung. Sie glauben tatsächlich daran, dass alles besser funktioniert, wenn Nationalitäten sauber voneinander getrennt leben. Leider neigen der eine oder die andere auch zu Rassismus und gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit, also zur Abwertung "anderer" und vermeintlich geschlossener Personengruppen - aktuell sind hier vor allem die Geflüchteten das Ziel. Aber selbst gebürtige Berliner, die es bis in die Fussball-Nationalmannschaft geschafft haben sind vor völkischem Gedankengut nicht sicher.

Kultur und Bildung gehören untrennbar zusammen
Diesen gesellschaftspolitischen Herausforderungen müssen Sie und wir uns in der täglichen Arbeit stellen und Sie stellen sich Ihnen! Gerade in der letzten Zeit habe ich vielfach die Erfahrung gemacht, dass sich die Theater dem Bereich der Bildung aus mehreren Gründen intensiver zuwenden als in früheren Jahrzehnten. Das hat nicht nur damit zu tun, dass sich über Bildungs- und vor allem Beteiligungsprojekte zunehmend öffentliche und private Finanzmittel generieren lassen, sondern auch damit, dass sie selbst ihrem – nicht immer explizit zugewiesenen – Bildungsauftrag mehr Bedeutung geben als zuvor.

Seitdem der Trend sowohl zum Laientheater – heute sagen wir natürlich dazu: Theater mit den Experten des Alltags - als auch zum dokumentarischen Theater immer stärker wurde, ließen sich die beiden Elemente – künstlerische Produktion und Einbindung besagter Alltagsexperten unter Bildungsvorzeichen – auch besser verbinden. Aber auch das von der künstlerischen Produktivität losgelöste Bildungsprojekt gewinnt sukzessive an Bedeutung. Das hat nicht zuletzt damit zu tun, dass die Gesellschaften des Westens den Individuen selbst den Großteil der Verantwortung für die Gestaltung ihres eigenen Lebens zugewiesen haben. Kultur bedeutet Lebensweise und kulturelle Bildung beschäftigt sich mit den Lebensweisen, die von uns als Bildungsaufgaben interpretiert werden. Deshalb gehören Kultur und Bildung untrennbar zusammen. Dies wird leider in Deutschland noch nicht in der gesamten Tragweite erkannt, aber von immer mehr Akteuren erspürt. Und je stärker die Lebensweisen auf die Agenda der öffentlichen Diskussionen kommen, je mehr also beispielsweise über Fragen der Identität und der kulturellen Orientierung debattiert wird, über Werte und die Frage „Wie wollen wir in Zukunft zusammen leben?“, umso mehr fühlen sich die Protagonisten der Kunst und der kulturellen Bildung auf den Plan gerufen.

Zu Recht: in Gesprächen wurde mir immer wieder bestätigt, dass die Akteure aus den Künsten bereit sind, angesichts der gesellschaftlichen Veränderungen eine höhere gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen und dies nicht nur in Form gesellschaftskritischer oder sogar politischer Kunst auszudrücken, sondern gerade auch in der Hinwendung zur kulturellen Bildung, die ja selbst auch ein unübersehbares kritisches Potential hat. Meist steht dabei nicht so sehr das Pädagogische im Vordergrund, sondern die Bildungseffekte durch das künstlerische Erleben. Seitens der politischen Bildung ist dazu anzumerken, dass die Zugänge der kulturellen Bildung, die einen ausgesprochen sensuellen Ansatz haben, oftmals eine tiefere Einsicht in Fragen des gesellschaftlichen Zusammenlebens bewirken können, als dies Bildungsansätze vermögen, die auf reiner Wissensvermittlung basieren. In der politischen Bildung im engeren Sinne folgen wir noch viel zu oft den Grundsätzen des Beutelsbacher Konsenses, der eine Selbstdisziplinierung des Staates darstellt, um die Überparteilichkeit zu sichern.

Aber auch wenn kulturelle Bildung ein zentraler Baustein einer kritischen demokratischen Persönlichkeitsbildung ist, geschieht sie nicht voraussetzungslos. Kulturelle Bildner und Bildnerinnen sind heute nicht allein kulturvermittelnd tätig, was ja auch eine Kunst für sich ist, sondern in der Regel sind sie auch gefordert, sich auf bildungs- und kulturbenachteiligte Zielgruppen einzulassen. Mit Menschen aus anderen kulturellen Kontexten zu arbeiten, generationsübergreifende Bildungsangebote zu machen und permanent neue Formate zu entwickeln, die einer Reihe von Qualitätskriterien genügen müssen, welche meist erst explorativ zu erschließen sind: z.B. „Wie verwirkliche ich gesellschaftliche Teilhabe? Wie stelle ich meine Institution insgesamt auf die Bildungsanforderungen um, damit Bildung nicht nur die Sache einer einzelnen kulturvermittelnd tätigen Person ist? Wie arbeitet man mit Geflüchteten, die Trauma-Erfahrungen haben? Wie arbeitet man ohne Worte mit Menschen, die unsere Sprache noch nicht sprechen? Wie ist Inklusion zu bewerkstelligen? Was ist bei der Arbeit mit kleineren Kindern zu beachten? Wie kann ich meine eigene Arbeit beobachten und evaluieren? Wie funktioniert Kooperation mit Schulen und anderen Institutionen?

Diese Fragen sind keine direkten Fragen der Kunstvermittlung. Erfahrungen und Intuition sind hier aber sehr gut zu gebrauchen, aber oftmals eben nicht ausreichend. Es braucht der Qualifizierung durch Menschen, die sich schon länger mit dem Thema beschäftigt haben. Und ich freue mich, dass Sie in Ihrer Reihe „KULTUR BILDET WEITER“ gerade auch genau zu diesem Thema eine Weiterbildung im Programm haben, die sich sehr praxisnah mit der interkulturellen Kompetenz in der Kulturarbeit beschäftigt. Ich kann sie dazu nur ermutigen, ein solches Angebot auch anzunehmen! Und ich lade Sie darüber hinaus auch ein, das vielfältige Angebot der bpb und ihrer Kooperationspartner in diesem Kontext zu nutzen! Beuten Sie uns aus! Sie brauchen da kein schlechtes Gewissen zu haben. Wir wollen das sogar!

Nonprofit but Management
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe jetzt sehr viel über die aktuellen gesellschaftspolitischen Herausforderungen für Ihre Arbeit, über die (neuen) Ansprüche an Ihre Profession gesprochen. Und mir ist klar, dass alleine diese schon sehr häufig das Maß des - oftmals ehrenamtlichen - Engagements vollkommen ausschöpfen. Aber ich weiß auch ob des Spagates, in dem Sie organisatorisch stecken. Sie müssen als „Non-Profit-Manager“ kleine Betriebe organisieren. Die (staatlichen) Fördermittel sind knapp. Oft wird der Inhalt von rechtlichen Fragen, vom zwingend notwendigen Fundraising und der Einhaltung rechtlicher Vorgaben an den Rand gedrängt. Sie müssen, um bestehen zu können, professionell agieren. Deshalb freut es mich besonders, dass Sie in Ihre Reihe neben der Weiterqualifizierung in genau diesen „Management“ Instrumenten auch ein Seminar aufgenommen haben, das sich mit der „Motivation und Leitung im Ehrenamt“ beschäftigt. Denn das Organisieren des Teams, das immer wieder neue Motivieren, sich den neuen Herausforderungen und eben dem Spagat zwischen Inhalt und Organisation zu stellen, das wird auch in Zukunft eine Schlüsselkompetenz sein, die man in Ihrem – wie übrigens auch in unserem – Bereich braucht!

Außerdem möchte ich Ihnen hinsichtlich der Motivationsthematik noch eine Sache mit auf den Weg geben: Sie stehen nicht allein vor den ganzen Herausforderungen. Auch eine Bundesbehörde wie die bpb muss sich heute permanent neu erfinden. Wir haben uns vor einigen Jahren positioniert, eine lernende Behörde zu sein. Wir probieren viel aus, auch mit ganz unterschiedlichen Partnern, um zu sehen, wie diese arbeiten und mit Problemen umgehen. Wir haben dabei begriffen, dass Scheitern immer nur eine Etappe ist und sehr produktiv sein kann. Wir versuchen ständig neue Angebote für neue Zielgruppen zu entwickeln und prüfen, was funktioniert und was nicht so gut funktioniert. Dabei ist es unser Prinzip, mit den Zielgruppen in enge und dauerhafte Gespräche zu gehen. Bildung ist kein Top-Down-Geschäft, sondern beruht auf einer dialogorientierten Partnerschaft auf Augenhöhe. Weiterbildungsangebote sollten sich deshalb auch sehr eng an den Bedürfnissen der Aspirant/innen orientieren. Bleiben Sie darum mit den Anbietern in Kontakt, geben Sie feed back und äußern Sie Ihre Bedarfe. Dort, wo Sie selbst in der Rolle des Bildungsanbieters sind, können Sie mit einem partnerschaftlich orientierten Prozess sehr viel erreichen.

Meine Damen und Herren, hier schließt sich für mich wieder der Kreis. Es waren zwei Weiterbildungen zu den gesellschaftspolitischen Herausforderungen unserer Zeit und wie man sie als Mitarbeiter einer Einrichtung „managen“ / organisieren kann. Ich vermute, dass auch Sie diese Fragen umtreiben und wünsche Ihnen für Ihre Reihe „KULTUR BILDET WEITER:“ viel Erfolg. Sie sind mit den gewählten Qualifizierungen zu inhaltlichen und organisatorischen Themen in den ersten sechs Seminaren auf dem richtigen Weg! Und ich verstehe den Doppelpunkt hinter dem Verbundnamen so, dass sie ihn mittel- und längerfristig auch weitergehen wollen und werden.

Um mit Walter Benjamin zu schließen: „In diesen Tagen darf sich niemand auf das verlassen, was er kann. In der Improvisation liegt die Stärke. Alle entscheidenden Schläge werden mit der linken Hand geführt werden.“

Oder mit dem Motto, das mir bei Verspätungen der Deutschen Bahn immer Trost spendet: „Kopf hoch - und nicht die Hände!“

- Es gilt das gesprochene Wort -

Fussnoten