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Nationalstaatliche Strategien | Mexiko | bpb.de

Mexiko 2015: Aktuelle Entwicklungen Hintergrund Zuwanderung Emigration Irreguläre Migration Staatliche Strategien Herausforderungen Literatur

Nationalstaatliche Strategien

David Fitzgerald

/ 6 Minuten zu lesen

Nach dem mexikanischen Einwohnergesetz von 1974 sind Arbeitsmigranten verpflichtet, den mexikanischen Migrationsbehörden einen vom Konsulat des entsprechenden Ziellandes beglaubigten Arbeitsvertrag vorzulegen und nachzuweisen, dass sie alle Einreisebedingungen des Ziellandes erfüllen.

Die mexikanische Perspektive

Mexikanische Beamte betonen aber, dass sie Ausreisewillige aufgrund des seit 1917 verfassungsmäßig garantierten Ausreiserechts nicht mit Zwangsmitteln aufhalten können, auch wenn dieses Verfassungsrecht nur bedingt gilt und die Regierung in der Vergangenheit teilweise entschieden von der Auswanderung abgeraten hat. Während des "Bracero"-Programms wurden Ausreisewillige kurzzeitig sogar mit Gewalt daran gehindert, ohne Genehmigung das Land zu verlassen.

Der ehemalige Präsident Vicente Fox (2000-2006) machte ein Zuwanderungsabkommen mit den USA zu einem Eckpfeiler seiner Außenpolitik. Im Außenministerium hat ein grundsätzliches Umdenken eingesetzt, weg von der "Strategie der Strategielosigkeit", mit der die mexikanischen Behörden lange Zeit die massive irreguläre Migration über ihre Nordgrenze ignorierten, hin zu einer aktiveren Rolle. Die mexikanische Führung will nicht zulassen, dass noch einmal Gesetze wie das US-Zuwanderungsgesetz (IRCA) von 1986 ohne Beteiligung von mexikanischer Seite zustande kommen. Damals hatte man darauf verzichtet, sich an der Debatte zu beteiligen, aus Furcht, eine Einmischung könnte Interventionen in die mexikanische Politik von Seiten der USA legitimieren.

Bilaterale Treffen von hochrangigen Vertretern im Jahr 2001, darunter ein Treffen der Präsidenten am 7. September 2001 in Washington- D.C., konzentrierten sich auf die Gestaltung eines neuen Programms für befristete Arbeitsaufenthalte, auf eine Anhebung der Visazahlen für Mexikaner und eine Regularisierung für irreguläre Zuwanderer in den USA. Vier Tage später kamen die bilateralen Gespräche mit den Anschlägen vom 11. September 2001 zum Erliegen. Der derzeitige Präsident Felipe Calderón (seit 2006) hat die Erwartungen an ein bilaterales Abkommen im Vergleich zu seinem Vorgänger zwar deutlich heruntergeschraubt, verfolgt aber grundsätzlich ebenfalls das Ziel von geregelten Migrationsströmen.

Die Perspektive der USA

2004 kündigte US-Präsident George W. Bush im Umgang mit der irregulären Zuwanderung einen unilateralen Plan an. Dieser war nicht als Grundlage für ein Abkommen mit Mexiko gedacht, hätte Mexiko aber in besonderem Maße betroffen, da von dort mehr als die Hälfte der irregulär Zugewanderten stammt. Der Bush-Entwurf wurde schließlich zum Comprehensive Immigration Reform Act (Umfassendes Zuwanderungsreformgesetz) ausgearbeitet, scheiterte jedoch im Juni 2007 im Senat.

Die Vorlage hätte den meisten irregulär Zugewanderten den Weg zu einem legalen Aufenthalt geebnet; sie sah erhöhte Ausgaben für Grenzschutz und Arbeitsplatzkontrollen vor sowie ein neues Programm für befristete Arbeitsgenehmigungen. Außerdem sollte ein Punktesystem nach kanadischem Vorbild eingeführt werden, mit dessen Hilfe insbesondere hoch qualifizierte Bewerber bevorzugt hätten ausgewählt werden können.

Innerhalb dieser Parameter haben politische Entscheidungsträger grundsätzliche Fragen an eine umfassende Zuwanderungsreform formuliert:

  • Soll die Reform als unilaterale US-Strategie geplant und durchgeführt werden oder in bilateraler Übereinkunft mit Mexiko? Soll Mexiko im Falle einer unilateralen Strategie genauso behandelt werden wie jede andere Nation oder sollte Mexiko aufgrund der historischen Verbundenheit der beiden Länder und der Mitgliedschaft in der NAFTA besondere Berücksichtigung zuteil werden?

  • Soll irregulär Zugewanderten in den USA der Weg zu einem Aufenthaltsstatus und/oder zur Staatsbürgerschaft geebnet werden? Welche Bedingungen sollten gegebenenfalls hinsichtlich der Aufenthaltsdauer und der Englischkenntnisse gestellt werden, wie hoch sollten die Gebühren sein und sollte eine Ausreise aus den USA Bedingung für die Legalisierung sein?

  • Welche Sanktionen sollen gegen Arbeitgeber verhängt werden, die nicht gemeldete Arbeitskräfte beschäftigen? Mit welchen Datenbanken sollen in Frage kommende Arbeitskräfte identifiziert werden? Welche Strategien zur Durchsetzung können entwickelt werden, durch die Latinos und andere Ausländer mit legalem Aufenthaltsstatus nicht diskriminiert werden?

  • Soll ein neues Programm für befristete Arbeitsgenehmigungen ausgearbeitet werden oder sollen bestehende Programme nur überarbeitet werden? Wie oft sollen befristete Arbeitsvisa verlängert werden können und sollen sie dem Inhaber die Möglichkeit eröffnen, letztlich US-Staatsbürger zu werden? Sollen diese Arbeitsvisa auf andere Arbeitgeber übertragbar sein? Welche Anreize sollten für Migranten geschaffen werden, in ihr Heimatland zurückzukehren? Welche Arbeitnehmerrechte sollen befristeten Arbeitskräften zugestanden werden? Und welche Bestimmungen sollen für die Familienzusammenführung gelten?

  • Welche Grenzschutzmaßnahmen sollen ergriffen werden?

Mexikos Bemühen um die Ausgewanderten

Rücküberweisungen nach Mexiko 1997-2007 (bpb) Lizenz: cc by-nc-nd/2.0/de

In fast allen politischen Lagern Mexikos ist man sich einig, zumindest in der Öffentlichkeit, dass auch im Ausland lebende Mexikaner am politischen Leben in Mexiko teilhaben sollten. In einem Nationalen Entwicklungsplan für die Jahre 1995 bis 2000 erklärte der damalige Präsident Ernesto Zedillo, dass "die mexikanische Nation über die Landesgrenzen hinausreicht". Dadurch sollten keine irredentistischen Ansprüche erhoben werden, sondern auf Mexikaner in den USA – und ihr Vermögen – zugegangen werden. Deren Rücküberweisungen sind von 4,9 Milliarden US-Dollar im Jahr 1997 auf 23,9 Milliarden US-Dollar im Jahr 2007 gestiegen. Damit sind Rücküberweisungen aus dem Ausland nach Mineralöl die zweitwichtigste ausländische Devisenquelle, wenngleich die Wachstumsgeschwindigkeit bei den Rücküberweisungen sich verlangsamt hat. Dies liegt an der zunehmenden dauerhaften Niederlassung und einer 2008 schwächelnden US-Wirtschaft, insbesondere in der Baubranche, in der überproportional viele Mexikaner beschäftigt sind.

Seit 1989 wird mit Hilfe des "Paisano"-Programms der Regierung versucht, Migranten die Rückkehr zu erleichtern, die ihren Urlaub in der Heimat verbringen, indem hart gegen Polizisten vorgegangen wird, die die Rückkehrer erpressen. Mexikanische Konsulate haben begonnen, dem Rechtsschutz von mexikanischen Staatsangehörigen in den USA mehr Aufmerksamkeit zu schenken, insbesondere dem der rund 50 zum Tode verurteilten Mexikaner. Ebenso wird verstärkt auf die Einhaltung der Menschenrechte von irregulären Zuwanderern geachtet.

Die 46 mexikanischen Konsulate in den USA fördern die Ausstellung eines Ausweisdokuments, der matrícula consular, die für irregulär Zugewanderte ohne gültigen mexikanischen Pass von größtem Nutzen ist. In den USA wurde intensiv diskutiert, ob diese matrícula als offizielles Dokument anerkannt werden soll, das es dem Inhaber erlaubt, ein Konto bei einer US-Bank zu eröffnen, Flugtickets zu buchen oder sich gegenüber der Polizei auszuweisen.

1997 hat der Mexikanische Kongress darüber hinaus Staatsangehörige im Ausland dadurch zu integrieren versucht, dass mit einer Verfassungsänderung auch Mexikanern, die sich im Ausland einbürgern lassen, sowie Kindern von Mexikanern, die im Ausland geboren werden, ein Anspruch auf mexikanische Staatsbürgerschaft eingeräumt wurde. Menschen mit doppelter Staatsbürgerschaft können somit auch Grundbesitz entlang der Küste und an der Grenze erwerben, was für Ausländer nur eingeschränkt möglich ist. Streng genommen haben sie allerdings keine wirkliche doppelte Staatsbürgerschaft, da sie beispielsweise nicht an mexikanischen Wahlen teilnehmen dürfen.

Auch im Regierungsprogramm für mexikanische Gemeinden im Ausland (Program for Mexican Communities Abroad, PCME) wurden die Beziehungen zu den Auswanderern institutionalisiert. Seit 1990 knüpft das PCME an die Bemühungen von Migranten und örtlichen Pfarrern an, sich nach den jeweiligen Herkunftsorten in Mexiko zu organisieren, und schafft formelle Verbindungen zwischen diesen Vereinigungen und der mexikanischen Regierung auf der Ebene des Bundes, der Bundesstaaten und der Kommunen. Auf dieser Grundlage können auch Partnerschaftsfonds wie der "Tres por Uno" (3x1) eingerichtet werden, durch welche die Auswanderer und die mexikanische Regierung gemeinsam Projekte zur Entwicklung der Infrastruktur in den jeweiligen Heimatorten finanzieren. 2005 wurden durch das Programm 80 Millionen US-Dollar ausgegeben, von denen ein Viertel direkt von Auswanderern stammte.

Die wichtigsten Auswandererinitiativen überstanden auch den Regierungswechsel im Jahr 2000. Eine der ersten Amtshandlungen des neuen Präsidenten Fox war die Einrichtung eines Präsidialbüros für Gemeinden im Ausland, unter der Leitung von Juan Hernández, einem in Texas geborenen Literaturprofessor mit doppelter Staatsangehörigkeit. Der Kabinettsrang wurde 2002 jedoch nach Auseinandersetzungen mit dem Außenminister Jorge Castañeda über die Frage, wie zwei Ministerien gleichzeitig Außenpolitik betreiben könnten, wieder abgeschafft.

2003 wurde die Institution mit dem PCME zum neuen Institut für Mexikaner im Ausland (IME) zusammengefasst, dessen Beirat 105 mexikanische Gemeindevorsteher, zehn Latino-Organisationen in den USA, zehn spezielle Berater und je einen Repräsentanten aus den 32 Bundesstaaten umfasst.

2006 konnten Mexikaner im Ausland erstmals per Briefwahl an der Präsidentschaftswahl Mexikos teilnehmen. Drei Millionen Mexikaner in den USA waren stimmberechtigt, aber lediglich 57.000 ließen sich registrieren und weniger als 33.000 gaben eine gültige Stimme ab. 85 % von ihnen stimmten für den Kandidaten der amtierenden Nationalen Aktionspartei (PAN).

Fussnoten

Fußnoten

  1. Fitzgerald (erscheint 2008).

  2. Fitzgerald (2005).

  3. Smith (2006).

  4. Fitzgerald (erscheint 2008).

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