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Thomas Krüger | Salafismus als Herausforderung für Demokratie und politische Bildung | bpb.de

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Thomas Krüger

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"Es gilt strikt zu unterscheiden zwischen einem friedlichen, demokratischen Islam, dem die überwältigende Mehrheit der Muslime in Deutschland angehört, und dem Islamismus, der potentiell unfriedlich und in jedem Fall antidemokratisch agiert." bpb-Präsident Thomas Krüger während seiner Eröffnungsrede zur Fachtagung Salafismus im Bonner Collegium Leoninum. (© Tobias Vollmer/bpb)

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister, sehr geehrte Damen und Herren,

in Deutschland leben schätzungsweise vier Millionen Muslime. Sie sind Anwältinnen, Bäcker, Lehrerinnen, Selbständige, Einzelhändler, Arbeitslose, Gastronomen, Beamtinnen, Schüler oder Studentinnen. Sie engagieren sich ehrenamtlich oder lassen es bleiben, sie sind religiös oder auch nicht, sie gründen Familien oder haben andere Vorstellungen für sich. Kurz gesagt: Muslime finden sich in Deutschland mittlerweile in allen Gesellschaftsschichten und sind vor allem eins: ziemlich normal.

Sprechen wir hingegen, und das ist das Ziel der heutigen Tagung, vom Salafismus, dann sprechen wir nicht von jenen vier Millionen Muslimen. Wir sprechen von einer kleinen Minderheit von wenigen Tausend Salafisten. Prozentual zur Gesamtheit der Muslime steht eindeutig eine Null vor dem Komma. Dennoch ist die heutige Fachtagung zum "Salafismus als Herausforderung für Demokratie und politische Bildung" leider notwendig.

Der Salafismus wächst rasant. Dabei spricht er insbesondere Jugendliche und junge Erwachsene an. Er liefert einfache Antworten auf schwierige Fragen, gibt eindeutige Handlungsanweisungen für uneindeutige Situationen und gibt Halt, wo sich viele haltlos fühlen. Wohin eine salafistische Radikalisierung im schlimmsten Fall führen kann, sehen wir mittlerweile wöchentlich in den Nachrichten: Hunderte junger Menschen reisen aus Deutschland und Europa nach Syrien, um in den Wirren des dortigen Bürgerkriegs mit islamistischen Rebellen einerseits gegen das Assad-Regime und andererseits gegen verfeindete Islamistengruppen zu kämpfen. Über 20 junge Menschen aus Deutschland sind bereits in Syrien umgekommen.

Doch die Beteiligung am Dschihad in Syrien ist bloß die Spitze des Eisbergs. Die meisten salafistischen Jugendlichen und jungen Erwachsenen bleiben in Deutschland. Und sie sind keineswegs immer gewalttätig. Dennoch: Erreichen wir radikalisierungsgefährdete junge Leute nicht mit Präventionsmaßnahmen und politische Bildung, so sind sie für die Gestaltung eines demokratischen Gemeinwesens erst einmal verloren. Ausgleich, Kompromisse, der Respekt vor anderen Auffassungen, konstruktiver Meinungsstreit um die besten Ideen, die freie Wahl der Zugehörigkeit zu einer Religion oder die Achtung von demokratisch legitimierten Mehrheitsentscheidungen – all dies ist mit einer salafistischen Interpretation des Islams unvereinbar. Der Salafismus verfolgt eine politische Strategie: Die Gesellschaft soll offensiv verändert werden, andere Weltanschauungen werden abgewertet. Es wird mit klassischen Ein- und Ausschlussmechanismen gearbeitet: Gehörst Du zu uns, bist Du bei den Guten. Bist Du bei den anderen, dann stehst Du auf der Verliererseite. Ein Nebeneinander unterschiedlicher Lebensentwürfe ist im salafistischen Islam nicht vorgesehen.

Was den Salafismus angeht, verbietet sich folglich beides: sowohl Verharmlosung als auch Alarmismus.

Der Titel der Veranstaltung soll deutlich machen, dass der Salafismus nicht allein ein Problem der Muslime oder der Zuwanderer ist, sondern eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung. Radikalisierung findet ohnehin meist nicht in den Strukturen der zahlreichen muslimischen Gemeinden und Verbände statt, sondern unter Gleichgesinnten in der Schule oder im Freundeskreis. Ein nicht geringer Teil der Szene besteht aus deutschstämmigen Konvertiten. Auch salafistische Online-Angebote spielen eine nicht zu unterschätzende Rolle. Mit einer Mischung aus – teils gefälschten – grausamen Bildern von Kriegsverbrechen, Heldenvideos und Predigten über die vermeintlich richtige Auslegung des Islams machen salafistische Gruppen den Jugendlichen ein vordergründig verlockendes Angebot. Jugendliches Streben nach Gerechtigkeit und die Suche nach Antworten – möglicherweise verbunden mit dem Gefühl der Perspektivlosigkeit – lassen den Salafismus attraktiv erscheinen. Und das ist er auf den ersten Blick sicherlich auch: Man wird unabhängig von Herkunft, Nationalität oder Hautfarbe in einer Gemeinschaft aufgenommen. Zunächst ist nichts weiter zu tun, als unter Zeugen das Glaubensbekenntnis zu sprechen. Die tatsächliche Ausgrenzung kommt erst später zum Tragen.

Die Bundeszentrale für politische Bildung beschäftigt sich in erster Linie natürlich nicht mit politischem Extremismus, sondern mit seinem Gegenstück: der Demokratie. Wir versuchen Wissen über die Demokratie zu vermitteln, Reflexionen über das politische Geschehen anzustoßen und gesellschaftspolitisches Engagement zu fördern. Trotzdem ist die Auseinandersetzung mit antidemokratischen Einstellungen – und der Salafismus mit seinem politischen Anspruch gehört in diese Kategorie – seit Jahren ein Schwerpunkt der Arbeit der bpb. Besonderes Augenmerk liegt dabei naturgemäß auf dem Rechtsextremismus. Doch nicht erst seit dem 11. September 2001 spielt der Islamismus als extremistische Auslegung des Islams ebenfalls eine herausgehobene Rolle. Wo es nötig ist, befassen wir uns direkt mit extremistischen Ausprägungen: Wir informieren in Online-Dossiers, der Schriftenreihe und anderen Veröffentlichungen fundiert über diese politischen Strömungen und erstellen pädagogische Materialien. Wir fördern zivilgesellschaftliche Akteure, sich mit Haltungen auseinanderzusetzen, die sich gegen die Demokratie richten, initiieren mit ihnen gemeinsam Modellprojekte und streben durch Tagungen und Expertentreffen eine Vernetzung an. Dabei sind wir auf Sie, die Träger, Praktiker, Experten aus politischer Bildung und Prävention, angewiesen.

Es ist nicht so, als wäre fundierte Präventionsarbeit im Bereich des Islamismus etwas Neues. Es gibt durchaus erfolgreiche und vielversprechende Ansätze. Woran es bisweilen mangelt ist die gegenseitige Kenntnis, Wissen um vielversprechende Konzepte und ein Austausch untereinander. Mit der heutigen Fachtagung möchten wir hier Abhilfe schaffen. Sie kann allerdings nur ein Schritt sein auf dem Weg zu einem breiteren Angebot der politischen Bildung und Prävention gegen Islamismus. Weitere müssen folgen.

Wer sich mit Salafismus befasst, begibt sich in ein Spannungsfeld. Die Religionsfreiheit ist ein zentrales Grundrecht und darf von staatlicher Seite nicht grundlos eingeschränkt werden. Es gilt strikt zu unterscheiden zwischen einem friedlichen, demokratischen Islam, dem die überwältigende Mehrheit der Muslime in Deutschland angehört, und dem Islamismus, der potentiell unfriedlich und in jedem Fall antidemokratisch agiert. Dazwischen darf und muss eine freiheitliche Demokratie unterscheiden können. Stets muss dabei deutlich werden: Die Islamisten sind in der Minderheit. Ein frommer Muslim ist keineswegs Anlass für Präventionsmaßnahmen und politische Bildung. Deshalb setzen wir uns in der politischen Bildung gegen panikmachende Muslimfeindlichkeit ein.

Für das Funktionieren der Demokratie stellt die pauschale Verunglimpfung des Islams und der Muslime durch rechtsextremistische Islamhasser eine mindestens ebenso große Gefahr dar wie islamistische Einstellungen. Unter dem Deckmantel der Religionskritik verbreiten einige Internetseiten und vermeintliche Bürgerbewegungen eine Hetze, die das Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Religion oder Weltanschauung unmöglich machen soll. Ich habe es eingangs umrissen und möchte es nochmal hervorheben: Der Islam ist ein Bestandteil der deutschen Gesellschaft und die Muslime sind – natürlich – vollwertige Mitglieder unseres Gemeinwesens. Islam und Islamismus sind nicht in einen Topf zu werfen: Die katholische Kirche ist nicht die Piusbruderschaft und die evangelische Kirche ist nicht mit den Fundamentalisten unter den Evangelikalen zu verwechseln. Wir müssen unterscheiden lernen. Solche Selbstverständlichkeiten müssen auch im Hinblick auf den Islam anerkannt werden. Islamfeindlichkeit und Muslimfeindlichkeit sind eine Herausforderung für die Gesellschaft und für die politische Bildung. Die Reduzierung von teils weit verbreiteten Vorurteilsstrukturen geht uns alle an.

So sind die Ziele dieser Tagung klar: Wir möchten aufklären über das Phänomen des Salafismus, die Debatten versachlichen und die Vernetzung befördern. Etablierte und innovative Projekte stellen sich im Weltcafé vor und die manchmal nicht ganz freie eigene Perspektive soll durch einen Blick ins Ausland geschärft werden.

Ich wünsche Ihnen eine anregende Tagung!

Fussnoten

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