Die Ideologie des chinesischen Eugenik-Programms
Als ein "Projekt der Sozialplanung" ist jihua shengyu – das nationale Familienplanungs- und Geburtenkontrollprogramm in China – hinsichtlich seines enormen Umfangs und seiner weitreichenden Auswirkungen weltweit einmalig und konkurrenzlos. Schon von Beginn an hatte das Programm zwei Ziele: Die Zahl der Bevölkerung zu kontrollieren und die Qualität zu verbessern.Seit den frühen 1990ern wurde mehr Gewicht auf die Qualität gelegt, d.h. auf yousheng (die gesunde Geburt oder Eugenik).
In diesem Vortrag sollen die Ideologien der zeitgenössischen chinesischen Theorien und der Praxis der Eugenik kritisch beleuchtet werden, z.B. der Sozialdarwinismus und der biologische Determinismus. Ich werde damit beginnen, kurz den historischen und sozialen Zusammenhang von yousheng in China vorzustellen und einem groben Vergleich mit der Eugenik im Westen zu unterziehen. Bei dieser Vorgehensweise ist mir aber bewusst, dass ich damit der herkömmlichen Sicht Vorschub leiste, für die der Begriff Eugenik die korrekte Übersetzung des chinesischen Begriffs yousheng ist. Hierbei handelt es sich aber um eine Sicht, die jüngst von einigen Gelehrten in Frage gestellt wurde.
Ich werde ferner soziologische Nachweise liefern, die belegen, wie sehr das chinesische Volk das Eugenik-Programm unterstützt. Dann werde ich veranschaulichen, dass Ideologien wie Sozialdarwinismus, biologischer Determinismus, Etatismus, Szientismus, Reduktionismus im Umgang mit komplexen, sozialen Fragen und auch Utopismus Bestandteil zeitgenössischer Eugenikprojekte in China sind. Ich werde auch die möglichen schädlichen und beunruhigenden Auswirkungen dieser Ideologien erörtern, zu denen unter anderem gehören: die fortgesetzte Marginalisierung von Menschen, die ohnehin schon am Rande der Gesellschaft stehen; Schuldzuweisungen an Opfer und Unschuldige, wodurch der totalitäre Staat noch mehr gestärkt wird, sowie der Aufbau einer Bürokratie, die von Wissenschaftlern und Technikern kontrolliert wird.