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Der Fortschritt als Schnecke | Rentenpolitik | bpb.de

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Der Fortschritt als Schnecke

Gerhard Bäcker Ernst Kistler

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Der Abstand zwischen den durchschnittlichen Versichertenrenten von Männern und Frauen ist in den letzten Jahren gesunken. Eine Angleichung ist noch lange nicht in Sicht. Vor allem die anhaltenden Entlohnungsunterschiede zwischen Männern verhindern dies. Hinzu kommt, dass immer mehr Frauen eine Teilzeitarbeit ausüben.

Garten-Schnirkelschnecke auf der Blüte eines Rainfarns. Der Abstand zwischen den durchschnittlichen Versichertenrenten von Männern und Frauen ist in den letzten Jahren gesunken, eine Angleichung ist jedoch noch lange nicht in Sicht. (© picture-alliance, blickwinkel)

Frauenerwerbstätigenquoten in den alten und neuen Bundesländern 1991 und 2017 (Interner Link: Grafik zum Download) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/

Die deutsche Gesellschaft ist durch einen anhaltenden sozialen Wandel geprägt, der sich vor allem in einer Veränderung der Geschlechterrollen sowie der privaten Lebensformen niederschlägt. Die Trends sind bekannt: Steigende Erwerbstätigkeit und Bildungsbeteiligung von Frauen und deren Wunsch nach einer unabhängigen und eigenständigen Lebensführung auf der einen Seite − niedrige Geburtenziffern, späte Heirat, gestiegenen Scheidungszahlen und Tendenzen zur Wiederheirat sowie zu nicht-ehelichen Lebensformen auf der anderen Seite. Die Erwerbsbeteiligung von Frauen erhöht sich von Kohorte zu Kohorte und die familienbedingten Erwerbsunterbrechungen werden kürzer und seltener. Die noch unmittelbar nach der Wiedervereinigung unterschiedlichen Erwerbstätigenquoten der Frauen in West- und Ostdeutschland haben sich weitgehend eingeebnet (vgl. Abbildung "Frauenerwerbstätigenquoten in den alten und neuen Bundesländern, 1991 und 2017"). Die lebenslange sog. "Nur-Familienhausfrau" ist auch in den alten Bundesländern zu einer seltenen Ausnahme geworden.

Deshalb ist zu erwarten, dass die nachfolgenden Frauengenerationen im Durchschnitt längere Versicherungsverläufe aufweisen, auch begünstigt durch die additive Anrechnung von Kindererziehungs- und Pflegezeiten, und die in den Rentenbezug nachrückenden Jahrgänge jeweils durchschnittlich höhere Renten erhalten werden. Allerdings: Eine Anpassung an die Männerrenten ist nicht in Sicht. Denn für berufstätige Frauen hat sich an der traditionellen geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung nur wenig verändert, nach wie vor beteiligen sich die Männer lediglich nachrangig an der Haus-, Pflege- und Erziehungsarbeit. Die Erwerbstätigkeit von verheirateten Frauen und Müttern in Deutschland (und hier vornehmlich in den alten Bundesländern) beruht zu großen Teilen auf Teilzeitarbeit, um über diesen Weg Familie und Beruf zu vereinbaren (vgl. Bundesregierung 2013; Klammer 2012).

Teilzeitquote insgesamt und nach Geschlecht 2000 - 2017 (Interner Link: Grafik zum Download) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/

Zwischen 2000 und 2016 ist die Frauenerwerbstätigenquote in den alten Bundesländern von 57,7 Prozent auf 70,3 Prozent angestiegen, dies aber weit überwiegend durch Teilzeitbeschäftigung (+ 2,8 Mio.). Das Arbeitsvolumen von Frauen (Produkt aus Beschäftigtenzahl und durchschnittlicher Jahresarbeitszeit) ist deshalb kaum gestiegen. Es ist also zu einer Umverteilung von Arbeitsverhältnissen innerhalb der Frauen gekommen: In früheren Jahren waren weniger Frauen, diese aber mit durchschnittlich längeren Arbeitszeiten erwerbstätig, heute sind die Arbeitszeiten innerhalb der Gruppe der Frauen sehr unterschiedlich und im Durchschnitt kürzer.

Die Teilzeitbeschäftigung von Frauen umfasst 2017 nahezu die Hälfte der erwerbstätigen Frauen (vgl. Abbildung "Teilzeitquoten nach Geschlecht, 2000-2017").

Abhängig erwerbstätige Frauen nach normalerweise geleisteter wöchentl. Arbeitszeit 2005 - 2016 (Interner Link: Grafik zum Download) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/

Entsprechend rücklaufend entwickeln sich die durchschnittlichen Arbeitszeiten. Der Anteil der Frauen, die weniger als 32 Stunden in der Woche arbeiten, ist zwischen 2005 und 2016 von 45,5 Prozent auf 46,1 Prozent gestiegen (vgl. Abbildung "Abhängig erwerbstätige Frauen nach geleisteter wöchentlicher Arbeitszeit 2005 −2016").

Dazu trägt auch die Ausweitung der Minijobs bei (vgl. Abbildung "Beschäftigte in Mini-Jobs 2003-2017").

Beschäftigte in Mini-Jobs 2003 - 2017 (Interner Link: Grafik zum Download) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/

Diese Trends sind auch eine Folge der immer noch unzureichenden Kinderbetreuungsangebote – vor allem für Kleinkinder. Zugleich werden im Steuer- und Sozialrecht monetäre Anreize gesetzt, dass (Ehe)Frauen auf dem Arbeitsmarkt eine "Zuverdienerinnenrolle" einnehmen. Zu nennen sind vor allem die Auswirkungen des Ehegattensteuersplittings, der kostenfreien Mitversicherung in der Krankenversicherung sowie der Beitrags- und Steuerfreiheit der Minijobs.

Berechnungen im Rahmen der Studie Altersvorsorge in Deutschland (AVID) zeigen insofern eine nur leicht positive Entwicklungstendenz der Rentenanwartschaften von Frauen in Westdeutschland für die jeweils nachfolgenden Kohorten. Hingegen entwickeln sich die Entgeltpunkte bei den Männern stark rückläufig – besonders deutlich sogar bei Männern im jüngeren Erwerbsalter bis zum 23. Lebensjahr (vgl. Abbildung "Durchschnittliche kumulierte Zahl der Entgeltpunkte im jeweiligen Lebensjahr nach Geburtskohorten").

Durchschnittliche kumulierte Zahl der Entgeltpunkte im jeweiligen Lebensjahr nach Geburtskohorten in Westdeutschland (Interner Link: Grafik zum Download) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/

Ursachen sind spätere Eintritte in eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung aufgrund längerer Bildungszeiten, längere Phasen der Arbeitslosigkeit und anderer atypischer Beschäftigung – die alle (inzwischen) zu keinen oder allenfalls minimalen Rentenansprüchen führen. Und: Bei jeweils jüngeren Kohorten sinkt diese Zahl immer weiter. Hatten z. B. westdeutsche Männer, die zwischen 1940 und 1944 geboren wurden, bis zum 23. Lebensjahr durchschnittlich bereits 4 Entgeltpunkte erworben, so waren es bis zu diesem Alter bei den von 1970 bis 1974 Geborenen nur noch durchschnittlich zwei Entgeltpunkte.

Durchschnittliche kumulierte Zahl der Entgeltpunkte im jeweiligen Lebensjahr nach Geburtskohorten in Ostdeutschland (Interner Link: Grafik zum Download) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/


Bei den Frauen gleicht die gestiegene Frauenerwerbstätigkeit diesen Trend der in der Jugend erworbenen geringeren Rentenansprüche zwar im mittleren Lebensalter aus. Da die Frauenerwerbstätigenquote dann aber unter derjenigen der Männer liegt und die verbeitragten Arbeitseinkommen deutlich niedriger sind als bei Männern, entwickeln sich die bis ins höhere Erwerbsalter angesammelten Entgeltpunkte zwischen den Geschlechtern weiterhin stark auseinander.

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Gerhard Bäcker, Prof. Dr., geboren 1947 in Wülfrath ist Senior Professor im Institut Arbeit und Qualifikation der Universität Duisburg-Essen. Bis zur Emeritierung Inhaber des Lehrstuhls "Soziologie des Sozialstaates" in der Fakultät für Gesellschaftswissenschaften der Universität Duisburg-Essen. Forschungsschwerpunkte: Theorie und Empirie des Wohlfahrtsstaates in Deutschland und im internationalen Vergleich, Ökonomische Grundlagen und Finanzierung des Sozialstaates, Systeme der sozialen Sicherung, insbesondere Alterssicherung, Arbeitsmarkt und Arbeitsmarktpolitik, Lebenslagen- und Armutsforschung.

Ernst Kistler, Prof. Dr., geboren 1952 in Windach/Ammersee ist Direktor des Internationalen Instituts für Empirische Sozialökonomie, INIFES gGmbH in Stadtbergen bei Augsburg. Forschungsschwerpunkte: Sozial- und Arbeitsmarktberichterstattung, Demografie, Sozialpolitik, Armutsforschung.