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Nicht nur Freunde - Die Stasi und Polens Geheimdienst MSW

Dr. Tytus Jaskulowski

/ 11 Minuten zu lesen

In Polen wird die Aufarbeitung der Vergangenheit groß geschrieben. Dabei kam auch vieles über das Verhältnis von Polens Geheimdienst zur Stasi ans Licht. Das MfS war stärker ideologisch geprägt.

Umfangreiche Aktenmappen im Stasi-Archiv belegen eine intensive Ausforschung der polnischen Regierung und Gesellschaft. Sie entstanden zum Teil im Informationsaustausch mit Polens Geheimdienst MSW, zum Teil mithilfe diplomatischer Kontakte des DDR-Außenministeriums und Journalisten und zum Teil durch eigene Quellen, sei es im Bereich der katholischen Kirche, von Ministerien oder der polnischen Opposition. Als etwa der Papst im Juni 1987 Polen besucht, werden ausführlich "Aktionen des konterrevolutionären Gegners" aufgelistet. Reisestation für Reisestation ist nachzulesen, wo welche Parolen skandiert worden sind, etwa "Solidarność lebt!" in Warschau, "Mehr Brot, weniger Miliz!" in Krakau oder "Wir wollen eine Generation freier Studenten sein!" in Lugansk. Auch Informationen über geplante Gesetze werden aus Ministerien zusammen getragen oder über Streiks, dabei helfen Gesprächspartner wie "Fred 412", "Schröder" oder "Kenny" der MfS-Hauptabteilung II, die sich nicht nur als klassische Spionageabwehr verstand, sondern auch eigene aktive Maßnahmen im jeweiligen Operationsgebiet durchführte.

Von der Stasi fotografierte "Hetzlosung" im Sonneberger Stadtteil Köppelsdorf "Macht es wie die Polen". "Druckschrift nicht klassifizierbar" hat das MfS in einem Untersuchungsvorgang notiert. (© BStU Außenstelle Leipzig)

Als "geheimdienstliche Zusammenarbeit" wird normalerweise jede Art von Aktivität definiert, die ein Geheimdienst in Absprache mit einem anderen Geheimdienst unternimmt, unabhängig davon, ob sich die Staaten, die die Dienste vertreten, in ihren offiziellen Beziehungen als befreundet oder verfeindet betrachten. Eine solche "Zusammenarbeit" kann unterschiedliche Formen annehmen: Entsendung von Vertretern, Eröffnung von Vertretungen, Informationsaustausch oder Hilfeleistungen. Nur in Sonderfällen werden gemeinsame Operationen durchgeführt. Dabei steht der eigene Vorteil bei möglichst geringem Aufwand stets im Vordergrund. Zudem impliziert eine formell deklarierte Zusammenarbeit keinesfalls, dass sich die Parteien als Partner betrachten und einander vertrauen, sondern es ist im Gegenteil nicht ausgeschlossen, dass sie gegeneinander offensive Maßnahmen, einschließlich Spionage, durchführen. Dies war auch üblich zwischen dem MfS und Polens ehemaligem Sicherheitsdienst. Bis 1956 war dies das MSW (Ministerium für innere Angelegenheiten - Ministerstwo Spraw Wewnętrznych), nach einer Umstrukturierung ging daraus der Sicherheitsdienst SB (Służba Bezpieczeństwa), hervor, der bis 1990 die Geheimpolizei und ein Geheimdienst der Volksrepublik Polen war. Ihm gehörten zuletzt 24.300 feste Funktionäre und ungefähr 90.000 inoffizielle Mitarbeiter an, .

Politische Polizei versus Geheimdienst?

Formell gesehen hatten beide Dienste die gleiche Aufgabe: das eigene totalitäre Regierungssystem zu schützen und seine Gegner einzuschüchtern und zu verfolgen. Dazu bedienten sie sich sowohl einer (enormen) Zahl inoffizieller Mitarbeiter als auch physischer Gewalt, indem sie die Oppositionellen oder alle aus ihrer Sicht Verdächtigen ausspionierten, verfolgten, misshandelten oder töteten. Insofern übten beide Ministerien Funktionen der politischen Polizei aus. Da die DDR ein künstlicher Staat ohne Identität war, mussten jene Funktionen entsprechend umfassender sein. Deshalb war das MfS ohne Zweifel aus ideologischer, personeller und organisatorischer Sicht erheblich stärker und konsolidierter als die polnische Seite, die aber in ihren Methoden nicht weniger Härte zeigte. Allein während des Kriegsrechts in Polen in den Jahren 1981 bis 1983 wurden nachweislich 88 Dissidenten der Gewerkschaftsbewegung Solidarność getötet. Schlagzeilen weit über die Landesgrenzen machte im Oktober 1984 die Ermordung des römisch-katholischen Priesters Jerzy Popiełuszko, dessen St.-Stanisław-Kostka-Gemeinde nach dem Solidarność-Verbot im Oktober 1982 zum Sammelbecken für oppositionelle Bürgerrechtler geworden war. Täter waren drei Offiziere des polnischen Staatssicherheitsdienstes.

Permanente politische Krisen in der Volksrepublik Polen, regelmäßige Ausbrüche der sozialen Unzufriedenheit sowie die Stärke der Opposition haben allerdings dazu beigetragen, dass Polens SB und nicht das MfS die wichtigste Eigenschaft eines Geheimdienstes entwickeln konnte, nämlich die Fähigkeit, den Entscheidungsträgern die politische Lage sowie die Vorschläge für das weitere Vorgehen offen und ideologiefrei zu präsentieren. Daher war der polnische Geheimdienstchef derjenige, der 1989 mit dem alten Gegner, also der polnischen Solidarność, begann, über die Demokratisierung des Landes zu verhandeln. Dazu war die SED-/MfS-Führung nicht fähig.

Warum haben die Stasi und das polnische Innenministerium einerseits kooperiert und andererseits gegeneinander gearbeitet?

Als Hauptgegner von MfS und MSW galten ursprünglich die Geheimdienste der NATO-Staaten. Die vorhandenen Möglichkeiten der Stasi, in der Bundesrepublik zu agieren und die ggf. gewünschte Unterstützung seitens ausländischer Partner war also für die polnische Seite ein willkommener Umstand, um z. B. BND-/CIA-Aktionen gegen Polen aufzudecken. Dazu tauschten beide Dienste gewonnene politische Informationen aus. Doch sie agierten zunehmend auch gegeneinander. In erster Linie aus Misstrauen. Polen, wo die politische Opposition, vor allem ab 1980, eine enorme Rolle spielte, stellte für die Existenz des SED-Systems eine Gefahr dar. Deshalb versuchte die Stasi, die polnische Dissidenz zu infiltrieren und operativ Informationen in Polen zu sammeln, auch zu Lasten des dortigen Regimes. Das Ziel dessen war, möglichst konservative kommunistische Kräfte in der Volksrepublik Polen (VRP) zu stärken. Das polnische Innenministerium bekämpfte dies und führte in der DDR eine eigene Aufklärung durch. Es wollte aber nur erfahren, wie (in)stabil die DDR war oder welche Schritte die SED gegen Polen plante, um z. B. polnische Demokratisierungsbestrebungen zu bekämpfen. Die Stereotype und das Misstrauen auf beiden Seiten belasteten auch die offiziellen Kontakte. So wurde absichtliche Unzuverlässigkeit zum Bestandteil des gemeinsamen geheimdienstlichen Alltags.

Rechtliche Grundlagen der Zusammenarbeit

Zwischen dem MfS und SB waren drei Arten von Vereinbarungen zu unterscheiden. Die erste war die offizielle Vereinbarung auf der höchsten ministeriellen Ebene. Sie wurde am 16. Mai 1975 in Warschau unterzeichnet. Darin wurde die Notwendigkeit der Zusammenarbeit festgestellt und ihre allgemeinen Formen (Informationsaustausch), Ziele (Eindringen in die wichtigen Objekte des Gegners) sowie die übliche Frequenz der bilateralen Kontakte und Konsultationen (einmal jährlich auf der höchsten Ebene) festgeschrieben.

Präziser waren die Abkommen zwischen den wichtigsten Einheiten beider Dienste, nämlich den Hauptabteilungen (MfS) und Departments auf polnischer Seite. Dort wurde nicht nur "der Gegner" genauer definiert (BND, CIA), sondern auch konkrete Maßnahmen sowie Instrumente der operativen Arbeit bestimmt. Diese Abkommen enthielten konkrete Pläne der Zusammenarbeit, Verfahren bei bilateralen Ermittlungen usw.. Am wichtigsten waren jedoch Anlagen und Anhänge zu den diesen Vereinbarungen, die alle zwei bis drei Jahre ergänzt wurden. Sie waren ein Verzeichnis der laufenden Operationen gegen bestimmte Dienste/Gegner und mit Durchführungs-Hinweisen versehen. Alle Dokumente hatten allerdings nur formellen Charakter und die Abmachungen wurden mehrmals gebrochen – vor allem dort, wo die eigenen Interessen und nicht die des Partners Vorrang hatten.

Die Kooperation der Auslandsaufklärung/Spionageabwehr

Gemeinsame Projekte der Aufklärungs- und Abwehrdienste stellten auch nur einen Bruchteil der gesamten Tätigkeit dar. Alle zwei Jahre bearbeitete man zusammen 10 bis 13 "Vorgänge". Das bedeutet, dass man pro Gegner, etwa dem BND, vier bilaterale Operationen innerhalb von 24 Monaten genehmigte. Die klassische Abteilung der Spionageabwehr der Stasi (HA II) eröffnete hingegen (in den 1980er Jahren) jährlich 250 neue Vorgänge. Ein gemeinsamer Vorgang hieß: deutsch-polnisches Abhören der NATO-Botschaften, Vorbereitung und Steuerung der Doppelagenten, die westliche Dienste mit gefälschten Informationen versorgten, gemeinsame Suche nach Verrätern in eigenen Regierungseinrichtungen, Observation von Ausländern, die man als fremde Agenten/Spione betrachtete, aber auch regelmäßiger Austausch von politischen Analysen oder technische Hilfe, etwa bei der Beschaffung von fiktiven Adressen oder der Wartung der chiffrierten Funkverbindungen.

Besonders wichtig war die ostdeutsche Vermittlung beim Austausch von in Westeuropa festgenommenen polnischen "Kundschaftern". Gemeinsame Operationen bedeuteten aber nicht, dass beide Dienste einander trauten. Es war beispielsweise verboten, den Verbündeten die neueste eigene Technik zur Verfügung zu stellen. Außerdem sagten sich beide Dienste nie die Wahrheit über ihre Unterstützung international operierender Terroristen. Auch ließ Polens Geheimdienst die vom MfS angebotenen Sprachkurse ungenutzt, aus Sorge, dort könnten von den Teilnehmern Informationen über Polen gesammelt werden.

Die Bekämpfung der politischen Opposition

Die Verfolgung von Regimegegnern war eine von beiden Seiten zweifelsfrei anerkannte Aufgabe. Ihre Ausführung war jedoch unterschiedlich. Ziel der Stasi war, Opposition zu zersetzen und komplett zu eliminieren. Polens Sicherheitsdienst hingegen betrachtete sie zunehmend als ein Element des Alltags, das man kontrollieren und beeinflussen, aber nicht internieren, ausbürgern oder physisch vernichten muss. Außerdem versuchte das MfS, die polnische Dissidenz auf eigene Faust zu infiltrieren, was aus polnischer Sicht inakzeptabel war. Deswegen wurde die technische Kooperation bevorzugt. Die Stasi lieferte sowohl die technische Ausrüstung, um die oppositionellen Solidarność-Radiosender zu verfolgen, als auch Informationen über polnische Dissidententreffen und Aktivitäten in Westberlin bzw. in der Bundesrepublik. Gemeinsam wurden die Transportwege der im Westen gedruckten oppositionellen und nach Polen geschmuggelten Schriften ermittelt und kontrolliert. Außerdem informierte der SB die Stasi über polnische Kontakte der ostdeutschen Oppositionellen.

Das MfS wollte selbstverständlich eigene Quellen in der Nähe der Solidarność-Kreise in Polen haben. Jegliche Entdeckung solcher Aktivitäten durch Polens Geheimdienst endete entweder mit einer Verschlechterung der Zusammenarbeit oder mit der weiteren Arbeit der Agenten unter polnischer Kontrolle. Doch auch die polnische Auslandsaufklärung in der DDR versuchte - ohne Genehmigung der Stasi - eigene Kontakte mit ostdeutschen Dissidenten zu knüpfen, um sich ein eigenes Bild der sozialen Lage und Stimmung der DDR-Gesellschaft zu verschaffen.

Die Bekämpfung der Kirchen und Glaubensgemeinschaften

Sehr viel hilfsbereiter waren sich beide Dienste beim Ausspähen von Kirchen. In diesem Bereich herrschte das größte operativ bedingte Ungleichgewicht. Die katholische Kirche in Polen war eine enorme politische Macht, was entsprechende Ressourcen der für ihre Bekämpfung zuständigen Einheiten von Polens Geheimpolizei erforderte. Die kleinen protestantischen Gemeinden in der DDR hingegen hatten weder den Einfluss noch die Möglichkeiten der polnischen Christen. Insofern war Polens Geheimdienst derjenige, der dem MfS auf diesem Gebiet Hilfe und Unterstützung anbieten konnte, vorzugsweise logistischer Art. So wurden alle ostdeutschen christlichen Initiativen beobachtet, die Kontakte mit Polen suchten, etwa die Aktion Sühnezeichen, Pilgerfahrten ostdeutscher Katholiken nach Polen wurden kontrolliert und alle politischen Statements der dort anwesenden ostdeutschen Geistlichen sorgfältig registriert.

Stasi-Karteikarte aus Frankfurt (Oder) über von Reisenden beschlagnahmte polnische Untergrundliteratur über die Reform-Gewerkschaft Solidarnosc.

(© BStU Außenstelle Frankfurt (Oder))

Auch politische Informationen wurden ausgetauscht, die in den deutschen bzw. polnischen Milieus im Vatikan beschafft werden konnten. Polens Geheimdienst war außerdem an der Überwachung der polnischen Seelsorge in der DDR interessiert, allerdings durch eigene Offiziere, die getarnt in Gruppen polnischer Vertragsarbeiter in der DDR tätig waren. Gleichzeitig nutzten beide Geheimdienste religiöse Gruppen, um Lageinformationen über das Nachbarland zu sammeln.

Die Kontrolle der eigenen Bürger

Das Verhalten der eigenen Bürger möglichst genau zu beobachten, gehört zu den immanenten Aufgaben eines jeden Geheimdienstes in totalitären Staaten. Das MfS und Polens Geheimdienst halfen sich gegenseitig, eigene Bürger im Blick zu behalten, die sich außerhalb der jeweiligen Hoheitsgebiete aufhielten. Pro Jahr stellten beide Dienste einander bis zu 200 Anfragen/Aufträge mit dem Ziel, eine klassische Beobachtung durchzuführen oder festzustellen, was die Zielpersonen in der DDR, in Polen, in Westberlin bzw. in der Bundesrepublik gesagt, gemacht oder gesehen hatten. Ebenso oft wurden Informationen dieser Art ohne Anfrage an den Partnerdienst geschickt.

Eigene Bürger konnten auch auf Bitte des Partners geheimdienstlich überprüft werden, allerdings nicht wegen Spionageverdachts, sondern weil etwa das Kind eines Politikers oder ein MfS-Funktionär eine Polin/einen Ostdeutschen heiraten wollte. Häufig handelte es sich auch um Fälle, in denen strafrechtlich ermittelt wurde. Doch nicht immer tauschten beide Dienste ihre vollständigen Erkenntnisse aus. Die Stasi wollte grundsätzlich umfassende Dossiers erstellen, was aus polnischer Sicht nicht immer gewollt war, auch aus Zeitgründen. Es wurden oft Daten verschwiegen, die in der DDR den überprüften polnischen Bürgern schaden konnten. Grundsätzlich entschied das operative Interesse, ob über eine Zielperson positiv bzw. negativ berichtet wurde.

Die Bewachung der Staatsgrenze

Entlang der Grenze hatte die Zusammenarbeit das Ziel, das Grenzkontrollsystem lückenloser zu machen und aus ostdeutscher Sicht eines der gravierendsten Delikte, nämlich die sog. Republikflucht der eigenen Bürger, zu verhindern. Da Polen im Ostblock seit 1970 eines der liberalsten Reise- und Grenzregime hatte, fiel die Zusammenarbeit jedoch minimal aus. Pro Jahr wurden in Polen nur rund 20 DDR-Bürger, die die Grenze illegal passieren wollten, festgenommen und der Stasi übergeben. Trotzdem tauschten beide Ministerien Erkenntnisse aus, beispielsweise wie die Schmuggler und deren neue Fluchtwege aussahen, welche Pässe benutzt wurden und ob die Botschaft der Bundesrepublik Deutschland dabei eine Rolle spielte.

Die Entstehung der Solidarność 1980 in Polen sowie die Einführung des Kriegsrechts 1981 trugen außerdem dazu bei, die Grenzkontrollen der DDR zu Polen entsprechend zu verschärfen, und zwar sowohl als Repressionsmittel als auch als Element zur Bekämpfung des Schmuggels von illegaler Literatur, Finanzmitteln für die Opposition usw. Das harte Grenzregime der DDR hatte aber für die Stasi auch Nachteile. Abweichungen in den durchgeführten Zolldurchsuchungen wurden in Polens Geheimdienst so interpretiert, dass jene Personen, die in den Genuss einer vereinfachten Kontrolle kamen, als IM für das MfS arbeiteten.

Der Kampf gegeneinander

Trotz ihrer formell deklarierten Freundschaft führten sowohl die polnischen Geheimdienstler als auch das MfS Operationen gegeneinander aus, und zwar mit dem Ziel, möglichst viele Informationen über den "Verbündeten" zu gewinnen. Im Mittelpunkt jener Operationen standen die legalen geheimdienstlichen Vertretungen (Legalresidenturen) beider Länder, getarnt in den Botschaften bzw. Konsulaten im Gastland. In Ostberlin arbeitete die polnische "Operativgruppe Karpaten", in Polens Hauptstadt die "Operativgruppe Warschau" des MfS. Sie umfasste 5 bis 15 Offiziere, die als Diplomaten fungierten, außerdem verdeckte Mitarbeiter, die in anderen Einrichtungen tätig waren (Handelsvertretungen, Kulturzentren) sowie eigene Informantennetze.

Neben ihrer offiziellen Rolle in den geheimdienstlichen Verbindungsbüros, versuchten die in den Residenturen tätigen Offiziere, Agenten im Gastland anzuwerben, die Regierungsinformationssysteme der anderen Seite zu knacken sowie alle relevanten politischen oder wirtschaftlichen Erkenntnisse über Polen (bzw. die DDR) zu sammeln. Sie mussten allerdings mit Abwehrmaßnahmen der jeweiligen Spionageabwehr rechnen. Wie alle anderen Diplomaten wurden auch Geheimdienstler beobachtet. Beide Dienste versuchten, Agenten umzudrehen und zu Doppelagenten zu machen. Botschaften und andere Einrichtungen wurden ständig und umfassend abgehört. In den brisantesten Fällen, etwa wenn die Stasianwerbungen polnischer Bürger aufgedeckt wurden, musste sich das MfS dafür offiziell entschuldigen.

Inoffizielle Mitarbeiter

Die Suche nach menschlichen Informationsquellen blieb auf beiden Seiten das wichtigste Ziel und Instrument der geheimdienstlichen Arbeit. Deswegen versuchten sowohl das MfS als auch dessen polnisches Pendant eigene Quellen zu gewinnen. Dies mussten nicht unbedingt Bürger des Gastlandes sein. Hauptsache, sie boten Zugang zu Personen, die über relevante Informationen verfügten, bewusst oder unbewusst. Beide Dienste bauten dabei auf etwa 50 bis 100 Personen, die in drei Gruppen gegliedert werden können. Die größte mit mehr als 50 Prozent waren klassische IM, die im Heimatland wohnten und gelegentlich Sommerurlaub z. B. in Polen machten, um dabei Einheimische auszuhorchen, Demonstrationen zu fotografieren und oppositionelle Flyer zu sammeln.

Polnische Gedenkpostkarte für den 1984 von Polens Geheimdienst ermordeten Priester Jerzy Popieluzko, dessen Gemeinde zu einem Sammelbecken der Opposition geworden war. Die Karte wurde von der Stasi abgefangen und beschlagnahmt. (© BStU Frankfurt (Oder))

Die zweite Gruppe (40 Prozent) waren ebenfalls IM, die als Diplomaten, Journalisten, Dolmetscher oder Reiseleiter professionell im Gastland tätig waren. Nur die letzten zehn Prozent agierten als Agenten im klassischen Sinne, darunter auch Doppelagenten oder Anbieter, d. h. Personen, die von sich aus dem MfS Informationen übergeben wollten. Je kleiner die Gruppe, desto größer das Misstrauen, dass der Informant faktisch für die Spionageabwehr des Gastlandes arbeitete.

Die gegenseitige Wahrnehmung und die Lageanalysen des Gastlandes

Nicht die operative Arbeit, sondern die kompetente Berichterstattung darüber gilt als Hauptaufgabe jedes Geheimdienstes. Die gelieferten Informationen sollten den politischen Machthabern dabei helfen, richtige Entscheidungen zu treffen. Die Tatsache, dass dies beim MfS nicht gelungen ist, war die folgenreichste Schwäche der Stasi. Sie verfügte über genug Informationen, um eine objektive Analyse der Lage in Polen vorzunehmen. Dies tat sie aber nicht, weil Objektivität seitens der SED-Führung nicht erwünscht war. Statt sachlich zu analysieren, lieferte das MfS ausgewählte und subjektiv eingeordnete Fakten, die die vorab geäußerten Ängste der ostdeutschen Parteileitung untermauern sollten.

Die polnische Aufklärung hingegen konzentrierte sich darauf, kompakte, ideologiefreie, kurze und objektive Berichte vorzulegen, und zwar mit dem Ziel, die Lage in der DDR zu verstehen und ihre Zukunft richtig zu prognostizieren: Das Wachsen der DDR-Opposition, der unvermeidbare Kollaps der DDR-Wirtschaft sowie die Sehnsucht nach einer Wiedervereinigung waren seit der zweiten Hälfte der 1980er Jahre für den polnischen Geheimdienst vorhersehbar. Ebenso wurde registriert, dass die SED-Spitze, die Entwicklung in Polen nicht nachvollziehen konnte - genauso wenig, wie die im eigenen Land.

"...dass die Parteileitung nur solche Informationen von den Geheimdiensten will und toleriert, die ins Bild passen..."

Die polnischen Geheimdienste rechneten mindestens seit 1987 mit der unvermeidbaren politischen Wende in der DDR. Darüber geben Berichte Auskunft, die aus Polens Botschaft in Ostberlin an die Regierungsspitze in Warschau funkte. Beispielsweise folgendes Dokument, das nach einem Gespräch mit einem hohen Offizier aus der Auslandsaufklärung HV A des MfS entstand:

06.03.1987, Chiffretelegramm aus Ostberlin an die Abteilung I des Innenministeriums über die Ansichten der Offiziere der HV A bzgl. der Veränderungen in der UdSSR / Chiffretelegramm Nr. 2121 / aufgegeben am 06.03.87 um 18:00 Uhr aus der Berliner Botschaft

Betrifft: D[eutschland] Niedergeschrieben von Offizier „Nold“ von einem hohen Beamten des Geheimdienstes1; angenommen durch Off. „Nold“.

Die Veränderungen in der UdSSR treffen bei den Mitarbeitern des Geheimdienstes auf vollstes Verständnis und ihre Unterstützung. Der Geheimdienst sieht die Notwendigkeit der Veränderungen in der DDR und meint, dass das, was sich im Bereich der Demokratisierung in der UdSSR und in Polen abspielt, dem Sozialismus dient und sich sicherlich früher oder später in allen sozialistischen Staaten vollziehen muss. Es herrscht die generelle Ansicht, dass die gegenwärtige Parteileitung keinerlei Interesse an Veränderungen zeigt und sich krampfhaft an die alten Methoden klammern wird. Die primitive und naive Erfolgspropaganda hat ein starkes Anwachsen der Kritik an Honecker zur Folge, da sich das Volk der tatsächlichen Situation im Staat bewusst ist. Unter den Bedingungen, wie sie in der DDR vorherrschen, ist dies bisher keine offen und öffentlich geäußerte Kritik, dennoch besteht die Befürchtung, dass es, sollte es zu keinen wesentlichen, kontrolliert von oben gelenkten Veränderungen kommen, zu starkem Druck von unten kommen wird, was zu ernsthaften Komplikationen führen kann.

Nicht nur der Geheimdienst, sondern auch andere Kreise glauben nicht, dass mit dem aktuellen Kader wichtige Umgestaltungen möglich sind und vertreten daher die Ansicht, dass tiefgreifende personelle Veränderungen innerhalb der Parteileitung notwendig sind. Als besonders gefährlich erachtet man die Tatsache, dass die Parteileitung nur solche Informationen von den Geheimdiensten will und toleriert, die ins Bild passen und die vor allem die Einschätzung der Stimmung innerhalb der Gesellschaft nicht in Frage stellen. 1 Informationen über ihn wurden weggelassen.

Seit Längerem werden die Geheimdienstkreise von Honeckers starken und unbegründeten Ambitionen auf dem Gebiet der Außenpolitik beunruhigt. Allen Eingeweihten ist bekannt, dass H[onecker] versucht, innerhalb der sozialistischen Staatengemeinschaft die Beziehungen zur BRD zu monopolisieren und dass er sie zu stark ausbaut und dadurch berechtigtes Misstrauen vor allem seitens der UdSSR und Polens weckt, was dazu führen musste, dass Druck auf ihn ausgeübt wurde, zwei geplante Besuche in der BRD abzusagen. Überhaupt zeigt sich das Übermaß seiner Ambitionen auch darin, dass er versucht, der Welt die DDR als zweiten Staat im sozialistischen Lager zu präsentieren, ohne zu verstehen, dass objektiv betrachtet Polen, trotz verschiedener Probleme, aufgrund seines menschlichen, wirtschaftlichen und geographischen Potenzials den zweiten Platz nach der UdSSR unter den sozialistischen Staaten einnimmt.

Vertrauenswürdige Quelle.2 Vertrauenswürdige und wertvolle Information.3

Der Gesprächspartner unterstrich, dass die von ihm geäußerten Ansichten repräsentativ für das Geheimdienstmilieu seien und betonte, dass in den übrigen Abteilungen des Sicherheitsapparates keine derartige Meinungsgleichheit herrsche. Er unterstrich zudem, dass die Offenheit, mit der er seine Ansichten äußere, selten anzutreffen sei." /-/ NOLD

Die Notiz ist vom Osteuropa-Zentrum Berlin mit Sitz in der ehemaligen Stasi-Zentrale in Band 2 der Reihe „Kommunistische Geheimdienste Osteuropas“ als Quellenedition mit dem Titel „Die Revolution im Spiegel des Spions - Die Wende in der DDR 1989 in den Berichten der polnischen Auslandsaufklärung“ herausgegeben worden. Abgedruckt sind 50 ausgewählte Dokumente des polnischen Innenministeriums, sie umfassen Notizen der hauptamtlichen Mitarbeiter, Berichte der inoffiziellen Mitarbeiter als auch Lageinformationen, die für die polnische Partei- und Staatsspitze vorgesehen waren.

Der Politologe Tytus Jaskulowski ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Hannah-Arendt-Institut in Dresden mit dem Forschungsschwerpunkt "Zusammenarbeit zwischen dem MfS der DDR und dem polnischen Geheimdienst 1970-1990".