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Im Praxistest – Widerstand. Drei Generationen antikolonialer Protest in Kamerun | bpb.de

Im Praxistest – Widerstand. Drei Generationen antikolonialer Protest in Kamerun

Dr. Catharina Banneck

/ 5 Minuten zu lesen

Zum Material

„Widerstand. Drei Generationenantikolonialer Protest in Kamerun“ – schon auf den ersten Blick, beim ersten Durchblättern des aufwendig gestalteten, bunt kolorierten Hardcoverbuches wird deutlich: Hier haben Sie etwas besonders, etwas außergewöhnliches in der Hand. In drei Comicgeschichten, die von den Kameruner Zeichnern Franky Mindja und Negro Illustrator virtuos gestaltet wurden, werden exemplarisch die verschiedenen Phasen und Formen des antikolonialen Widerstandes nachgezeichnet, die Kamerun in seiner 77 Jahre währenden Besetzung – zunächst unter deutscher, dann unter französischer und britischer Herrschaft – durchlebt hat. Hier bekommen die Kolonialisierten ein Gesicht, hier schreiben und erzählen sie Geschichte, wenn sie sich gegen das System von Unterdrückung, Gewalt und Ausbeutung auflehnen. Ihr Geschichte(n) können Anlass bieten, unsere koloniale Vergangenheit, die in die Gegenwart und Zukunft hineinwirkt, zum Thema des Geschichtsunterrichts zu machen.

Alle Begleittexte des Bandes – Vor- und Nachwort sowie im Anschluss eines jeden Comics Hinweise zu dessen zeithistorischer Einordnung und den genutzten Quellen – und die drei Comics werden sowohl in deutscher als auch in französischer Sprache publiziert. Herausgegeben wird der Band von dem Verein „Die Initiative Perspektivwechsel e.V.“. Der Verein setzt sich zum Ziel, durch transkulturelle Begegnungen und die politische Bildungsarbeit die Perspektive marginalisierter Gruppen im öffentlichen Raum sicht- und hörbar zu machen, um für Diskriminierung zu sensibilisieren.

In der ersten Geschichte kämpft der kamerunische König Duala Manga Bell zu Beginn des 20. Jahrhunderts gegen die deutsche Kolonialmacht. Bell, den Deutschen zunächst durch gute Handelsbeziehungen wohl gesonnen, organisiert den kollektiven Widerstand breiter afrikanischer Bevölkerungsgruppen, nachdem die Deutschen eine Zwangsumsiedlung von rund 25.000 Duala angeordnet hatten. Er wurde mit etwa 200 weiteren Widerständler:innen 1914 hingerichtet – der Comic schließt mit Bildern der Hinrichtung.

Der zweite Comic befasst sich mit dem Widerstand tausender Frauen während der britischen Kolonialverwaltung. Seinen Ausgangspunkt nahm der Widerstand 1958 in Kom; er breitete sich in den folgenden zwei Jahren auch in den benachbarten Königreichen aus. Die Frauen nutzen das Instrument des Anlu, um sich und ihre Lebensweise zu schützen, nachdem die Briten die von Männern organisierte Viehzucht gegenüber dem von Frauen betriebenen Ackerbau unterstützten und diese um ihre Existenzgrundlage und gesellschaftliche Stellung zu bangen begannen.

Im letzten Comic steht der Aktivist André Blaise Essama im Mittelpunkt. Dieser zerstörte Statuen im öffentlichen Raum in Kamerun, die die Kolonialmacht positiv darstellten. Auf diese Weise initiierte er – nach anfänglicher Ablehnung – eine breite öffentliche Debatte zum Umgang der Kameruner mit ihrer kolonialen Vergangenheit.

Einsatz im Unterricht

Geschichtscomics

Bei dem vorliegenden Material handelt es sich – neben den Begleittexten – um drei Comicgeschichten. Geschichtscomics erfreuen sich sowohl bei Lehrkräften als auch bei Schüler*innen großer Beliebtheit, da sie historische Ereignisse konkretisieren und visualisieren und auf diese Weise den Zugang erleichtern. Sie stellen einen Ausschnitt der Geschichte dar und wählen oft ungewöhnliche Perspektiven, die in den großen Geschichtserzählungen nicht oder nur wenig berücksichtigt werden. Insbesondere die „kleinen Leute“ und marginalisiert Gruppen – in unserem Fall ein kamerunischer König, die KOM-Frauen und der Aktivist Essama – bekommen ein Gesicht, erhalten „ihre“ Geschichte. Dass die Darstellung dabei nicht immer historisch korrekt sein kann, darf hier ebenso als ein Gattungsmerkmal von Geschichtscomics diskutiert werden, wie sie auf ein allgemeines historisches Problem verweist, dass viele Erzählungen von den „‚Big men‘“ handeln und deren Taten dokumentieren, wie Jacqueline-Bethel Tchouta Mougoué in einem Interview im Anhang des Comics zu den KOM-Frauen feststellt.

Koloniale Vergangenheit

Die schulische Auseinandersetzung – sowohl in der Mittel- als auch der Oberstufe – mit der kolonialen Vergangenheit Deutschlands und anderer europäischer Länder hat erfreulicherweise in den letzten Jahren zugenommen, bedingt auch durch die politischen und gesellschaftlichen Debatten z.B. in Zusammenhang mit Reparationszahlungen nach dem Völkermord an den Herero und Nama oder dem Umgang mit Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten. Der Blick auf Kamerun und die dargestellten Formen des Widerstandes ermöglicht einen exemplarischen und auch multiperspektivischen Zugang zum Thema Kolonialgeschichte und Widerstand.

Unterricht

Die Einsatzmöglichkeiten im Unterricht sind vielfältig und abhängig vom Fach, der Jahrgangsstufe und der thematischen Verortung. Der hier vorgestellte Einsatz im Unterricht bezieht sich auf eine Lerngruppe der Mittelstufe im Geschichtsunterricht, Themenfeld „Imperialismus“, und umfasst etwas drei bis vier Doppelstunden, wobei die Comics als Hausaufgabe gelesen werden.

Als Einstieg können die drei sehr unterschiedlichen Zeichnungen genutzt werden, die den Comics vorangestellt sind. Genannt und abgebildet sind die Protagonist*innen des Widerstandes sowie der Zeitraum des dargestellten Ereignisses. Die Schüler*innen sollen auf Basis dieses ersten Bild-/Textimpulses Hypothesen bilden, welche Form des Widerstandes welche gesellschaftliche Gruppe ausübte; eine detaillierte Bildbeschreibung ist hier eine wichtige Grundlage.

Für die Erarbeitung ist es sinnvoll, zur historischen Verortung die deutsche Kolonialgeschichte nachzuvollziehen. Hier kann das Dossier Afrika/Chronologie zur deutschen Kolonialgeschichte genutzt werden. Anschließend kann ein Zeitstrahl erstellt werden, auf dem die Zeiträume markiert werden, die in den Comics visualisiert werden. Arbeitsteilig sollen sich die Schüler*innen mit den einzelnen Geschichten auseinandersetzen. Sie bereiten Präsentationen vor, in denen sie die Protagonist*innen vorstellen, ihr Anliegen erklären und historisch einordnen, den Prozess und die Mittel des Widerstandes herausarbeiten und nachzeichnen, welche Folgen deren Handeln hatte. Sie sollen dabei für die einzelnen Präsentationsschritte geeignete Bilder auswählen und die Auswahl begründen.

Nach der Präsentation der Ergebnisse halten die Schüler*innen die Ergebnisse auf dem Zeitstrahl fest. Abschließend sollen die Hypothesen des Einstiegs überprüft werden. Ferner können und sollten sich hier Diskussionen zu unserer Verantwortung als ehemaliger Kolonialmacht, aber auch zur Rolle der Frau in der (Kolonial)Geschichte, zu den Themen Rassismus und Diskriminierung marginalisierter Gruppen anschließen. Aktuelle Debatten um das Humboldt Forum in Berlin oder die Rückgabe der Beninbronzen können ebenfalls folgen.

Weitere Anregungen

Durch die bilinguale Veröffentlichung auf Deutsch und Französisch eignen sich die Texte auch für Sprachlernende.

Fussnoten

Weitere Inhalte

Dr. Catharina Banneck, Berlin