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Eine Nation entsteht | USA | bpb.de

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Eine Nation entsteht Die Geschichte der USA bis 1787/91

Philipp Gassert

/ 7 Minuten zu lesen

Schon vor vermutlich über 13.000 Jahren siedelten Menschen auf dem Territorium der heutigen USA. Um 1000 bildeten sich dort erste Hochkulturen, bevor seit dem 16. Jahrhundert die ersten Menschen aus Europa und Afrika einwanderten, letztere unter Zwang als Versklavte. 1776 erklärten 13 britische Kolonien ihre Unabhängigkeit, die 1789 Realität wurde.

Das Gemälde von John Trumbull mit dem Titel "Declaration of Independence" zeigt die Aushandlung der Unabhängigkeitserklärung der USA. (© picture-alliance, United Archives/WHA )

Menschen wanderten auf das heutige Territorium der USA irgendwann zu einem nicht sicher geklärten Zeitpunkt während der letzten Eiszeit ein, über eine Landbrücke aus Asien oder entlang der Küsten. Während in Zentralamerika schon vor über 3.000 Jahren Hochkulturen existierten, wurde im ersten Jahrtausend der Südwesten der USA von Mittelamerika aus kolonisiert. Vor 1300 erreichte die Anasazi-Kultur ihre Blüte. In Cahokia bei St. Louis wurden unter mesoamerikanischem Einfluss gewaltige Erdpyramiden errichtet, die größten derartigen Strukturen weltweit.

Im Süden der heutigen USA existierten zur Zeit des ersten europäischen Kontakts um 1500 komplexe Gesellschaften mit Arbeitsteilung, intensiver Landwirtschaft sowie ausgedehntem Handel entlang der Flüsse und Küsten. Wie viele Menschen damals in Nordamerika lebten, ist kontrovers. Sicher ist, dass von Europa eingeschleppte Krankheiten zu einem massiven Bevölkerungsrückgang führten und zur erneuten Verwilderung längst kultivierter Gebiete, als im 17. Jahrhundert im Süden und Osten der heutigen USA europäische Siedlungstätigkeit begann.

Im 17./18. Jahrhundert prägten Nordamerika zunehmend europäische Rivalitäten. Zunächst hatte sich im Norden des spanischen Imperiums eine europäisch-indianische Grenzzone gebildet (Santa Fé, 1589). Dann schufen Franzosen ihr Handelsimperium in Kanada (Québec, 1608). Auch die Holländer (Neu Amsterdam auf Manhattan, 1625) beteiligten sich am Pelzhandel. Das verschärfte Konflikte zwischen einigen indigenen Völkern, die sich mit Kolonialmächten gegen ihre traditionellen Feinde verbündeten. Um das französische, britische und russische Vordringen (Alaska) zu stoppen, stieß Spanien nach 1700 nach Arizona, Texas und Kalifornien vor (San Francisco, 1776).

Von 1600 bis 1800 migrierten etwa 1 Million Europäer und Europäerinnen nach Nordamerika, zugleich wurden 2,5 Millionen Afrikaner und Afrikanerinnen als Versklavte gewaltsam dorthin verschifft, verstarben aber vielfach schon auf der Überfahrt. Prägend für die USA wurden die englischen Atlantik-Kolonien, ausgehend von der Gründung Virginias (Jamestown, 1607). Hier wie auch in Maryland etablierte sich das Muster der englischen Siedlerkolonie, die auf Agrarexporte zielte. Mit dem profitablen Tabakanbau wuchs der Arbeitskräftebedarf. 1619 landeten holländische Freibeuter erstmals afrikanische Versklavte an.

Die Ursprünge Virginias waren kommerzieller Natur, die Neuenglands ideologischer. Dort siedelten Puritaner, religiöse Oppositionelle gegen die anglikanische Staatskirche. Sie setzten auf persönlichen Glauben, religiöse Wiedergeburt, disziplinierte Arbeit und strikte Moral. Eine Gruppe puritanischer Separatisten, die Pilgrim Fathers, gründeten 1620 Plymouth. Noch auf dem Schiff unterzeichneten sie den "Mayflower Compact" und bekundeten ihren Willen zur Selbstregierung. Eine zweite Gruppe puritanischer Kaufleute unter John Winthrop erhielt 1630 das Privileg zur Gründung von Massachusetts, wo sie eine damals denkbar radikale Form der Selbstregierung mit Beamtenwahl und Repräsentativsammlung (Assemblies) verwirklichten.

Im Verhältnis zu Indigenen bildete sich in den englischen Kolonien ein von der spanischen und französischen, stärker auf Vermischung und Integration abzielenden "inkludierenden" Grenze, abweichendes Modell heraus. Der erste größere "Indianerkrieg" gegen die Pequot 1636/37 endete im Genozid. Das Abschlachten von Kindern und Frauen wurde religiös legitimiert. Hauptgrund für den exklusiven Charakter der englischen Grenzen war die Bevölkerungsdynamik. Wo sich Briten wie an der Hudson Bay auf Pelzhandel konzentrierten, setzen auch sie auf Anpassung und Kooperation. Von 1700 bis 1763 verdoppelte sich die europäisch besiedelte Fläche. Beim ersten Zensus 1790 lebten 3,9 Millionen Menschen in USA, davon 750.000 aus Afrika. 48% waren Engländer, 12% Schotten oder Iro-Schotten, etwa 10% Deutsche.

Unabhängigkeit!

Die wachsende Freiheit der Europäer, die in allen Kolonien Repräsentativversammlungen besaßen, die Verschlechterung der Situation der Versklavten sowie die Marginalisierung der Ureinwohner gingen Hand in Hand. In einer Phase relativer Vernachlässigung durch die Krone 1713 bis 1763 bildete sich eine neue politische Kultur heraus. Ein hoher Anteil der weißen Männer hatte das Wahlrecht. Die Assemblies sahen sich als Gegengewichte zu den königlichen Gouverneuren. Weil mehr (weiße) Amerikaner als Europäer des Lesens kundig waren, nahmen sie reger an der Politik teil.

Auch kulturell unterschied sich der nordamerikanische Englishman zunehmend von seinem europäischen "Bruder". Weiße Nordamerikaner und Nordamerikanerinnen definierten ihre Identität in Abgrenzung von rassisch "Anderen", nämlich Indigenen und Schwarzen, nicht primär nach ständischen Kriterien wie in Europa. Einzigartig war die ethnische, kulturelle und religiöse Heterogenität der mittleren Kolonien. Neue Begriffe nisteten sich in der englischen Sprache ein, die man aus dem Französischen, Holländischen, Deutschen oder von indigenen Völkern übernahm. Familiäre Bande waren lockerer als in Europa, reichlich Land erleichterte Selbstständigkeit.

Auch das geistige Leben trug zur Formung "amerikanischer Identitäten" bei. In den 1720er Jahren setzte eine religiöse Erweckungsbewegung ein (Great Awakening), die auf ein nicht von geistlichen Hierarchien sanktioniertes Gotteserlebnis abhob. Intellektuell untergrub die Aufklärung alte Denkmuster. Benjamin Franklin war ihr archetypischer amerikanischer Vertreter. In ihm bündelten sich Erfindergeist mit Fortschrittsoptimismus und bald als "typisch amerikanisch" empfundenem Pragmatismus und Geschäftsgeist.

Dann trug Geopolitik zur Abnabelung bei: Im Siebenjährigen Krieg (1754-1763) verlor Frankreich seine kanadischen Territorien, womit eine äußere Bedrohung wegfiel. Eine Reorganisation des Kolonialreiches durch London sorgte für Zündstoff. 1763 wurde die Siedlungstätigkeit westlich der Appalachen verboten, um Konflikte mit Indigenen einzudämmen. Das empörte einfache Siedler und reiche Landspekulanten. Auch Versuche, die Kolonien zur Rückzahlung der Kriegsschulden heranzuziehen, provozierten Protest. In der Hafenstadt Boston eskalierte der Widerstand, als 1770 Soldaten in eine aufgebrachte Menge schossen und fünf Zivilisten töteten. Im Dezember 1773 warfen dort Kolonisten Tee von Schiffen ins Wasser, um Importsteuern zu vereiteln.

Revolution?

1774 trafen sich Delegierte von 12 Kolonien in Philadelphia. Dieser Kontinentalkongress erklärte feierlich amerikanische Rechte, forderte die Rücknahme der unterdrückerischen Gesetze der Krone und rief zu einem Boykott britischer Waren auf. Im April 1775 kam es zum ersten Gefecht zwischen britischen Truppen und Siedler-Milizen. Der Kontinentalkongress erklärte den Verteidigungszustand. Eine Armee unter George Washington als Kommandeur wurde eingesetzt. Thomas Paine, ein kürzlich eingewanderter englischer Journalist und Radikaler, brach Anfang 1776 das Tabu, als er in seinem Pamphlet "Common Sense" die Unabhängigkeit forderte.

Am 2. Juli 1776 erklärte der Kontinentalkongress die Unabhängigkeit. Der Delegierte Thomas Jefferson lieferte am 4. Juli die Begründung nach. Eloquent zählte er Verfehlungen König Georgs III. auf, erklärte unabänderliche Rechte der Menschen: Leben, Freiheit, und das Streben nach Glück ("life, liberty, and the pursuit of happiness"). Die Regierung bedürfe der Zustimmung der Regierten, die sich gemeinwohlorientiert zusammenschlössen. Dass diese Programmatik und der Gleichheitsgrundsatz ("all men are created equal") Generationen inspirierte, macht die Unabhängigkeitserklärung zum welthistorischen Dokument.

Ohne europäische Hilfe hätte der Freiheitskampf gegen die deutlich überlegenen Briten schwerlich Erfolg gehabt. Nach einem überraschenden Sieg der Amerikaner in Saratoga (1777) war das absolutistische Frankreich zum Bündnis bereit. Nachdem auch Spanien und die Niederlande auf Seite der Kolonien eingriffen, kapitulierten die Briten 1781 bei Yorktown. Mit dem Frieden von Paris (1783) wurden die USA unabhängig und ihnen das Gebiet bis zum Mississippi zugesprochen.

Verdienen die Ereignisse die Bezeichnung "Revolution"? Viele sprachen vom Unabhängigkeitskrieg, da die sozialen Verhältnisse intakt blieben. Tatsächlich waren die revolutionären Führer (sklavenhaltende) Großgrundbesitzer, wohl situierte Anwälte und Händler. Indes hatte die Revolution auch bürgerkriegsähnliche Züge. Im Hinterland tobte ein brutaler Guerillakrieg. Dort wo treu zur Krone stehende Kolonisten, die sogenannten Loyalisten, Mehrheiten stellten, hatte der revolutionäre Befreiungskrieg den Charakter eines Bürgerkriegs, was zu zahlreichen zivilen Opfern führte. Etwa 100.000 Loyalisten flohen nach Kanada und Westindien, ein höherer Anteil als während der Französischen Revolution.

Staatsrechtlich war 1776 eine Revolution. Zum ersten Mal überhaupt wurde in einem Flächenstaat eine Regierung ohne gekröntes Oberhaupt geschaffen. Auch dass die Verfassungen der Einzelstaaten sich auf das Prinzip der Volkssouveränität beriefen, war neu, obwohl die politischen Ordnungen keinesfalls demokratisch im modernen Sinn waren. Besitzlose hatten kein Wahlrecht, ebenso wenig Frauen. Die Situation der Afroamerikanerinnen und Afroamerikaner verschlechterte sich, Indigene wurden marginalisiert und getötet.

Welthistorisch herausragend war die Verabschiedung von Grundrechtskatalogen. Virginia proklamierte schon 1776 eine Bill of Rights: Presse- und Meinungsfreiheit, Religionsfreiheit, Versammlungsrecht, Anspruch auf Anklage vor einem Geschworenengericht, Schutz vor willkürlicher Verhaftung, vor Folter und grausamen Strafen, Unterordnung der militärischen unter die zivile Macht, das Recht auf Leben, Freiheit und das Streben nach Glück sowie der Anspruch auf eine Bürgermiliz und die Abschaffung stehender Heere. Nicht soziale Gleichheit war das Ziel. Revolutionär aber war, dass politische Privilegien nicht mehr ererbt werden konnten.

Die Verfassungsgebung

Nach dem Frieden von Paris befand sich die Bundesgewalt in beklagenswertem Zustand. Der Kongress vagabundierte ohne festen Sitz. Er blieb den Veteranen Teile des Lohns schuldig. Es kam zu Aufständen und Unruhen. Angesichts des revolutionären Wetterleuchtens, einem bewaffneten Aufstand von ehemaligen Soldaten und Kleinbauern (Shay´s Rebellion, 1786/87), traten 1787 in Philadelphia Delegierte von zwölf Staaten (außer Rhode Island) zusammen. Sie schufen eine starke Bundesexekutive mit einem Präsidenten als Gegengewicht zum Kongress. Indes wurde das Präsidentenamt durch "Interner Link: checks and balances" eingehegt.

Die Verfassung war hart umkämpft: Zum einen wurden den Kritikern des Zentralismus ihre Zustimmung durch die Bill of Rights (1791) erleichtert. Explosiver Streitpunkt war die Sklaverei: Die Südstaaten wollten nicht wahlberechtigte Versklavte bei der Festlegung der Abgeordnetenzahl mitrechnen, aber nicht bei direkten Steuern. Nordstaaten, die erste Schritte zur Abschaffung der Sklaverei bereits unternahmen, argumentierten umgekehrt. Da Versklavte keine Bürger seien, müssten sie bei der Repräsentation außen vor bleiben, als Besitz aber voll besteuert werden. Die Einheit der Nation wurde mit einem problematischen Kompromiss erkauft: Die Versklavten wurden zu "drei Fünfteln" bei der Berechnung der Größe der jeweiligen Kongressdelegation berücksichtigt, d.h. ein Schwarzer war so viel wert wie 3/5 eines Weißen, was der Idee der Gleichheit diametral entgegengesetzt war.

Diesen Geburtsmakel der US-Verfassung beseitigte formell erst der Bürgerkrieg, de facto erst die Bürgerrechtsgesetzgebung der 1960er Jahre. Revolution und Verfassung waren Teil eines größeren Transformationsprozesses im atlantischen Raum. Europa stand am Ende einer ständischen Gesellschaft, in der soziale Ordnungen überwiegend auf ererbten Privilegien beruhten, Religion und Herkommen die Position jedes und jeder Einzelnen in der Gesellschaft bestimmten. Amerika ließ diese Gesellschaft hinter sich, hatte aber die liberal-kapitalistische, demokratische Moderne noch nicht erreicht. Die Revolution war ein Meilenstein auf dem Weg dorthin. Sie schuf Raum für demokratisierende Tendenzen; die egalitäre Rhetorik stachelte zu Reformen an, auch wenn zwischen Anspruch und Wirklichkeit weite Lücken klaffen – bis in die Gegenwart.

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Prof. Dr. Philipp Gassert ist seit Februar 2014 Inhaber des Lehr­stuhls für Zeitgeschichte an der Universität Mannheim. Er hat zuvor am Deutschen Historischen Institut in Washington, D.C., an der Universität Heidelberg, der LMU München, der University of Pennsylvania und der Universität Augsburg geforscht und gelehrt. Philipp Gassert forscht im Bereich der deutschen und europäischen Zeitgeschichte sowie der transatlantischen Geschichte und der US-Außen­politik des 20. und 21. Jahrhunderts.