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Rede von Thomas Krüger zur Eröffnung der Internationalen Konferenz Massentötungen durch Giftgas in nationalsozialistischen Konzentrations- und Vernichtungslagern | Presse | bpb.de

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Rede von Thomas Krüger zur Eröffnung der Internationalen Konferenz Massentötungen durch Giftgas in nationalsozialistischen Konzentrations- und Vernichtungslagern Historische Bedeutung, technische Entwicklung, revisionistische Leugnung - vom 15. Bis 18. Mai 2008 in Berlin und Oranienburg

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Rede von Thomas Krüger zur Eröffnung der Internationale Konferenz "Massentötungen durch Giftgas in nationalsozialistischen Konzentrations- und Vernichtungslagern. Historische Bedeutung, technische Entwicklung, revisionistische Leugnung", vom 15. Bis 18. Mai 2008 in Berlin (15.05.) und Oranienburg (16.-18.05.) .

Monsieur le Général Daniel: ich danke Ihnen, dass Sie in Vertretung von Botschafter Bernard de Montferrand als Attaché de Défense die Teilnehmerinnen und Teilnehmer an der Konferenz hier in der französischen Botschaft empfangen und wir die Konferenz in Ihrem Hause eröffnen können;
sehr geehrter Herr Professor Morsch,
sehr geehrter Herr Dr. Perz,
Monsieur Pierre-Serge Choumoff: Ihnen gilt ein besonderer Gruß als Überlebendem des ehemaligen Konzentrationslagers Mauthausen und seines Außenlagers Gusen, Vizepräsident des Internationalen Mauthausen-Komitees und hier auf der Konferenz Vertreter der 'Fondation pour la Mémoire de la Déportation';
sehr geehrter Herr Professor Evans: Ihnen danke ich, dass Sie aus Cambridge hierher gekommen sind, um die Konferenz am heutigen Abend mit Ihrem Vortrag über "Die Einzigartigkeit der 'Endlösung'" zu eröffnen;
sehr geehrte Damen und Herren,

im Juni 1981 fand auf Einladung der Bundeszentrale für politische Bildung eine Tagung in Bonn statt, die sich mit der in den 1970er Jahren zunehmenden rechtsextremistischen Leugnung des NS-Massenmords auseinandersetzte. Sie gab den Anstoß zu einer ersten umfassenden Darstellung zum Thema "Nationalsozialistische Massentötungen durch Giftgas", die 1983 im S. Fischer Verlag erschien. Das Standardwerk war ein Gemeinschaftswerk einer internationalen Gruppe von ehemaligen KZ-Gefangenen, Historikern, Publizisten und Juristen aus sechs Ländern, darunter auch Sie, Monsieur Choumoff. Herausgeber waren die inzwischen verstorbenen KZ-Überlebenden Eugen Kogon (Autor des in vielen Auflagen erschienenen Buches "Der SS-Staat. Das System der deutschen Konzentrationslager") und Hermann Langbein, Sekretär des 'Comité International des Camps', einer Vereinigung von Überlebenden nationalsozialistischer Konzentrationslager, sowie Oberstaatsanwalt Adalbert Rückerl, der damalige Leiter der Zentralen Stelle Ludwigsburg zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen.

Es war ein Buch nicht nur für Fachleute, sondern auch für interessierte Laien und insbesondere für viele, die in der Bildungsarbeit mit rechtsextremistischer Propaganda konfrontiert werden, ein empirisch fundiertes Nachschlagewerk.

Gerne habe ich zugestimmt, als Professor Morsch an die Bundeszentrale für politische Bildung herantrat, um sie vor dem Hintergrund fortlaufender revisionistischer Kampagnen, die seit einigen Jahren über das Internet noch weitaus verstärkte Verbreitungsmöglichkeiten haben, als Mitveranstalterin dieser erneuten internationalen Konferenz zu gewinnen. 25 Jahre nach Erscheinen des Buches ist es an der Zeit, den aktuellen Wissens- und Forschungsstand zu bilanzieren. Nicht zuletzt die Öffnung und Sichtung vieler Archive nach dem politischen Umbruch in Mittelosteuropa Ende der 1980er/Anfang der 1990er Jahre dürfte zu manchen neuen Erkenntnissen führen.

Gleichzeitig soll die Konferenz eine pädagogische Zielsetzung verfolgen, nämlich "die Intentionen und Strukturen revisionistischer Propaganda aufzuzeigen und zu überlegen, wie man dieser besser begegnen kann". Fachwissenschaftliche Erkenntnis soll also in den Dienst praktischer politischer Bildungsarbeit gestellt werden.

Die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus und der in deutschem Namen erfolgten systematischen Vernichtung des europäischen Judentums ist seit Gründung der Bundeszentrale/bpb ein Kernelement ihrer Arbeit. Dazu gehört auch die sorgfältige Beobachtung extremistischer Tendenzen und ihrer Gefahren für eine demokratische Gesellschaft. Rechtsextremismus ist heute vielerorts keine Randerscheinung mehr. Von der Öffentlichkeit weitgehend unbeachtet sind Strukturen entstanden, die unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung in Frage stellen. Der Rechtsextremismus beginnt langsam die Alltagskultur zu durchdringen.

Das neue Informationsangebot der bpb – ein Dossier "Rechtsextremismus" auf unserer Homepage www.bpb.de klärt kontinuierlich über Rechtsextremismus auf – mit monatlichen Themenschwerpunkten. Dabei werden auch die Leugnung des Holocaust und ihre Strategien behandelt.

Ich darf hier einige meiner Ausführungen zur Eröffnung der Konferenz "Der Holocaust im transnationalen Gedächtnis", zu der die bpb für den 11. Dezember 2006 anlässlich des internationalen Tags der Menschenrechte am vorangegangenen Tag nach Berlin eingeladen hatte, wiederholen:

Vor dem Hintergrund der skizzierten Entwicklungen bleibt die Vermittlung historischen Wissens über Antisemitismus und Holocaust, über die ihnen zugrundeliegenden Mechanismen und Prozesse an die jungen, nachfolgenden Generationen eine wichtige Aufgabe für die politische Bildung. Dabei gilt es nicht nur, die konkrete Wissensvermittlung in den Wertehorizont unserer freiheitlichen Demokratie einzubetten, sondern auch, die jungen Menschen in ihren jeweiligen gesellschaftlichen Lebenswelten "abzuholen" und Vermittlungsmethoden daran anzupassen.

Dabei sehen wir uns mit zwei grundlegenden Problemstellungen konfrontiert:

Erstens stehen wir als Einwanderungsland vor der besonderen Herausforderung, auch junge Migranten und Migrantinnen adäquat an das dunkelste Kapitel der deutschen Geschichte heranzuführen. Die Auseinandersetzung mit dem Holocaust ist zur raison d‘étre unseres Landes geworden. Man kann sich da nicht herausreden und sagen, dass sei nur das Problem der Deutschen.

Zweitens wird die Generation der Zeitzeugen in absehbarer Zeit nicht mehr zurVerfügung stehen. An der Eindringlichkeit ihrer Vorträge und Ausführungen werden wir arbeiten müssen, namentlich am Einsatz der audiovisuellen Medien. Die Bundeszentrale für politische Bildung macht das zum Beispiel mit der DVD-Rom "Familie Chotzen - Jüdisches Leben in Deutschland 1914 bis 2006"und dem Internetangebot www.chotzen.de. Fotos aus dem Familienalbum, Aufzeichnungen aus einem Haushaltsbuch, Postkarten, Zeitzeugeninterviews mit den letzen Holocaust-Überlebenden und viele andere Zeugnisse dokumentieren die Familiengeschichte und halten sie so für die Zukunft fest.

Wenn es um die Rezeption des Holocaust geht, werden wir in Deutschland sicherlich zunächst immer eine spezifisch nationale Perspektive einnehmen und einnehmen müssen. Das ist anders auch gar nicht denkbar. Zugleich darf unsere nationale Wahrnehmung jedoch nicht den Blick auf das internationale Umfeld verstellen. Im Gegenteil: Das nationale Gedächtnis verpflichtet dazu. Es versteht sich, wenn man so will aus der eigenen Verantwortung heraus immer schon als Teil eines transnationalen Gedächtnisses.

Wenn man die jüngsten Entwicklungen im Nahen Osten betrachtet, wird deutlich, dass die Holocaustrezeption in dieser Region auch von uns Deutschen und Europäern mit großer Aufmerksamkeit verfolgt werden muss.

Ich möchte hier noch die Frage der Wirkung revisionistischer Leugnung anschneiden und mich dabei auf die Historiker Wolfgang Ayaß und Dietfried Krause-Vilmar beziehen:

"Die Wirkung der 'Revisionisten' sind schwer zu beurteilen, zu messen sind sie wohl gar nicht. Bei näherer Beschäftigung mit diesen Autoren wird jedoch deutlich: ihre Ziele sind keine genuin historisch-wissenschaftlichen (wissen wollen bzw. in Erfahrung bringen, wie es wirklich war), sondern politische (beweisen, dass es so nicht war). Durch Bestreiten und Bezweifeln wollen sie Hitler und den Nationalsozialismus rehabilitieren. Wenn Auschwitz nicht stimmt, ja, was bliebe dann – in ihren Augen wohlgemerkt – von der Verdammung des 'Dritten Reiches', von Deutschlands Schuld, vom Selbstverständnis der neu gegründeten Demokratie usw.? Alles wäre auf Sand gebaut. Geschichte müsste grundlegend 'revidiert' und neu geschrieben werden. Insofern nennen sie sich konsequent 'Revisionisten'. Sie wollen verunsichern und – so ist zu vermuten – sie tun dies auch."

Aus den Vorarbeiten revisionistischer Schreibtischtäter können jene ihr gutes Gewissen beziehen, die jüdische Friedhöfe schänden und in Synagogen Feuer legen. Deshalb muss politische Bildung der Verbreitung der in ein pseudowissenschaftliches Gewand verkleideten revisionistischen Propaganda entgegenwirken.

Wohltuend war in der letzten Woche die Meldung in den Nachrichten und in der Presse, dass Bundesinnenminister Schäuble am 6. Mai endlich den Verein "Collegium Humanum" im nordrheinwestfälischen Vlotho mit seiner Teilorganisation Bauernhilfe e.V. verboten wurde: "Beide Vereine verstoßen durch die Leugnung des Holocaust gegen geltendes Recht", hieß es in der Begründung. "Die geistigen Brandstifter, mit denen wir es hier zu tun haben, sind der Nährboden, aus dem letztlich auch rassistisch motivierte Gewalt erwächst." Alle Parteien im Bundestag begrüßten das seit Monaten diskutierte Verbot. Das "Collegium" wurde schon in den 1960er Jahren gegründet und wird seitdem bundesweit von NPD-Anhängern, militanten Neonazis, Auschwitzleugnern und Nationalrevolutionären benutzt. Als Verein genoss er alle Vorteile des Steuerrechts: Er war von der Körperschaftssteuer befreit und konnte Spendenbescheinigungen für seine rechten Geldsammler ausstellen. Erfolgreich begründete der Verein seine Gemeinnützigkeit beim Finanzamt Herford ausgerechnet mit der "Förderung der Erziehung, Volks- und Berufsbildung sowie Studentenhilfe".

Lassen Sie mich abschließend den letzten Absatz des Schlusskapitels "Wie es möglich war" aus dem von Kogon/Langbein/Rückerl herausgegebenen Dokumentationsband von 1983 zitieren:

"Gegen die Pervertierung ist die einzig mögliche wirksame Abhilfe die sichere Verankerung des Denkens und Handelns in der Humanität. Sie allein bietet Schutz gegen den Rassenwahn mit allen seinen Folgen. Aus ihr lassen sich für alle Existenzentscheidungen die richtigen normativen Erkenntnisse ableiten. Das gilt für das Individuum, für die Gesellschaft, für den Staat."

Da ich wegen anderer Verpflichtungen nicht an der gesamten Konferenz teilnehmen kann, möchte ich schon vorab allen Referentinnen und Referenten und allen Moderierenden für ihre Mitwirkung an dieser Konferenz danken. Ein herzliches Dankeschön geht an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten und der Gedenkstätte und des Museums Sachsenhausen für ihren tatkräftigen Einsatz zur bestmöglichen Lösung der Fülle von Organisationsfragen, die sich bei Vorbereitung und Durchführung einer solchen Konferenz ergeben.

Ich wünsche Ihnen einen guten, ertragreichen Verlauf der Konferenz!


− Es gilt das gesprochene Wort −

Fussnoten