Antworten auf diese Fragen, die ja die Legitimation des Paradigmenwechsels – weg von der solidarischen und umlagefinanzierten Rente und ein Stück weit hin zu privaten, kapitalmarktabhängigen Vorsorgesystemen – zentral berühren, lassen sich indes nur begrenzt finden, da der Datenbestand über die Riester-Rente sehr unbefriedigend ist. Von der Zulagenstelle für Altersvermögen liegen nur (wenig aktuelle) Angaben über die Zahl der Sparer und die Zulagenhöhe vor. Repräsentative und detaillierte Daten zur Struktur der Geförderten sind nur über (ausreichend große) Umfragen erhältlich, wie über das Sozio-ökonomische Panel SOEP
Eine umfassende Evaluation der Riester-Rente hat die Bundesregierung bislang nicht vorgelegt. Was im Bereich der Arbeitsmarktpolitik selbstverständlich ist, nämlich die empirische Überprüfung von Reformvorhaben und ihren Auswirkungen, ist und bleibt in der Alterssicherungspolitik insoweit ein Fremdwort.
Hinzu kommt, dass eine wirkliche Bilanz erst dann gezogen werden kann, wenn eine ausreichend hohe Anzahl von RentnerInnen neben der gesetzlichen eine Riester-Rente erhält. Das wird aber erst in Jahren der Fall sein. Derzeit befindet sich die weit überwiegende Zahl der Geförderten noch in der Beitrags- bzw. Ansparphase; die Anspruchs- und Auszahlungsphase wird erst sehr viel später erreicht.
Gänzlich unbekannt ist auch, welche Personen/Arbeitnehmer neben oder statt der Riester-Rente im Rahmen einer betrieblichen Altersversorgung – gefördert vor allem durch die Entgeltumwandlung – ein zweites Standbein der Alterssicherung aufweisen. Schließlich gibt es keine zuverlässigen Informationen darüber, ob die geförderte private Altersvorsorge tatsächlich zusätzlich erfolgt oder ob und in welchem Maße es sich um Mitnahmeeffekte handelt, indem eine bisher schon praktizierte, aber nicht geförderte anderweitige Vorsorge auf die geförderte Vorsorge umgeschichtet worden ist.
Für eine Beurteilung und Bewertung der Leistungsfähigkeit der Riester-Rente kommt es auf mehrere Faktoren an:
Wie viele Personen sind (unmittelbar und mittelbar) überhaupt anspruchsberechtigt?
Wie viele Personen haben Verträge abgeschlossen und bedienen diese auch kontinuierlich? Wie viele Verträge ruhen oder sind ausgelaufen/gekündigt?
Wie sehen die Verträge aus, welche Risiken (auch das Risiko der Erwerbsminderung) werden abgedeckt?
Wie groß ist die Gruppe derer, die von der Möglichkeit Gebrauch macht, sich 30 Prozent der Versicherungssumme beim Renteneintritt auszahlen zu lassen?
Wird der erforderliche Eigenbeitrag tatsächlich geleistet und der Einkommensentwicklung angepasst?
Werden die Zulagen tatsächlich beantragt, müssen Zulagen wegen nicht geleisteter Eigenbeiträge zurück erstattet werden?
Welche Personengruppe nutzt die Zulagenförderung – unter Berücksichtigung des Geschlechts, der Kinderzahl, des Arbeitsverhältnisses, des Alters und vor allem des Einkommens (Individual- und Haushaltseinkommen)?
Welche Renditen weisen die Verträge auf? Mit welcher Realverzinsung (Berücksichtigung der Preissteigerungen) der eingezahlten Beiträge (Eigenbeiträge und Zulagen) kann nach Abzug der Verwaltungs- und Abschlusskosten gerechnet werden?
Wie steht es um die Leistungsanpassung in den Jahren und Jahrzehnten nach Rentenbeginn nach Maßgabe der Inflations- und Einkommensentwicklung?
Die meisten dieser Fragen können (noch) gar nicht oder nur vorläufig beantwortet werden. Nicht umsonst empfiehlt der Sozialbeirat der Bundesregierung, eine säulenübergreifende Altersvorsorgeinformation aufzubauen,
QuellentextDeutscher Bundestag 2017
"Spätestens mit den Rentenreformen nach der Jahrtausendwende hat der Gesetzgeber deutlich gemacht, dass er bei der Alterssicherung auf drei Säulen setzt. Umso wichtiger ist es, dass möglichst alle Bürgerinnen und Bürger einen Überblick über ihre in den einzelnen Säulen bestehenden Versorgungsanwartschaften haben, wie dies z. B. in Schweden grundsätzlich der Fall ist. Möglichst gute Informationen sind eine notwendige, wenn auch nicht hinreichende Bedingung, um für das Alter planvoll vorsorgen zu können. Zwar informieren schon heute die meisten Versorgungsträger die Berechtigten über ihre im Risikofall zu erwartenden Ansprüche. Allerdings sind diese Informationen nicht immer hinreichend verständlich und auch nicht so aufeinander abgestimmt, dass die einzelnen Versorgungsanwartschaften miteinander verglichen und zu einem Gesamtbild zusammengefügt werden können. Bürgerinnen und Bürger sollten daher künftig eine individuelle Übersicht über ihre Ansprüche aus allen Systemen der Altersvorsorge erhalten."
Deutscher Bundestag 2017: Bundestagsdrucksache 19/140, S. 87.
Geförderte private Altersvorsorge (Riester-Verträge) 2001 - 2018 (Interner Link: Grafik zum Download) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/
Geförderte private Altersvorsorge (Riester-Verträge) 2001 - 2018 (Interner Link: Grafik zum Download) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/
Riester-Verträge
Nach Angaben des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales sind bis Mitte 2018 rund 16,6 Mio. (zertifizierte) Verträge abgeschlossen worden (vgl. Abbildung "Geförderte private Altersvorsorge (Riester-Verträge) 2001 – 2018"), wobei eine Person auch mehrere Verträge aufweisen kann und die zwischenzeitlichen Kündigungen von Verträgen nicht exakt erfasst sind. Bei der Mehrzahl der Verträge (66 %) handelt es sich um geförderte (Lebens)Versicherungsverträge. Demgegenüber haben Banksparverträge (4,4 %), Investmentfondsverträge (19,5 %) und die sog. Wohn-Riester Verträge (10,7%) eine geringere Bedeutung.
Die Daten lassen bis 2012 einen starken Anstieg der geförderten privaten Altersvorsorge erkennen. Danach flacht der Boom merklich ab, und seit 2013 bleibt die Zahl der Verträge nahezu unverändert − obgleich die Zahl der Erwerbstätigen und auch der prinzipiell Leistungsberechtigten deutlich angestiegen ist.
Mitte 2018 ist jeder fünfte (20 %) der 16,6 Millionen Verträge ruhend gestellt. Es werden also weder Beiträge einbezahlt, noch die staatlichen Zulagen bezogen. Ende 2011 betraf dies 15 Prozent der Verträge.
Nach wie vor hat aber – trotz aller anfänglichen Dynamik in den Verbreitungsquoten – eine deutliche Mehrheit der Anspruchsberechtigten keine Riester-Verträge abgeschlossen. Zudem flacht der "Riester-Boom" merklich ab und ist mittlerweile rückläufig. Auch wenn bei einer freiwilligen Regelung keine Verbreitungsquote von 100 Prozent erwartet werden kann, weil z. B. die Arbeitnehmer im rentennahen Alter oder die Beschäftigten mit einer als ausreichend angesehen betrieblichen Altersversorgung auf das Riestern verzichten, so zeigen die Daten doch, dass der Ansatz des Paradigmenwechsels in der Alterssicherung, nämlich die private Vorsorge als einen flächendeckenden Ersatz für die sinkenden Leistungen der Rentenversicherung vorzusehen, nicht erreicht worden ist.
Zulagenempfänger und Zulagenkonten
Die Zahl der Zulagenempfänger ist geringer als die Zahl der Verträge. Dabei ist zu berücksichtigen, dass eine Person mehrere Verträge abschließen kann. Die Statistik (vgl. Tabelle "Zulagenempfänger 2002-2014") weist für das Jahr 2008 gut 9,3 Mio. Personen aus, davon überproportional viele Frauen. Der starke Anstieg gegenüber 2002 ist aber ebenfalls zum Stillstand gekommen. 2014 lag die Zahl der Zulagenempfänger bei etwa 10,9 Millionen Personen.