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Begrüßung zur Konferenz "Formate des Politischen" (Berlin, 9.November 2017) | Presse | bpb.de

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Begrüßung zur Konferenz "Formate des Politischen" (Berlin, 9.November 2017)

/ 5 Minuten zu lesen

Am 09. und 10.11.2017 fand in Berlin die Konferenz "Formate des Politischen", eine Kooperation der Bundeszentrale für politische Bildung, der Bundespressekonferenz und des Deutschlandfunks statt. Weitere Informationen und die Begrüßung von Thomas Krüger als Videodatei finden Sie hier

Lieber Stefan Raue,
Lieber Stephan Detjen,
sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Kolleginnen und Kollegen,

der US-amerikanische Rapper Kendrick Lamar hat ihr auf seinem aktuellen Album einen Track gewidmet, der Soziologe Heinz Bude ein ganzes Buch und Niklas Luhmann sieht sie als einziges a priori moderner Gesellschaften: Angst.

Und genau diesen Gefühlszustand möchte ich heute als Ausgangspunkt meiner Begrüßung nehmen. Denn ich glaube, dass wir bei den aktuell zu beobachtenden Kämpfen um kulturelle und politische Hegemonie nicht drumherum kommen, über Emotionen zu sprechen.

Nationalpopulisten von links wie von rechts haben Erfolg, weil manche das Vertrauen in die Aufrichtigkeit der großen Medien und die demokratischen Institutionen verloren haben. Und ja, auch weil sich viele sogenannte Etablierte, wie sie abschätzig genannt werden, weigern, mit diesen Menschen in Kontakt, in einen ernstgemeinten Dialog zu treten. Die Enttäuschten wenden sich ab, im Internet finden sie Gleichgesinnte, jede Menge Verschwörungstheorien und die Antworten, nach denen sie suchen. Nicht zuletzt vor diesem Hintergrund wurde und wird die Forderung laut, die Sorgen und Ängste der Menschen ernst zu nehmen.

Nun wurden Medien im Anschluss an die diesjährige Bundestagswahl für eine thematisch einseitige Programmgestaltung kritisiert. Es seien vor allem die Themen behandelt worden, mit denen die Populisten die Ängste der Bürgerinnen und Bürger schüren würden. Wurde die Forderung, die "Sorgen und Ängste ernst zu nehmen", etwa missverstanden oder war sie gar von Anfang an falsch?

Ich denke, dass es eine berechtigte Forderung war, denn ein Tabuisieren ist der falsche Weg. Damit würde lediglich erreicht werden, dass sich Ängste ungehemmt ihren Weg bahnen. Und wir können die Folgen bereits jetzt sehen. Ob es die Ablehnung von Globalisierung, Diversität oder Gender-Vielfalt ist: Neben übersteigertem Nationalismus, handfestem Rassismus und Sexismus findet in dieser Ablehnung auch Angst ihren Ausdruck. Wir sehen es im Netz in Form von HateSpeech.

Der Soziologe Heinz Bude fasst dies folgendermaßen zusammen: "In Begriffen der Angst wird deutlich, wohin die Gesellschaft sich entwickelt, woran Konflikte sich entzünden, wann sich bestimmte Gruppen innerlich verabschieden und wie sich mit einem Mal Endzeitstimmungen oder Verbitterungsgefühle ausbreiten."

Doch wie kann man Ängste aufgreifen, ohne sie zu bedienen und zusätzlich zu schüren? Beispielsweise indem gefragt wird, woher die Ängste rühren, wodurch sie genährt werden. Indem gefragt wird, welche Bedürfnisse hinter den Ängsten stecken. Indem darüber nachgedacht wird, über wessen Ängste wir eigentlich sprechen. An wen wir unsere Diskussionen richten und wen wir damit zu erreichen meinen.

Mit diesen Fragen soll nicht einer Relativierung der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit das Wort geredet werden - Rassismus, Autoritarismus, Sexismus oder übersteigerter Nationalismus allein zu Angstphänomenen zu machen, die psychologisch zu bearbeiten sind, wäre eine Verkennung der Herausforderung, vor der offene Gesellschaften stehen. Sie sind das Ergebnis individueller Einstellungsmuster, gesellschaftlicher Transformationsprozesse und sozialer Beziehungen. Allein mit moralischen Apellen oder breitenwirksamen Volks-Therapiestunden ist es nicht getan. Zu einem emanzipatorischen Ansatz gehört es, auch gesellschaftliche Machtverhältnisse zu thematisieren.

Über was sprechen wir etwa, wenn wir über Deutschland als Einwanderungsland sprechen? Über die Angst vor Überfremdung? Über die Erosion traditioneller Gemeinschaftsformen? Über die Schwächung eines solidarischen Miteinanders? Über den Verlust von Konstanten und Kontinuitäten? Über die kulturelle und ökonomische Transformation unserer Gesellschaft? Über die Annahme vom Menschen als verschiebbare Arbeitsmasse, die es nach ökonomischen Kriterien zu platzieren gilt? Über die Handlungskompetenzen und -grenzen demokratischer Institutionen?

Welcher dieser Fragen wird öffentlicher Raum für Tiefe gegeben? Und aus wessen Perspektiven werden diese Fragen gestellt: derjenigen, die Angst haben, oder auch derjenigen, die sich im Trommelfeuer der Tiraden und Anwürfe befinden - nicht selten sogar körperlichen Angriffen ausgesetzt sind? Um es etwas zuzuspitzen: Beschäftigen wir uns mit den Ängsten der Brandstifter oder auch der, die brennen?

Und wie sprechen wir? Welche Begriffspraxen prägen unsere Diskurse? Die bereits erwähnte Kognitionslinguistin Elisabeth Wehling vertritt die These, dass mit bestimmten Begriffen und Frames bestimmte Assoziationen und Wertevorstellung geweckt werden - eines ihrer prägnanten Beispiele ist: Redet man von der "Ehe für alle" oder von der "Homo-Ehe"? Redet man von der Flüchtlingskrise oder der Aufnahmekrise unserer Institutionen? Wird in den öffentlichen Diskursen deutlich genug vermittelt, um welche Wertvorstellungen aktuell gerungen wird? Bedarf es einer deutlicheren politischen Positionierung?

Bei all diesen Fragen geht es nicht darum, hinter einen verfassungsrechtlichen demokratischen Konsens zu treten - die Gleichheit und Freiheit aller Menschen sind unteilbare Werte und nicht verhandelbar. Aber wir müssen mehr darüber reden, wenn es sein muss auch streiten, wie wir zusammen leben wollen. Welche Ideen, Normen und Werte Grundlagen unseres Zusammenlebens sein sollen. Welche Verantwortlichkeiten damit verbunden sind. Und wie diese Antagonismen miteinander vereinbart werden können.

Demokratischer Streit bedeutet nicht, diffuse Ängste zu spiegeln. Sondern hinter die Fassaden zu schauen und die konkurrierenden Vorstellungen von Gesellschaft sichtbar zu machen.

1961 schrieb Ralf Dahrendorf: "Wer den Konflikt als eine Krankheit betrachtet, missversteht die Eigenart geschichtlicher Gesellschaften zutiefst; wer ihn in erster Linie ‚den anderen‘ zuschreibt und damit andeutet, dass er konfliktlose Gesellschaften für möglich hält, liefert die Wirklichkeit und ihre Analyse utopischen Träumereien aus.

Konflikte sind nicht abzuschaffen, sondern zu bändigen, damit Wandel Gesellschaften nicht überrollt, sondern ihnen zu ihren besten Möglichkeiten verhilft. Demokratie so verstanden, bedeutet institutionalisiertes Konfliktmanagement.

Die Aufgabe der Bundeszentrale für politische Bildung ist es nicht zu urteilen, ob Ängste gut oder schlecht, richtig oder falsch sind. Aufgabe ist es, die politische Mündigkeit und den Blick hinter die Fassade zu fördern. Es geht darum, Bürgerinnen und Bürger in die Lage zu versetzen, politische Handlungsoptionen zu erkennen und politisch zu partizipieren und diese Handlungsoptionen für sich auch wahrzunehmen.

Die offene demokratische Gesellschaft wird zurzeit von verschiedenen Seiten herausgefordert - wenn wir diese Herausforderung zur Selbstvergewisserung nutzen und den eigenen Standort markieren, kann der Konflikt zu mehr Freiheit führen - um noch einmal Ralf Dahrendorf zu zitieren.

Ich möchte mich an dieser Stelle ganz herzlich bei denjenigen bedanken, die diese Konferenz vorbereitet haben. Das war ein sehr lebendiger Austausch, eine spannende Fokussierung, die stattgefunden hat und ich kann jetzt nur wünschen, dass das, was die Konzeptionierer und Organisatoren sich vorgenommen haben, von Ihnen allen auch mit Leben gefüllt wird und hier in den nächsten Tagen in den Plenen, in den Arbeitsgruppen und in den Pausen über dieses Thema gesprochen wird.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

- Es gilt das gesprochene Wort -

Fussnoten