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Im Mikrokosmos der Kommune Rede zur Ausstellungseröffnung "Über 60 Jahre Bundesrepublik – Lokale Zeitungen, Mitgestalter der Demokratie" in Berlin

/ 6 Minuten zu lesen

Vielfältig, stark, und vernetzt mit ihren jeweiligen Regionen sind Deutschlands lokale und regionale Zeitungen. Sie prägen das geschichtliche, aber auch das politische Selbstverständnis der Bürger wesentlich mit und sind für eine lebendige Demokratie unverzichtbar.

Sehr geehrte Frau Boyens,
Sehr geehrter Herr Bundesminister des Innern,
Sehr verehrten Damen und Herren Abgeordnete,

Die Ausstellung "Über 60 Jahre Bundesrepublik – Lokale Zeitungen, Mitgestalter der Demokratie" ist ein ambitioniertes und sehr wichtiges Vorhaben:
An innovativen Beispielen aktiver lokaler Berichterstattung wird deutlich, wie relevant die Rolle der lokalen Zeitung ist: als Mitgestalterin des demokratischen Gemeinwesens und als Teil des gesellschaftlichen und politischen Wandels. Daher begrüße ich außerordentlich die Initiative des Verbandes der deutschen Lokalzeitungen, den Blick auf die vergangenen und aktuellen Herausforderungen und Aufgaben "unserer Presse" zu lenken – und mit dieser Wanderausstellung den Menschen in vielen Städten nahe zu bringen.

Dass die Ausstellung die besten Karten dafür hat, dessen bin ich mir als politischer Bildner absolut sicher. Denn die hier ausgestellten Informations-Tafeln, von denen ja eine auch dem bpb- Lokaljournalistenprogramm gewidmet ist, bestechen durch ihre enorme Anschaulichkeit. Da gibt es zum Beispiel die Tafel "Pro Solingen", auf der dokumentiert wird, wie das 200 Jahre alte "Solinger Tageblatt" seine Stadt mitgestaltet, verändert, verbessert hat – mit der anfänglich als Nestbeschmutzerei empfundenen Kampagne "Pro Solingen" sogar kontinuierlich über 20 Jahre hinweg. Für mich ist das ein sehr gutes Beispiel für die essentielle Leistung lokaler Zeitungen: öffentliche Diskurse zum lokalen Geschehen anzuschieben, zu organisieren und zu dokumentieren. Und das müssen schließlich nicht immer die großen gesellschaftlichen Debatten sein: Das "Oberbayerische Volksblatt" in Rosenheim greift beispielsweise in seiner Serie "Was mich freut – was mich ärgert" die kleinen Schieflagen im Alltag auf – um so das Gemeinwesen im Kleinen vorwärts zu bringen. Auch diesem Fall hat die Ausstellung eine Tafel gewidmet.

Ebenso werden technologisch wegweisende Ansätze berücksichtigt - wie das "Delmenhorster Kreisblatt" und seine crossmediale Berichterstattung zu den Bundestagswahlen 2009. Aber natürlich kann diese Ausstellung nur einzelne Schlaglichter setzen. Zu vielfältig, zu stark, zu vernetzt mit ihren jeweiligen Regionen sind Deutschlands lokale und regionale Zeitungen: In Deutschland erscheinen immerhin 351 Tageszeitungen in 1.511 lokalen Ausgaben mit einer täglichen Auflage von 19,94 Millionen Exemplaren – übrigens auch Informationen, die diese Tafeln hier für uns bereithalten. Was sich über die Vielzahl unterschiedlicher Lokalzeitungen aber allgemein sagen lässt, ist etwas über ihre Bedeutung und Funktion für die Organisation von Pluralität in unserem Gemeinwesen, in unserer Demokratie.

Demokratisches Bewusstsein zu festigen, lautet der Auftrag meines Hauses, der Bundeszentrale für politische Bildung. Dabei haben wir früh die Lokalzeitungen als Verbündete entdeckt. Seit mehr als 30 Jahren stärken und unterstützen wir die Lokalzeitungen mit unserem Lokaljournalistenprogramm, das in enger Zusammenarbeit mit Journalistinnen und Journalisten entwickelt und umgesetzt wird. Erst kürzlich fand das 18. "Forum Lokaljournalismus" zum Thema "Mutig. Multimedial. Meinungsbildend – Keine Demokratie ohne die lokale Zeitung" in Dortmund statt. Auch gemeinsam mit dem Verband Deutscher Lokalzeitungen haben wir immer wieder innovative Angebote initiiert, wie im vergangenen Jahr das Rechercheprojekt "Berlin lokal".

Die Lokalberichterstattung prägt das geschichtliche, aber auch das politische Selbstverständnis der Bürger wesentlich mit - das ist der Grund unseres Engagements. Im Mikrokosmos der Kommune spiegelt sich wider, was sich in der großen Politik bewegt. Aber auch, was sich nicht bewegt, was nicht angepackt wird, bekommen die Menschen in ihrem engeren Umfeld hautnah zu spüren. Das fasst die Lokalzeitung in Worte, Bilder und Beiträge - früher wie heute. Die freien Lokalzeitungen des Westens sind hierfür ein verlässlicher Zeitspiegel: In ihren Archiven können wir nachlesen, wie sich das politische Leben in der jungen Bundesrepublik neu entwickelt hat, wie sich auf kommunaler Ebene demokratische Strukturen festigten.

Man spürt es bei der Lektüre der damaligen Zeitungen: Die meisten Deutschen waren noch keine Demokraten, sie arrangierten sich mit einer äußerlich verordneten Demokratie: Da war viel Aufklärungs-, mehr noch: viel Aufarbeitungsbedarf. Und - machen wir uns nichts vor: Die Medien, auch die lokalen Tageszeitungen waren zunächst nicht gerade die Speerspitzen demokratischer Bewusstseinsbildung. In der DDR, wo sie die Kollektivierung der Landwirtschaft, die Enteignungen und den Aufbau des Sozialismus gefeiert haben, ohnehin nicht. Überhaupt darf ich an dieser Stelle bemerken, dass es mich seit 20 Jahrentäglich aufs Neue erfreut, nicht mehr "zwischen den Zeilen" lesen zu müssen sondern das Gedruckte beim Wort nehmen darf. Freie Presse braucht auch freie Leser.

Und gerade deshalb gefällt uns in der Rückschau nicht alles, was damals in den Lokalzeitungen stand. So manche Meinungsäußerung, so mancher Zungenschlag in Berichten atmete in den 50er und frühen 60er Jahren den reaktionären Geist der Vergangenheit - ob es um Wehrmachtdeserteure ging oder um Strafprozesse gegen NS-Verbrecher, um aufmüpfige Jugendliche oder um die Rechte der Frauen. Eine wirkliche Auseinandersetzung mit der Schuld der Deutschen begann erst viel später.
Warum muss man dennoch - selbst von dieser Epoche ausgehend - lobend von den Leistungen der Lokalzeitungen für die Demokratie reden? Weil wir das einer inneren Beziehung von unabhängigem Journalismus und gelebter Demokratie zu verdanken haben! Was der Lokaljournalismus für die Demokratie leistet, ist im Kern eigentlich - so simpel es klingt - guter Journalismus!

Schließlich ist der Journalist der Wahrheit verpflichtet. Er soll die Wirklichkeit redlich und präzise darstellen.
Politisch wirkt der Lokaljournalismus, indem er das Leben im kommunalen Raum beschreibt. Indem er erzählt, was passiert, was die Menschen leisten im Beruf oder im Sport, wie sie sich kulturell betätigen und politisch einbringen - das alles macht lokale Nähe aus. Die Lokalzeitung bietet das Forum für den Diskurs über das lokale Geschehen, in ihr spiegelt sich der Dissens ebenso wie der Konsens. Und noch etwas kommt hinzu, dies gilt früher wie heute: Lokaljournalisten schauen darauf, dass alles mit rechten Dingen zugeht. Wenn Missstände augenscheinlich werden, schreiben sie darüber. Und die bloße Möglichkeit, dass ein Sachverhalt, eine schlechte Amtsführung, das Verhalten von Inhabern öffentlicher Ämter zum Thema in der Zeitung werden kann, diszipliniert ungemein.

Der Lokaljournalismus zeichnet bis heute ein realistisches Bild des örtlichen Lebens. Zu diesem gehört die Gewalt frustrierter Jugendlicher genauso wie ehrenamtliches Engagement im Sportverein, das Jubiläumskochen des gutbürgerlichen Kochklubs genauso wie die Mittagstafel für Harz-IV-Empfänger, die Schließung des öffentlichen Schwimmbades genauso wie die Spendenaktion für die DLRG. Doch immer weniger Leser schätzen und honorieren die lokaljournalistische Leistung.

In diesen Tagen zittern Lokaljournalisten genauso wie viele Facharbeiter um ihre Arbeitsplätze. Die Lokalzeitung selber scheint gefährdet, seit das Internet die Medienwelt aufmischt, seit Rubrikenmärkte und Werbeetats in Online-Medien abwandern, junge Leser wegbleiben. Viele dieser Entwicklungen halte ich für unumkehrbar. Das Web 2.0 eröffnet eine neue Welt der Kommunikation und schlägt auch immer mehr Ältere in seinen Bann.
Die neuen Möglichkeiten, sich zu informieren, zu publizieren, sich auszutauschen, seinen Hobbys nachzugehen – und nicht zuletzt: sich selbst in vielfältiger Weise darzustellen, haben den Lebensalltag vieler verändert.
Die ökonomische Bedrängnis wächst und fördert Reaktionen, die mir nicht hilfreich erscheinen und auch in journalistischen Kreisen kritisch gesehen werden. Die Qualität der Berichterstattung leidet unter betriebswirtschaftlichen Zwängen. Das begann schon vor, beschleunigte sich aber in der Krise. Sicher fordert auch das Mediengeschäft betriebswirtschaftliches Denken. Aber das Geschäft der Journalisten ist es, Debatten anzustoßen durch exklusive Nachrichten, spannende Geschichten, Interviews und Reportagen. Und gerade die findet man im Lokalen.

Wo aber Lokaljournalisten aus kommerziellen Gründen den PR-Interessen immer mehr Raum geben müssen, ist die Existenzgrundlage des Lokaljournalismus gefährdet und damit steht auch die journalistische Währung "Glaubwürdigkeit" auf dem Spiel.
Es gibt viele Herausforderungen für den Lokaljournalismus, aber noch keine passgenauen Lösungen. Wie auch immer diese aussehen werden, ich bin mir sicher: Eine lebendige Demokratie braucht auch in Zukunft Qualitätsjournalismus im Lokalen. Wichtig für die nächsten Jahrzehnte unseres Gemeinwesens ist, dass der Dialog im kommunalen Raum weitergeht - dank kompetenter Lokaljournalisten!
Es wäre wünschenswert, wenn angeregt durch die Präsentation der Ausstellung bei den verschiedenen Verlagen in Deutschland ein kritischer Austausch über lokale Öffentlichkeit entstehen könnte, um neue Beteiligungsformen der Bürgerinnen und Bürger zu diskutieren, und damit die Bedeutung der lokalen Zeitung in der Gesellschaft hervorzuheben. In diesem Sinne wünsche ich der Ausstellung "Über 60 Jahre Bundesrepublik – Lokale Zeitungen, Mitgestalter der Demokratie" viel Erfolg!


- Es gilt das gesprochene Wort -

Fussnoten