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Indiens bedrohte Ureinwohner | Indien | bpb.de

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Indiens bedrohte Ureinwohner Adivasi wehren sich zunehmend gegen Marginalisierung und Ausbeutung

Rainer Hörig

/ 9 Minuten zu lesen

In Indien sind fast 700 indigene Volksgruppen amtlich registriert. Viele davon bezeichnen sich als Adivasi, um ihren Anspruch als ursprüngliche Bewohner und Nachfahren der Ureinwohner des indischen Subkontinents zu unterstreichen. Aufgrund der rasanten wirtschaftlichen Entwicklung werde ihre Lebensräume immer stärker bedroht. Doch vielerorts setzen sich Adivasi gegen die Verlust ihrer Heimat zur Wehr – zum Teil mit Erfolg.

Junge Adivasi vom Volk der Bhil im Tal des Narmada-Flusses. (© Rainer Hörig)

Dumpfe Trommelschläge hallen durch Täler und Schluchten des Niyamgiri-Gebirges im ostindischen Orissa. In den Dörfern am Waldrand tanzen die Menschen um große Feuer und stoßen Freudenschreie in die kühle Bergluft. "Wir haben gewonnen, unsere Heimat ist gerettet", ruft ein Tänzer seinen Nachbarn zu. Im Januar 2014 konnte das kleine Stammesvolk Dongria Kondh einen historischen Sieg feiern: Der multinationale Rohstoffkonzern Vedanta Resources wollte in den Niyamgiri-Bergen in großem Stil des Aluminium-Erz Bauxit abbauen. Doch die Menschen stimmten in einem Volksentscheid gegen das Projekt. Für diesen Fall hatte Indiens Oberster Gerichtshof das Umweltministerium bereits vor der Abstimmung angewiesen, die an Vedanta erteilte Baugenehmigung für die Mine zu annullieren.

Orissa ist einer der am wenigsten entwickelten Bundesstaaten Indiens, aber reich an Bodenschätzen. Allein der Wert der Bauxit-Lagerstätte in den Niyamgiri-Bergen wird auf 1,5 Milliarden Euro geschätzt. Doch der bis zu 1700 Meter hohe und von dichten, immergrünen Wäldern bewachsene Gebirgszug ist auch ein Naturparadies: Hier gibt es Elefanten, wilde Bisons, Tiger, Leoparden und viele andere seltene Tierarten. Die Menschen leben im Einklang mit der Natur, ernähren sich von den Früchte des Waldes und bewässern ihre Felder mit Hilfe der zahlreichen Bäche und Flussläufe. Die 8000 Individuen starken Dongria Kondh mit ihrer eigenständigen Sprache und Kultur leben nur hier. Sie betrachten die Niyamgiri-Berge als ihren ureigenen Lebensraum, der durch die Mine unwiederbringlich zerstört worden wäre.

Adivasi – Indiens ursprüngliche Bewohner

In Indien leben 698 Volksgruppen, die amtlich als Scheduled Tribes registriert sind. Viele davon bezeichnen sich selbst als Adivasi, um ihren Anspruch als ursprüngliche Bewohner des Subkontinents zu unterstreichen. Mit einem Bevölkerungsanteil von 8,6 Prozent zählen sie nach offiziellen Angaben rund 104 Millionen Menschen. (Stand Volkszählung 2011) Die größten Völker wie Bhil, Gond, und Santal sind mehrere Millionen Menschen stark. Wildbeuter wie die Jarawa und Onge auf den Andamanen-Inseln umfassen dagegen nur wenige hundert Individuen und sind vom Aussterben bedroht.

Adivasi sind die Nachfahren der indischen Ureinwohner, die schon vor der Invasion von Hirtenvölkern aus Zentralasien den Subkontinent besiedelten. Es wird angenommen, dass die indogermanischen Nomaden, die sich Arya, die Edlen nannten, im Zeitraum von 1500 bis 1000 v. Chr. über den Khyber Pass von Afghanistan in die nordindische Flussebene einfielen. Von Pferden gezogene Streitwagen verschafften ihnen militärische Überlegenheit. Im Laufe mehrerer Jahrhunderte drangen sie ostwärts bis zum Golf von Bengalen vor, rodeten den Wald und ließen sich als Bauern auf den fruchtbaren Böden nieder.

Die Priester schrieben das bislang nur mündlich überlieferte Wissen der Indogermanen in der Sanskrit-Sprache nieder: die Veden entstanden, die ältesten heiligen Schriften der Hindus. Sie berichten von zahlreichen Kämpfen der Arya mit dunkelhäutigen Waldbewohnern. Viele von ihnen sollen versklavt und als Arbeitskräfte zur Rodung der Wälder eingesetzt worden sein. Sie mussten wohl in Ghettos am Rande der Dörfer wohnen und wurden durch rituelle Tabus aus der Kastengesellschaft ausgeschlossen. Ihre Nachfahren, die sogenannten Unberührbaren, nennen sich heute Dalits – die Unterdrückten oder die Gebrochenen. Anderen indigenen Gruppen gelang der Rückzug in unwegsame Wälder und Gebirge, wo sie bis in jüngste Zeit ein autarkes Leben führen konnten. Orthodoxe Hindus betrachten beide Gruppen, Dalits und Adivasi, als unberührbar, also rituell unrein und unzivilisiert. In Indien gilt eine helle Hautfarbe, das Merkmal der oberen Kasten, als Schönheitsideal.

Einen anderen kulturgeschichtlichen und ethnischen Hintergrund haben dagegen die meisten Scheduled Tribes im Nordosten Indiens. Gruppen wie die Naga oder Kuki gehören der mongoliden Völkerfamilie an. Sie sprechen sinotibetische Sprachen und definieren sich nicht als Adivasi. In den Bundesstaates Nagaland, Mizoram und Meghalaya stellen Scheduled Tribes rund 90 Prozent der Bevölkerung, in Arunachal Pradesh sind des 69 Prozent, in Manipur und Tripura 35 bzw. 32 Prozent, in Assam etwa 14 Prozent. (Stand Volkszählung 2011)

Spirituelle Beziehung zu Land und Natur

(© Rainer Hörig)

Die rasante Modernisierung und "Verwestlichung" Indiens setzt die Kulturen der kleinen indigenen Völker unter enormen Druck. Schulbildung, Verstädterung, Fernsehen und Internet tragen angeblich "fortschrittliche" Werte mitten hinein in die Adivasi-Gemeinschaft. Viele Adivasi klammern sich umso mehr an ihre eigenen Werte und Bräuche, denn sie stiften Identität und Zusammenhalt. Ihre spirituelle Welt ist bewohnt von Naturgottheiten, die in alten Bäumen und auf Berggipfeln wohnen. Auch die Ahnen werden mit Opfergaben und Festen verehrt, denn sie vermitteln zwischen Mensch und Gott.

Ganz gleich ob im südindischen Regenwald, auf dem zentralindischen Hochland, im Himalaya oder in Teilen des Nordostens – Angehörige der Scheduled Tribes pflegen eine spirituelle Beziehung zu ihrem Land und wirtschaften weitgehend autark, der lokalen Umwelt angepasst. Ihre Wirtschaftsweise ist darauf angelegt, die Lebensbedürfnisse zu befriedigen. Überschüsse werden mit der Gemeinschaft geteilt. In Liedern und Legenden vermitteln sie ihre Geschichte, die Religion und kulturelle Werte.

Bedrohung des Lebensraums: "Mit dem Rücken zur Wand"

Über Jahrhunderte und Jahrtausende konnten indigene Gemeinschaften in nur schwer zugänglichen Waldgebieten ihre eigenen Lebensweisen pflegen. Aber während der britischen Kolonialherrschaft gerieten ihre Siedlungsgebiete verstärkt ins öffentliche Interesse, denn sie waren reich an wertvollen Hölzern und kostbaren Erzen. Die Kolonialbehörden trieben daher Eisenbahnlinien und Straßen in bisher unerschlossene Regionen. Viele Adivasi-Gemeinschaften gerieten so unter den Einfluss des Staates und der Mehrheitsgesellschaft. Heute sind nahezu alle Adivasi mehr oder weniger stark vom sogenannten Interner Link: Mainstream geprägt. Millionen von ihnen wurden ihres Landes und ihrer Wälder beraubt. Armut und Hoffnungslosigkeit treibt viele Adivasi in die Städte, wo sie auf Baustellen oder als Hausmädchen Arbeit finden.

Die Globalisierung und das rasche Wachstum der Wirtschaft erhöhen den Druck auf Indiens Naturressourcen drastisch. Neue Kraftwerke benötigen Kohle und Frischwasser zum Kühlen, neue Minen sollen Eisenerz, Bauxit und weitere Erze für Metallhütten und für den Export liefern. Die letzten Winkel des Landes werden verkehrstechnisch erschlossen. Der aggressive Übergriff auf die letzten noch ursprünglichen Naturreserven betrifft vor allem die Siedlungsgebiete der Adivasi in den Bergregionen des Subkontinents.

Angesichts der großflächigen Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen, des teilweise gewaltsamen Raubes von Land, Wald und Flusswasser stehen Hunderttausende von Adivasi heute mit dem Rücken zur Wand. Viele haben den Glauben an die Versprechen von Beamten und Projektverantwortlichen – Teilnahme am Entwicklungsprozess mittels Jobs, Schulen, Gesundheitsstationen – verloren, denn in der Vergangenheit stürzten Millionen von Adivasi ins Elend, nachdem sie ihr Land für den "nationalen Fortschritt" geopfert hatten.

Indien 2013: Adivasi-Kinder verhungert

Der südindische Bundesstaat Kerala, der seiner fortschrittlichen Sozialindikatoren wegen gerne als Entwicklungsmodell für ganz Indien ausgelobt wird, bietet ein abschreckendes Szenario für die Zukunft von Adivasi in anderen Landesteilen. Die kleinen Völker in den Bergen der Western Ghats verloren schon vor vielen Jahren einen Großteil ihres Landes an Siedler aus dem Tiefland, Plantagen und Industriebetriebe. Als Landarbeiter und Tagelöhner erwirtschaften sie heute ein mageres Einkommen, viele hängen am Tropf der staatlichen Wohlfahrt. Ihr Stolz ist gebrochen, sie fristen ein Dasein am Rande der Gesellschaft. Mit fatalen Folgen: Im ersten Halbjahr 2013 starben im Verwaltungsbezirk Attapaddy mindestens zwölf Adivasi-Kinder an Unterernährung.

"Dies sind Fälle von Fehlernährung," kommentierte Keralas Regierungschef Oommen Chandy von der Kongresspartei die Tragödie. "So etwas kann nicht in einem Tag gestoppt werden, das wird eine Weile dauern. Das Problem ist auch, dass diese Leute nicht vernünftig essen." Für die Betroffenen muss das wie Hohn geklungen haben. "Wenn wir unser Land zurückbekommen, wird in Attapaddy kein Adivasi mehr verhungern," entgegnet Usha Raju, Vorsitzende des örtlichen Bezirksrates und selbst Adivasi. Sie verweist darauf, dass Adivasi seit Jahren für ihre Landrechte kämpfen, dass Gerichtsurteile ihnen Recht gaben, aber dennoch nichts geschieht.

Die große Mehrheit der Adivasi sind Analphabeten. Sie fühlen sich der Macht von Staat und Wirtschaft kaum gewachsen. Gewieften Geschäftemachern fällt es Hand in Hand mit korrupten Beamten leicht, die Kleinbauern um ihren Landbesitz zu bringen. In den meisten Adivasi-Regionen funktioniert außerdem die staatliche Verwaltung nur rudimentär, daher ist der Landbesitz der Dorfbewohner nur selten amtlich beurkundet. Betrügern sind Tür und Tor geöffnet. Nach Jahrzehnten schlechter Erfahrungen ist die Geduld der Adivasi am Ende. Wenn möglich leisten sie Widerstand gegen jegliche Versuche, ihnen ihr Land streitig zu machen.

Widerstand gegen Landraub, Vertreibung und Unterdrückung

(© Rainer Hörig)

Nicht nur in den Niyamgiri-Bergen Orissas, in vielen Regionen Indiens setzen sich Adivasi-Gemeinschaften inzwischen gegen Landraub, Vertreibung und Unterdrückung zur Wehr. Einige prominente Beispiele:

– Im Distrikt Jagatsinghpur von Orissa plant der südkoreanische Stahlmulti POSCO ein Stahlwerk, dass aus einer eigenen Mine mit Erz versorgt werden und über einen eigenen Hafen mit den Weltmärkten verbunden werden soll. Allein für das Stahlwerk müssten mehr als 1000 Hektar Wald geopfert werden. Tausende von Dorfbewohnern, unter ihnen viele Adivasi, müssten ihr Land aufgeben. Seit Jahren machen die Betroffenen mit gewaltfreien Widerstandsaktionen deutlich, dass sie das nicht wollen. Die Regierung antwortet darauf mit Repression.

– Auch der ostindische Bundesstaat Jharkhand ist reich an Bodenschätzen und hat einen hohen Anteil von Adivasi an der Bevölkerung. Das Unternehmen Arcelor-Mittal will hier ein Stahlwerk aus dem Boden stampfen, doch der Widerstand der örtlichen Bevölkerung hat das bislang verhindert. Die Volksbewegung wird angeführt von der Adivasi-Aktivistin Dayamani Barla: "Die Regierung behauptet, alle, die ihr Land aufgäben, würden entschädigt. Aber die Frage ist doch: Kann die Regierung unsere saubere Luft, das klare Wasser, unsere gesunde Nahrung, unsere Sprache und Kultur, unsere heiligen Stätten, unsere Geschichte und Identität wiedererschaffen?"

– Seit mehr als 25 Jahren kämpfen Adivasi und andere Kleinbauern gegen eine Serie großer Staudämme im zentralindischen Narmada-Tal. Inzwischen sind die meisten Dämme in Betrieb, mehr als 100.000 Menschen haben ihr Land verloren. Die Bürgerinitiative "Bewegung zur Rettung der Narmada" streitet heute vor allem für eine gerechte Entschädigung der Betroffenen.

– In den vergangenen Jahren haben Interner Link: maoistische Guerillagruppen große Teile der Siedlungsgebiete der Adivasi in Zentralindien infiltriert. Die Aufständischen kämpfen gegen den indischen Staat und versprechen der verarmten Dorfbevölkerung Schutz vor Ausbeutung und Landraub. Im Gegenzug fordern sie Unterkunft, Verpflegung und Hilfsdienste. Für Indiens Regierung sind die Maoisten die "größte Herausforderung für die innere Sicherheit des Landes".

Mehr Rechte für die indigene Bevölkerung

Dutzende prestigeträchtige Investitionsvorhaben liegen auf Eis, weil Adivasi Widerstand gegen die Akquirierung ihres Landes leisten. Auch deshalb sieht sich Delhi gezwungen, den Adivasi mehr Rechte einzuräumen. Das Nationalparlament verabschiedete im Dezember 2006 ein Gesetz, das indigenen Gemeinschaften Nutzungs- und Besitzrechte an Waldland garantieren soll. Die britische Kolonialmacht hatte die Wälder zum Alleinbesitz des Staates erklärt. Mehr als einhundert Jahre lang verstießen Adivasi, die Bäume zum Bau eines Hauses fällten, die Felder im Wald anlegten oder Bambus schnitten, gegen das Forstgesetz. Damit waren der Willkür korrupter Forstbeamter unterworfen, die sie mit Strafen belegen oder verhaften lassen konnten.

(© Rainer Hörig)

Der sogenannte Forest Rights Act von 2006 öffnete Adivasi zum ersten Mal einen Weg, ihre traditionellen Nutzungsrechte am Waldland amtlich registrieren zu lassen. Im Jahr 2013 reformierte die Regierung zudem ein ebenfalls aus der Kolonialzeit stammendes Gesetz, das dem Staat erlaubt, das Land von Bauern und Adivasi im "nationalen Interesse" zu beschlagnahmen – für neue Bergwerke, Industriebetriebe oder Verkehrswege. In der reformierten Fassung schreibt das Gesetz nun vor, dass die Betroffenen zu Marktpreisen für ihr Land entschädigt werden müssen und staatliche Hilfen zur Gründung einer neuen Existenz erhalten sollen.

Die indische Verfassung räumt den Scheduled Tribes Zugang zu Schulbildung und Arbeitsplätzen in Staatsbetrieben und Behörden über ein Quotensystem ein. Ein weiteres Gesetz schreibt besonders schwere Strafen für die Diskriminierung oder gewalttätige Übergriffe, einschließlich von Vergewaltigungen, gegen Angehörige dieser Bevölkerungsgruppen vor. In Regionen mit hohem Adivasi-Anteil gelten besondere Schutzbestimmungen für die Kultur der indigenen Gruppen. Auch Land darf dort nur an Adivasi veräußert werden, Dorfräte haben ein Mitbestimmungsrecht bei der Genehmigung von Entwicklungsprojekten mit großem Landbedarf. Dalits und Adivasi sind zudem erklärte Zielgruppen für Sozialprogramme wie des Mahatma Gandhi National Rural Employment Guarantee Act (MGNREGA), der armen Familien auf dem Land seit 2005 mindestens 100 Tage Lohnarbeit pro Jahr garantiert.

Soziale Vorurteile sitzen tief

Doch Papier ist geduldig und soziale Vorurteile sitzen tief. In den Behörden und in der Geschäftswelt haben sich viele Funktionäre daran gewöhnt, die Interessen der Adivasi mit Füßen zu treten und eigene Vorteile (Schmiergelder etc.) daraus zu ziehen. Sie ignorieren die jüngsten Gesetzesreformen. So boykottiert die Forstverwaltung in großem Stil die Anerkennung des Waldbesitzes von Adivasi. Richter und Polizisten schauen weg, wenn arme Dorfbewohner von "ehrenwerten Mitgliedern der Gesellschaft" übervorteilt oder verletzt werden.

Mitbestimmungsrechte werden übersehen. Für die Mehrheit der Adivasi haben daher die Gesetzesreformen keine spürbare Verbesserung ihrer Lage gebracht. Immerhin können sie sich nun auf gesetzliche Grundlagen berufen, wenn sie ihre Rechte einfordern. Der Sieg der Dongria Kondh über den Bergbaukonzern Vedanta Ressources war nur möglich, weil das höchste Gericht Indiens die Nutzungsrechte der Adivasi an den Wäldern im Niyamgiri-Gebirge verletzt sah und die Regierung letztlich zum Einlenken gezwungen hat.

Fussnoten

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Rainer Hörig hat Publizistik, Ethnologie und Theaterwissenschaft an der Freien Universität Berlin studiert. Seit 25 Jahren lebt der Autor und Fotograf in der westindischen Stadt Pune.