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Die Beziehungen zu Russland | Polen | bpb.de

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Die Beziehungen zu Russland

Jacek Cichocki/Wojciech Konończuk

/ 6 Minuten zu lesen

Seit 1990 führten gegensätzliche politische Interessen zu einer Verschlechterung der polnisch-russischen Beziehung. Zunächst lag der Fokus der polnischen Außenpolitik auf der Verbesserung der Beziehung. Doch eine Annäherung der Länder ist bisher nicht in Sicht.

Der polnische Präsident Lech Kaczynski bei einer Gedenkfeier in Warschau anlässlich des 66. Jahrestags der Invasion sowjetischer Truppen in Polen. (© AP)

Das Verhältnis Polens zu Russland wurde in der polnischen Ostpolitik, ja in seiner Außenpolitik überhaupt zu dem am heftigsten umstrittenen und die meisten Emotionen hervorrufenden Faktor, der zugleich Warschaus Beziehungen zu Minsk und Kiew beeinflusste. Seit der Wiedergewinnung der politischen Souveränität Polens waren die polnisch-russischen Beziehungen völlig asymmetrisch. Nach 1991 wurde Russland für Polen zu einem der wichtigsten Staaten, während in der russischen Außenpolitik Polen und die anderen Staaten Mitteleuropas praktisch nicht vorkamen oder als drittrangiges Gebiet behandelt wurden. Unterdessen erwartete Warschau von Russland, dass es Polen als gleichwertigen Partner anerkennen und die polnischen Interessen berücksichtigen würde.

Am stärksten belastet wurden die polnisch-russischen Beziehungen durch die historischen Streitfragen und den unterschiedlichen Stellenwert, den beide Seiten der Geschichte zuweisen. Im Jahr 2000 wurden in Russland zwei polnische Militärfriedhöfe eröffnet: in Katyn und in Mednoje, womit aus russischer Sicht der Streit um Katyn abgeschlossen war. Für die Russen waren und sind die polnischen Forderungen nach völliger Aufklärung des Verbrechens von Katyn unverständlich; sie erklärten, dass die polnische Seite nur deshalb in dieser Frage kontinuierlich Druck auf Russland ausübe, weil sie in der polnischen Gesellschaft antirussische Stimmungen am Leben erhalten wolle, um sie für innenpolitische Zwecke zu nutzen.

Im März 2005 beendete die russische Militärstaatsanwaltschaft die Untersuchung im Fall von Katyn, verweigerte die Anerkennung des dort Geschehenen als Völkermord und sperrte den Großteil der einschlägigen Dokumente für die Öffentlichkeit. Dies rief in Polen, wo man nach wie vor auf der vollständigen Aufklärung des Verbrechens von Katyn beharrt, Befremden hervor. Infolgedessen wirft dieses immer noch seinen Schatten auf die polnisch-russischen Beziehungen. Zu den historischen Streitfragen zählen zudem die diametral entgegengesetzte Bewertung der Annexion der polnischen Ostgebiete auf der Grundlage des Ribbentrop-Molotow-Paktes nach dem 17. September 1939 oder auch die Entfernung von Denkmälern für die sowjetische Armee, was die Russen ausgesprochen emotional und negativ aufnehmen.

Die wichtigste Streitfrage zwischen Warschau und Moskau in den 1990er Jahren war jedoch eine sicherheitspolitische und sie trug erheblich zur Verschlechterung der beiderseitigen Beziehungen bei. Polen wollte so schnell wie möglich der NATO beitreten, wogegen Moskau offen protestierte. Das unerwartete Einverständnis mit einer Mitgliedschaft Polens in der NATO, das Präsident Jelzin während seines Besuchs in Warschau im August 1993 verkündete, wurde schnell zurückgenommen. Im Anschluss daran verschlechterten sich die polnisch-russischen Beziehungen trotz polnischer Anstrengungen systematisch, wozu – außer dem Wunsch Polens, der NATO beizutreten – auch die polnische Kritik am ersten Tschetschenienkrieg (1994–1996) beitrug.

Mindestens seit 1994 ist die Verbesserung der Beziehungen zu Russland eines der ständig wiederkehrenden Themen in der Diskussion über die polnische Außenpolitik. Unabhängig von ihrer parteipolitischen Zugehörigkeit machte sich die jeweilige polnische Regierung die Verbesserung des Verhältnisses zu Moskau zur Aufgabe und keine erreichte bis heute dieses Ziel. Ein Teil der polnischen Kommentatoren war der Meinung, dass die polnisch-russischen Beziehungen sich fast automatisch nach dem Beitritt Polens zur NATO (1999) verbessern würden, was jedoch nicht geschah. In den folgenden Jahren war das Hauptziel der polnischen Außenpolitik, der EU beizutreten, was notwendigerweise dazu führte, im Osten weniger politische Initiative zu zeigen.

Nach dem Amtsantritt von Präsident Wladimir Putin im Mai 2000 kam es vorübergehend zu einer gewissen Annäherung zwischen Warschau und Moskau. Putin besuchte im Januar 2002 Polen, was als Anzeichen einer neuen Öffnung in den polnisch-russischen Beziehungen gewertet wurde. Bald darauf wurde jedoch offenkundig, dass die polnischen Erwartungen voreilig gewesen waren, und einige neue Probleme führten zu einer erneuten Abkühlung der wechselseitigen Beziehungen: Im Zusammenhang mit der geplanten Mitgliedschaft Polens und Litauens in der EU ging es um die Frage des russischen Transits zum Gebiet Kaliningrad, des Weiteren um die Durchfahrt polnischer Schiffe durch die Pillauer Meerenge, schließlich um die Pläne für eine Gaspipeline durch die Ostsee. Infolgedessen erwies sich, dass der Beitritt Polens zu den beiden wichtigsten Organisationen der westlichen Welt nicht zu einer entscheidenden Verbesserung seiner Beziehungen zu Russland führte. Mehr noch, es entstand der Eindruck, dass Russland sich die Auffassung zu eigen machte, über Polen müsse es nicht mit Warschau reden, sondern es reiche das Gespräch mit den Großen in der EU.

Das aktuellste ungelöste Problem in den polnisch-russischen Beziehungen blieb über zwei Jahre das von Russland im November 2005 eingeführte Importverbot für polnisches Fleisch und pflanzliche Produkte, das Warschau für ein politisch motiviertes Embargo hielt. Wegen der russischen Haltung entschloss sich Polen im November 2006, gegen den Beginn der Verhandlungen über einen neuen Grundlagenvertrag zwischen der EU und Russland, der das seit 1997 gültige Partnerschafts- und Kooperationsabkommen ablösen soll, ein Veto einzulegen. Erst nach der Regierungsübernahme durch Ministerpräsident Tusk kam es zu einer atmosphärischen Entspannung und neuen bilateralen Verhandlungen, sodass Tusk am 20. März 2008 während seines Besuchs in Slowenien mitteilen konnte, Polen werde sich der Wiederaufnahme der EU-Russland-Verhandlungen über ein neues Kooperationsabkommen nicht mehr widersetzen, da die polnischen Forderung nach Aufhebung des russischen Embargos für polnische Fleischprodukte erfüllt und die Wiederaufnahme des Exports pflanzlicher Produkte mit Russland vereinbart worden sei.

Ein Hindernis für die Überwindung der polnisch-russischen Streitigkeiten stellen auch die gegensätzlichen Interessen beider Staaten gegenüber Belarus und der Ukraine dar. Polens Ziel ist, dass diese Staaten souverän und demokratisch sind und in die Europäische Union und die NATO integriert werden, was nicht ausschlösse, dass Minsk und Kiew gute Beziehungen zu Moskau unterhalten. Russland betrachtet diese Länder dagegen weiterhin als seine Interessenssphäre, strebt an, sie fest an sich zu binden, und initiierte hierzu einen Prozess der Reintegration der vormals sowjetischen Gebiete, was besonders in den 1990er Jahren in Warschau Unruhe auslöste, da es diesen Vorgang als Bedrohung seiner Sicherheit ansah. Russland betrachtete von Anfang an das polnische Engagement in diesen Ländern mit Misstrauen, denn in den Augen russischer Politiker sind die Polen Konkurrenten im Kampf um Einfluss in Belarus und in der Ukraine. Das beste Beispiel waren die Vermittlungsbemühungen Polens in der Ukraine während der Orangenen Revolution Ende 2004, die sich negativ auf die polnisch-russischen Beziehungen auswirkten.

Der Zustand der polnisch-russischen Beziehungen ist gegenwärtig alles andere als gut; aus Warschauer Sicht trägt Russland dafür die größte Verantwortung, da es einfach nicht daran interessiert sei, seine Beziehungen zu Warschau völlig zu normalisieren, sondern sich bemühe, Polen zu diskreditieren und seine Rolle in Europa zu schmälern. Das lässt viele polnische Beobachter die Feststellung treffen, dass ohne eine Veränderung des politischen Systems in Russland, das eine solche und keine andere Außenpolitik impliziert, eine grundsätzliche Verbesserung des Verhältnisses zwischen Warschau und Moskau nicht möglich sei.

Übersetzung: Andreas R. Hofman

Quellen / Literatur

Auszug aus: Jacek Cichocki/Wojciech Konończuk, "Polen und seine östlichen Nachbarn", in: Externer Link: "Länderbericht Polen", hrsg. von Dieter Bingen und Krysztof Ruchniewicz (Schriftenreihe der Bundeszentrale für Politische Bildung Bd. 735), Bonn 2009.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Agnieszka Magdziak-Miszewska, Polska – Rosja 1991–1996: między mitem straconych szans a rzeczywistością nie wykorzystanych okazji [Polen und Russland 1991–1996: zwischen dem Mythos der verlorenen Chancen und der Realität ungenutzter Gelegenheiten], in: dies. (Hrsg.) (Anm. 4), S. 70; Marek Menkiszak, Polish Policy towards Russia, the Ukraine and Belarus, 1991–2002, in: Katarzyna Pełczyńska-Nałęcz/Alexander Duleba/László Póti/Vladimír Votápek (eds.), Eastern Policy of the Enlarged European Union. A Visegrad Perspective, Bratislava 2003, S. 112–115, 130–135.

  2. Als Beispiel sei genannt, dass das russische Außenministerium 1999 die Tatsache in Zweifel zog, dass es am 17. September 1939 eine sowjetische Aggression gegen Polen gegeben habe.

  3. Dies wurde durch die Reaktion Moskaus auf die Demontierung des sowjetischen Soldatendenkmals in Tallinn deutlich.

  4. Vgl. Irina Kobrinskaja, Długi koniec zimnej wojny. Rosja i Europa środkowa 1991–1996 [Das lange Ende des Kalten Krieges. Russland und Mitteleuropa 1991–1996], Centrum Stosunków Międzynarodowych, Warszawa 1998, S. 119 f.

  5. Die Behauptung, dass sich die polnisch-russischen Beziehungen automatisch verbessern würden, wenn in Polen die Linke an die Regierung gelangte, erwies sich als Mythos. Als 1995 zum ersten Mal eine Koalition aus SLD und PSL die Regierung bildete, kam es nicht zu einer grundsätzlichen Änderung des Verhältnisses zwischen Warschau und Moskau. Ähnliches gilt für 2001, als die Postkommunisten wiederum an die Regierung kamen.

  6. Gemäß dem polnisch-sowjetischen Protokoll vom August 1945 haben polnische Schiffe auf dem Weg nach Elbląg (Elbing) das Recht, die jetzt zu Russland gehörige Pillauer Meerenge zu durchfahren. Auf die Einschränkung des Durchfahrtsrechts durch die russischen Behörden reagierte Warschau mit Protesten.

  7. Kai-Olaf Lang, Poland and the East. Polish relations with Russia, Belarus and Ukraine, SWP Comments 23, June 2005, http://www.swp-berlin.org/en/common/get_document.php?asset_id=2243.

  8. Zu einem erneut anwachsenden Misstrauen gegenüber Russland trug am Ende des Berichtszeitraums die brutale Pazifizierungspolitik Russlands in Georgien nach der missglückten Militäraktion des georgischen Staatspräsidenten Michail Saakashwili in Südossetien bei [die Hrsg.].

Weitere Inhalte

Jacek Cichocki ist Analytiker am Zentrum für Oststudien in Warschau, von 2004-2007 war er dessen Direktor. Seit 2008 ist er Staatssekretär in der Kanzlei des Ministerpräsidenten und Sekretär des Kollegiums für Spezialdienste.
Wojciech Konończuk ist Analytiker der Abteilung Russland des Zentrums für Oststudien in Warschau.