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Die Türkei im Jahr 2017/2018 | Türkei | bpb.de

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Die Türkei im Jahr 2017/2018 Zwischen Niedergang und Hoffnung

Dr. Burak Çopur

/ 10 Minuten zu lesen

Der Essener Politikwissenschaftler Burak Çopur sieht in der Türkei unter Staatspräsident Erdoğan einen Staat, der in vielen politischen Bereichen verfällt. Ob sich dieser Trend mit der Wiederwahl Erdoğans bei der Präsidentschaftswahl 2019 fortsetzen wird oder ob die türkische Opposition einen starken gemeinsamen Gegenkandidaten mit einem alternativen Zukunftsprogramm präsentieren kann, wird für die Türkei zu einer Schicksalsfrage werden.

Seit dem gescheiterten Militärputsch vom 15. Juli 2016, bei dem 249 Zivilisten ums Leben kamen, sind im bis heute andauernden Ausnahmezustand an die 150.000 Staatsbedienstete entlassen oder freigestellt worden. Über 50.000 Personen wurden festgenommen, 370 türkische NGOs und rund 150 Medien geschlossen sowie über 100 Journalisten verhaftet, unter ihnen auch die preisgekrönten Journalisten Ahmet Şık und Ahmet Altan; Altan wurde im Februar 2018 gar zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt.

Verhaftung des Journalisten Ahmet Şık im März 2011 in Istanbul. Wegen seiner Recherchen über die Unterwanderung des Staates durch die Gülen-Gemeinde, wurde Şık damals verhaftet - 2012 wurde er freigelassen. Im Dezember 2016 wurde er erneut verhaftet: Nun wirft ihm die Anklage unter anderem die Mitgliedschaft in der Gülen-Gemeinde vor. (© picture-alliance)

Die Justiz ist stark politisiert und scheint nicht mehr unabhängig von der türkischen Regierung zu agieren. Eine freie, unabhängige Urteilsfindung bei den Prozessen gegen verhaftete Regimekritiker ist im türkischen Rechtssystem daher kaum noch vorstellbar.

Der Putschversuch als Katalysator für den Staatsumbau

Der gescheiterte Putsch bietet Staatspräsident Erdoğan seit 2016 die Gelegenheit, Staat und Gesellschaft schneller als bisher nach seinen Vorstellungen zu transformieren und einen neuen Nationalmythos zu manifestieren: Die Propagierung bizarrer Verschwörungstheorien über das Ausland, die permanente Erzeugung eines Klimas der Angst und der aggressive Konfrontationskurs gegenüber dem Westen dienen dabei der kontinuierlichen Institutionalisierung eines autokratischen Herrschaftssystems und der Etablierung eines neo-osmanisch orientierten sunnitisch-nationalistischen Staatsnarrativs.

Bildungspolitik: weniger Wissenschaft, mehr Religion

Dabei spielt die Islamisierung in der Bildung eine wichtige Rolle: So wurde Mitte 2017 die Evolutionstheorie aus den türkischen Lehrplänen entfernt. Im Religionsunterricht wird hingegen zukünftig über die "Scharia" und den "Dschihad" gelehrt und an allen Schulen werden obligatorisch nach Geschlechtern getrennte Gebetsräume eingerichtet. Während die Zahlen von religiösen Imam-Hatip-Schulen und Korankursen seit Jahren stetig steigen, gehört die Türkei in internationalen Bildungsstudien wie der PISA-Studie mit zu den Schlusslichtern. Und zu dieser Entwissenschaftlichung der Bildung tragen selbst einzelne Angehörige der Hochschulen aktiv bei: Beispielsweise propagierte ein Assistenzprofessor der Islamwissenschaft im türkischen Fernsehen die nach einer Überlieferung des Propheten Mohammed angeblich empfohlene Einnahme von Kamelurin als Heilmittel.

Wissenschaft: ein Land verliert seine klügsten Köpfe

Dem kritischen Denken und Forschen werden unter der AKP-Regierung Grenzen gesetzt. Über 8.000 Professoren und Akademiker haben ihre Arbeit verloren, darunter viele renommierte Wissenschaftler, die den Friedensaufruf zur Lösung der Kurdenfrage "Academics for Peace" unterstützten. Statt auf Qualifikation zu setzen, ist hier die Loyalität und Unterwürfigkeit gegenüber dem Erdoğan-Regime maßgeblich. Ein Braindrain der klügsten Köpfe der Türkei ist bereits im vollen Gange, das Land blutet akademisch aus.

Allein bei der Philipp Schwartz-Initiative der Alexander von Humboldt-Stiftung, die weltweit verfolgten Wissenschaftlern in Deutschland Schutz bietet, führen die aktuell 40 nominierten türkischen Stipendiaten (von insgesamt 56) die Spitze der Stipendiatenliste an. Auch der deutsch-türkische akademische Austausch ist mit Blick auf die Sicherheitslage in der Türkei stark rückläufig: Für 2017 erwartet die Türkei nach Schätzungen des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) rund 50 Prozent weniger Erasmus-Studenten aus Deutschland.

Türkische Wirtschaft auf Messers Schneide

Trotz politischer Instabilitäten wuchs die Wirtschaft in der Türkei nach Angaben des türkischen Statistikamts TÜIK im zweiten Quartal 2017 um 5,1 Prozent. Ungeachtet staatlicher Konjunkturprogramme ist die Lira allerdings auf Talfahrt, die Verschuldung der privaten Haushalte steigt, die Sparquote ist gering, die Inflation liegt bei über zehn Prozent und die ausländischen Direktinvestitionen nehmen ab. Ob und wann diese türkische Wirtschaftsblase platzt, ist unklar.

Zudem bestehen die Strukturprobleme des Landes weiterhin fort: das Leistungsbilanzdefizit ist groß, die Produktivität niedrig und die Wertschöpfung gering und eine hohe Jugendarbeitslosigkeit mit 20 Prozent plagt das Land. Über 900 Unternehmen im Wert von rund zehn Milliarden Euro wurden nach dem gescheiterten Putsch von der Regierung enteignet und unter Zwangsverwaltung gestellt. Mit der fehlenden Rechtssicherheit verlassen auch Dollar-Millionäre die Türkei in Scharen: Während 2015 etwa 1.000 Millionäre der Türkei ihren Rücken zukehrten, waren es 2016 schon 6.000.

Kulturleben: die große Party-Sause ist vorbei

Im Bereich der Kunst und Kultur sind die Veränderungen ganz besonders in der Kulturhauptstadt des Jahres 2010 und früheren Partymetropole Istanbul zu spüren: Auf der berühmten Istanbuler Einkaufsstraße und Kulturmeile "Istiklal" hinterlässt das Geschäftssterben bereits seine Spuren und auch viele Künstler bzw. Kulturveranstalter meiden die einst populäre Megastadt am Bosporus. Etliche internationale Konzerte und Festivals wurden in den vergangenen Monaten abgesagt, auch die ARD zog ihre Krimi-Reihe "Mordkommission Istanbul" aus der Türkei ab.

In den Musiker- und Szenevierteln Beyoğlu und Beşiktaş leidet die westlich orientierte Musikszene daran, dass sie z. B. keine Genehmigungen mehr für ihre Veranstaltungen erhält und Konzerthallen schließen muss. An staatlichen Theatern existieren Repressionen und politische Kontrollen weiter, kritische Schauspieler müssen um ihren Job fürchten.

Kinder, Frauen und Homosexuelle: ein trauriges Kapitel

Nach Angaben des türkischen Justizministeriums sitzen 2017 insgesamt 2.578 Minderjährige im Gefängnis (eine Steigerung um 26 Prozent seit der Regierungsübernahme der Interner Link: AKP im Jahr 2002) und im Zeitraum von 2009 bis 2017 haben sich 77 Kinder und junge Erwachsene zwischen 18-21 Jahren in der Haft das Leben genommen. Auch die Folter in den türkischen Gefängnissen soll nach Angaben von türkischen Menschenrechtsorganisationen wie IHD (İnsan Hakları Derneği) und TIHV (Türkiye İnsan Hakları Vakfı) kontinuierlich zunehmen.

In der AKP-regierten Türkei stieg in den letzten fünf Jahren aber auch die Gewalt gegenüber Frauen weiter an; während 210 Frauen im Jahr 2010 durch männliche (Partnerschafts)-Gewalt ermordet wurden, fielen 2016 bereits 328 Frauen zum Opfer dieser Gewalt.

Zunehmend haben Homo-, Bi-, Inter- und Transsexuelle einen schweren Stand in der Türkei. Obwohl die "Gay-Pride" in Istanbul von 2003 bis 2014 stets friedlich verlief, endete sie in den letzten Jahren durch Demonstrationsverbote und Polizeieinsätze immer wieder blutig.

Minderheiten als Gefahr für die türkische Nation

Bis heute gibt es im Nationenverständnis der Türkei keinen Platz für eigenständige Minderheiten. Der Begriff "Minderheit" (im Türkischen "azınlık") ist negativ konnotiert.

Der armenischstämmige Abgeordnete Garo Paylan (Interner Link: HDP) während einer Parlamentsdebatte am 13. Januar 2017. Nach seiner Rede wurde er wegen Erwähnung des Genozids an den Armeniern für drei Monate vom Parlament ausgeschlossen. (© picture-alliance)

Diese Minderheiten wie Kurden, Aleviten und Armenier werden auch heute noch als "Spalter" und "Vaterlandsverräter" und als Gefahr für die türkische Nation betrachtet. Mittlerweile ist sogar die Geschäftsordnung des türkischen Parlaments dahingehend angepasst worden, dass die Verwendung der Begriffe "Kurdistan", "kurdische Gebiete" und "Völkermord an den Armeniern" im Parlament verboten ist, mit einer hohen Geldstrafe geahndet wird und Abgeordnete dafür aus Sitzungen ausgeschlossen werden können.

Auch die Situation der christlichen Glaubensgemeinschaften hat sich in den vergangenen Jahren nicht verbessert. Unter anderem versuchte der türkische Staat vergeblich bereits konfiszierte Kirchen und Klöster der Aramäer in Südostanatolien in den Besitz der türkischen Religionsbehörde Diyanet zu übertragen.

Bewaffnung der Bevölkerung: ein Land rüstet auf

Besorgniserregend ist zudem die Bewaffnung der Bevölkerung. Nach Angaben der Polizei ist jeder vierte türkische Bürger ein Schusswaffenbesitzer; von den sich im Umlauf befindenden 20 Millionen Schusswaffen sind allerdings nur rund 700.000 genehmigt. Diese Aufrüstung ist insbesondere bei fanatischen AKP-Anhängern zu beobachten. So baut auch schon der Schwiegervater von Erdoğans Sohn Bilal eine Art Bürgerwehr als regierungstreue Miliz auf und die Regierung in Ankara stellt weitere 700 Wächter in Wohnvierteln auf. Die der Interner Link: AKP nahestehende Organisation "Osmanische Einheit 1453" rief nach dem gescheiterten Putsch ihre Anhänger in den sozialen Medien sogar zur "Aufrüstung" auf. Diese Bewaffnung im Land spiegelt sich auch in der Militarisierung der Außenpolitik wider.

Türkische Außenpolitik: vom aufsteigenden Stern zum Problemverursacher

Nachdem die Türkei sich 2010 von ihrer Außenpolitik der friedlichen Beziehungen zu allen Nachbarstaaten verabschiedet hatte und unmittelbar nach Ausbruch des Arabischen Frühlings zu einer ideologisch ausgerichteten sunnitisch-islamischen Außenpolitik überging, begann auch der internationale Abstieg Ankaras. Mit dem Wechsel von einer dialogorientierten soft power- zu einer militaristischen hard power-Strategie entwickelte sich die Türkei auch von einer aufstrebenden Regionalmacht zu einem unberechenbaren und unzuverlässigen Problemland. Seitdem befindet sich die Türkei im Fokus der internationalen Kritik: die UN und NATO mahnen die Türkei zur Einhaltung der Rechtsstaatlichkeit, die OECD prangert die unfairen Bedingungen für die Opposition beim Verfassungsreferendum im April 2017 an, der Europarat warnt über die Venedig-Kommission vor der Errichtung einer türkischen Autokratie und seine Parlamentarische Versammlung stellt die Türkei wieder unter Beobachtung. Beim Europäischen Menschengerichtshof (EGMR) sind unterdessen an die 100.000 Klagen gegen die Türkei anhängig und die EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei sind faktisch ausgesetzt.

Deutschland hat bereits aufgrund der Provokationen aus der Türkei eine härtere Gangart gegenüber Ankara angekündigt und will seine Türkeipolitik neu ausrichten. Der Wahlboykottaufruf des türkischen Staatschefs an deutsche Staatsbürger türkischer Herkunft bei der Bundestagswahl nicht die CDU, SPD und Grüne zu wählen, die über die Türkei angeordnete Festnahme des Kölner Schriftstellers Doğan Akhanlı in seinem Urlaub in Spanien und die türkische Reisewarnung gegenüber Deutschland, haben zusätzlich Öl ins Feuer der deutsch-türkischen Beziehungen gegossen.

Mit den USA gibt es bezüglich der türkischen Interventionen in Syrien und den Feindseligkeiten gegenüber den syrischen Kurden ebenso Streit, auch die Übergriffe türkischer Leibwächter Erdoğans gegen Journalisten und Demonstranten in Washington (März 2016/Mai 2017) haben für große Verwerfungen im US-amerikanisch-türkischen Verhältnis gesorgt. Mittlerweile hat die US-Justiz Anklage gegen die an den Prügeleien beteiligten Personenschützer von Erdoğan erhoben. Auch gegen einen ehemaligen Minister von Erdoğan hat die US-Justiz einen Haftbefehl wegen der Verwicklung in einen internationalen Korruptionsskandal ausgesprochen.

Während mit Russland durch den türkischen Kauf eines russischen Raketenabwehrsystems die Beziehungen gestärkt werden sollen, wird die Türkei hingegen im Nahen Osten längst nicht mehr als ein Modelland gesehen und verprellt aufgrund ihrer einseitigen Katar-Politik andere Regionalmächte wie Ägypten und Saudi-Arabien.

Als "outlaw states" hätte der US-amerikanische Philosoph John Rawls in seinem vielzitierten Werk "Das Recht der Völker" solche Länder wie die Türkei bezeichnet, die freundschaftliche Beziehungen zerstören, sich von Feinden umzingelt fühlen, permanent aggressiv in ihrer Außenpolitik auftreten und Menschenrechten keine Bedeutung schenken.

Ein neuer Präsident 2019: gibt es Hoffnung?

Mit 51,4 Prozent Ja-Stimmen zu 48,6 Prozent Nein-Stimmen ist das Verfassungsreferendum 2017 nur knapp für die AKP ausgegangen. Junge Wähler (18-24 Jahre), städtische und gebildete Bevölkerungsteile haben gegen den geplanten Ein-Mann-Staat von Erdoğan gestimmt. Das macht zunächst Hoffnung.

"adalet" - "Gerechtigkeit": Kundgebung der türkischen Opposition am 9. Juli 2017 im Anschluss an den "Gerechtigkeitsmarsch" des CHP-Vorsitzenden Kemal Kılıçdaroğlu von Ankara nach Istanbul. (© picture-alliance)

Und mit dem vom türkischen Oppositionsführer Kemal Kılıçdaroğlu (Interner Link: CHP, Republikanische Volkspartei) angeführten "Marsch für Gerechtigkeit" von Ankara nach Istanbul im Juni/Juli 2017 und dem von der CHP organisierten "Gerechtigkeitskongress" ist dieser Optimismus zusätzlich genährt worden. Die türkische Zivilgesellschaft mit ihren übrig gebliebenen Intellektuellen kämpft zudem an verschiedenen Fronten weiter für mehr Demokratie und Rechtsstaat. Im rechtskonservativen Lager versucht sich mit der Interner Link: İyi Parti eine neue Partei um die ehemalige Innenministerin Meral Akşener (1996-1997) zu etablieren, die zukünftig auch der AKP Stimmen abwerben will.

Ob diese Entwicklungen erstmal nur ein "Tropfen auf dem heißen Stein" sind oder ob daraus eine starke Gegenbewegung entsteht, die als "steter Tropfen den Stein höhlt", bleibt abzuwarten. Parallel dazu könnte der Westen versuchen, das Regime ökonomisch zu schwächen und unter Druck zu setzen, bei gleichzeitiger Stärkung der türkischen Opposition und Zivilgesellschaft – ein Drahtseilakt für Politik und Diplomatie.

Nur eine effektive Kooperation der Opposition wird in der Lage sein, Erdoğan spätestens bei der Präsidentschaftswahl 2019 herauszufordern. Falls es bis dahin keine vorgezogenen Neuwahlen gibt, wird diese Wahl der entscheidende Test dafür sein, ob es der Opposition gelingt, einen starken gemeinsamen Gegenkandidaten mit einem alternativen Zukunftsprogramm zu präsentieren und so die Weichen für einen Macht- und Systemwechsel zu stellen. Viel wichtiger noch: Die Herkulesaufgabe eines neuen Präsidenten wird in der Überwindung der Spaltung der türkischen Gesellschaft bestehen, die sich durch die Politik des amtierenden türkischen Präsidenten weiter vertieft und zementiert hat.

Eine der Sollbruchstellen zur oppositionellen Zusammenarbeit bei dieser Wahl bleibt der Umgang mit dem Kurdenkonflikt. Agiert die Opposition in dieser Frage weiterhin zerstritten und uneinig – die Anzeichen deuten daraufhin – wird die in zwei Jahren gemeinsam mit der Parlamentswahl geplante Präsidentschaftswahl höchstwahrscheinlich die eigentlich schon jetzt nicht mehr freie und faire "letzte Wahl" in der Türkei sein.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. ausführlich Zia Weise: Ein Jahr Entdemokratisierung, in: Externer Link: ZEIT Online, 15.07.2017.

  2. Zum Beispiel behauptete Erdoğans Chefberater Yiğit Bulut, dunkle Mächte würden versuchen, Erdoğan per Telekinese umzubringen und die Lufthansa hätte die Gezi Park-Proteste angestachelt, weil sie den Bau des dritten Flughafens in Istanbul als Konkurrenz zum Frankfurter Flughafen fürchte. Erdoğan selbst argumentiert regelmäßig, der Westen würde die türkischen Putschisten von 2016 und Terroristen unterstützen.

  3. Milli Eğitim Bakanı açıkladı; müfredatta 'Cihat' da var, in: Externer Link: T24, 18.07.2017.

  4. Externer Link: PISA 2015.

  5. "Deve sidiği şifadır", in: Externer Link: BirGün, 21.07.2017.

  6. Experten bezweifeln jedoch die offiziellen Wirtschaftszahlen der Türkei, vgl. Lutz Reiche: Zweifel am Boom vom Bosporus, in: Externer Link: Manager Magazin, 12.09.2017.

  7. Gerd Höhler: Trügerisches Wachstum, in: Externer Link: Handelsblatt, 12.06.2017.

  8. Türk milyonerler kaçıyor, in: Externer Link: Ekonomi Dünya Dergisi, 26.02.2017.

  9. Suraj Sharma: Unplugged: Turkey's party city Istanbul falls silent, in: Externer Link: Middle East Eye, 26.06.2017.

  10. AKP İktidarında Çocuk Mahpus Sayısı Yüzde 26 Arttı, in: Externer Link: Bianet, 25.04.2017.

  11. Laut türkischer Frauenorganisation Kadın Cinayetlerini Durduracağız Platformu: www.kadincinayetlerinidurduracagiz.net.

  12. Burak Çopur 2017: 1915-2015: Hundert Jahre ungelöste Armenierfrage in der Türkei, in: Fereidooni, Karim/El, Meral: Rassismuskritik und Widerstandsformen. Wiesbaden: Springer VS, S.229-247.

  13. Süryanilerin bitmeyen hukuk çilesi, in: Externer Link: Taz, 07.07.2017.

  14. Laut Antwort der Zentralbehörde der türkischen Polizei auf Anfrage der CHP-Abgeordneten Gamze Akkuş İlgezdi, vgl. Emniyet'in verilerine göre, 20 milyon silahtan yalnızca 700 bine yakını ruhsatlı!, in: Externer Link: T24, 27.02.2017.

  15. Vgl. dazu auch: Bülent Mumay: Mein Pferd, mein Weib, meine Waffe, in: FAZ, 26.10.2016.

  16. Susanne Güsten: Erdogan-Verwandter baut Miliz in der Türkei auf, in: Externer Link: Kölnische Rundschau, 23.02.2017.

  17. Vgl. ausführlich Burak Çopur: Externer Link: Die Türkei im Nahen Osten - vom Rising Star zum Troublemaker, in: Bundeszentrale für politische Bildung, 22.02.2016.

  18. John Rawls 2002: Das Recht der Völker. Enthält: Nochmals: Die Idee der öffentlichen Vernunft, Berlin: de Gruyter.

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Dr. Burak Çopur ist promovierter Politikwissenschaftler, Türkei-Experte und Migrationsforscher am Institut für Turkistik der Universität Duisburg-Essen. Weitere Informationen zu Publikationen unter Externer Link: www.burak-copur.de.