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Strukturwandel in den 90er-Jahren | Polen | bpb.de

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Strukturwandel in den 90er-Jahren

Wolfgang Quaisser

/ 9 Minuten zu lesen

Im Laufe der 90er-Jahre hat sich die polnische Wirtschaft Richtung Marktwirtschaft entwickelt, dennoch ist der staatliche Einfluss höher als im Westen. Trotz guter Fortschritte bei der Privatisierung gibt es auch einige Problemsektoren.

Werft in Polen. (© cc_orangejon_nc/flickr.com)

Die wirtschaftspolitischen Entscheidungsstrukturen haben sich in Polen im Laufe der neunziger Jahre denen westlicher Marktwirtschaften angepasst, das heißt die polnische Nationalbank ist unabhängig, die Branchenministerien (zum Beispiel Metallurgie, Leichtindustrie, Bergbau) wurden aufgelöst und durch ein Wirtschaftsministerium und Schatzamt (zuständig für Privatisierung) ersetzt. Das Finanzministerium hat mit der Fiskalpolitik eine zentrale Stellung für die gesamte Wirtschaftspolitik erhalten. Planauflagen bzw. direkte Staatseingriffe sind seit 1990 beseitigt und die Produktion und Verteilung der Ressourcen werden über den Markt koordiniert.

Dennoch ist der staatliche Einfluss zur Zeit noch höher als in westlichen Marktwirtschaften. Der Anteil administrierter Preise (circa zehn Prozent) fällt höher aus als in den EU-Ländern und über eine Vielzahl von staatlichen Unternehmen kann der Staat noch direkt oder indirekt Einfluss nehmen. Die Faktormärkte (Kapital- und Arbeitsmarkt) funktionieren weitgehend auf marktwirtschaftlicher Grundlage, obwohl verschiedene Beschränkungen die Effizienz dieser Märkte beeinträchtigen. Polen ist seit 1991 mit der EU assoziiert und die EU-Mitgliedschaft ist für 2004 bzw. 2005 wahrscheinlich. Seit 1995/96 ist das Land auch Mitglied der wichtigsten internationalen Wirtschaftsorganisationen (Welthandelsorganisation, WTO; Internationaler Währungsfonds, IWF; Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, OECD). Im folgenden wird auf die wichtigsten ordnungspolitischen Veränderungen und die größten Herausforderungen hinsichtlich eines EU-Beitritts eingegangen.

Privatisierung und Privatsektor

Eine Vielzahl von Neugründungen von Kleinstunternehmen insbesondere im Handels- und Handwerksbereich sorgte schon zu Beginn der Transformation für eine rasche Expansion des Privatsektors. Der Markteintritt (Neugründung von Firmen) ist mit einem modifizierten Handelsgesetzbuch im Jahr 2001 weiter erleichtert worden. Der Marktaustritt (Schließung von Firmen) funktioniert unzureichend und Änderungen im Konkursgesetz sind notwendig. Der Privatsektor (einschließlich Landwirtschaft) erwirtschaftete 2001 etwa 70 Prozent des BIP und stellte über 70 Prozent aller Arbeitsplätze.

Die Privatisierung der mittleren sowie größeren staatlichen Unternehmen (zu Beginn circa 10000), die als Eckpfeiler der marktwirtschaftlichen Transformation zu bezeichnen ist, vollzog sich in Polen jedoch zunächst langsamer als in anderen post-sozialistischen Ländern. Diese Verzögerungen waren auch das Ergebnis gesellschaftspolitischer Kontroversen um die richtige Privatisierungsstrategie. Bis 2001 waren wichtige Entschädigungsfragen (Reprivatisierung) rechtlich nicht geregelt. In der zweiten Hälfte der neunziger Jahre beschleunigte sich die Eigentumsumwandlung vor allem in den wettbewerbsfähigen Wirtschaftszweigen und bis 2001 waren etwa 70 Prozent der Staatsunternehmen privatisiert. Folgende Privatisierungswege hat man eingeschlagen:

Mit Hilfe der so genannten Kapitalprivatisierung wurden zunächst meist größere Unternehmen (polnische Telekom, Banken, große Industrieunternehmen) in Aktiengesellschaften des Staates umgewandelt, um später größere Aktienpakete an strategische Investoren (oft Ausländer) zu verkaufen sowie einen Teil der Aktien an die Börse zu bringen. Teilweise behält der Staat hier ein Aktienpaket. Bis Ende 2000 sind etwa 800 Unternehmen und der überwiegende Kapitalanteil mit dieser Methode privatisiert worden.

Die so genannte direkte Privatisierung wurde meist bei kleineren und mittleren Unternehmen durchgeführt und sah einen Verkauf (auch über Leasing-Verträge) der Unternehmen bzw. von Unternehmensteilbereichen an Manager oder Belegschaft vor. In einigen Fällen wurden auch Joint-Ventures (Gemeinschaftsunternehmen) zwischen dem Staat und einem zumeist ausländischen Investor gebildet. Dies betraf vor allem solide Unternehmen, die einen geringen zusätzlichen Investitionsbedarf hatten, Unternehmen mit größerem Umstrukturierungsbedarf wurden meist an externe Investoren verkauft. Hinsichtlich der Zahl der Unternehmen (circa 1800) ist diese Methode führend, wobei Teile von liquidierten Staatsunternehmen (circa 800) auch an Privateigentümer verkauft bzw. geleast wurden.

Die so genannte Massenprivatisierung wurde meist bei mittleren, teilweise schwer verkäuflichen Unternehmen angewandt. Hier wurden Aktienpakete einzelner Unternehmen an so genannte Nationale Investmentfonds (Narodowny Fundusz Inwestycyjny, NIFs), die teilweise von ausländischen Consulting-Firmen geführt wurden, aufgeteilt. Die Bevölkerung erhielt kostenlose Anteilsscheine an den Investmentfonds, die dann später in Aktien umgewandelt wurden. Mit dieser Methode wurden etwa 500 Unternehmen privatisiert.

Insgesamt existierten Anfang 2000 noch 2100 Staatsunternehmen, die vorrangig in traditionellen Sektoren wie dem Bergbau, der Stahl- und Rüstungsindustrie sowie in der öffentlichen Versorgung (Eisenbahn, Elektrizität, Wasser) vertreten sind. Von den insgesamt etwa 8400 Aktiengesellschaften besaßen noch circa sechs Prozent Mehrheitsbeteiligungen des Staates und circa 14 Prozent eine ausländische Kapitalbeteiligung. Die vorsichtige Vorgehensweise in der Privatisierung machte sich insofern bezahlt, als die Eigentumsumwandlung sich weitgehend transparent vollzog und zu Verbesserungen des Managements und der Kontrolle des Unternehmens (Corporate Governance) führte. Zudem konnten in einigen Branchen des öffentlichen Sektors, so etwa im Schiffbau, erfolgreiche Restrukturierungsprogramme durchgesetzt werden.

Problemsektoren

Neben wichtigen Sanierungs- und Privatisierungsmaßnahmen (unter anderem polnische Eisenbahn, Energiesektor) hat Polen auch hinsichtlich der EU-Annäherung vor allem mit verschiedenen Problemsektoren zu kämpfen, die im folgenden genannt werden.

Landwirtschaft

Polens Landwirtschaft wurde in den fünfziger Jahren nicht kollektiviert und war mit fast 75 Prozent der Fläche privatwirtschaftlich in kleinbäuerlichen Betrieben organisiert. Diese Struktur, die sich während des Sozialismus in vielerlei Hinsicht (sozial und in Bezug auf die Versorgungslage) als Vorteil erwies, stellt mittlerweile ein Problem dar, da die Betriebsflächen zu klein sind (sieben Hektar, Haupterwerbsbetriebe circa 15 Hektar), die Kapitalausstattung unzureichend und die Arbeitsproduktivität niedrig sind. Im Vergleich zur EU ist der Agrarsektor deutlich überproportioniert. Während in der EU nur mehr circa 1,7 Prozent des BIP und fünf Prozent der Beschäftigten auf die Landwirtschaft entfallen, sind es in Polen circa fünf Prozent des BIP und nach der offiziellen Statistik (Statistisches Hauptamt, Glowny Urzad Statystyczny, GUS) circa 27 Prozent der Beschäftigten. Zu berücksichtigen ist allerdings, dass etwa zwei Drittel der zwei Millionen Betriebe im Nebenerwerb wirtschaften und allerhöchstens für den Eigenverbrauch bzw. lokale Märkte produzieren. Polnische Berechnungen gehen deshalb nur von einem Beschäftigungsanteil der Landwirtschaft zwischen neun Prozent und 14 Prozent aus. Wichtige Bereiche der Verarbeitungsindustrie (insbesondere Schlachtereien und Molkereien) sind veraltet, so dass die Übernahme der veterinärmedizinischen und hygienischen Standards der EU Polen kurzfristig sicherlich Probleme bereiten wird.

Bergbau und Stahlindustrie

Bergbau und Stahlindustrie, einst Stützen der polnischen Nachkriegsindustrialisierung, befinden sich seit den neunziger Jahren in einer tiefen Krise (Überkapazitäten und Beschäftigungsüberhang), die das gesamte oberschlesische Industrierevier erfasst. In den neunziger Jahren verzeichnet der Bergbau hohe Verluste und drastische Außenstände bei den Sozialabgaben und Steuern (Schulden Ende 1999: 20 Milliarden Zloty, 2,5 Prozent des BIP). Weitreichendere Reformen haben im Kohlebergbau 1998 mit finanzieller und technischer Unterstützung der Weltbank begonnen. Sieben Bergbauunternehmen und zwei unabhängige Bergwerke sollen in profitable Unternehmen überführt werden, um diese letztlich zu privatisieren. Kapazitäten und Beschäftigung sollen ähnlich wie in der Stahlindustrie um etwa die Hälfte reduziert werden. Die Kosten des Sanierungsprogramms belaufen sich auf circa 2,7 Milliarden Euro.

Auch in der Stahlindustrie finden Restrukturierungsbemühungen schon seit einigen Jahren statt. Von den noch bestehenden 24 Stahlwerken ist etwa die Hälfte zumindest teilprivatisiert. Das Hauptproblem dieser Branche sind die zwei größten staatlichen Stahlunternehmen (Huta Katowice, Huta Sendzimira), die 60 Prozent der gesamten Stahlproduktion erzeugen. Die Privatisierung bzw. der Verkauf an ausländische Käufer stößt auf große Schwierigkeiten. Die Kosten der Umstrukturierungsprogramme für die Stahlindustrie werden für den Zeitraum 1998 bis 2002 auf 2,8 Milliarden Euro geschätzt. Der Beschäftigungsabbau wird in beiden Bereichen durch Sozialprogramme flankiert, die unter anderem Frühpensionierungen und Umschulungen vorsehen.

Banken und Kapitalmarkt

Schon Mitte der neunziger Jahre wurden die Banken finanziell konsolidiert und bis 2001 weitgehend privatisiert. Zudem stärkte 1998 ein neues Bankenaufsichtsgesetz die finanzielle Solidität des Finanzsektors. Die rechtliche Anpassung an EU-Standards wird vor dem Beitritt abgeschlossen sein. Dabei hat hohes ausländisches Engagement (Anteil circa 60 Prozent) die Qualität des Bankenmanagements und der Finanzdienstleistungen sowie den Wettbewerb im Bankensektor deutlich verbessert.

Trotz hoher Realzinsen hat sich die Kreditvergabe auch an den Unternehmenssektor erhöht und diversifiziert. Dennoch haben staatliche Banken, unter anderem die PKO-Sparkasse (Powszechna Kasa Oszczednosci) im Wohnungsbau und die Agrarbank BGZ (Bank Gospodarki Zywnosciowej) mit "schlechten" Krediten, also Krediten mit einem hohen Ausfallrisiko, zu kämpfen. Auch die staatliche Versicherung PZU (Panstwowy Zaklad Ubezpieczen) ist privatisiert worden.

Die Warschauer Börse hat sich im Zuge der Privatisierung auf der Basis internationaler Standards rasch entwickelt und 2000 eine Marktkapitalisierung (Gesamtwert der Aktien an der Börse) von 20 Prozent des BIP mit einer circa 50-prozentigen ausländischen Beteiligung erreicht. Die Warschauer Börse ist die größte in Ostmitteleuropa, jedoch nur mit den kleinsten in Westeuropa vergleichbar.

Arbeitsmarkt

Die hohe offene und besonders auf dem Lande meist versteckte Arbeitslosigkeit ist ein Schwachpunkt der polnischen Wirtschaftsentwicklung. Die Ursachen dafür sind nicht nur auf demographische Faktoren (die zweite Welle geburtenstarker Jahrgänge drängt auf den Arbeitsmarkt), die forcierte Umstrukturierung und konjunkturelle Einflüsse, sondern auch auf Defizite des Arbeitsmarktes zurückzuführen.

Sie bestehen in hohen Lohnnebenkosten, einem einheitlichen, nicht nach Regionen und Branchen fixierten Minimallohn, einer vergleichsweise generösen Sozialunterstützung, einem ineffizienten System der Lohnverhandlungen sowie einer de facto Indexierung der Löhne (Koppelung der Löhne an die Inflationsrate) im öffentlichen Sektor. Ferner ist eine ungenügende bzw. nicht den Anforderungen entsprechende Qualifikation, sowie eine unzureichende Mobilität der Arbeitskräfte (unter anderem wegen Wohnungsknappheit) zu bemängeln. Empfehlungen internationaler Organisationen wie der OECD und der EU zur Flexibilisierung des Arbeitsmarktes sind in den letzten Jahren nicht in ausreichendem Maße umgesetzt worden.

Polen wird deshalb voraussichtlich weiterhin mit einer relativ hohen Arbeitslosigkeit insbesondere in ländlichen Regionen rechnen müssen. Dies gilt auch für die Jugendarbeitslosigkeit, die das Niveau der meisten westeuropäischen Länder überschreitet. Die schwierige Arbeitsmarktsituation in Polen wird sich nach Einführung der Arbeitnehmerfreizügigkeit im Zuge der EU-Mitgliedschaft (voraussichtlich etwa fünf bis sieben Jahre nach dem Beitritt) durch Abwanderung von Arbeitskräften nach Westeuropa (insbesondere Deutschland) kaum mildern lassen. Im Westen werden meist besser qualifizierte (Sprachkenntnisse) und flexible Arbeitskräfte nachgefragt. Schätzungen gehen deshalb von einem begrenzten Wanderungspotenzial aus, zumal sich die Einkommen im Laufe der Jahre anpassen werden.

Soziale Lage

Der Übergang zur Marktwirtschaft ging auch in Polen mit einer stärkeren Differenzierung der Einkommen einher, doch entspricht die Einkommensverteilung nunmehr westeuropäischen Mustern. Hier unterscheidet sich Polen deutlich von Russland und anderen Staaten der ehemaligen Sowjetunion. Dies gilt auch für die Situation der Rentner, deren Bezüge in den neunziger Jahren an die Inflationsrate gekoppelt wurden und damit real fast ebenso stark gestiegen sind (1992–1999 um 20 Prozent) wie die Reallöhne (gleicher Zeitraum um 26 Prozent). Die monatliche Durchschnittsrente liegt bei circa zwei Dritteln der Durchschnittslöhne, so dass die Mehrheit der Rentnerinnen und Rentner zwar nur ein bescheidenes Einkommen erzielt, jedoch nicht in Armut lebt.

Dennoch ist die soziale Lage in einigen Segmenten der polnischen Gesellschaft (kinderreiche Familien, Langzeitarbeitslose, ältere Menschen auf dem Lande) kritisch. Auf Grundlage von Befragungen hält sich rund ein Drittel der polnischen Bevölkerung für arm, nach anerkannten Armutskriterien (Haushaltsausgaben unter 50 Prozent des Durchschnittsniveaus) können dagegen etwa 17 Prozent der Haushalte als arm gelten. Die polnische Sozialhilfe, die weitgehend auf kommunaler Ebene geregelt ist, wird auch in Zukunft angesichts begrenzter Finanzmittel diese sozialen Probleme nur mildern können.

Renten-, Gesundheits- und Steuerreform

Die Rentenreform von 1999 schuf erstmalig ein dreistufiges Rentensystem, das aus einer Pflichtkomponente, einem (schrittweise obligatorischen) auf Kapitalbasis gestützten Pfeiler sowie einer vollständig freiwilligen Komponente besteht. Die Leistungen werden stärker an die Einzahlungen gekoppelt und das Rentenalter wurde von 60 auf 65 Jahre heraufgesetzt. Man erhofft sich mittelfristig eine höhere Sparquote, eine Entlastung des Staatshaushaltes sowie eine Stärkung des Kapitalmarktes. Obwohl die Reform in die richtige Richtung zielt, hat sie dennoch mit erheblichen Anfangsschwierigkeiten, unter anderem einem mangelhaften Informationssystem, zu kämpfen.

Mit der zu Beginn des Jahres 1999 in Kraft getretenen Reform des Gesundheitswesens wurde die bis dahin staatliche Versicherung von einer allgemeinen gesetzlichen Krankenversicherung (Pflichtversicherung mit nur wenigen Ausnahmen) abgelöst. Dennoch weist das polnische Gesundheitswesen noch erhebliche strukturelle und finanzielle Mängel auf. Es bestehen noch immer keine freie Wahl der Krankenkasse und kein Wettbewerb der Krankenkassen untereinander. Der Gesundheitssektor wird weiterhin stark subventioniert. Die Entlastung der Lohnnebenkosten und des Staatshaushaltes ist deshalb nur teilweise geglückt.

Eine recht weitgehende Reform der Unternehmensbesteuerung wurde 1999 eingeführt, die schrittweise einen Höchststeuersatz von 22 Prozent bis zum Jahr 2004 einführt, jedoch im Gegenzug Abschreibungsmöglichkeiten der Unternehmen limitiert. Gleichzeitig wurden die indirekten Steuern, wie beispielsweise die Mehrwertsteuer, auf EU-Niveau angehoben. Eine weitreichende Reform der persönlichen Einkommensbesteuerung mit niedrigen Sätzen ist am Veto des Präsidenten Kwasniewski gescheitert. Weitere Änderungen im Steuersystem (etwa Einführung einer eigenen Steuerbasis für Gemeinden unter anderem durch eine Grundsteuer) sind notwendig.

Umweltprobleme und Umweltstandards

Polen kann in den letzten zehn Jahren deutliche Fortschritte im Umweltbereich verzeichnen. Dabei hat der Strukturwandel weg von der Schwerindustrie (Kohle, Stahl, Energie) geholfen, die Luft- und Wasserverschmutzung deutlich zu vermindern. Dennoch bleibt das Land im OECD-Vergleich einer der großen Luftverschmutzer. Ende der neunziger Jahre erreichte der jährliche CO2-Ausstoß circa 360.000 Tonnen, also etwa drei Prozent der OECD-Menge (Anteil am OECD-BIP circa 1,3 Prozent). Die Umweltinvestitionen sind in den neunziger Jahren jedoch beachtlich gestiegen und im Vergleich zur OECD relativ hoch (1,6 Prozent des BIP, acht bis neun Prozent der Investitionen).

Dennoch wird eines der schwierigsten und kostspieligsten Probleme des EU-Beitritts die Erfüllung der EU-Umweltstandards sein. Niedrige Schätzungen gehen von einem Investitionsbedarf von 25 Milliarden Euro aus, der sich jedoch dann verdoppeln kann, wenn keine kostensparenden Umweltstrategien verfolgt werden. Längere Übergangsfristen (bis zu zehn Jahre) sind sicherlich nur in jenen Bereichen denkbar, in denen nicht der Wettbewerb im gemeinsamen Binnenmarkt tangiert ist (unter anderem lokale Wasserqualität). Zudem sind beachtliche Zuschüsse für den Umweltbereich aus den Kohäsions- und Strukturfonds der EU zu erwarten, die bis zu vier Prozent des polnischen BIP erreichen können. Die insgesamt von der EU-Mitgliedschaft ausgehenden Wachstumsimpulse (einschließlich Handel, Direktinvestitionen, intensiverer Wettbewerb) werden für Polen auf fünf bis acht Prozent des BIP (einmaliger Niveaueffekt) geschätzt.

Weitere Inhalte

Dr. Wolfgang Quaisser, geboren 1955, ist Mitarbeiter der Wirtschaftswissenschaftlichen Abteilung am Osteuropa-Institut München und Dozent für Wirtschafts- und Sozialpolitik an der Akademie für Politische Bildung Tutzing. Er beschäftigt sich u.a. mit den Problemen der Vertiefung und Erweiterung der EU.