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Der Filmemacher stellt sich vor | Begleitmaterial zu „Der Balkon“ | bpb.de

Der Filmemacher stellt sich vor

Chrysantos Konstantinidis

/ 4 Minuten zu lesen

Mein Name ist Chrysanthos Konstantindis, ich wurde 1982 in Athen geboren, wo ich bis heute lebe. Ich bin der Regisseur des Films „Der Balkon – Erinnerungen an die Besatzung“ (deutsch: Der Balkon – Wehrmachtsverbrechen in Griechenland), einem Dokumentarfilm über die Geschichte des Nazi-Massakers vom 3. Oktober 1943 in meinem Dorf Lyngiades, dem „Balkon“ von Ioannina.

Von klein auf verbrachte ich meine Ferien in Lyngiades, der Geburtsort meiner Mutter, der Ort, der die Bestialität der Nazis ertragen musste. Für mich war Lyngiades die Stätte meiner Kindheit, dorthin entfloh ich der Betonwüste Athens, dort roch ich die Natur, rannte über die Steine und blicket von hoch oben auf Ioannina hinab. Für mich war es mein Balkon.

Im Sommer lebte ich bei meiner Großmutter und meinem Großvater im Dorf, aber da mein Großvater 1991 starb, hatte ich nicht mehr viel von ihm. Mein Großvater Mitsos Petrou war 17 Jahre alt, als die Nazis seine Eltern, seinen Bruder und 85 weitere Einwohner unseres Dorfes töteten.

Er selbst und drei weitere Geschwister überlebten das Massaker, weil sie mit anderen Einwohnern des Dorfes für landwirtschaftliche Arbeiten hinter den Berg Mitsikeli gegangen waren, ins Nachbardorf Karyes, denn es war die Zeit der Walnussernte. Dort war auch meine Großmutter Angelo Choleva mit ihrer Familie, sie überlebten ebenfalls. Großvater und Großmutter heirateten 1944, ein Jahr nach der Katastrophe, die über unser Dorf hereingebrochen war, sie lebten in Hütten und brachten fünf Kinder zur Welt.

Am Tag nach dem Massaker ging mein Großvater gemeinsam mit anderen Einwohnern von Lyngiades, die hinten in Karyes waren, ins Dorf und sahen die verkohlten Leichname ihrer Verwandten, die verbrannten Häuser. Großvater sprach mit seinen Kindern und Enkelkindern nicht viel über die Katastrophe, die sein Leben zerstört hatte.

Mir erzählte meine Großmutter von der Zerstörung des Dorfes. Unser Haus ist neben dem Dorfplatz, wo sich das Mahnmal mit den 88 Namen der Nazi-Opfer befindet. Sie zeigte mir die Gedenkstätte, auf der die Namen ihrer Eltern, ihres Bruders und ihres Großvaters stehen.

Von meiner Großmutter erfuhr ich erstmals, in jungen Jahren, dass Menschen andere Menschen töten. Als die deutschen Soldaten hierher ins Dorf kamen, töteten sie alle, derer sie habhaft wurden, auch Babys und Kleinkinder. Sie erzählte mir auch von ihrem Leben danach. Leider waren ihre Geschichten alles andere als Märchen.

Chrysantos Konstantinidis (Foto: privat)

Es ist schwierig für mich, mit der Last der Erinnerung umzugehen. Ein Gefühl war es, das der wesentliche Antrieb für das Drehen des Dokumentarfilms war. Ein Gefühl tief verwurzelten Schmerzes, der, wie ich nach jahrelanger Psychotherapie erkannte, direkt mit der generationenübergreifenden Weitergabe der Wunde, der Trauer verbunden ist.

2008 studierte ich an einer Filmakademie in Athen, im Dezember desselben Jahres wurde der 15jährige Alexis Grigoropoulos durch einen gezielten Schuss des Polizisten Korkoneas getötet, in dieser Zeit ging die kriminelle Neonazi-Organisation der Goldenen Morgenröte auf die Straße, verübte Pogrome an Immigranten und nahm bald darauf Platz im Parlament. Ich konnte dem Ungeheuer in die Augen sehen.

Damals erkannte ich, dass ich mit einem Film eine antifaschistische Gedenkfeier für die 88 Opfer des Nazi-Massakers in meinem Dorf abhalten wollte.

Damals las ich das erste Buch über die Geschichte des Massakers in meinem Dorf, es wurde im Mai 1945 von einem Lehrer in Ioannina, Kostas A. Papageorgiou, geschrieben.

Im Oktober 2009 reiste ich mit meiner Lebensgefährtin Perri nach Lyngiades zur Gedenkfeier des Dorfes und dokumentierte mit meiner Kamera das Zeugnis des letzten Überlebenden des Massakers, Panagiotis Mbampouskas.

Im folgenden Jahr lernte ich meinen guten Freund und Kameramann der Dokumentation Giannis Chinos kennen. Von 2013 bis 2017 sind wir zusammen mit dem Filmteam viele Male von Athen nach Lyngiades gereist, um die Erinnerungen der Menschen und die Erinnerungen an die Landschaft zu filmen.

Entscheidend für die Gestaltung des Dokumentarfilms war die Bekanntschaft mit Christoph U. Schminck Gustavus, deutscher Professor für Rechtsgeschichte an der Universität Bremen. Sein Forschungsgegenstand sind die Nazi-Kriegsverbrechen.

1989 besuchte der deutsche Historiker das Dorf und dokumentierte mit einem Kassettenrekorder die Erinnerungen der Überlebenden des Massakers, forschte weiter in deutschen Militärarchiven. 2011 gab er seine Studie über die Besatzung im Epirus heraus, als Trilogie mit dem Namen „Erinnerungen an die Besatzung“ im Verlag Isnafi (Ioannina). Der dritte Band handelt vom Massaker von Lyngiades. Meine Zusammenarbeit mit Christoph entwickelte sich in der Folge zu einer engen, brüderlichen Freundschaft, deren Frucht die Fertigstellung des Dokumentarfilms „Der Balkon – Erinnerungen an die Besatzung“ im Jahr 2018 ist. Heute rufen wir einander „Brüderchen“.

Nachtrag: Die Fertigstellung des Films wäre ohne die Gastfreundschaft und Hilfe der Bewohner von Lyngiades, der unermüdlichen Mitarbeiter und der Spender nicht möglich gewesen.

(Übersetzung: Christian Gonsa)

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