Als die Bundesrepublik Deutschland 1949 gegründet wurde, besaß sie keine Streitkräfte. Zu den Kriegszielen der Alliierten gehörte, Deutschland für lange Zeit zu entwaffnen. Auch die Deutschen waren weit davon entfernt, sich so kurz nach dem Krieg wieder deutsche Soldaten zu wünschen. Der Ost-West-Konflikt und die Bedrohung durch die Sowjetunion veränderten die Lage und ließen einen deutschen Verteidigungsbeitrag notwendig erscheinen.
Nachdem die Bundesrepublik 1955 im Deutschlandvertrag die Souveränität wiedererlangt hatte, trat sie der Westeuropäischen Union und der NATO (North Atlantic Treaty Organization) bei und verpflichtete sich, eigene Streitkräfte aufzustellen.
Rechtsgrundlagen
Artikel 87a
(1) Der Bund stellt Streitkräfte zurVerteidigung auf. Ihre zahlenmäßige Stärke und die Grundzüge ihrer Organisation müssen sich aus dem Haushaltsplan ergeben.
(2) Außer zur Verteidigung dürfen die Streitkräfte nur eingesetzt werden, soweit dieses Grundgesetz es ausdrücklich zuläßt.
Das Grundgesetz hatte in der vom Parlamentarischen Rat verabschiedeten Fassung in Art. 26 Abs. 1 die Vorbereitung eines Angriffskrieges verboten. Der 1956 neu eingefügte Art. 87a erlaubt die Aufstellung von Streitkräften zur Verteidigung gegen einen bewaffneten Angriff auf das Bundesgebiet. In Verbindung mit den Art. 12a, Art. 73 Ziffer 1 und Art. 115b ist diese Verfassungsbestimmung Grundlage der so genannten Wehrverfassung, durch die die Grundentscheidung zur bewaffneten Landesverteidigung getroffen wurde.
Im Innern darf die Bundeswehr nur im Fall eines außergewöhnlichen Notstandes eingesetzt werden, der in der "Notstandsgesetzgebung" von 1968 genau definiert worden ist:
bei einer Naturkatastrophe oder einem besonders schweren Unglücksfall (Art. 35 Abs. 2 und 3 GG),
im Verteidigungs- oder im Spannungsfall zum Schutz ziviler Objekte (Art. 87a Abs. 3 GG),
zur Abwehr von Gefahren für den Bestand des Staates oder die freiheitliche demokratische Grundordnung, beim Schutz von zivilen Objekten und bei der Bekämpfung organisierter und bewaffneter Aufständischer (Art. 87a Abs. 4 GG).
Politische Führung und parlamentarische Kontrolle
Die Bundeswehr ist Teil der Exekutive des Bundes und untersteht ziviler Führung: Die Befehls- und Kommandogewalt liegt im Frieden beim Bundesminister der Verteidigung (Art. 65a GG); im Verteidigungsfall geht sie auf den Bundeskanzler über (Art. 115b GG).
Die parlamentarische Kontrolle übt der Bundestag aus durch:
das Budgetrecht (Art. 87a Abs. 1 GG); Stärke und Organisation sind im Haushaltsplan festgelegt;
den Verteidigungsausschuss (Art. 45a GG), der als ständiger Ausschuss im Grundgesetz vorgeschrieben ist und zugleich die Rechte eines Untersuchungsausschusses hat;
den Wehrbeauftragten (Art. 45 b GG).
Auftrag und Stärke
Auftrag der Bundeswehr ist es, zusammen mit den Verbündeten einen bewaffneten Angriff auf die Bundesrepublik Deutschland abzuwehren. Bis 1989 war die Bundeswehr im Rahmen der NATO auf die Abschreckung und notfalls Abwehr einer groß angelegten Aggression der Warschauer-Pakt-Staaten festgelegt. Nach der Auflösung des Warschauer Paktes und dem Zerfall der Sowjetunion ist eine solche Aggression extrem unwahrscheinlich
Zu Beginn des 21. Jahrhunderts muss der Auftrag der Bundeswehr der veränderten sicherheitspolitischen Lage angepasst werden. Die Bundeswehr sollte auch in Zukunft fähig sein, das deutsche Territorium zu verteidigen, doch steht die klassische Landesverteidigung nicht mehr an erster Stelle ihrer Aufgaben. Im Zusammenwirken mit den Verbündeten muss die Bundeswehr weltweit auf Krisen und Konflikte angemessen reagieren.
Gemäß Weißbuch zur Sicherheitspolitik Deutschlands und zur Zukunft der Bundeswehr, 2006 vom Verteidigungsministerium herausgegeben, hat die Bundeswehr den Auftrag,
die außenpolitische Handlungsfähigkeit zu sichern,
einen Beitrag zur Stabilität im europäischen und globalen Rahmen zu leisten,
die nationale Sicherheit und Verteidigung zu gewährleisten,
zur Verteidigung der Verbündeten beizutragen und
die multinationale Zusammenarbeit und Integration zu fördern.
Aus diesem Auftrag leiten sich die Aufgaben der Bundeswehr ab:
Internationale Konfliktverhütung und Krisenbewältigung, einschließlich des Kampfes gegen den internationalen Terrorismus,
Unterstützung von Bündnispartnern,
Schutz Deutschlands und seiner Bürgerinnen und Bürger,
Rettung und Evakuierung,
Partnerschaft und Kooperation,
Hilfeleistungen (Amtshilfe, Naturkatastrophen, besonders schwere Unfälle).
Die verfassungsrechtliche Zulässigkeit des Einsatzes der Bundeswehr nach Art. 24 Abs. 2 GG (so innerhalb von NATO- oder UN-Mandaten) hat das Bundesverfassungsgericht am 12. Juli 1994 geklärt. Dieses Urteil enthält auch den Parlamentsvorbehalt für den Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte im Ausland. Zu Beginn des Jahres 2009 standen nennenswerte Kontingente deutscher Soldaten in Bosnien-Herzegowina, im Kosovo, in Afghanistan und im Sudan, Schiffe der Bundeswehr kreuzen mit unterschiedlichen Aufträgen im Mittelmeer und im Arabischen Meer.
Die Bundeswehr sollte ursprünglich 500.000 Soldaten umfassen. Diese Stärke hat sie nie erreicht, 1989 waren es 480.000 Mann. 2008 dienten in der Bundeswehr 245.000 Soldatinnen und Soldaten. Die Bundeswehr befindet sich gegenwärtig in einem Prozess der Transformation. Schwerpunkt ist die Fähigkeit zu multinationalen Einsätzen zur Konfliktverhütung und Krisenbewältigung. Bis zum Jahr 2010 soll die neue Struktur stehen. Es werden drei Arten von Streitkräften geschaffen: Eingreifkräfte für multinationale kurze Operationen zur Friedenserzwingung (35.000 Soldaten), Stabilisierungskräfte für längere Operationen zur Friedensstabilisierung (70.000 Soldaten), Unterstützungskräfte zur Unterstützung der Eingreif- und Stabilisierungskräfte und für den "Grundbetrieb" der Bundeswehr einschließlich der Ausbildung (145.000 Soldaten).
Wehrpflicht
Artikel 12a
(1) Männer können vom vollendetenachtzehnten Lebensjahr an zum Dienst in den Streitkräften, im Bundesgrenzschutz oder in einem Zivilschutzverband verpflichtet werden.
Die Bundeswehr ist eine Wehrpflichtarmee. Die allgemeine Wehrpflicht wurde 1956 eingeführt. Der Bundestag hat sich, der demokratischen Tradition folgend, die auf die Französische Revolution zurückgeht, für die Wehrpflicht und gegen eine Berufsarmee entschieden. Wehrpflichtig sind alle Männer vom 18. bis zum 45. Lebensjahr, im Verteidigungsfall bis zum 60. Lebensjahr. Seit 2001 können Frauen in allen Einheiten der Streitkräfte Dienst tun. Die Dauer des Wehrdienstes beträgt seit 2002 neun Monate. Nach Ableistung können die Wehrpflichtigen zu Wehrübungen einberufen werden. Die Wehrpflicht kann auch durch den Dienst im Bundesgrenzschutz abgeleistet werden. Zivilschutzverbände sind bislang nicht aufgestellt worden.
Staatsbürger in Uniform
Die Bundeswehr ist Bestandteil einer demokratischen Gesellschaft. Der Dienst in der Bundeswehr wird bestimmt durch die Grundsätze der Inneren Führung. Ihr liegt das Leitbild des Staatsbürgers in Uniform zugrunde. Der Soldat soll als verantwortungsbewusster Staatsbürger seine Pflichten aus innerer Überzeugung erfüllen. Voraussetzung dafür ist, dass seine Menschenwürde geachtet wird und seine Freiheit und seine staatsbürgerlichen Rechte nur insoweit eingeschränkt werden, als der militärische Auftrag es erfordert. Soldaten haben daher das aktive und das passive Wahlrecht und die Koalitionsfreiheit, das heißt das Recht, sich zur Vertretung ihrer Interessen und Belange zusammenzuschließen.
Eine Bewährungsprobe haben die Bundeswehr und die Innere Führung bestanden, als nach der Wiedervereinigung die Nationale Volksarmee (NVA) der DDR aufgelöst und neue Bundeswehrtruppenteile aus Angehörigen der Bundeswehr und der ehemaligen NVA aufgestellt wurden. Fast 11.000 Offiziere und Unteroffiziere der NVA wurden in die Bundeswehr übernommen und mit den Grundsätzen der Inneren Führung vertraut gemacht. Die Bundeswehrsoldaten, die mit der Zusammenfügung zweier bis dahin feindlichen Armeen beauftragt waren, haben diese organisatorisch und vor allem menschlich ungewöhnlich schwierige Aufgabe mit Takt und Einfühlungsvermögen gelöst und damit einen wichtigen Beitrag zur inneren Einheit geleistet. Dasselbe gilt für die Soldaten der ehemaligen NVA, die sich in ein völlig fremdes System einfügen mussten.
Kriegsdienstverweigerung/Zivildienst
Artikel 4
(3) Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz.
Artikel 12a
(2) Wer aus Gewissensgründen den Kriegsdienst mit der Waffe verweigert, kann zu einem Ersatzdienst verpflichtet werden. Die Dauer des Ersatzdienstes darf die Dauer des Wehrdienstes nicht übersteigen. Das Nähere regelt ein Gesetz, das die Freiheit der Gewissensentscheidung nicht beeinträchtigen darf und auch eine Möglichkeit des Ersatzdienstes vorsehen muß, die in keinem Zusammenhang mit den Verbänden der Streitkräfte und des Bundesgrenzschutzes steht.
Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland sieht kein Wahlrecht zwischen Wehr- und Zivildienst vor. Nur derjenige, der als Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen anerkannt ist, kann Zivildienst leisten. Das Verfahren der Überprüfung der Gewissensentscheidung wurde im Laufe der Zeit mehrfach geändert. Seit 1984 gilt die gesetzliche Regelung, dass das Bundesamt für den Zivildienst über den Antrag auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer entscheidet.
Kriegsdienstverweigerer leisten einen zivilen Ersatzdienst (Zivildienst). Seine Dauer betrug 1995 15 Monate, ein Viertel länger als der Wehrdienst. Diese Regelung war umstritten. Das Bundesverfassungsgericht hatte entschieden, dass die längere Dauer zulässig ist, weil der Wehrdienst auch Wehrübungen und die Verfügungsbereitschaft umfasst. Seit 1. Oktober 2004 beträgt der Zivildienst wie der Wehrdienst neun Monate.
Aus: Pötzsch, Horst: Die Deutsche Demokratie. 5. überarbeitete und aktualisierte Auflage, Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung 2009, S. 126-129.