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Polnische Geschichte vom Anfang bis zur Wiederherstellung der Staatlichkeit 1918 | Polen | bpb.de

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Polnische Geschichte vom Anfang bis zur Wiederherstellung der Staatlichkeit 1918 Die Anfänge des polnischen Staates

Dieter Bingen

/ 9 Minuten zu lesen

Unter Herzog Mieszko I. beginnt im 10. Jahrhundert die Geschichte Polens als nordöstlichster Vorposten der abendländischen Staatengemeinschaft. Dieter Bingen zeichnet die Geschichte Polens bis 1918 in Grundzügen nach.

Nach dem Sozialistenführer und ehemaligen Staatschef Józef Piłsudski ist heute der größte Platz in Warschau benannt. (© AP)

Ausgehend vom Stammesgebiet der Polanen (pole = Feld) an der mittleren Warthe konnte Herzog Mieszko I. (um 960 - 992) aus dem Herrschergeschlecht der Piasten nach Annahme des lateinischen Christentums 966/967 Polen mit dem Kerngebiet Großpolen (Polonia Maior) zum nordöstlichsten Vorposten der abendländischen Staatengemeinschaft erheben und erhielt 968 in Posen ein selbständiges Missionsbistum. In enger, aber nicht immer konfliktfreier Bindung an das römisch-deutsche Kaisertum gewann Bolesław I. Chrobry (der Tapfere) (992-1025) Kleinpolen (Polonia Minor, um Krakau), Pommern, Schlesien, Mähren, die Westslowakei und die Lausitz für sein Reich. Das gute Einvernehmen mit Kaiser Otto III., der im Jahre 1000 Gnesen besucht und dort der Einrichtung einer Rom direkt unterstellten Erzdiözese zugestimmt hatte, wurde unter Kaiser Heinrich II. durch die erst 1018 im Frieden von Bautzen beigelegten Kämpfe um die Mark Meißen und die Lausitz abgelöst. Bolesław I. erwarb 1025 mit päpstlicher Billigung die Königswürde. Bolesław II. Śmiały (der Kühne) (1058-79) konnte 1076 die unter den Nachfolgern von Boleslaw I. verlorene Königswürde erneuern. Trotz der zeitweiligen Rückeroberung Pommerns (1102-22) und des erneuten Versuchs, die Schwäche der Kiewer Rus zu Gebietsgewinnen im Osten zu nutzen, gehörten nur Groß- und Kleinpolen, Masowien und Schlesien im frühen und hohen Mittelalter dauerhaft zum polnischen Staatsgebiet.

Die Zeit der Teilfürstentümer und Konsolidierung (1138-1333)

Bereits in der ersten Generation scheiterte das Anliegen Bolesław III., durch die Aufteilung des Landes unter seine Söhne und die Einführung einer geregelten Erbfolge, die dem ältesten Mitglied des Piastenhauses als Großfürst eine gewisse Oberherrschaft (Seniorat) einräumte, die Nachfolgekämpfe zu unterbinden. 1181 ging Pommern endgültig verloren. Die staatliche Zersplitterung erschwerte auch die Mongolenabwehr (Niederlage auf der Wahlstatt bei Liegnitz 1241). Der Versuch Przemysłs II. von Großpolen (1279-96), durch die Erneuerung der Königswürde 1295 die Wiedervereinigung des Landes zu erreichen, endete mit seiner Ermordung. Unter den böhmischen Königen Johann und seinem Sohn, dem deutschen Kaiser Karl IV., schied Schlesien 1339/53 aus dem polnischen Staatsverband aus und wurde als Teil Böhmens mittelbar ein Teil des Reichs. Erst unter Władysław I. Łokietek (Ellenlang) (1306/20-33) gelang nach harten Kämpfen, unterstützt vom Klerus und einigen Kleinfürsten, der Zusammenschluss von Großpolen, Kleinpolen und Kujawien sowie 1320 die dauerhafte Erhebung Polens zum Königreich.

Der von Konrad I. von Masowien zur Pruzzenabwehr in das Kulmer Land gerufene Deutsche Orden nahm 1230 von Thorn aus seine Missions- und Kolonisationstätigkeit wahr. Die vertragswidrige Besetzung Pommerellens mit Danzig durch den Orden (1308) war bis 1525 ständiger Anlass für Abwehrkämpfe der polnischen Krone gegen die Ordensritter. Das Eroberte sicherte der Orden sogleich durch Burgen und gründete dann, zumeist mit deutschen Siedlern, Dörfer und Städte.

Die Ständemonarchie unter den letzten Piasten/Anjou und Jagiellonen (1333/86-1572)

Die von Władysław I. eingeleitete Konsolidierungspolitik wurde durch seinen Sohn Kazimierz III. Wielki (der Große) (1333-70), erfolgreich fortgesetzt, wobei dem Landesausbau und der Errichtung einer funktionierenden Verwaltung die Hauptsorge galt. Seit dem ausgehenden 12. Jahrhundert hatten sich die polnischen Territorialherren um eine systematische Modernisierung ihres Herrschaftsbereichs bemüht. Der Landesausbau stützte sich in hohem Maße auf Zuwanderer aus den deutschsprachigen Gebieten, wobei die Impulse zur Ostwanderung zehntausender Bauern und Handwerker nicht vom Reich oder seinen Teilstaaten ausgingen, sondern von den polnischen Fürsten. Die großzügige Politik von Kazimierz III. den Juden gegenüber förderte deren Einwanderung, während sie in Westeuropa zahlreichen Pogromen ausgesetzt waren. Der geistig-kulturelle Aufschwung der Rzeczpospolita (= kgl. Republik) erreichte mit der Gründung der Universität Krakau (1364) einen Höhepunkt. Da er in vier Ehen ohne männlichen Erben geblieben war, traf er mit dem in Ungarn regierenden Haus Anjou eine Erbverbrüderung, die seinem Neffen Ludwik die Nachfolge sichern sollte. Da auch Ludwik I. Wielki (der Große) (1370-82), keine Söhne hatte, musste er die Zustimmung des polnischen Adels (szlachta, Schlachta) zur Nachfolge der Töchter mit weitreichenden Konzessionen erkaufen, die dessen weitgehende Steuerfreiheit, den politischen Alleinvertretungsanspruch und die Mitwirkung an der Königswahl beinhalteten. Allein aus dem Adel durften die Kron- und Landesbeamten sowie die meisten Bischöfe ernannt werden. Durch die Ehe von Ludwiks Tochter Jadwiga mit dem Großfürsten von Litauen, Jagiełło (1386) wurde eine polnisch-litauische Personalunion begründet, die fast zweihundert Jahre später, 1569, in Lublin in eine Realunion umgewandelt wurde. Jagiełło, als König von Polen Władysław II. (1386-1434), der mit der heidnischen Mehrheit seines Volkes zum lateinischen Christentum übergetreten war, leitete eine nach Osten und Südosten ausgerichtete Politik ein, die bereits 1387 zur Lehnsabhängigkeit des Fürstentums Moldau führte.

Im Konflikt mit dem Deutschen Orden kam es nach dem Sieg des polnisch-litauischen Heeres bei Grunwald (Tannenberg) 1410 (Thorner Friede 1411) zu weiteren Kriegen (1419-22, 1431-35, 1454-66). Im 2. Thorner Frieden (1466) musste der militärisch und finanziell erschöpfte Orden auf Pommerellen mit Danzig, das Kulmer und Michelauer Land, auf Elbing und die Marienburg verzichten ("Königliches Preußen"). Das östliche Preußen mit Königsberg verblieb dem Deutschen Orden als polnisches Lehen. Nach erneuten Kämpfen nahm Ordenshochmeister Albrecht von Brandenburg-Ansbach 1525 das säkularisierte, von der Reformation erfasste "Preußen herzoglichen Anteils" als Lehen. Durch die 1568 erfolgte Mitbelehnung der kurfürstlich-brandenburgischen Linie fiel das Herzogtum Preußen 1618 an Brandenburg und musste 1657 im Vertrag von Wehlau von Polen ganz aufgegeben werden.

Unter Kazimierz IV. Andrzej (1447-92) sicherte sich das jagiellonische Haus die böhmische Krone. Sein ältester Sohn Władysław wurde (1469/71) von den böhmischen Ständen berufen. Zwischen 1490 und 1526 kontrollierten die Jagiellonen den von Ostsee und Böhmerwald bis zum Schwarzen Meer reichenden ostmitteleuropäischen Staatengürtel, fanden sich aber der zunehmend ernster werdenden Bedrohung durch das aufstrebende Großfürstentum Moskau und die Osmanen ausgesetzt.

Die mit wenigen Unterbrechungen von 1478 bis 1533 dauernden Kämpfe gegen die von den Türken unterstützten Krimtataren führten zum Verlust der Schwarzmeerküste und zur Entlassung der Moldau aus polnischer Vasallität. Das von dem Moskauer Großfürsten Ivan III. betriebene "Sammeln russischer Erde" setzte auch sein Nachfolger Wassilij III. konsequent fort. Polen-Litauen verlor die reußischen Fürstentümer, darunter auch Smolensk. Der zu einer Einheit zusammenwachsende polnisch-litauische Adel nutzte die häufigen außenpolitischen Verwicklungen dazu, dem jeweiligen Herrscher weitergehende Rechte abzuringen. Nach einer Habeas-Corpus-Akte (1430/33) wurde dem regionalen Kleinadel 1454 eine Mitwirkung an der Landesregierung zugestanden, die 1493 zur Einrichtung eines Zweikammersystems (Senat und Landbotenstube) führte. Nach 1505 musste der König den von gewählten Landboten gebildeten Reichstag im Zweijahresturnus zu sechswöchigen Kadenzen einberufen und seine Beschlüsse ausführen. Das 1538 verschärfte Monopol des adligen Grundbesitzes und die privilegierte soziale und politische Stellung der Schlachta ebneten den Weg zum Niedergang der Städte und zur Entrechtung und Ausbeutung der Bauern.

Unter den beiden letzten Jagiellonen Zygmunt I. (1506-48) und Zygmunt II. (1548-72) erlebte Polen auf staatsrechtlich-politischer, insbesondere aber auf literarisch-künstlerischem Gebiet sein "Goldenes Zeitalter". Die städtische Bevölkerung wurde früh von der lutherisch, Teile des Adels nach 1540 von der kalvinistisch geprägten Reformation erfasst. Nach der Union von Brest 1595/96 unterstellten sich viele Orthodoxe der geistlichen Autorität des Papstes ("Unierte"). Trotz der Erfolge der katholischen Gegenreformation herrschte seit der Warschauer Konföderation von 1573 für zwei Generationen eine beispielhafte religiöse Toleranz.

Wahlkönigtum, Adelsdemokratie, Magnatenoligarchie, Reformen und Untergang (1572-1795-1815)

Die Entscheidung, nach dem Aussterben der Jagiellonen im Mannesstamm (1572) eine Wahlmonarchie einzurichten und den gesamten Adel zur Wahl zuzulassen, führte zu einer weiteren Schwächung der königlichen Macht, festigte den Einfluss der Magnaten und beschleunigte die Ausprägung einer extrem adelsrepublikanischen Staatsform. Das seit 1652 respektierte Recht jedes Landboten, mit seinem Einspruch (Liberum veto) den Reichstag beschlussunfähig zu machen, erleichterte den an einer Schwächung Polens interessierten Nachbarmächten die direkte Einmischung. Weder Stefan IV. Batory (1575-86) noch die drei Könige aus dem schwedischen Haus Wasa (1587-1668) und der "Türkensieger" Jan III. Sobieski (1674-96) konnten dieser verhängnisvollen Entwicklung Einhalt gebieten, die unter den Wettinern (August II. der Starke, 1697-1706, 1709-33; August III. 1733-63) zur weiteren Lähmung der Staatsführung beitrug.

Während Moskau gegenüber bis 1619 einige Gebietsgewinne erzielt werden konnten und 1610-12 sogar die Übernahme des Zarenthrons möglich schien, leitete der Anschluss des von Bogdan Chmelnizki gegründeten Kosakenstaats an Russland (1654) den Verlust der Ukraine links des Dnjepr mit Kiew und ein zweites Mal den von Smolensk (Waffenstillstand von Andrussowo 1667) ein. Der seit 1601 aus dynastischen Gründen geführte verlustreiche Krieg gegen Schweden kulminierte 1655 im Ersten Nordischen Krieg, der im Frieden von Oliwa (1660) beendet wurde. In den häufigen Kämpfen mit dem Osmanischen Reich konnte bis 1699 wenigstens der Besitzstand gewahrt werden. Der Zweite Nordische Krieg (1700-21) bot Zar Peter I. die Gelegenheit, den russischen Einfluss auf das erneut schwer betroffene Polen zu erweitern, das zum Spielball der Politik der Großmächte wurde.

Die Erkenntnis von der Unaufschiebbarkeit grundlegender Reformen löste nach der Wahl Stanisławs II. August Poniatowski (1764-95) erste Reformmaßnahmen aus, die von den von Russland und Preußen unterstützen Gegnern in der Konföderation von Bar (1768-72) bekämpft wurden. Dieser Bürgerkrieg bot den 1772 den Anlass zur 1. Teilung Polens durch Preußen, Österreich und Russland. Der Druck zur inneren Reform wurde größer. Mit dem "Immerwährenden Rat" (1775) und der "Nationalen Erziehungskommission" (1773) erhielt Polen beispielhafte Verwaltungs- und Bildungseinrichtungen. Ein "Vierjähriger Sejm" (1788-92) verabschiedete am 3. Mai 1791 – vor der Verabschiedung der französischen Verfassung am 3. September 1791 – die erste geschriebene Verfassung Europas, die mit der Abschaffung der freien Königswahl und des Liberum veto dem grundbesitzenden Adel und den Städtern politische Mitwirkungsrechte übertrug.

Dagegen unterstützte Zarin Katharina II. die Adelsreaktion, die sich 1792 in der Konföderation von Targowica zusammenschloss und mit russischer Waffenhilfe die Reformpartei zur Zurücknahme der Mai-Verfassung zwang. Ihre Intervention ließen sich Russland und Preußen in der 2. Teilung Polens 1793 mit litauischen, weißrussischen und ukrainischen Woiwodschaften bzw. Großpolen, Danzig und Thorn honorieren. Ein von Tadeusz Kościuszko geführter allgemeiner Volksaufstand brach nach der Niederlage von Maciejowice im Oktober 1794 zusammen. Das restliche Polen wurde in der 3. Teilung Polens 1795 unter Russland, Preußen und Österreich aufgeteilt und verschwand von der politischen Landkarte Europas. Für Polen begann der Aufbruch Europas ins nationale Zeitalter, wie das 19. Jahrhundert wiederholt bezeichnet worden ist, mit der schmerzhaften Erfahrung des Verlustes staatlicher Eigenständigkeit.

Die kurzzeitige Hoffnung, durch den Einsatz einer von Jan Dąbrowski in Italien aufgestellten Legion Kaiser Napoleon I. zur Wiederherstellung der polnischen Eigenstaatlichkeit bewegen zu können, verflüchtigte sich rasch. Auf dem Wiener Kongress 1814/15 wurde von den großen Nachbarmächten die Wiederherstellung eines unabhängigen Polen verhindert. Ein aus den polnischen Zentralgebieten gebildetes "Königreich Polen" (Kongresspolen) wurde in Personalunion Russland unterstellt.

Nation ohne Staat

Die nun folgende russische Willkürherrschaft löste in Kongresspolen im Laufe des 19. Jahrhunderts (1830/31, 1863) Aufstände aus. Die Besatzungsmacht reagierte mit rigorosen Strafmaßnahmen und mit einer Russifizierungspolitik, welche die Sonderstellung des Königreichs bis 1874 fast völlig aufhob. Die preußischen Behörden verschärften nach der Reichsgründung 1871 den Kulturkampf gegen das Polentum in Posen/Westpreußen. Die Konfrontation der Teilungsmächte im Ersten Weltkrieg und die bolschewistische Revolution in Russland 1917 setzten die "polnische Frage", die Wiedererrichtung eines polnischen Staatswesens, auf die Tagesordnung der europäischen Politik. Am 5. November 1916 ließen die Kaiser Deutschlands und Österreich-Ungarns in Warschau die Errichtung eines Regentschaftskönigreichs Polen bekanntgeben. Sein Territorium blieb nach dem Willen der Mittelmächte beschränkt auf das russische Teilungsgebiet ("Kongresspolen"). Anstelle eines Königs fungierte auf dem nichtsouveränen Gebiet ein dreiköpfiger Regentschaftsrat. Während US-Präsident Woodrow Wilson am 22. Januar 1917 vor dem US-Senat für ein geeinigtes, unabhängiges und selbstständiges Polen plädierte, verweigerte Russland unter Führung der Bolschewiki der neuen Regentschaftsmonarchie die Anerkennung mit der Begründung, der polnische Staat sei nicht selbstständig und seine Regierung nicht rechtmäßig. Die Niederlage des deutschen Kaiserreichs und des Habsburgerreiches ebnete schließlich den Weg zu einem unabhängigen polnischen Staat. Nach der deutschen Kapitulation dankte der Regentschaftsrat zugunsten von Józef Piłsudski (1867-1935) ab. Der Führer der gemäßigten Sozialisten konnte am 11. November 1918, zugleich politisch unterstützt von den Westmächten, als "Vorläufiger Staatschef" die vollziehende Gewalt in dem bis dahin von deutschen Truppen besetzten Warschau übernehmen. Polen hatte nach 123 Jahren Fremdherrschaft wieder die Selbstständigkeit errungen.

Fussnoten

Weitere Inhalte

ist Direktor des Deutschen Polen Instituts. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören: Polnische Zeitgeschichte und Politik, Politisches System Polens, Politische Systeme und Systemtransformation in Ostmittel- und Südosteuropa, Deutsch-polnische Beziehungen sowie Integrationspolitik in Europa.