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Nicht nur Chancen, sondern auch Risiken | Macht der Green Deal Europa nachhaltiger und wettbewerbsfähiger? | bpb.de

Debatte Macht der Green Deal Europa nachhaltiger und wettbewerbsfähiger?

Standpunkt von Clemens Fuest

Nicht nur Chancen, sondern auch Risiken

Clemens Fuest

/ 5 Minuten zu lesen

Der Green Deal der EU ist sinnvoll, aber die klimapolitischen Pläne für Europa haben Tücken: Bei Emissionshandel, Klimazoll oder Taxonomie kommt es auf die richtige Ausgestaltung an, betont der Münchner Ökonom Clemens Fuest.

Kernkraftwerk neben einer alten Windmühle im belgischen Doel. (© picture-alliance/AP, Virginia Mayo)

Der Europäische Grüne Deal im Überblick

  • Ehrgeizige Klimaziele: Die Pläne der Europäischen Kommission für den Green Deal sind ambitioniert: Bis 2050 soll die EU keine Treibhausgasemissionen mehr freisetzen. Damit wäre Europa der erste Kontinent, der dieses Ziel erreicht. Bis 2030 sollen die treibhausgasrelevanten Emissionen laut dem Klimapakt "Fit for 55" in Europa in einem ersten Schritt bereits um 55 Prozent gegenüber 1990 gesenkt werden.

  • Zusammenspiel von Einzelinitiativen: Insgesamt besteht der Green Deal aus aktuell 47 Einzelmaßnahmen für Finanzmärkte, Verkehr, Handel oder Industrie, um bis 2050 keine klimaschädlichen Treibhausgase mehr zu emittieren. Zum Maßnahmenpaket "Fit for 55" gehört die Umsetzung dieser Ziele durch den EU-Emissionshandel, den neuen Klimazoll, den Klimasozialfonds, CO2-Flottengrenzwerte im Verkehr, die vollständige Einbeziehung des Schiff- und Luftverkehrs in den Emissionshandel, die nationalen Klimazielen oder die Ziele für die Landnutzung.

  • Globale Dimension: Durch die Kopplung der Klimapolitik an eine innovative Wirtschaftsagenda soll der Green Deal auch ein Beitrag zum Erhalt der ökonomischen Stärke Europas sein – vor allem im geopolitischen Wettstreit mit China und den USA.

  • Veränderte Rahmenbedingungen durch Pandemie und Krieg: Die Rahmenbedingungen für den Green Deal haben sich seit der Bekanntgabe der EU-Pläne radikal geändert. Nach zwei Jahren, in denen die Wirtschaft in der EU wegen der Coronapandemie lahmte, überfiel im Februar 2022 Russland die Ukraine. Um sich gegen mögliche Lieferausfälle russischen Gases zu wappnen, wird in Deutschland nun beispielsweise neue und vergleichsweise klimaschädliche Infrastruktur für den Import von Flüssiggas errichtet, zudem sollen Kohlekraftwerke zumindest vorübergehend zusätzlichen Strom erzeugen.

  • Kritik an Details und Skepsis innerhalb der EU: An der Notwendigkeit, Europa klimaneutral zu gestalten, um die Anforderungen der Pariser Klimakonferenz von 2015 zu erfüllen, zweifeln nur wenige. Allerdings gibt es Kritik an den Details des EU-Klimadeals. So fürchten Expertinnen und Experten, er gefährde möglicherweise die Wettbewerbsfähigkeit der EU. Zudem liege beispielsweise der Anteil der EU an den weltweiten Treibhausgasemissionen bei nur 7,3 Prozent. Ein Abbau auf Null verändere somit relativ wenig, wenn andere wie die USA und China nicht mitziehen. Auch innerhalb der EU gibt es Vorbehalte: Kritik kommt vor allem aus den osteuropäischen Ländern wie Polen, Ungarn und Tschechien. Deren Wirtschaft und Energieversorgung sind oft noch stark auf Kohle ausgerichtet. Kritikerinnen und Kritiker der fossilen Energieträger betonen hingegen, der Ukraine-Krieg zeige die Abhängigkeit des Westens von den Energieimporten Russlands - und verstärke die Dringlichkeit, möglichst schnell auf erneuerbare Energien umzusteigen.

Mit dem Green Deal stellt die EU den Umweltschutz und die Klimapolitik in den Mittelpunkt ihres Handelns. Die EU will mit dem ambitionierten Klimaschutzprogramm ihre Treibhausgasemissionen bis 2050 auf Null reduzieren. Allerdings hat das Projekt viele Tücken. Ein Übergang zur Klimaneutralität der EU allein würde die weltweite Klimaerwärmung kaum beeinflussen:

  • Erstens liegt der Anteil der EU an den weltweiten Emissionen heute bei nur 7,3 Prozent. Ein Abbau auf Null verändert also wenig , wenn andere Staaten wie die USA, Indien und China nicht mitziehen.

  • Zweitens verringert ein höherer Klimaschutz-Beitrag Europas für andere Länder den Anreiz, ebenfalls etwas beizutragen, weil das Problem durch den europäischen Beitrag entschärft wird, wenn auch nur wenig.

  • Drittens sorgt sinkende Nachfrage nach fossilen Brennstoffen aus der EU langfristig für sinkende Preise bei Kohle, Öl und Gas . Das führt dazu, dass in anderen Ländern mehr fossile Brennstoffe verbrannt werden.


Daraus folgt allerdings nicht, dass Anstrengungen der EU für Klimaschutz sinnlos sind. Erstens übt eine Vorreiterrolle Europas einen gewissen moralischen Druck aus. Zum Beispiel stützt der Beitrag der EU in den USA politische Kräfte, die mehr Klimaschutz wollen.

Zweitens kann die EU technologische Entwicklungen und Innovationen anstoßen, die klimaschonendes Handeln attraktiver machen. Sobald erneuerbare Energien beispielsweise preiswerter als fossile Energieträger sind, werden andere Länder sie übernehmen, selbst wenn sie keine Anstrengung für Klimaschutz auf sich nehmen wollen.

Dennoch ist es von zentraler Bedeutung, dass die EU in der Klimapolitik nicht nur versucht, eigene Emissionen abzubauen, sondern die internationale Zusammenarbeit sucht. Das könnte beispielsweise in der zuletzt von Bundeskanzler Olaf Scholz vorgeschlagenen Form geschehen, dass gleichgesinnte Staaten einen "Klimaclub" gründen, dessen Mitglieder sich zum Klimaschutz verpflichten und einander gleichzeitig andere Vorteile gewähren – beispielsweise erleichterten Marktzugang im internationalen Handel. Darüber hinaus ist es sinnvoll, Entwicklungs- und Schwellenländern finanziell und technologisch zu helfen , insbesondere um einen besseren Schutz der tropischen Regenwälder zu erreichen.

Lücken im Emissionshandel


Um die Ziele des Green Deal zu erreichen, setzt die EU vielfältige Instrumente ein, von denen hier nur einige erwähnt werden sollen. Als Antwort auf die Coronapandemie hat die EU den schuldenfinanzierten Fonds Next Generation EU (NGEU) eingeführt. Dieser Fonds fördert Projekte der Mitgliedstaaten in den Bereichen Umweltschutz und Digitalisierung. Wichtig ist auch das europäische System des Emissionshandels (Emissions Trading System, kurz ETS). Unternehmen, die CO2 ausstoßen, müssen dafür entsprechende Zertifikate vorweisen, die handelbar sind.

Dieses System ermöglicht es beispielweise, die Gesamtmenge der CO2-Emissionen europaweit festzusetzen. Der Handel der Emissionsrechte sorgt dafür, dass die Emissionen zuerst dort abgebaut werden, wo es zu den geringsten Kosten möglich ist. Eine Lücke des ETS liegt darin, dass Sektoren wie Verkehr und Gebäude nicht einbezogen sind. Immerhin ist aber geplant, sie bald zu integrieren.

Problematisch ist das Projekt der Taxonomie für nachhaltige Finanzen. Dabei handelt es sich um eine in politischen Verhandlungen festgelegte Liste wirtschaftlicher Aktivitäten, die als nachhaltig klassifiziert werden. Unternehmen, die diese Tätigkeiten ausüben, sollen privilegierten Zugang zu Finanzierung erhalten.

Dieses Instrument hat den Nachteil, dass letztlich planwirtschaftlich bestimmt wird, welche Unternehmen und Sektoren leichter finanziert werden als andere. Der Komplexität und Dynamik des Wirtschaftslebens wird das nicht gerecht. Es wäre besser, mit Instrumenten wie Steuern direkt an umweltschädlichen Aktivitäten anzusetzen statt ganze Unternehmen pauschal und in einem politischen Prozess als nachhaltig oder nicht nachhaltig einzustufen.

Klimazoll könnte als protektionistisch aufgefasst werden


Der Green Deal wirft die Frage auf, ob europäische Unternehmen, die viel für Dekarbonisierung bezahlen, gegenüber Produzenten außerhalb der EU benachteiligt werden. Das würde zum einen bedeuten, dass Arbeitsplätze in der EU gefährdet werden. Zum anderen würden sinkende CO2-Emissionen in der EU durch steigende Emissionen außerhalb der EU kompensiert. Für das Klima wäre nichts gewonnen.

Dagegen hat die EU den Plan eines CO2-Grenzausgleichs entwickelt. Unternehmen außerhalb der EU, die im Binnenmarkt ihre Produkte verkaufen wollen, sollen eine Art Klimazoll entrichten, dessen Höhe davon abhängt, wie viel CO2 bei der Produktion des Gutes anfiel und welche Abgaben dafür am Produktionsstandort entrichtet wurden. Das soll eine Benachteiligung europäischer Firmen verhindern.

Dieser Plan hat zwei Schwächen. Erstens könnten Länder außerhalb der EU diesen Zoll als versteckten Protektionismus betrachten und ihrerseits Zölle erheben. Zweitens kann der Grenzausgleich für EU-Importe nichts daran ändern, dass europäische Unternehmen als Exporteure auf den globalen Märkten Wettbewerbsnachteile haben. Es wäre denkbar, EU-Exporteure zum Ausgleich zu subventionieren. Das könnte von anderen Ländern jedoch ebenfalls als Protektionismus aufgefasst und entsprechend beantwortet werden.

Dem kann man entgegenhalten, dass der europäische Green Deal in der EU Innovationen und umweltfreundlichen Technologien stärker fördern könnte als außerhalb der EU und europäische Unternehmen dadurch an Wettbewerbsfähigkeit gewinnen. Dabei ist allerdings zu bedenken, dass wachsende Märkte für Umweltschutztechnologien auch von außereuropäischen Unternehmen bedient werden können – unabhängig davon, welche Klimapolitik an deren Produktionsstandorten verfolgt wird.

Dekarbonisierung sozial flankieren


Der europäische Green Deal wird Veränderungen bringen, die unterschiedliche Bevölkerungsgruppen sehr unterschiedlich treffen. Ein Beispiel dafür ist die Transformation der Automobilindustrie. In Unternehmen, die herkömmliche Verbrennungsmotoren herstellen, werden Arbeitsplätze wegfallen. Ein anderes ist die Verteuerung von fossilen Brennstoffen wie Benzin oder Heizöl in Europa durch steigende Steuern oder Zertifikatepreise. Menschen mit niedrigeren Einkommen fällt es schwer, diese höheren Preise zu bezahlen.

Deshalb ist es erforderlich, die Dekarbonisierung sozial zu flankieren. Ein Ansatz besteht darin, die Einnahmen aus dem CO2-Preis in Form eines Energiegeldes insbesondere an Haushalte mit niedrigen Einkommen zu zahlen, um die Lasten auszugleichen. Ohne verteilungspolitische Flankierung dürfte der Green Deal auf politischen Widerstand stoßen, der seinen Erfolg gefährdet.

Die Bedeutung und Dringlichkeit des Umwelt- und insbesondere des Klimaschutzes rechtfertigt es, dass die EU dieses Thema ins Zentrum ihrer Politik gestellt hat. Erfolg im Klimaschutz erfordert internationale Zusammenarbeit, aber auch massives Engagement der EU in Innern.

Der europäische Green Deal hat das Potenzial, die Wirtschaft in der EU zu mehr Nachhaltigkeit zu bringen. Die erheblichen Aufwendungen für die Dekarbonisierung werden die Konsummöglichkeiten allerdings zweifellos reduzieren. In welchem Umfang Wettbewerbsfähigkeit und Wohlstand gewahrt werden können und die soziale Abfederung gelingt, ist offen und hängt nicht zuletzt von der klugen Ausgestaltung des Green Deals ab. Insgesamt stehen sich hier also Chancen und Risiken gegenüber.

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Prof. Dr. Clemens Fuest ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Ludwig-Maximilians-Universität München, Präsident des Münchner Ifo-Instituts und Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats im Bundesfinanzministerium.