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Was sind Vorurteile? | Vorurteile | bpb.de

Inhalt Editorial Was sind Vorurteile? Fremde, Fremdsein - von der Normalität eines scheinbaren Problemzustandes "Fremde" in den Medien Türkische Minderheit in Deutschland Polenbilder in Deutschland seit 1945 Rassistische Vorurteile Antisemitismus Sinti und Roma als Feindbilder "Zigeuner" und Juden in der Literatur nach 1945 Vorurteile gegen sozial Schwache und Behinderte Stereotype des Ost-West-Gegensatzes Literaturhinweise und Internetadressen Autorinnen und Autoren, Impressum

Was sind Vorurteile?

Werner Bergmann

/ 18 Minuten zu lesen

Fußball-Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland. Fans aus aller Welt schauen und feiern zusammen das Sportspektakel. (© picture-alliance/AP)

Einleitung

Vorurteile begleiten unseren Alltag. Jeder hat Vorurteile - nur man selbst nicht. Wie ist dies möglich? Wieso erkenne ich die Vorurteile bei anderen, aber meine eigenen nicht? Warum verteidige ich mich gegen den Vorwurf, ich hätte dieses oder jenes Vorurteil und versuche, mein Urteil als realitätsgerecht zu beweisen? Ist ein Vorurteil also etwas Falsches oder gar Schlechtes? Gibt es nicht auch positive Voreingenommenheiten?

Karikatur: Vorurteile

Im Alltagsverständnis gebrauchen wir den Begriff Vorurteil, um ausgeprägte positive und negative Urteile oder Einstellungen eines Mitmenschen über ein Vorurteilsobjekt zu bezeichnen, wenn wir diese für nicht realitätsgerecht halten und der Betreffende trotz Gegenargumenten nicht von seiner Meinung abrückt. Da wir in unseren Urteilen zumeist nur unsere Sichtweise wiedergeben und Urteile fast immer gewisse Verallgemeinerungen enthalten, sind in jedem Urteil Momente des Vorurteilshaften zu finden.

Begriffsbestimmung

In dieser Allgemeinheit ist der Begriff Vorurteil aber wenig brauchbar. Deshalb hat die Vorurteilsforschung, im Wesentlichen die Psychologie, die Sozialpsychologie und die Soziologie, ihn stärker eingegrenzt und von anderen Urteilen und Einstellungen abgehoben. Der Vorurteilsbegriff ist wesentlich durch seinen normativen, moralischen Gehalt bestimmt. Demnach unterscheiden sich Vorurteile von anderen Einstellungen nicht durch spezifische innere Qualitäten, sondern durch ihre soziale Unerwünschtheit. Als Vorurteile erscheinen also nur soziale Urteile, die gegen anerkannte menschliche Wertvorstellungen verstoßen, nämlich gegen die Normen der

  • Rationalität, das heißt, sie verletzen das Gebot, über andere Menschen nur auf der Basis eines möglichst sicheren und geprüften Wissens zu urteilen. Vorurteile verletzen diese Rationalitätsnorm durch vorschnelles Urteilen ohne genauere Kenntnis des Sachverhaltes, durch starres, dogmatisches Festhalten an Fehlurteilen, indem triftige Gegenargumente nicht anerkannt werden, und durch falsche Verallgemeinerungen, die von Einzelfällen auf allgemeine Gültigkeit schließen.

  • Gerechtigkeit (Gleichbehandlung), das heißt, sie behandeln Menschen oder Menschengruppen ungleich, die eigene Gruppe wird nach anderen Maßstäben beurteilt als andere Gruppen. Vorurteile lassen eine faire Abwägung der jeweils besonderen Umstände vermissen, unter denen Mitglieder anderer Gruppen bestimmte Eigenschaften und Verhaltensweisen zeigen.

  • Mitmenschlichkeit, das heißt, sie sind durch Intoleranz und Ablehnung des Anderen als eines Mitmenschen und Individuums gekennzeichnet, ihnen fehlt das Moment der Empathie, ein positives Sich-Hineinversetzen in andere Menschen.

Unsere Definition, die diese Aspekte der "sozialen Unerwünschtheit" einbezieht, schränkt den Vorurteilsbegriff in doppelter Weise ein: Er steht nur für negative Einstellungen (obwohl positive Verallgemeinerungen wie "Die Juden sind intelligent" auch falsch sein können) und ist nur auf Einstellungen zu Menschen, genauer Menschengruppen, bezogen. Vorurteile sind demnach stabile negative Einstellungen gegenüber einer anderen Gruppe bzw. einem Individuum, weil es zu dieser Gruppe gerechnet wird.

Zustimmung zu den Schuldaussagen

Auf Grund dieses normativen Gehalts sind Vorurteile nicht absolut, sondern nur relativ auf ein bestehendes Wertsystem hin zu definieren, nämlich als Abweichung von den Wissens- und Moralstandards einer Gesellschaft. Der Bestand an Vorurteilen hat sich also im Laufe der Geschichte verändert und ist je nach sozialen Gruppen (Schichten, Ethnien, Religionsgemeinschaften) verschieden. Was heute für jedermann als lächerliches Vorurteil gilt (zum Beispiel der Hexenglaube), hat einmal zu den unbestrittenen Gewissheiten von Kirche, Wissenschaft und Öffentlichkeit gehört.

Wenn man davon ausgeht, dass auch in der Gegenwart starke Unterschiede im Wissensstand und in den Vorstellungen über Gerechtigkeit und Mitmenschlichkeit zwischen Generationen, sozialen Schichten, Religionsgemeinschaften und ethnischen Gruppen bestehen, ist leicht einzusehen, dass es häufig umstritten ist, ob die als gültig geäußerte Beschreibung einer Gruppe (Stereotyp) richtig oder falsch, gerecht oder ungerecht, human oder inhuman ist. Dies führt zu dem Problem, das jeder kennt, wenn über "Vorurteile" gestritten wird: Jede Konfliktpartei gibt für ihre Sicht Beispiele, führt Erfahrungen an oder erzählt Geschichten wie: "Ich kenne Türken, die wollen gar kein Deutsch lernen...", um ihr verallgemeinerndes Urteil zu belegen, dass "die Türken sich ja gar nicht integrieren wollen".

Da Vorurteile eng mit dem positiven Selbstbild, mit dem Eigennutz und mit Gruppenkonflikten verbunden sind, gibt es zumeist keine dritte "objektive" Instanz, sodass der Wahrheitsgehalt der Urteile strittig bleibt. Wie soll man die Behauptung von Rechtsextremisten überprüfen, "die Juden hätten zu viel Macht"? Gegenbeispiele richten bekanntlich wenig aus, da man sie als Ausnahmen abwerten kann. Das Erkennen von Vorurteilen hängt demnach von der Fähigkeit und der Bereitschaft ab, die eigenen Urteile und Bewertungen kritisch auf ihre Rationalität, ihre Gerechtigkeit und Mitmenschlichkeit zu prüfen und die möglicherweise abweichenden Perspektiven anderer einzubeziehen. Da man gewöhnlich von seinen eigenen (Vor-)Urteilen fest überzeugt ist, zumal wenn sie wichtige Züge der eigenen Person oder Gruppe betreffen, ist die Überwindung von Vorurteilen ein langwieriger und schmerzhafter Prozess des Umlernens. Häufig ist er mit der Aufgabe von Dominanz und nicht gerechtfertigten Privilegien verbunden.

Auch in der europäischen Geschichte ist die Fähigkeit zur Kritik der eigenen Weltanschauung und Dominanz ein - oft schwieriger - Prozess hin zu Selbsterkenntnis und Pluralismus gewesen. Zu einer solch neuen Weltsicht zwang das Zeitalter der großen Entdeckungsreisen, die das eurozentrische Weltbild und die fraglose Selbstverständlichkeit von Sitten und Überzeugungen erschütterten. Mit der konfessionellen Spaltung der europäischen Völker seit der Reformation wurden gesicherte Glaubenswahrheiten zweifelhaft, und die Philosophie der Aufklärung schließlich verstand es geradezu als ihre Aufgabe, Licht in das Dunkel der Vorurteile und des "Unwissens" zu bringen. Die Forderung nach (religiöser) Toleranz war eng mit der nach einer vorurteilsfreien Haltung verbunden, nämlich auch andere (religiöse) Überzeugungen zuzulassen. Die Kritik der Aufklärungsphilosophie im 18. Jahrhundert richtete sich besonders gegen den dogmatischen Anspruch der Religionen auf wahre Urteile. Gegenüber dem Vorwurf, sich auf Betrug und Unwissenheit zu stützen, musste sich die Religion nun vor der Vernunft rechtfertigen. Die Aufklärer haben damit eine der zentralen Fragen formuliert, welche die Vorurteilsforschung bis heute beschäftigt, nämlich die nach der Manipulation von Vorurteilen - als "interessenbestimmte Lügen"- im Dienste bestimmter Interessen.

Die heutige Vorurteilsforschung untersucht die Funktionen dieses "falschen" Denkens. Offenbar unterliegen Vorurteile nämlich keinen besonderen Denkgesetzen, sondern folgen den allgemeinen psychischen Regeln des Denkens, Fühlens und Handelns (siehe folgenden Abschnitt). Eine Reihe anderer Theorien versucht zu erklären, wie die individuellen Unterschiede der Empfänglichkeit für Vorurteile zu erklären sind. Andere Theorien fragen nach dem Einfluss der Dynamik von Gruppenbeziehungen auf die Entwicklung von Vorurteilen, während sich wieder andere mit ihrer Weitergabe von einer Person zur nächsten befassen.

QuellentextUmgang mit Vorurteilen

[...] Mittlerweile kreist die Arbeit des Sozialpsychologen Jens Förster weniger um die Frage, was Vorurteile sind oder wie sie entstehen, sondern eher um den rechten Umgang damit. Kann sich der Einzelne gegen eigene und fremde Stereotype wappnen, oder ist er ihnen hilflos ausgeliefert? Was passiert, wenn man Vorurteile unterdrückt? Solche Themen behandeln drei von der DFG geförderte Projekte, an denen er beteiligt ist und die alle ineinander greifen.
So ließ der Psychologe etwa Studenten Aufsätze über Ausländer verfassen unter der Auflage, jedes ausländerfeindliche Klischee zu vermeiden. Als er seine Probanden hinterher dem Assoziationstest unterwarf, zeigte sich, dass die Intensität ihrer Vorurteile nicht etwa schwächer, sondern stärker geworden war. Werden Vorurteile unterdrückt, wirken sie umso massiver, lautet Försters Hypothese. »Das ist das bekannte Phänomen des rosa Elefanten: Wenn man nicht an ihn denken soll, denkt man an nichts anderes.« Gelänge es dagegen, so seine Vermutung, das Denken zu »entkrampfen«, die unterdrückten negativen durch positive Assoziationen zu ersetzen, könnte man sich vielleicht leichter von ihnen lösen.
Ein anderes Phänomen, dem er in seinen Projekten nachgeht, ist das der Selffulfilling Prophecy, der »sich selbst erfüllenden Prophezeiung«. Stereotype beeinflussen nicht nur das Denken derer, die sie aussprechen, sondern auch diejenigen, auf die sie gemünzt sind. So schnitten blonde Studentinnen bei Intelligenztests immer dann schlechter ab, wenn man ihnen zuvor Blondinenwitze erzählt hatte. Selbst wesentlich subtilere Einflüsse zeigen Wirkung. Wenn Frauen vor dem Lösen mathematischer Aufgaben einen Fragebogen mit persönlichen Angaben ausfüllen und darin auch ihr Geschlecht angeben müssen, zeigen sie schlechtere Leistungen. Daraus schließt die Sozialpsychologie: Fokussiert man die Aufmerksamkeit der Frauen stärker auf ihr Geschlecht, aktiviert man in ihnen das unbewusste Vorurteil, Frauen seien in Mathematik minderbegabt. Umgekehrt schnitten Männer im Vergleichstest schlechter ab, wenn ihre Sprachkompetenz gefragt war.
Dass Misserfolgserwartungen die Leistungsfähigkeit beeinträchtigen, ist seit den frühen 1970er Jahren bekannt. Försters Forschung geht einen Schritt weiter. Er konnte zeigen, dass Leistungen nicht generell, sondern nur in bestimmter Weise gemindert werden. Dazu ließ er beispielsweise Frauen und Männer dünne Drähte in Fliegengitter flechten. Wurde diese Aufgabe als »Stickarbeit« angekündigt, arbeiteten die Frauen meist schneller als Männer, allerdings auch weniger sorgfältig. Wurde die Arbeit dagegen als technische Aufgabe ausgegeben, war der Effekt umgekehrt: Die Männer absolvierten sie schneller, aber schlampiger.
Positive Konditionierung, glaubt Förster, wirkt sich nicht nur auf die Schnelligkeit, sondern auch auf die Kreativität günstig aus; eine negative Voreinstellung dagegen schärft die Genauigkeit, Selbstdisziplin und Analysefähigkeit. Im Rahmen seines dritten DFG-Projekts will er diese Hypothese überprüfen. [...]

Sabine Etzold, "Forscher, Sänger, Provo", in: Die Zeit vom 28. April 2005.

Psychische Mechanismen

Alle Vorurteilstheorien nehmen an, dass die Einstellung einer Gruppe gegenüber mit den Eigenschaften verbunden ist, die man als positiv oder negativ an ihr wahrnimmt. Es besteht allerdings Uneinigkeit darüber, was Ursache und was Wirkung ist: Die Einstellung einer Person zu einer Gruppe kann von den Eigenschaften bestimmt sein, die sie an den Menschen einer Gruppe wahrzunehmen glaubt, umgekehrt können sich die Eigenschaftszuschreibungen ändern, wenn sich die gefühlsmäßige Einstellung ändert.

Nehmen wir ein Beispiel. Die Tatsache, dass Juden im christlichen Europa über Jahrhunderte an ihrer Religion festgehalten haben, hat der christliche Antijudaismus negativ als "Verstocktheit" interpretiert, da sie sich nicht zum Christentum bekehren wollen. Gibt man jedoch den Bekehrungsanspruch auf und tritt den Juden nicht länger feindselig gegenüber, erscheint der gleiche Sachverhalt positiv als "Traditionsverbundenheit" und "Glaubensfestigkeit". Dieses Beispiel zeigt, dass keine Übereinstimmung zwischen der Realität und unserer subjektiven Wahrnehmung bestehen muss. Zahlreiche Faktoren wie Interessen, Erfahrungen, Bedürfnisse und Motive bestimmen mit, was und wie wir etwas (selektiv) wahrnehmen. Die kognitive Psychologie hat eine Reihe von psychischen Effekten entdeckt, die die Bildung von Stereotypen (festen Vorstellungsklischees), die Veränderung von Gedächtnisinhalten entsprechend unserem Vorwissen und die Einschätzung von Differenzen und Ähnlichkeiten zwischen Objekten beeinflussen.

Zur Orientierung in unserer Umwelt müssen wir Kategorien bilden, um die eintreffenden Informationen zu ordnen. So kategorisieren wir zum Beispiel eine Person nach ihrem Geschlecht, Alter oder ihrer Hautfarbe. Diese im Laufe der Erziehung gelernten Kategorien sind jedoch überwiegend nicht neutral, sondern schließen Wertungen ein, die sich auf die kategorisierten Objekte übertragen. Experimente mit Kindern in den USA haben gezeigt, dass Kinder weißer und schwarzer Hautfarbe offenbar früh gelernt haben, die Hautfarbe schwarz gegenüber der weißen negativer zu bewerten. Sie bevorzugten beim Spielen ganz deutlich Puppen mit heller Hautfarbe. Diese Kategorisierung war in der Gesellschaft so dominant, dass sie sogar von den dadurch diskriminierten afroamerikanischen Kindern angewendet wurde. Gewöhnlich enthalten bereits die Grundformen sozialer Kategorisierung Momente stereotyper Wahrnehmung und die eigene Gruppe begünstigende Vorurteile:

  • Die Beurteilung von Personen wird systematisch verzerrt, indem wir sie bestimmten Gruppen zuordnen. Die Mitglieder innerhalb einer Gruppe werden als ähnlicher beurteilt, als sie tatsächlich sind, während die Unterschiede zwischen den Angehörigen verschiedener Gruppen überbewertet werden. Insbesondere wenn der Urteilende selbst Mitglied einer der Gruppen ist, überschätzt er die Homogenität seiner Eigengruppe. Wenn ich also glaube, ein anderer Mensch habe ähnliche Überzeugungen wie ich, erscheint er mir sympathischer als jemand, bei dem ich von Differenzen ausgehe.

  • Stereotypes Denken wird auch dadurch befördert, dass wir Mitglieder der eigenen Gruppe differenzierter betrachten (auch wenn wir sie nicht besser kennen) als Mitglieder einer anderen Gruppe. Ein Beispiel ist die Wahrnehmung von Kriminalität: Während wir bezüglich der Eigengruppe bei Straftaten nach Alter, sozialer Schicht, Deliktarten, belasteten Stadtteilen usw. unterscheiden, differenzieren wir bei der so genannten Ausländerkriminalität nicht, sondern tendieren dazu, Ausländer generell für krimineller zu halten.

  • Mitglieder fremder Gruppen werden jedoch nicht nur stereotyper, sondern im Positiven wie Negativen auch extremer beurteilt, da wir über sie weniger wissen als über die Eigengruppe. Das Betteln deutscher Obdachloser etwa wird mit mehr Verständnis betrachtet als das rumänischer Roma, die man schnell als "kriminelle Simulanten" verurteilt.

  • Die Verzerrungen zu Ungunsten der Fremdgruppe werden weiterhin dadurch verstärkt, dass das Verhalten ihrer Mitglieder eher inneren Veranlagungen als äußeren Faktoren zugeschrieben wird. Schlechte Schulleistungen von Einwanderern werden zum Beispiel nicht ungünstigen sozialen und familiären Verhältnissen der Kinder zugerechnet, sondern gelten als Zeichen für niedrigere Intelligenz und Faulheit. Bei den einheimischen Kindern sucht man zur Erklärung nach äußeren Einflüssen, die eine bessere Schulleistung verhindern. Vorurteile entstehen also, weil für Unterschiede zwischen Gruppen nicht Unterschiede in ihren Lebensbedingungen verantwortlich gemacht werden, sondern innere, unveränderliche Ursachen. Damit wird die Verantwortlichkeit ganz auf die betreffende Gruppe abgewälzt: Dann sind nicht die schlechten sozialen Verhältnisse an fortdauernder Armut, höherer Kriminalitätsrate und mangelnden Leistungen schuld, sondern die Zugehörigkeit zu einer "Rasse", Religionoder Nation.

  • Vorurteile werden häufig durch Vergleiche zwischen der eigenen und anderen Gruppen ausgebildet, wobei jede Gruppe ihr positives Selbstbild zum Maßstab der Bewertung macht. Merkmale werden also anderen Personen oder Gruppen nicht absolut zugeschrieben, sondern im Verhältnis zu anderen: Wenn die Deutschen sich als "fleißig" und "ordentlich" betrachten, dann sind andere Völker automatisch "faul und unordentlich", also im Grunde "fauler als die Deutschen". Diese Relativität der Eigenschaftszuschreibungen kann man in Europa entlang einer West-Ost und einer Nord-Süd-Achse verfolgen: Von Westen nach Osten hält sich jede westlichere Nation für zivilisierter und kultivierter als ihre östlichen Nachbarn. Von Osten nach Westen gilt der jeweils westliche Nachbar als arrogant (Besser-Wessi) und oberflächlich. Von Norden nach Süden hält man den südlichen Nachbarn für temperamentvoller, aber auch für unordentlicher und unzuverlässiger als sich selbst, während in umgekehrter Richtung die nördlichen Nachbarn als stur, kühl und langweilig gesehen werden. Diese im Vergleich gewonnenen Fremdbilder werden nicht bei jedem Kontakt neu entwickelt, sondern sind als "Gruppenkonzept" oder "Schema" gespeichert.

Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit

Wir besitzen demnach Wahrnehmungsformen, die bei normalem Funktionieren eine gewisse Tendenz zur Stereotypie und Vorurteilsbildung aufweisen. Diese kognitive Dimension (Stereotypenbildung) ist jedoch nur eine Dimension des Vorurteils. Individualpsychologische Theorien wie die Psychoanalyse, die Theorie der autoritären Persönlichkeit und Frustrations-Aggressionstheorien konzentrieren sich stärker auf die emotionale Dimension (Antipathie). Die Tatsache, dass Vorurteile so schwer aufzugeben sind, deutet darauf hin, dass sie wichtige psychische Funktionen für die Lösung emotionaler Konflikte besitzen. Die genannten Theorien nehmen an, dass Vorurteile gegenüber Fremdgruppen auf innere oder äußere Konflikte einer Person zurückgehen (dies können innere Triebkonflikte sein, Konkurrenzerfahrungen, Frustrationen aller Art), mit denen sie nicht fertig wird. Eine starke Persönlichkeit löst Konflikte rational oder lernt, Frustrationen bis zu einem gewissen Grad hinzunehmen. Dagegen wählt ein schwaches Ich entweder passive Konfliktlösungen und flüchtet sich in Teilnahmslosigkeit. Es verdrängt den "Frust" oder benutzt aktiv vorurteilsfördernde Abwehrmechanismen: Es verschiebt seine Aggression auf Ersatzobjekte (Verschiebung) oder sieht in anderen seine eigenen negativen Züge (Projektion).

Der Frust über die eigene Arbeitslosigkeit, deren strukturelle Ursachen mit aggressivem Handeln nicht zu beseitigen sind, wird personalisiert und auf ein Ersatzobjekt ("die Ausländer") umgelenkt, das dann zum Ziel der verschobenen Aggression wird. Aggressionsverschiebungen treten also immer dann auf, wenn die Aggression sich nicht gegen die eigentliche Ursache richten kann, sei es dass

  • der "Frustrierer" zu übermächtig ist und eine Aggression bestraft würde,

  • ihm gegenüber auch positive Gefühle bestehen (wie gegenüber dem strafenden Vater),

  • ein Schuldiger (etwa für die Arbeitslosigkeit) nicht leicht gefunden werden kann.

Karikatur: Vorurteil

Negative Gefühle und Aggressionen werden dann auf Personen oder Gruppen umgelenkt, von denen aufgrund ihrer Machtlosigkeit Widerstand und Bestrafung nicht zu erwarten sind. Genau diese Eigenschaft - und nicht etwa spezifische andere Merkmale - machen schwache Minderheiten zum bevorzugten und austauschbaren Opfer (Sündenbocktheorie). Rechtsextreme Jugendliche haben nicht nur etwas gegen linke Antifaschisten, sondern auch gegen Ausländer, Juden, Obdachlose, Behinderte und Homosexuelle.

Der Abwehrmechanismus der Projektion sieht bei anderen Menschen Eigenschaften und Regungen, die eine Person bei sich selbst nicht akzeptieren kann, weil sie als "schmutzig" oder "sündig" gelten. Studien über männliche Jugendgangs haben gezeigt, dass diese typischerweise die Männer einer konkurrierenden ethnischen Gruppe zugleich als sexuell aktiv und potenzielle Vergewaltiger sowie als "schwul" diffamieren. Psychologen sehen darin einen Hinweis auf unterdrückte eigene Triebwünsche, die auf andere projiziert und dann dort bekämpft werden.

Individuelle Unterschiede

Konflikte machen nicht alle Personen in gleichem Maße anfällig für Vorurteile. Wie oben gesagt, spielt ein schwaches Ich, ein gering ausgebildetes Selbstvertrauen eine wichtige Rolle, das seinen Ursprung in frühkindlichen Identitätsbildungsproblemen hat: in ungelösten Autoritätskonflikten mit dem Vater (Ödipuskonflikt), in einer autoritären, strafenden, lieblosen und wenig auf die Interessen des Kindes eingehenden Erziehung oder aber im Fehlen einer emotionalen Bindung des Kindes an seine Eltern.

Während sicher-autonome Persönlichkeiten mit Konflikten sachlich umgehen können, tendieren autoritäre Persönlichkeiten dazu, ihre Konflikterfahrungen mit der Familie und der Eigengruppe abzuwehren (Realitätsverleugnung und Verweigerung von Selbstbeobachtung) und sie statt dessen auf aggressive Weise gegen-über Schwächeren abzureagieren (Projektion, Aggressionsverschiebung). Diese Personen zeichnen sich neben Aggression auch durch Unterwürfigkeit gegenüber Stärkeren und durch Konformismus aus. Aus dieser Persönlichkeitsstruktur ergibt sich eine Anfälligkeit für rechtsautoritäre Ideologien, die eine Dominanz der Eigengruppe über andere Gruppen, Ordnung (= Intoleranz von offenen, mehrdeutigen Situationen) oder harte Strafen fordern.

Andere Theorien, wie die des Dogmatismus, betonen die Bedeutung kognitiver Faktoren. Untersuchungen belegen, dass der Faktor Bildung einen wichtigen Einfluss auf fremdenfeindliche Einstellungen besitzt. Ein großes Wissen, aber vor allem intellektuelle Flexibilität, die Bereitschaft, neue Erfahrungen zu machen, Kritik zu verarbeiten und andere Standpunkte einzunehmen, gehen mit einer geringeren Neigung, Vorurteile zu bilden, einher.

Gruppenbeziehungen

Vorurteile haben jedoch nicht nur eine Funktion in psychischen, sondern auch in sozialen Konflikten. In jedem Krieg wird der innere Zusammenhalt der Nation und die Bereitschaft, für sie zu kämpfen, durch eine negative Bewertung des Feindes gestärkt. Die NS-Propaganda stellte Russen zugleich als "slawische Untermenschen" und "bolschewistische Gefahr" hin.

Mit der Entstehung und Mobilisierung von Vorurteilen in sozialen Konflikten hat sich die Gruppensoziologie befasst. Der amerikanische Sozialpsychologe Muzafer Sherif hat bereits in den 1950er Jahren berühmt gewordene Experimente durchgeführt, in denen er in einem Ferienlager eine Gruppe von zwölfjährigen Jungen willkürlich in zwei Gruppen einteilte und diese in Wettbewerbs- und Kooperationssituationen beobachtete. Dabei stellten die Forscher fest, dass die Konfliktsituation zu negativen Wahrnehmungen, Gefühlen und Handlungsweisen gegenüber der anderen Gruppe führte: zu verstärkter Aggressivität zwischen den Gruppen, zu einer Stärkung der Gruppenidentität und zur Bestrafung der "Abweichler" von der Gruppenmeinung. Brachte man die beiden verfeindeten Gruppen später in Situationen zusammen, in denen sie kooperieren mussten, lösten sich Vorurteile und Rivalität wieder auf.

Offenbar haben negative Bewertungen der fremden Gruppe eine integrierende Funktion für die Eigengruppe: Sie verstärken den Zusammenhalt und vergrößern die innere Homogenität, indem sie interne Spannungen überdecken. Damit erleichtern sie interne Entscheidungsprozesse und freundschaftliche Beziehungen, erzeugen höhere Motivation, für die Gruppe zu arbeiten, und erleichtern das Lernen der Gruppennormen. Diese als Ethnozentrismus bezeichnete Haltung (auf ganze Gesellschaften bezogen spricht man von Nationalismus) hat aber auch negative Wirkungen: die verzerrte Wahrnehmung anderer Gruppen, erhöhte Konfliktbereitschaft, da Fremdgruppen als potenziell bedrohlich erscheinen, und eine geringe Wandlungsfähigkeit, da man sich gegen fremde Einflüsse abschottet.

Es ist in der Sozialpsychologie umstritten, ob es reale Interessenkonflikte und Wettbewerbssituationen zwischen Gruppen sein müssen, die zu abwertenden Vorurteilen und zu Feindseligkeit führen, oder ob nicht auch andere soziale Problemlagen, die als Bedrohung der Gruppenposition erlebt werden, ähnliche Folgen haben, etwa Wirtschaftskrisen, Einwanderung, Kriminalität. Neuere Forschungen heben die Bedeutung von Intergruppenangst als Ursache für die Entstehung von Vorurteilen hervor, wobei sie verschiedene Bedrohungsdimensionen unterscheiden.

  • Reale Bedrohungen der ökonomischen oder sozialen Situation der Eigengruppe. Man sieht sich in einer Konkurrenzsituationen mit Zuwanderern oder einheimischen Minderheiten: "Die Ausländer nehmen uns die Arbeitsplätze weg" oder "Die Aussiedler bekommen Wohnungen und wir nicht". Es reicht aus, dass sich Individuen oder Gruppen im Vergleich zu anderen benachteiligt fühlen, um entsprechende Vorurteile entstehen zu lassen. Die Sozialpsychologie spricht von "relativer Deprivation" (Benachteiligung), da es nicht um eine tatsächliche Verarmung, Arbeitslosigkeit oder Obdachlosigkeit gehen muss, sondern um eine als unberechtigt wahrgenommene Besserstellung einer Vergleichsgruppe. Wichtig für die Vorurteilsbildung ist dabei weniger das Gefühl persönlicher Benachteiligung als vielmehr das einer Schlechterstellung der Eigengruppe.

  • Symbolische Bedrohungen, die sich aus den wahrgenommen Unterschieden in Kultur, Werten und Lebensstilen ergeben (heute etwa die Furcht vor dem islamischen Fundamentalismus).

  • Gefühle der persönlichen Bedrohung in Kontakten mit Mitgliedern fremder Gruppen, über die negative Stereotype existieren (Stichwort: Ausländerkriminalität).

Moderne, in stetem Wandel begriffene Gesellschaften produzieren ständig Situationen von Konkurrenz und Unsicherheit und damit Anlässe für Vorurteilsbildung, da immer Individuen und soziale Gruppen relativ zu anderen in ihrem sozialen Status absteigen und neue ethnische Gruppen zuwandern. Der rapide soziale Wandel der letzten Jahrzehnte, die durch Globalisierung und Zuwanderung erweiterte Konkurrenzsituation und die neoliberale Konkurrenzideologie haben heute ein Klima geschaffen, das die Entstehung von Vorurteilen und Abwehr des Fremden in Teilen der Gesellschaft, insbesondere unter "Modernisierungsverlierern", begünstigt.

QuellentextRassismus ist anerzogen

Die ersten und wichtigsten Informationen erhalten wir von Menschen aus unserer nächsten Umgebung, von Menschen, die für uns sorgen und die uns verhätscheln, die uns lieben, so wie wir sie. Kinder besitzen ein felsenfestes Vertrauen in die Welt und ihre Mitmenschen, und zudem verfügen sie über ein noch fast intaktes intuitives Gefühl für das, was gut ist und was nicht. Warum dürfen sie mit dem einen Kind spielen und mit dem anderen nicht? Warum dürfen sie nichts über die schwarze Frau sagen? Kindern fehlt die Logik des Rassismus und jeder anderen Konditionierung. Sie spüren, dass irgendetwas nicht stimmt. Die Entdeckung, dass die Menschen, denen sie vertrauen und die sie lieben, ihnen, wenn auch nicht aus böser Absicht, Unwahrheiten vorspiegeln, ruft einen heftigen emotionalen Schock hervor. [...]
Da Kinder in allem, was sie im täglichen Leben brauchen, sowohl in der Liebe wie auch in der Achtung, von Erwachsenen abhängig sind, müssen sie sich letztendlich geschlagen geben. Sie müssen das, was ihnen erzählt wird, und die Gefühle, die dadurch freigesetzt werden, herunterschlucken. Rassistische Informationen werden so mit einem emotionalen Schock, mit Enttäuschung und Ohnmachtsgefühlen verbunden.
Im Leben eines Kindes gibt es regelmäßig Situationen, in denen die Reaktionen Erwachsener Verwirrung stiften, die unbemerkt zu rassistischem Denken führt. Leute erzählen immer wieder, wie sie, als sie zum erstenmal einem Schwarzen begegnet sind, spontan und kindlich ihre Überraschung zum Ausdruck gebracht hatten. In den meisten Fällen reagieren Erwachsene darauf peinlich berührt oder strafend: "Halt den Mund", oder "Guck nicht so". Es fällt kein ungebührliches Wort über den Schwarzen selbst, aber die Botschaft lautet: "Irgendetwas stimmt mit ihnen nicht." Diese Information nimmt das Kind auf, und sie ist verbunden mit dem schmerzlichen Gefühl, etwas falsch gemacht zu haben. Sehr viele Menschen haben in ihrer Kindheit solche Erfahrungen gemacht. [...]
Es ist auffallend, dass man in den letzten Jahren den negativen Einflüssen frustrierender Erfahrungen bei Kindern zunehmende Beachtung geschenkt hat, jedoch außerhalb der Therapeuten-Welt, vor allem in politisch engagierten Kreisen, noch sehr davor zurückschreckt, diese Einflüsse auf das eigene Erwachsenenverhalten wahrzunehmen. Und gerade dies ist die Barriere, die sich uns in der Bekämpfung des Rassismus tagtäglich entgegenstellt. [...]
In der Psychologie ist die Behauptung, dass unverarbeitete Gefühle spätere Erfahrungen stark beeinflussen, unumstritten. Unverarbeitete Gefühle bilden ein Hindernis, das die Verarbeitung der nachfolgenden Erfahrungen blockiert. Dieser Vorgang ist mit dem Funktionieren einer Druckerpresse zu vergleichen. Läuft bei der Papierzufuhr (= Information) etwas schief, entstehen Fehldrucke. [...]
So ähnlich verhält es sich auch mit Rassismus. Durch eine falsche Zufuhr von Informationen entstehen Fehldrucke, die zu einer emotionalen Störung führen. Im Moment der emotionalen Störung kommt es zu einer emotionalen Blockade. Alle Informationen, die später hereinkommen, werden blockiert und nicht mehr hinreichend verarbeitet. [...]
An diesem Punkt stoßen wir auf eine der Folgeerscheinungen, die unverarbeitete Gefühle für das Verhalten haben. Konfrontationen, die unbegreiflich, verwirrend und schmerzhaft sind, werden bei einem möglichen nächsten Mal vermieden. Vor acht Jahren fragte ich eine schwarze Freundin, was ihrer Meinung nach für rassistisches Verhalten in Holland typisch wäre. Ihre Antwort: "Nicht gesehen zu werden; Menschen laufen an dir vorbei, sehen dich nicht, wollen dich nicht kennen oder kennen lernen. Wenn sie dich kennen, ignorieren sie, dass du schwarz bist, und wollen den Unterschied zwischen uns nicht wahrhaben. Es kommt mir oft so vor, als existierte ich nicht." [...]
Es ist kein Zufall, dass sich gerade diejenigen, die gute Verbindungen zu Schwarzen haben, dem Rassismus widersetzen. Es zeigt, wie wichtig es ist, zu schwarzen Menschen in Kontakt zu treten. Es ist häufig der erste Schritt auf dem Weg zu einer Befreiung vom Rassismus. [...]
Rassismus täuscht beide Seiten. Bis jetzt scheinen die Privilegien schwerer zu wiegen als alle Nachteile und auch die Veränderungen, die eine Preisgabe der Überlegenheit mit sich bringen würden. Wie schon gesagt, liegen die Vorteile auf ökonomischem, kulturellem, psychologischem und politischem Gebiet. Weiße verfügen über mehr Geld, mehr Macht, die besten Arbeitsplätze und Ausbildungsmöglichkeiten. Weiße haben immer die besseren Karten. Auch wenn sie von anderen Unterdrückungsformen betroffen werden, sind die größeren Chancen auf ihrer Seite. Diese Vorteile haben stets überwogen, nicht zuletzt, weil die Nachteile aufgrund der Unterdrückungsstruktur nur sehr selten sichtbar werden.
Rassismus ist nicht angeboren, sondern anerzogen. Er wird jedem Individuum wohl oder übel aufgezwungen und hinterlässt einen Berg unverarbeiteter Emotionen.

Lida van den Broek, Am Ende der Weissheit: Vorurteile überwinden, Berlin 1993, S. 58 ff.

Erlernen von Vorurteilen

Im Alltag bilden wir Vorurteile jedoch zumeist gar nicht durch persönliche Erfahrungen oder Konflikte mit Mitgliedern einer anderen Gruppe aus: Wer kommt heute in Deutschland noch mit einem Juden in persönlichen Kontakt? Und ist nicht die Ausländerfeindlichkeit in den neuen Bundesländern am verbreitetsten, obwohl dort nur wenige Ausländer wohnen? Dies deutet darauf hin, dass Vorurteile häufiger übernommen als selbst gebildet werden, zumal es in jeder Kultur einen Vorrat an fraglos gegebenen Einstellungen, Normen und Wissen gibt, zu dem nicht zuletzt Vorurteile gehören. Fremdenfeindlichkeit und Rassismus sind auch Merkmale von Gesellschaften und äußern sich entsprechend in gesetzlichen Regelungen und darin, wie Verwaltung, Schule oder Polizei mit Fremdgruppen umgehen. Die Lernpsychologie und die Sozialisationstheorie nehmen an, dass vorhandene soziale Wertungen gegenüber anderen Gruppen von der Familie, Freunden, der Schule und heute primär auch durch die Massenmedien vermittelt werden.

Neuere Studien weisen einen starken Einfluss der Fremdenfeindlichkeit von Eltern auf die Einstellung ihrer Kinder nach. Auch andere Familieneinflüsse wie elterlicher Erziehungsstil, rücksichtslose Selbstdurchsetzung und Gewalt verstärken Vorurteile gegen Minderheiten und Diskriminierungstendenzen der Kinder. Hier finden Lernprozesse durch Imitation, Beobachtung, durch Identifikation mit Vorbildern, durch direkte Instruktion, Verbote und Strafen statt.

Psychologische Studien haben gezeigt, dass sich das Zugehörigkeitsgefühl zu einer ethnischen Gruppe um das fünfte Lebensjahr herauszubilden beginnt, wobei eigene Kontakte zu Menschen aus anderen ethnischen Gruppen keine Rolle spielen. Vielmehr übernehmen die Kinder die Unterscheidung und die negative Wertung von ihren Bezugspersonen. Der Lernprozess ist jedoch damit nicht abgeschlossen, sondern neue Bezugsgruppen, Organisationen, aber auch anonymere Einflüsse wie Sprache (Sprichwörter), Massenmedien und Propaganda beeinflussen die Einstellungen zu anderen Gruppen negativ.

Karikatur: Vorurteil

Hier setzt die sozialpsychologische Diskursanalyse an, die darauf verzichtet, in "den Kopf des Individuums" blicken zu wollen, sondern vielmehr davon ausgeht, dass über die gesellschaftliche Kommunikation (Diskurse) Fakten, Objekte und die Realität insgesamt sozial organisiert und strukturiert werden. Die Diskursanalyse von Interviews, Geschichtsbüchern, politischen Reden oder Zeitungsartikeln kann zeigen, auf welche Weise etwa Kategorien wie "Rasse", "Nation", "Flüchtling" oder "Ausländer" konstruiert und verwendet werden, um die Diskriminierung anderer Gruppen zu rechtfertigen: etwa indem man die Religion oder Kultur einer Gruppe als rückständig, frauenfeindlich und undemokratisch gegenüber der eigenen aufgeklärten Kultur abwertet oder "echte" Flüchtlinge von "Scheinasylanten" unterscheidet. Zum rassistischen Diskurs gehört auch die Leugnung, rassistisch zu sein. So braucht eine rassistische Argumentation vom Einzelnen nicht neu entwickelt zu werden, sondern kann auf vorhandene Repertoires, Bilder, Erzählungen zurückgreifen, die oft in einer weit zurückliegenden Vergangenheit entstanden sind und die Überlegenheit der Eigengruppe "belegen". Diese Vorurteile dienen nach Auffassung der Theorie der sozialen Dominanzorientierung dazu, soziale Rangordnungen festzulegen und zu rechtfertigen. Individuen neigen je nach ihrer Persönlichkeitsstruktur (siehe oben) dazu, solche sozialen Dominanzorientierungen zu übernehmen, also etwa ethnische Gruppen nicht als gleich, sondern in einer Rangordnung zu sehen.

Diskriminierung

Die Existenz von Vorurteilen wäre weniger bedeutsam, wenn diese in den Köpfen der Menschen eingeschlossen blieben und sich nicht in diskriminierendem Verhalten niederschlügen. Wie aber Einstellung und Verhalten genau zusammenhängen, darüber streiten die Experten. Zahlreiche Experimente haben gezeigt, dass etwa verbal geäußerte Einstellungen nicht unbedingt mit dem tatsächlich gezeigten Verhalten übereinstimmen.

In einem Experiment hat Emory Bogardus in den 1930er Jahren in den USA telefonisch in Hotels angefragt, ob diese Zimmer an Farbige vermieteten, was viele verneinten. Als dann tatsächlich Farbige dort ein Zimmer verlangten, wurde es ihnen jedoch nicht verweigert. Offensichtlich ist der Druck der moralischen Norm, Menschen gleich und mitmenschlich zu behandeln, größer, wenn man einer Person gegenübersteht. Es spielen also situative Einflüsse eine Rolle: Wird mein diskriminierendes Verhalten von den Anwesenden oder von der Gesellschaft gebilligt oder muss ich mit einer Bestrafung rechnen? In welcher Stimmung befinde ich mich gerade? Muss ich mit Gegenwehr rechnen? Agiere ich allein oder muss ich Gruppennormen folgen?

Neben der konkreten Situation spielen Persönlichkeitsmerkmale eine Rolle (Aggressivität, die Tendenz, die Schuld bei sich oder eher bei anderen zu suchen), aber auch kulturelle Traditionen, Schichtzugehörigkeit und Ähnliches. Doch unabhängig von situativen Gegebenheiten hat sich das Vorhandensein von Vorurteilen, zum Beispiel von fremdenfeindlichen Einstellungen, als wichtige Voraussetzung für diskriminierendes Verhalten erwiesen.

Diskriminierungen bis hin zur Anwendung von Gewalt können andererseits auch ohne Vorurteil und Hass auskommen. Die berühmten Experimente des Wissenschaftlers Stanley Milgram an der Universität New York haben bereits Anfang der 1960er Jahre Folgendes erwiesen: Versuchspersonen, die ihr Opfer nicht kannten und sahen, waren dennoch bereit, es mit lebensgefährlichen Stromstößen für falsche Antworten zu bestrafen, wenn ihnen dies vom Versuchsleiter befohlen wurde. Wissenschaftliche Autorität reichte aus, um Personen zur Ausübung von Gewalt zu veranlassen.

Im so genannten Stanford-Experiment wurden 1971 Studenten der amerikanischen Stanford-Universität in willkürlicher Zusammenstellung jeweils in Gefängniswärter und Gefangene eingeteilt. Dies animierte die Gruppe der Wärter zu gewalttätigen Übergriffen. Freilich verhielt sich die Opfergruppe, sobald die Rollen gewechselt waren, keineswegs anders. Dies deutet darauf hin, dass Diskriminierungen auch allein durch äußere Anreize, Rollennormen, Befehle, Gruppensolidarität oder Machtgenuss motiviert sein können. Dennoch ist im Normalfall davon auszugehen, dass hinter diskriminierendem Handeln entsprechende negative Einstellungen zum Objekt vorhanden sind, auch weil die Vorstellung, das Opfer habe die Gewalt verdient, dem Täter Gewissensentlastung und "Legitimation" verschafft.

Gegenmaßnahmen

Ob und wie Vorurteile abgebaut werden können, darauf geben die wissenschaftlichen Theorien unterschiedliche Antworten und empfehlen ganz verschiedene Strategien. Sie stimmen darin überein, dass Vorurteile schwer zu ändern sind, vor allem dann, wenn sie schon in früher Kindheit erworben, stark emotional verankert und für das Selbstverständnis der Person bedeutsam sind.

Individualpsychologische und psychoanalytische Theorien, die innere psychische Konflikte und problematische Eltern-Kind-Beziehungen (autoritär-strafende Erziehung, emotional abweisende Eltern) als Hauptursachen für Vorurteilsbildung ansehen, setzen auf psychotherapeutische Behandlung und Veränderung von Erziehungsstilen. Hierher gehört auch die Förderung von Selbstwertgefühl und Eigeninitiative, die der Person das Gefühl geben, die Kontrolle über ihr Leben zu besitzen und nicht ein Spielball äußerer Einflüsse zu sein.

Nach gruppensoziologischen Erkenntnissen tragen positive Kontakte zwischen Gruppen zum Abbau von Vorurteilen bei, wenn sie ohne Statusunterschiede und Konkurrenz als für beide Seiten vorteilhaft eingeschätzt werden. Begünstigende Faktoren in der Kontaktsituation sind zudem ein gemeinsames Ziel, Gelegenheit zu persönlichen Beziehungen und die Förderung durch Prestigepersonen oder Institutionen. Da Vorurteile sich bereits im späten Jugendalter stabilisieren, ist vor allem in der Schule interkulturelle Erziehung von herausragender Bedeutung. Die internationale Forschung hat eine positive Wirkung kooperativer Unterrichtsprogramme auf die gegenseitigen Ressentiments, die schulische Leistung und das Selbstwertgefühl der Beteiligten nachgewiesen. Angelehnt an die Theorie Muzafer Sherifs, arbeiten ethnisch heterogene Kleingruppen an der Realisierung einer Gesamtaufgabe, wobei gleichberechtigte und von den Lehrern geförderte persönliche Kontakte im Vordergrund stehen. Andere Möglichkeitenpositiver ethnischer Kontakte sind Schüleraustauschprogramme und der Aufbau von E-Mail-Kontakten zwischen Schulklassen verschiedener Länder. Schule und Bildung können aber auch über indirekte interkulturelle Begegnungen zum Abbau von Vorurteilen beitragen, etwa durch die Verwendung multikultureller Unterrichtsmaterialien und Curricula oder durch Informationsprogramme wie den Culture Assimilations. In diesem Selbstlernprogramm werden häufig auftretende Konfliktsituationen vorgegeben, mit deren Lösung Verständnis für kulturelle Differenzen und die Relativität des eigenen Standpunkts entwickelt werden kann.

Wenn das politische und öffentliche Klima einen wichtigen Einfluss auf die Vorurteilsbildung und Diskriminierungsneigung besitzt, dann sind Staat und Öffentlichkeit in doppelter Weise gefordert:

  • Politiker sollten darauf verzichten, etwa das Thema "Ausländer" oder "Zuwanderung" für Wahlkampfzwecke parteipolitisch zu instrumentalisieren, und stattdessen positive Ziele für Einwanderung und Integration formulieren. Ähnliche Forderungen betreffen eine sachgerechte Berichterstattung der Massenmedien.

  • Der Staat sollte Multikulturalität und Integration als wichtige Bildungsziele formulieren, Antidiskriminierungsgesetze erlassen und benachteiligte Gruppen besonders fördern, was einen Einfluss auf die soziale Stellung von Minderheiten in der Gesellschaft haben und Benachteiligungen erschweren würde. Die auf diese Weise geforderten Verhaltensänderungen gegenüber diskriminierten Gruppen führen erfahrungsgemäß auch zu einem positiven Einstellungswandel, während umgekehrt politische und rechtliche Ausgrenzung Vorurteile verstärkt.

Da es theoretisch abgeleitete Bekämpfungsstrategien mit Erfolgskontrolle bisher kaum gibt, wird es sinnvoll sein, die genannten Strategien parallel zu verfolgen.