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Droht Europa ein scharfer Wind von rechts?

Ulrike Schuler Annette Birschel Dieter Weiand Tilo Wagner Kornélia Kiss Clara Weber

/ 12 Minuten zu lesen

Bei der Europawahl im Juni wird mit einem starken Zugewinn für rechtspopulistische und rechtsextreme Parteien gerechnet. Da sich diese auch durch eine besondere EU-Skepsis auszeichnen und häufig nationale Interessen vor europäische stellen, sind die Kommentarspalten der europäischen Presse prall gefüllt mit Stimmen zu diesem Thema.

Wahlkampfveranstaltung des Rassemblement National am 01.05.2024 in Perpignan, Frankreich. (© picture-alliance/dpa, MAXPPP)

Der Externer Link: Thinktank European Council on Foreign Relations (ECFR) prognostiziert einen scharfen Rechtsruck: für die Rechtsaußen-Fraktion Identität und Demokratie (ID), der unter anderem die niederländische PVV von Geert Wilders und der französische Rassemblement National (RN) angehören, einen Zuwachs um 40 Sitze; für die Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer (EKR) – zu der u. a. Melonis Fratelli d’Italia, die polnische PiS und die Schwedendemokraten gehören – einen Zugewinn um 18 Abgeordnetenmandate.

Für die slowenische Tageszeitung Externer Link: Vecer ist das Grund zur Sorge: „Der etablierten Politik, die das Nachkriegsprojekt des Friedens und der Zusammenarbeit lange Zeit zu entwickeln wusste, bleibt nicht mehr viel Zeit, den gnadenlosen Verlauf der Geschichte zu ändern. Bei dieser Wahl wird sie noch eine Mehrheit bekommen, mit der sie die bedrohlichen Trends umkehren kann. Vielleicht ist dies die letzte Chance, etwas so Gutes wie das Konzept der EU nicht für die Nachwelt zu verpfuschen.“ Da der größten Fraktion im Parlament, der Europäischen Volkspartei (EVP), Stimmverluste vorhergesagt werden, könnte es für sie schwieriger werden, gewohnte Mehrheiten der Mitte zu erreichen. Das rumänische Blogportal Externer Link: republica.ro prognostiziert: „Offiziell hält die EVP an der Idee eines Cordon sanitaire fest, um die Rechtsextremen im EU-Parlament zu isolieren. Abseits der Öffentlichkeit bereiten sich die EVP-Abgeordneten bereits darauf vor, mit den Rechtsextremen in mehreren Bereichen zusammenzuarbeiten, auch ohne formelle Vereinbarungen.“

Abgrenzung oder Zusammenarbeit?

Die für eine zweite Amtszeit als EU-Kommissionschefin kandidierende Ursula von der Leyen hat sich offen für Kooperationen mit der EKR-Fraktion gezeigt. Es hänge stark davon ab, wie sich das Parlament zusammensetze und wer in welcher Fraktion sitze, sagte sie. Kolumnist Yannis Gounaris sieht in Externer Link: HuffPost Greece neue Allianzen auf der rechten Flanke: „Es ist sicher, dass wir von nun an zunehmend sehen werden, wie sich traditionelle 'Mitte-Rechts-Parteien' mit rechtsextremen Parteien verbünden, die einst als unberührbar und marginal galten.“

Insbesondere bei den Themen Klimawandel, Menschenrechts- und Migrationspolitik könnten liberal-progressive Stimmen zurückgedrängt werden. „Das Links-Rechts-Gleichgewicht im Parlament wird sich drastisch nach rechts verschieben“, urteilt das Externer Link: ECFR. Externer Link: Spiegel-Kolumnist Nikolaus Blome hält die Rechtspopulisten zwar nicht für regierungs-, aber für blockadefähig: „[D]ie pro-europäischen Parteien [werden] bei Klima, Sozialem und Wirtschaft die alten, wiewohl sehr lebendigen Differenzen zwischen den Rechts-Links-Lagern überbrücken müssen, um im parlamentarischen Alltag mit den Anti-Europäern zu bestehen.“ Die Frage, ob die Rechtspopulisten – auch wenn sie nicht die Extremposition eines Austritts aus der EU vertreten – nationale Interessen über europäische stellen oder gegen sie ausspielen könnten, beschäftigt stark. Externer Link: Der bulgarische Dienst der Deutschen Welle mahnt mit Blick auf die EU: „Auf dem Papier akzeptieren sie ihre Strukturen und Regeln und nutzen sie, um sie von innen heraus zu zerstören – unter dem Vorwand, dass man es besser machen will.“

Die Alternative für Deutschland (AfD) zum Beispiel will „Europa neu denken“, hält die EU für ein „undemokratisches und reformunfähiges Konstrukt“ und wirbt für einen „Bund europäischer Nationen“. Das PiS-nahe Portal Externer Link: wPolityce.pl argumentiert in eine ähnliche Richtung: „Das Ausmaß an Infantilität in den hurra-optimistischen Lobeshymnen auf die heutige EU ist frappierend. In ihnen ist kein Platz für kritische Reflexion und eine Vision der tatsächlichen Ausgestaltung eines Europas der Vaterländer.“

Unterdessen hat die Generalstaatsanwaltschaft Dresden gegen den EU-Spitzenkandidaten der AfD, Maximilian Krah, Vorermittlungen wegen Geldflüssen aus chinesischen und Externer Link: pro-russischen Quellen aufgenommen. Ein ehemaliger Mitarbeiter Krahs soll für den chinesischen Geheimdienst spioniert haben. Externer Link: Petr Bystron, auf Platz zwei der AfD-Liste zur Europawahl, steht unter dem Verdacht, Geld von einem Kreml-nahen Netzwerk erhalten zu haben.

Die Externer Link: Aargauer Zeitung warnt: „Deutsche Interessen, so glauben sie zu wissen, könnten am besten gewahrt werden, wenn Berlin und Moskau über die Köpfe der Polen und Ukrainer hinwegredeten. Eine solch rücksichtslose Haltung, verbunden mit antiwestlichem Ressentiment, macht die AfD gefährlich: Parteien beeinflussen die öffentliche Meinung, und dass ihre Abgeordneten etwa in Ausschüssen sensible Informationen aufnehmen, lässt sich auch dann nicht völlig vermeiden, wenn sie weit von der Macht entfernt sind. Dies macht Kräfte wie die AfD zu Instrumenten der hybriden Kriegsführung autoritärer Regime.“

Mit Ursachenforschung zum richtigen Umgang?

„Muss man extremistische Ideen nur mit Argumenten bekämpfen oder vor allem mit einer anderen Politik?“, fragt die belgische Tageszeitung Externer Link: De Standaard. Und die Schweizer Tageszeitung Externer Link: Le Temps meint: „Die gemäßigten Parteien sind dafür verantwortlich, die Themen, die den Wählern Sorgen bereiten, offen anzusprechen, wenn sie einen historischen Durchbruch der radikalen Rechten verhindern wollen.“

Was konkret Wählersorgen mindern und Rechtsaußen-Parteien das Wasser abgraben könnte, wird in der europäischen Presse unterschiedlich debattiert. Externer Link: Gazeta Wyborcza meint, es brauche dringend neue „systemische Lösungen: für Migration, Einkommensumverteilung, für die Rolle des Staates, den Sozialstaat und den Arbeitsmarkt“. Und Externer Link: Der Freitag fordert dazu auf, Rechtspopulisten in der Sozialpolitik zu stellen und ihnen ihr Lieblingsschlachtfeld der Migration zu verwehren: „Stellt man sicher, dass es im Wortgefecht darum geht, wie skandalös es ist, dass man heute von ... Arbeit die Miete kaum zahlen kann und schon Normalmenschen Altersarmut droht, geraten die Rechten ins Hintertreffen. Dann müssen sie erklären, inwiefern nur die Fremden daran schuld sein sollen. Da das auf Dauer schwierig ist, lässt sich Rassismus so zwar nicht vordergründig ‚bekämpfen‘, aber – was der erste Schritt sein muss – dethematisieren."

Externer Link: Ökonomen vom Institut für Weltwirtschaft (IfW) in Kiel analysierten von 1999 bis 2019 die Europawahlergebnisse in 27 EU-Ländern und verweisen auf die Bedeutung der Hilfe für strukturschwache Regionen: In Gebieten, die mit europäischer Regionalförderung unterstützt wurden, sei der Stimmenanteil rechtspopulistischer Parteien im Durchschnitt um zwei bis drei Prozentpunkte ebenso wie die Unzufriedenheit mit der EU gesunken, so das Externer Link: Forschungspapier. Zugleich sei das Vertrauen in demokratische Institutionen gestiegen.

Die portugiesische Tageszeitung Externer Link: Público empfiehlt Änderungen auf einer anderen Ebene: „Wir sehen die wachsende Versuchung der demokratischen Rechten, auch in Portugal, der radikalen Rechten schöne Augen zu machen, in der Überzeugung, dass dies der beste Weg ist, Wähler zu gewinnen oder zurückzugewinnen. Dieses Experiment wurde bereits in mehreren unserer europäischen Partnerländer durchgeführt und ist gescheitert: Die extremistischen Parteien sind weiter gewachsen.“ Externer Link: Tagesschau.de hält folgende Schritte für notwendig, um gegen die vielfach EU-skeptischen Rechtsaußenparteien punkten zu können: „Reformen, transparentere Entscheidungen, mehr Mehrheitsentscheidungen statt Einstimmigkeitsprinzip. Das hieße zumindest: fit, resilienter und besser vorbereitet auf Anti-Europäer in Reichweite der Machthebel Europas.“

Frankreich: Poleposition für Rassemblement National – nächstes Ziel Elysée?

Frankreich rechnet mit einem großen Sieg für das Rassemblement National (RN) und den jungen Jordan Bardella. Laut einer Externer Link: Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Ifop von Anfang Mai 2024 würden 31 Prozent der Franzosen die rechtsradikale Partei wählen, während Valérie Hayer für Emmanuel Macrons Wahlbündnis „Renaissance, MoDem, Horizons und UDI“ 16,5 Prozent erhalten würde. Die Tageszeitung Externer Link: Le Monde konstatiert: „[A]usgehend von einem hohen Sockel wird das RN in seinen populären Hochburgen stärker und weitet sich in Richtung Führungskräfte und Rentner aus. Seine Dynamik nährt sich aus der Unzufriedenheit mit der Kaufkraft, dem schlecht funktionierenden Gesundheitssystem, dem Gefühl der Unsicherheit und der Ablehnung der Einwanderung.“ Am rechten Rand geht Marion Maréchal, Nichte von Marine Le Pen, erstmalig für Reconquête! ins Rennen – und steht mit ihrer Partei bei 6,5 Prozent.

Der Hoffnungsträger der extremen Rechten, Jordan Bardella, hat nicht nur Europa im Blick, betontExterner Link: La Croix: „Sein erstes Ziel sind die Präsidentschaftswahlen 2027. Jordan Bardella macht aus der Wahl offen ein Referendum gegen Emmanuel Macron und plädiert dafür, die Nationalversammlung nach dem 9. Juni aufzulösen, wenn seine Liste an die Spitze kommt. Es geht darum … Marine Le Pen den Weg für ihr wahrscheinlich erneutes Rennen um den Élysée-Palast zu ebnen“, betont La Croix. Auf EU-Ebene werde er jedoch, „abgesehen von der symbolischen Wirkung“, nicht viel reißen können, so die Tageszeitung. Externer Link: Les Echos stimmt zu: „Das RN wird regelmäßig für seine geringe Arbeitsleistung und seine Abwesenheit kritisiert und verfügt über keinerlei Verbindungen zur EU-Kommission und zum Rat. Unabhängig von der Dimension seines Sieges im Juni wird er ein diplomatischer Zwerg bleiben, der den französischen Einfluss schwächen wird.“ Zudem sei die extreme Rechte im EU-Parlament zerrissen, so Externer Link: Les Echos: „Aufgrund ihrer Divergenzen bezüglich Russlands, der Einwanderung und EU-Erweiterung sind die Chancen, dass sie ihre Kräfte in einer großen Koalition der extremen Rechten bündeln, praktisch gleich null.“ Und auch in der Wirtschafts- und Finanzpolitik gibt es unter den Rechtsaußenparteien starke Spaltungen, wie Externer Link: The Conversation aufzeigt: „[Zum Beispiel] zwischen FPÖ und RN, die eher linke Wirtschaftspositionen vertreten, und der AfD, die eine eher marktwirtschaftliche Haltung einnimmt.“

Konkurrenz für die Schwedendemokraten

Die Schwedendemokraten (SD) können wohl auch bei den kommenden Europawahlen mit satten Stimmengewinnen rechnen. Externer Link: Wenn es nach den jüngsten Umfragen geht, liegen die Rechtspopulisten bei 20,5 Prozent und damit gut fünf Punkte über ihrem Ergebnis von 2019 (15,3). Spitzenkandidat Charlie Weimers sagt dem Externer Link: Schwedischen Fernsehen (SVT), dass man die EU-Mitgliedschaft des Landes aus dem Grundgesetz streichen und beweisen wolle, dass man auf eigenen Füßen stehe. Ein Austritt Schwedens steht damit aber nicht zwingend auf der Tagesordnung. Mehr nationale Eigenständigkeit dagegen schon. Auch die Unzufriedenheit in Teilen der Bevölkerung mit ambitionierten Klimazielen wollen sich die Schwedendemokraten zu Nutze machen. Die Klimaziele der EU seien nicht realistisch, erklärte Weimers im Externer Link: Schwedischen Rundfunk (Sveriges Radio). Sie werden geändert werden, kündigt er an, wissend, dass auch andere Parteien in der EU dieses Ziel anstreben.

Gleichzeitig ist den Schwedendemokraten zu Hause im rechten Spektrum neue Konkurrenz erwachsen. Entstanden ist diese durch die Besetzung der EU-Spitzenkandidatur mit der Christdemokratin Alice Teodorescu Måwe. Sie hat Sara Skyttedal verdrängt, die wegen ihrer Kontaktaufnahme zu SD von der Parteiführung nicht mehr berücksichtigt wurde. Skyttedal hat daraufhin prompt eine eigene „Volksliste“ (Folklistan) zur Wahl angemeldet, mit dem ehemaligen Sozialdemokraten und Promi aus einer Reality-Game-Show, Jan Emanuel, an der Spitze. Emanuels erstes Ziel sei die Abschaffung des Asylrechts, so der Spitzenkandidat im Externer Link: Schwedischen Rundfunk.

Göteborgs-Posten räumt dem Vorhaben durchaus Chancen ein und warnt davor, Folklistan zu unterschätzen: „Mit Jan Emanuel an der Spitze der Volksliste hat sich Skyttedals Racheprojekt zu etwas entwickelt, das einem verschlafenen EU-Wahlkampf tatsächlich Leben einhauchen kann.“ Dazu ergänzt Externer Link: Expressen, dass sich immerhin elf Prozent der Wähler vorstellen könnten, Folklistan zu wählen – die Mehrheit davon sind Männer und Wähler der Schwedendemokraten.

Niederlande: PVV dicht an der Macht

Es ist der Abend des 22. November 2023, die große Stunde von Geert Wilders. Soeben hat der 60-Jährige mit seiner Partei für die Freiheit (PVV) die niederländische Parlamentswahl gewonnen, 37 der 150 Sitze. Eine Sensation. Seit knapp 20 Jahren bespielt der Rechtsaußen die politische Bühne der Niederlande, doch noch nie war er so dicht an der Macht wie jetzt.

Nach monatelangen Verhandlungen einigten sich vier Parteien über die Bildung einer Koalition: Die radikal-rechte PVV, die rechtsliberale VVD, die rechtspopulistische Bauernprotestpartei BBB sowie die neue rechtskonservative NSC. Es könnte die rechteste Regierung in der Geschichte des Landes werden.

Wilders hatte sich schon im Wahlkampf kompromissbereit gezeigt. Seine umstrittensten Forderungen, wie ein Verbot des Koran etwa, Externer Link: legte er „auf Eis“, wie er sagte. Und in den Koalitionsgesprächen verzichtete er auch auf seinen Anspruch auf das Amt des Regierungschefs. Die Tageszeitung Externer Link: NRC bezweifelt, ob er überhaupt aktiv regieren will: „Das politische Theater ist seine Kraft. Das wird er niemals eintauschen für den Maschinenraum der Politik, für ‚Verantwortung übernehmen‘. Das war sogar nie die Absicht.“

Doch auch jetzt schon habe die schleichende Aushöhlung des Rechtsstaates eingesetzt, stellt De Externer Link: Volkskrant bitter fest: „Die Verletzung [des Rechtsstaates] ist schon länger zugange und wird durch die Regierungsbildung normalisiert: Politiker behandeln Grundrechte und die Werte, für die sie stehen, nicht als positiven Auftrag, nein, sie wurden reduziert zu einer Untergrenze.“ Eine Regierungsbeteiligung der PVV werde sicher zu Einschnitten beim Asylrecht und dem öffentlichen Rundfunk führen, nach italienischem Vorbild, prognostiziert die Externer Link: Tageszeitung.

Für die eher gemäßigten Parteien NSC und VVD gibt es keine Alternative zur Zusammenarbeit, sie fürchten Neuwahlen. Externer Link: Die Umfragewerte für die PVV steigen. Erster Test wird die Europawahl sein. Der PVV winkt ein großer Sieg, auch weil Wilders seine radikale Forderung nach dem „Nexit“ auf Eis legte. Er folge damit, so Externer Link: NRC, dem Trend radikal-rechter Parteien, die Europa von innen heraus verändern wollten: „Sie benutzen die EU gerade für ihre eigenen Ziele.“

Ungarn: Neue Opposition stellt Orbáns Ambitionen in Frage

Vor einigen Wochen noch schien der EU-Wahlkampf in Ungarn nach dem üblichen Muster abzulaufen: Es wurde erwartet, dass die Fidesz-Partei von Viktor Orbán weiterhin betonen würde, dass die Politik der EU für Ungarn eine Gefahr darstelle, weil sie Externer Link: „für den Krieg und für die Migration“ sei, während die meisten Oppositionsparteien versuchen würden, ein Pro-EU-Narrativ zu schaffen. Die Kampagne der Fidesz läuft wie vorhergesehen ab, aber möglicherweise verändert sich das Feld der Opposition: Péter Magyar, ein 43-jähriger Rechtsanwalt, der früher zu den Kreisen der Regierungspartei gehörte, trat vor einigen Wochen an die Öffentlichkeit und übte scharfe Kritik am Orbán-System. Nun wird er Orbán bei den EU-Wahlen herausfordern, setzt sich für eine konstruktivere EU-Politik ein und möchte im Falle eines Mandatsgewinns der Europäischen Volkspartei beitreten. Im April wurde seine Partei Respekt und Freiheit (TISZA) bereits zur beliebtesten Oppositionspartei, die laut dem Meinungsforschungsinstitut Externer Link: Medián 25 Prozent der Stimmen bei der EU-Wahl erreichen könnte. „Péter Magyars Fähigkeit, Sympathisanten von der Fidesz zu gewinnen, ist bisher eingeschränkt. Einstweilen kann er eher Leute von der Opposition und Unentschlossene anziehen. Kurzfristig ist dies eine gute Nachricht für Fidesz, denn so kann sie ihre eigene Stammwählerschaft mobilisieren, um die EU-Wahlen zu gewinnen – wenn auch vielleicht mit dem niedrigsten Stimmenanteil aller Zeiten”, prognostiziert das Onlineportal Externer Link: Telex.

Das politische Gewicht der ungarischen Regierungspartei in der EU kann stark davon beeinflusst werden, wie viele Sitze sie im Europäischen Parlament gewinnt. Denn Fidesz ist aus der Europäischen Volkspartei ausgetreten und wird sich in der nächsten Legislaturperiode eine neue Fraktion suchen müssen. Insbesondere der Beitritt zur EKR könnte eine Option sein: „Für Orbán wäre es von größter Bedeutung, möglichst viele der 21 Sitze zu gewinnen, die Ungarn zustehen. … Denn die Verbündeten kommen aus viel bevölkerungsreicheren Ländern und werden mehr Abgeordnete stellen als Fidesz”, erklärt Externer Link: Hvg. Orbáns Vorstellungen über eine Machtübernahme der Rechten bei der EU-Wahl werden jedoch nach Ansicht von Externer Link: Népszava nicht in Erfüllung gehen: „Es wird im Europäischen Parlament keine rechte Mehrheit geben, so wie sie sich unser Premierminister vorstellt. Die beiden populistischen Formationen … entfernen sich immer weiter voneinander. Sie sind nun nicht nur in der Frage der Hilfe für die Ukraine gespalten, sondern auch in der Frage, wie sie zu der Zusammenarbeit mit der gemäßigten Rechten stehen sollten”.

Portugal: Setzen die Rechtspopulisten ihren Höhenflug fort?

Lange Zeit schien Portugal immun gegenüber Rechtspopulisten zu sein. Doch seit dem Einzug der Partei Chega (auf deutsch: „Es reicht!“) ins portugiesische Parlament vor fünf Jahren haben die Rechtspopulisten deutlich an Zuspruch gewonnen. Der vorläufige Höhepunkt: Bei den Parlamentswahlen Anfang März 2024 kam Chega auf 18 Prozent der Stimmen und 50 Abgeordnete. Das reicht, um die portugiesische Politik durcheinander zu wirbeln.

Die liberal-konservative Minderheitsregierung lehnt bislang eine Zusammenarbeit mit den Rechtspopulisten ab – und zwingt damit aber auch die Sozialisten, ihre Oppositionsrolle zuweilen aufzuweichen: Denn wenn die beiden großen gemäßigten Volksparteien es nicht schaffen, die schwelenden Lohn- und Tarifkonflikte im öffentlichen Dienst gemeinsam zu lösen, droht eine neue politische Krise. Dieser Spagat sei zwar notwendig, aber nicht gesund für die Demokratie, schreibt die Tageszeitung Externer Link: Público.

Der Erfolg von Chega wirkt auf die gemäßigte liberal-konservative Volkspartei PSD weiter destabilisierend. Chegas Parteigründer und Vorsitzender André Ventura stammt selbst aus den Reihen der PSD. Nach der Parlamentswahl hat sich der ehemalige konservative Premierminister Pedro Passos Coelho offen für ein Bündnis zwischen PSD und Chega ausgesprochen und damit den Druck auf seine Parteifreunde in der neuen Regierung erhöht. Ultrakonservative und Rechtspopulisten finden bei gesellschaftlichen Fragen Gemeinsamkeiten. In ihren rückständigen Ideen über Homosexuelle und die Rolle der Frau in der Gesellschaft „spürt man nur Hass, Moralismus und die Unfähigkeit zu akzeptieren, dass es verschiedene Formen der Liebe, des Lebens und der Familie gibt“, schreibt die Wochenzeitung Externer Link: Expresso.

Ob die Chega-Partei den Höhenflug bei der Europawahl fortsetzen kann, ist fraglich. Bei den Parlamentswahlen hatten die Rechtspopulisten auch deshalb so gut abgeschnitten, weil sie viele Neuwähler überzeugen konnten: Die Externer Link: Wahlbeteiligung lag bei rund 66 Prozent und damit so hoch wie seit 1995 nicht mehr. Politische Beobachter erwarten, dass am 9. Juni wieder deutlich weniger Menschen wählen gehen werden. In einer jüngsten Umfrage im Auftrag der Tageszeitung Externer Link: Correio da Manhã macht sich das bereits bemerkbar: Chega kommt hier auf nur noch knapp elf Prozent.

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