Niemand will alt sein, aber alle wollen alt werden. Warum eigentlich?
Benno Kuhn kommt mit einem Eimer Äpfel, die er gerade gepflückt hat, in die Küche hinein. Der pensionierte Lehrer liebt den Eigenanbau. "Seit ich die Zeit habe, bin ich sehr oft im Garten. Es gibt immer etwas zu tun." Trotz seiner 73 Jahre macht er einen aufgeweckten Eindruck. Lächelnd sagt er: "Alt fühle ich mich nicht, aber ich merke, dass ich der älteren Generation angehöre." Mit seinem Selbstbild steht er in seiner Altersgruppe nicht alleine da.
"Alter wird undifferenziert meist noch mit körperlichem und geistigem Abbau und erhöhten Belastungen gleichgesetzt. Den meisten Menschen ist es unbekannt, dass die heute 70-Jährigen biologisch-medizinisch aber so fit sind wie 60-Jährige vor einer Generation“, sagt Katja Patzwaldt von der Universität Bremen.
Durchschnittlich gefühlte zehn Jahre jünger Die Generali Altersstudie 2013 des Instituts für Demoskopie Allensbach kommt zu dem Schluss, dass das vorherrschende Altersbild ein "defizitorientiertes" ist. Besonders die Themen Pflege und eingeschränkte Mobilität würden mit Alter verbunden werden. Im Gegensatz dazu steht das Selbstbild der älteren Generation. Sie fühlen sich, wie Benno Kuhn, meist noch aktiv, fit und offen für Neues im Alter. Dieser Kontrast zwischen gesellschaftlichem und individuellem Altersbild führt zu Verständigungsproblemen zwischen den und auch innerhalb der Generationen. Die Generali Altersstudie belegt: "Im Durchschnitt liegt das gefühlte Alter rund zehn Jahre unterhalb des biologischen Alters." Dadurch kommt es zu Fehleinschätzungen. Die Einzelperson nimmt sich jünger wahr, während die Gesellschaft sie immer noch älter sieht. Im sechsten Altersbericht der Bundesregierung kommen Fachexperten zu dem Schluss, dass insbesondere das Kommunikationsverhalten zwischen jüngeren und älteren Menschen von diesen weltfremden Bildern geprägt ist. Ein Ausbrechen aus diesen Verhaltensmustern scheint aktuell nicht zu gelingen.
Oftmals einseitige Darstellungen "Ich finde, meine Generation ist in den Medien nur selten gut dargestellt", bemängelt Benno Kuhn. In den letzten Jahrzehnten sei das öffentliche Altersbild vor allem durch negative Berichterstattung in den Medien beeinflusst worden, bestätigt auch die Medienwissenschaftlerin Caja Thimm von der Universität Bonn. Die Medien thematisieren das Thema Alter sehr einseitig. Thimm wünscht sich eine bessere mediale Aufarbeitung von Tabu-Themen wie Tod und Sex. Auf der anderen Seite gibt es auch überspitzt positive Darstellungen, die natürliche Einschränkungen im Alter leugnen. Zum Beispiel Berichte über einen hundertjährigen Marathonläufer würden ein ebenso einseitiges Bild auf die Thematik werfen. "Oft habe ich den Eindruck, dass alte Menschen als Anhängsel der Gesellschaft dargestellt werden", beklagt Benno Kuhn. "Wir Alten werden immer unterschätzt."
Altersbilder befinden sich im Umbruch – allerdings nicht schnell genug. Gesellschaftliche Bilder hinken den biologischen Entwicklungen hinterher. Statt starrem Denken in den Kategorien Alt und Jung muss das Lebensgefühl jedes Einzelnen in den Vordergrund rücken.
Obwohl Benno Kuhn merkt, dass ihn die Gartenarbeit mittlerweile stärker anstrengt. Wenn er zurückblickt, empfindet er die "dritte Lebensphase", wie er sie nennt, als die schönste. "Ich genieße es, morgens bis um 10 Uhr Zeitung zu lesen", erzählt er mit einem Lachen und macht sich auf den Weg zurück in den Garten.