Forum 7: Körper und Identität
Gender Mainstreaming kann Frauen und Männer sensibilisieren hinsichtlich der Konventionen und Zwänge, denen sie unterworfen sind. Eine Londoner Untersuchung zeigte, wie unterschiedlich sie sich beim Überqueren des Zebrastreifens verhalten. Die These: Männer nehmen im öffentlichen Raum rein körperlich mehr Platz ein.Seit einigen Jahren kratzt eine neue Form von Männerzeitschriften am traditionellen Männerbild. Da geht es um die passende Brillenform, oder darum, wie Mann einen Waschbrettbauch oder den knackigen Hintern antrainiert – kurz: um den idealen männlichen Körper. "Männer werden sich in verstärktem Maße ihres Körpers bewusst. Sie werden aber auch zunehmend den Zumutungen eines perfekten Körpers unterworfen", so der Soziologe Michael Meuser vom "Arbeitskreis für interdisziplinäre Männer- und Geschlechterforschung" in Köln. Welche Folgen dieser Trend habe, sei noch nicht absehbar. Einerseits nähmen Essstörungen und kosmetische Behandlungen bei Männern zu, andererseits aber auch die Häufigkeit von Herzinfarkten bei Frauen. "Das ist Ausdruck einer tendenziellen Verschiebung in den Geschlechterverhältnissen", sagte Meuser.
Nicht der biologische, sondern der "kulturelle" Körper war Gegenstand des Forums "Körper und Identität": Die Tatsache, dass die Geschlechter unterschiedlich mit ihren Körpern umgehen, Frauen nach wie vor dem Diktat der Attraktivität unterworfen sind, Männer dem der Stärke. Jungen und Mädchen lernten von klein auf, dass sie unterschiedliche "Körperstandards" zu erfüllen haben, um erfolgreich zu sein, stellte Dorothee Alfermann vom "Zentrum für Frauen- und Geschlechterforschung" der Universität Leipzig fest. Für einen Jungen gelte nach wie vor die Regel: Sei stark, rau und setz dich durch. Mädchen hingegen sollten süß sein und sich unterordnen – ein Körperbild, das sich im privaten und öffentlichen Leben, im Fernsehen, in der Werbung oder im Sport spiegele.
Zwar seien mittlerweile alle Sportarten für Männer und Frauen geöffnet. Doch wenn Frauen boxten, werde erwartet, dass sie schön seien. Boxende Frauen zeigten häufig besonders betont ihren schönen Körper. "Das ist eine Art Ausgleich dafür, dass sie die alten Klischees nicht mehr erfüllen", so Alfermann. Dem physischen Selbstkonzept von Frauen entspreche es auch, sich viel häufiger Sorgen über ihre Figur zu machen: "Frau zu sein heißt für die allermeisten, sich zu dick zu fühlen", zitierte sie eine amerikanische Wissenschaftlerin.
Seit Jahrhunderten werde Körperlichkeit mit Weiblichkeit assoziiert, so Meuser. Männer hingegen seien im wissenschaftlichen Diskurs als vernunftbegabte Wesen, als Menschen ohne Körper, beschrieben worden. Nach diesem herkömmlichen Rollenverständnis beherrscht der Mann seinen Körper und gebraucht ihn nur, um seine Ziele zu erreichen. Frauen dagegen sind in ihren Handlungsmöglichkeiten und Charakter durch den Körper bestimmt. "Das sind kulturelle Muster, die unsere Wahrnehmung bis heute bestimmen und männliche Dominanz in der Gesellschaft rechtfertigen", sagte Meuser.
Seit zehn, zwanzig Jahren sei aber der Körper durch die Frauenbewegung und -forschung in den Mittelpunkt gerückt und neuer Gegenstand der Sozialwissenschaften, so Meuser. Zugleich gehe auch in der Gesellschaft die Tendenz dahin, sich immer mehr mit dem eigenen Körper zu beschäftigen und darüber zu reden.
Gender Mainstreaming bedeute im Zusammenhang mit "Körper und Identität", Lernprozesse in Gang zu setzen, sagte der Soziologe, und Frauen und Männer zu sensibilisieren hinsichtlich der Konventionen und Zwänge, denen sie unterworfen seien. Als Beispiel nannte er eine Londoner Untersuchung über das Verhalten beider Geschlechter beim Überqueren des Zebrastreifens. Dabei zeigte sich, dass Männer im öffentlichen Raum rein körperlich mehr Platz einnehmen. Frauen dagegen versuchten, sich möglichst klein zu machen. "Die Geschlechterordnung ist in die Körper eingeschrieben", sagte Meuser. "Körperroutinen" nannte er dieses geschlechtsspezifische Verhalten.
Aus dem Publikum kam wiederholt die Frage, wie sich Gender Mainstreaming im Hinblick auf "Körper und Identität" umsetzen lasse. Gender Mainstreaming sei doch ein politisches Konzept, wandte eine Teilnehmerin ein: "Es ist schwierig, kulturell gewachsene Körperkonzepte auf politischer Ebene zu verändern." Auch Meuser zeigte sich "skeptisch, was Programme für Gender Mainstreaming" betrifft: "Wohin führt Bewusstmachung? Beim nächsten Mal überquert der Mann wieder raumgreifend die Straße." Alfermann sagte, vor allem der Privatbereich sei schlecht beeinflussbar. Pubertierende Jugendliche, die immer mehr auf Schlanksein setzten, seien dem enormen Einfluss des Fernsehens ausgesetzt.
Eine Teilnehmerin zeigte sich weniger skeptisch und verwies auf die Bedeutung von Lehrplänen und politischer Bildung, um auf traditionelle Körperbilder aufmerksam zu machen. Außerdem wurde gefordert, medizinische Untersuchungen nach Geschlechtern aufzuteilen sowie Krankheitsverläufe bei Frauen und Männern zu unterscheiden.
Diskutiert wurde auch die Frage, ob Gender Mainstreaming durch die Betonung der Unterschiede zwischen Mann und Frau diese Unterschiede nicht wieder maximiert. "Es ist möglich, die Geschlechterdifferenzen zu minimieren", sagte eine Frau: "Teilweise sind die Differenzen zwischen Frauen erheblich größer als zwischen Frau und Mann." Auch Alfermann sprach sich für eine Minimierung der Geschlechterdifferenzen aus, sagte aber, es gebe Prozesse, wo die Geschlechter von Bedeutung seien. Diese müssten untersucht werden. Meuser bestärkte diese Meinung. So lasse sich etwa die Doppelbelastung der Frauen durch Beruf und Haushalt nur beseitigen durch Programme, die die Unterschiede zwischen Mann und Frau erst einmal betonten.
Referent und Referentin:
Arbeitskreis für interdisziplinäre Männer- und Geschlechterforschung
Köln, Deutschland


Direktorin des Zentrums für Frauen- und Geschlechterforschung
Universität Leipzig, Deutschland