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Verschwörungsideologischer Souveränismus von „Reichsbürgern“ | Rechtsextremismus | bpb.de

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Verschwörungsideologischer Souveränismus von „Reichsbürgern“

Jan Rathje

/ 6 Minuten zu lesen

Die Bundesrepublik: illegitim. Das Deutsche Reich: existiert noch. „Reichsbürger“ lehnen alles ab, was mit dem nicht akzeptierten Staat zu tun hat, statten sich mit eigenen Personalpapieren aus oder gründen gar Scheinstaaten. Zwar ist nicht jeder „Reichsbürger“ gleich ein Neonazi. Doch es existiert eine gefährliche Verbindung zwischen Reichsideologie und Rechtsextremismus. Morddrohungen sowie Sprengstoff- und Waffenfunde zeigen die Gewaltbereitschaft dieser besonderen verschwörungsideologischen Szene.

Ein Bajonett mit einem eingearbeiteten Hakenkreuz und zwei Äxte, die bei einem Polizeieinsatz bei einem mutmaßlichen Reichsbürger sichergestellt wurden, liegen mit anderen Beweismitteln auf einem Tisch im Polizeipräsidium Heilbronn. (© picture alliance/dpa | Christoph Schmidt)

Mit dem Begriff „Reichsbürger“ werden im allgemeinen Verständnis Menschen bezeichnet, die die Legitimität und Souveränität der Bundesrepublik Deutschland ablehnen, weil sie davon überzeugt sind, dass das Deutsche Reich fortbestehe. Einige bilden „Reichsregierungen“ mit den dazugehörigen Ämtern. Dies geht nach derzeitigem Erkenntnisstand auf Wolfgang Ebel zurück, der in der komplizierten rechtlichen Situation des seinerzeit geteilten Berlins als Westberliner für das Ostberliner Unternehmen Deutsche Reichsbahn tätig war.

Nachdem ihm Anfang der 1980er-Jahre gekündigt worden war, führte er mehrere Prozesse, in deren Verlauf er bei juristischen Auseinandersetzungen mit der Bundesrepublik „Reichsbürger“-Handlungsstrategien entwickelte, die später von anderen übernommen und erweitert wurden: die Bildung von „Reichsregierungen“, Fortbildungen und Verkauf von „Reichs“-Dokumenten sowie das Versenden von Drohschreiben an Bedienstete der Bundesrepublik Deutschland. Ebel griff allerdings auch einige Behauptungen um die Handlungsunfähigkeit des Deutschen Reichs auf, die zuvor bereits unter Rechtsextremen geteilt wurden.

Vier Submilieus des verschwörungsideologischen Souveränismus

Das Milieu von „Reichsbürgern“ umfasst auch Gruppen und Individuen, die sich weniger bis gar nicht auf ein historisches Deutsches Reich beziehen. Dieses Milieu lässt sich idealtypisch in vier Submilieus unterteilen:

  1. traditionell organisierte Rechtsextreme seit 1945,

  2. „Reichsbürger“ in der Tradition Ebels,

  3. Individual-, Gruppen und sezessionistische Souveränist:innen

  4. „neurechte“ Souveränist:innen

Die vier Submilieus eint eine Ideologie, die als „verschwörungsideologischer Souveränismus“ bezeichnet werden kann. Er zielt darauf ab, individuelle oder Volkssouveränität sowie eine damit verbundene, als natürlich begriffene Ordnung gegen die herrschende gesellschaftliche und politische Ordnung (wieder)herstellen zu wollen, die als Mittel einer globalen Verschwörung mit dem Ziel der Vernichtung der Eigengruppe identifiziert wird. Während das Phänomen „Reichsbürger“ auf Deutschland und Österreich begrenzt zu sein scheint, lässt sich verschwörungsideologischer Souveränismus auch in anderen Staaten feststellen.

Traditionell organisierte Rechtsextreme seit 1945

Traditionell organisierte Rechtsextreme verfolgen seit der deutschen Niederlage im Zweiten Weltkrieg das Ziel der Wiederherstellung der Handlungsfähigkeit des Deutschen Reichs in den von ihnen gegründeten Parteien und Organisationen. Dazu gehör(t)en etwa die Sozialistische Reichspartei (SRP; 1949 bis zum Verbot 1952), die NPD und Organisationen wie das Deutsche Kolleg um Horst Mahler und andere. Einige Mitglieder dieses Submilieus bezeichnen sich selbst als „Reichsbürger“. Verschwörungsideologischer Souveränismus steht in Deutschland aus diesem Grund in einer rechtsextremen Tradition, die auch weiterhin aktualisiert wird. Rechtsextreme haben in ihrem Kampf gegen die Bundesrepublik Deutschland für die Wiederherstellung des Deutschen Reichs eine Vielzahl von Behauptungen propagiert, die von nachfolgenden Submilieus aufgegriffen wurden.

Dazu gehören etwa der Verweis auf einen fehlenden Friedensvertrag zwischen Deutschland und den Alliierten, um den angeblich andauernden Krieg gegen das Deutsche Reich und die Deutschen zu beenden, sowie die Behauptung, ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1973 zur Teilidentität der Bundesrepublik mit dem Deutschen Reich beweise, dass das Deutsche Reich weiterbestehe. Offener Antisemitismus und besonders Holocaust-Leugnung bilden in diesem Submilieu seit Jahrzehnten ein zentrales Element.

„Reichsbürger“ in der Tradition Wolfgang Ebels

„Reichsbürger“ in der Tradition Wolfgang Ebels waren und sind nach aktuellem Erkenntnisstand mehrheitlich nicht in traditionell organisierten rechtsextremen Zusammenhängen aktiv, sondern bilden eigene Strukturen und Organisationen. Im Gegensatz zu ersterem Submilieu glauben sie die Handlungsfähigkeit eines Deutschen Reichs durch die Bildung von „Reichsregierungen“ und Ähnlichem wiederhergestellt zu haben. Führungspersonen wie etwa Ebel sind im Gegensatz zu den rechtsextremen „Reichsbürgern“ wie etwa Manfred Roeder und Horst Mahler keine Juristen oder Fachkundigen. Zum rechtsextremen „Reichsbürger“-Submilieu bestehen positive und negative Verbindungen. Neben und gegen Ebel bildeten sich im Laufe der Jahrzehnte andere „Regierungen“.

Individual- , Gruppen und sezessionistische Souveränist:innen

Souveränist:innen dieses Submilieus glauben, sich auf verschiedene Arten von der Bundesrepublik lossagen zu können, um sich individuell oder ihre Gruppe auf einem bestimmten Territorium für souverän zu erklären. Dies kann Scheinstaaten, wie etwa das „Königreich Deutschland“, aber auch Grundstücke und (Miet-)Wohnungen und/oder einen beweglichen Raum um die Person herum betreffen. Ab der Jahrtausendwende lassen sich Aktivitäten dieses Submilieus nachweisen. Dieses Submilieu war und ist nicht immer klar von den ebelschen „Reichsbürgern“ abzugrenzen. Ein wesentlicher Unterschied ist jedoch, dass diese Souveränist:innen sich nicht notwendigerweise auf ein Deutsches Reich beziehen, obwohl einige Behauptungen und Handlungsformen von „Reichsbürgern“ übernommen werden. Darüber hinaus lassen sich Einflüsse von verschwörungsideologischen Souveränist:innen aus anderen Staaten, etwa der „Sovereign Citizens“ in den USA, nachweisen.

„Neurechte“ Souveränist:innen

„Neurechte“ Souveränist:innen bilden ein Scharnier zwischen rechtsextremen, reaktionären sowie anderen souveränistischen und verschwörungsideologischen Milieus. Sie beziehen sich weniger auf die Wiederherstellung eines historischen Deutsches Reichs – wie es andere Rechtsextreme und „Reichsbürger“ in der Tradition Ebels tun –, sondern adressieren zumeist die vermeintlich fehlende Souveränität eines Deutschlands, das mit dem Territorium der Bundesrepublik nicht identisch sein muss. Darüber hinaus existieren auch „neurechte“ Vorstellungen von einem zukünftig zu errichtenden Reich als Heilsort der Deutschen, Vorstellungen, die teilweise Anleihen historischer Reiche aufnehmen.

„Reichsbürger“, QAnon und „Querdenken“-Bewegung

Eine bedeutsame Wandlung innerhalb des verschwörungsideologischen Souveränismus ereignete sich ab dem Jahr 2019, kurz vor dem Ausbruch der COVID-19-Pandemie. Einzelne „Reichsbürger“ und sezessionistische Souveränist:innen begannen, die aus den USA stammende Verschwörungsideologie QAnon in ihre eigene zu integrieren. Bei QAnon handelt es sich um eine 2017 in den USA online entstandene Verschwörungsideologie, derzufolge der ehemalige US-Präsident Donald Trump einen zum Teil geheimen Kampf gegen pädophile Satanist:innen führe, um die göttliche Ordnung der Welt wiederherzustellen. „Reichsbürger“ und andere Souveränist:innen haben Trump auch als ihren Erlöser akzeptiert, der sie nach eigener Auffassung von der Verschwörung der BRD befreien werde.

Während der Pandemie waren „Reichsbürger“ und Souveränist:innen Teil der verschwörungsideologischen „Querdenken “-Bewegung. Souveränist:innen nutzen größere Proteste, um Anhänger:innen zu gewinnen, und in der Hoffnung, ihre Ziele – etwa die Überwindung von Bundesrepublik und Grundgesetz – im Rahmen der Proteste zu verwirklichen. Zentrale souveränistische Individuen begleiteten die Proteste und standen selbst auf deren Bühnen. Ihre Forderungen nach einem Friedensvertrag oder einer gegen das Grundgesetz gerichteten „Verfassungsgebenden Versammlung“ wurden von führenden Organisatoren der neuen Bewegung aufgegriffen. Die Verbundenheit von „Querdenken“, QAnon, „Reichsbürgern“ und Souveränist:innen zeigte sich auch bei der Besetzung der Treppen des Berliner Reichstagsgebäudes am 29. August 2020. Sie ging auf den Aufruf einer Souveränistin zurück, die auf einer „Reichsbürger“-Bühne QAnon-Erzählungen verbreitete. Auch wenn nicht alle „Reichsbürger“ QAnon akzeptieren, hat die Verbindung dem Milieu ermöglicht, weitere Menschen mit ihrer Propaganda zu erreichen.

Bedeutung für die Bundesrepublik

Verschwörungsideologischer Souveränismus stellt für die Bundesrepublik Deutschland eine Herausforderung dar, da eine Radikalisierung innerhalb des Milieus zu Gewalttaten führen kann. Im Jahr 2016 kam es zwei Mal zu Schusswechseln zwischen Souveränisten und der Polizei, bei denen mehrere Menschen verletzt und ein Polizist getötet wurde. Immer wieder kommt es zu Angriffen auf Beamt:innen und staatliche Angestellte, die etwa im Besitz befindliche Waffen beschlagnahmen oder Zwangsvollstreckungen umsetzen sollen. Darüber hinaus horten Souveränist:innen Waffen und bereiten sich auf einen apokalyptischen „Tag X“ vor, an dem sie planen, mit ihren mutmaßlichen Feind:innen und Verräter:innen abzurechnen. Dieses Denken kann durch die Krise der COVID-19-Pandemie noch befördert werden. Das Bundesamt für Verfassungsschutz registriert seit Beginn der Erfassung 2017 steigende Mitgliederzahlen des souveränistischen Milieus (siehe Grafik). Insgesamt zählt das Bundesamt für das Jahr 2020 20.000 (2019: 19.000) Personen zum Milieu, wovon 550 (2019: 530) Inhaber:innen einer waffenrechtlichen Erlaubnis waren. Trotz teilweise skurril anmutender Auftritte einiger „Reichsbürger“ handelt es sich um eine Ideologie, die in Radikalisierungsprozessen zu Rechtsextremismus, Antisemitismus und Gewalt führen kann.

Jan Rathje ist Politikwissenschaftler mit den Schwerpunkten Rechtsextremismus und Politische Theorie. Für die Amadeu-Antonio-Stiftung hat er 2014 die Broschüre "‘Wir sind wieder da‘. Die ‘Reichsbürger‘: Überzeugungen, Gefahren und Handlungsstrategien" verfasst.