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Taten statt Worte – Der NSU als gelebter Rechtsextremismus | Fachtagung "Politische Gewalt – Phänomene und Prävention" | bpb.de

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Taten statt Worte – Der NSU als gelebter Rechtsextremismus

Peter Schuller

/ 3 Minuten zu lesen

"Taten statt Worte" lautete die erste Zeile im Bekennervideo des im November 2011 enttarnten "Nationalsozialistischen Untergrunds" – kurz NSU. Der Workshop zeichnete ein facettenreiches Bild rechtsextremer Gewalt in der Bundesrepublik und ging der Frage nach, wie eng rechtsextreme Ideologie und Gewaltbereitschaft miteinander verknüpft sind.

"Leben ist Kampf" – so charakterisierte ein Teilnehmer eingangs das Selbstverständnis von Rechtsextremen und bereitete damit der ersten Referentin des Workshops, Franziska Schmidtke, das Feld: Die wissenschaftliche Mitarbeiterin am Kompetenzzentrum Rechtsextremismus der Universität Jena definiert Rechtsextremismus mit Wilhelm Heitmeyer als Zusammenspiel von Gewaltakzeptanz und einer Ideologie der Ungleichwertigkeit. Dabei unterscheidet Schmidtke zwischen heißer und kalter Gewalt. Während erstere eher situativ und zum Zwecke einer spontanen Machtdemonstration auftrete, sei letztere an Planung geknüpft und Mittel einer bestimmten Kommunikationsstrategie. Beiden Formen sei die Ausübung körperlicher Gewalt und eine ideologische Grundierung inhärent.

Vom Oktoberfestattentat zum NSU

Metaplanwand zum Workshop (© bpb)

Daran anschließend skizzierte Schmidtke die Historie des rechtsextremen Terrorismus in Deutschland. Sie erläuterte, wie eng in den 1980er-Jahren die Bande des parteinahen Rechtsextremismus mit Gruppierungen wie etwa der "Wehrsportgruppe Hoffmann" war, die mit dem Oktoberfestattentäter des 26. September 1980 in Verbindung stand. Der überwiegend von heißer Gewalt geprägte Rechtsterrorismus der 1990er-Jahre mündete in den Nullerjahren schließlich in gefestigteren Strukturen wie dem NSU.

Matthias Quent, promovierter Soziologe und Sachverständiger im NSU-Untersuchungsausschuss des Thüringer Landtags, rückte in seinem anschließenden Vortrag den NSU in den Mittelpunkt und rekapitulierte das Versagen von staatlichen Sicherheitsorganen und Medien, die die insgesamt zehn Morde zumeist mit Mafia-Fehden oder Bandenstreitigkeiten in Verbindung brachten. Quent stellte die These auf, dass der in der öffentlichen Debatte häufig erhobene Vorwurf staatlichen Nichthandelns die spezifischen Handlungsmotivationen der NSU-Gewalttäter in den Hintergrund rücke.

Selbstjustiz, die den Staat stützt

Deren Taten ließen sich als "vigilantistischer Terrorismus" kennzeichnen: Dieser habe nicht die Zerstörung staatlicher Strukturen zum Ziel, was im Falle des NSU den Mord an der deutschstämmigen Polizistin Michelle Kiesewetter jedoch in höchstem Maße erklärungsbedürftig mache. Stattdessen richte sich diese "systemstabilisierende Selbstjustiz" gegen sozial Schwache und als "minderwertig" angesehene Menschen mit Migrationshintergrund. Der Akt des Tötens sei die "intensivste Form von Aktionsmacht", der für den NSU in einem "kollektiven vigilantistischen Triumph" gipfelte, als die Medien mit der Motivsuche in gewalttätigen Migrantenmilieus quasi sekundierten.

Die in der anschließenden Diskussion aufgeworfene Frage nach der Kommunikation des NSU wurde unterschiedlich beantwortet: Quent betonte, dass das Bekennervideo nicht den allgemeinen Zuschauer, sondern potentielle Sympathisanten adressierte. Dies widerlege nicht den generellen Befund, dass Rechtsextreme anders als Linksradikale Gewalttaten nach außen kaum kommunizieren und damit zu legitimieren versuchten. Dem wurde entgegnet, dass die Kommunikation auch von Rechten nach außen hin sehr stark sein könne, wie die "Identitäre Bewegung" derzeit vormache.

Rechtsextremer Terrorismus bleibt eine große Gefahr

Welche Generalisierungen lassen die Biographien der NSU-Mitglieder und ihrer engsten Unterstützer zu? Fünf von sechs Polizeiakten wiesen keine Delikte mit politischen Hintergrund auf, die Ausnahme bildete der Professorensohn Uwe Mundlos, der als sehr früh ideologisiert galt. Hätte sich eine solche Gruppe auch im Westen bilden können? Quent wies eine Ost-West-Dichotomie im Radikalisierungsrisiko zurück – entscheidend sei vielmehr ob sich eine Region im wirtschaftlichen Auf- oder Abstieg befinde und damit Zukunftschancen für radikalisierungsanfällige Jugendliche böte.

Abschließend rückte die Frage in den Mittelpunkt, ob mit der Enttarnung des NSU die Gefahr rechtsextremen Terrors in Deutschland gebannt sei. Mitnichten, waren sich die Teilnehmenden des Workshops einig: Ein derzeit im Raum stehendes NPD-Verbot könnte zahlreiche Rechtsextreme dazu bewegen, in den Untergrund zu gehen. Und das Beharren der Bundesstaatsanwaltschaft im NSU-Prozess auf einer Drei-Täter-Theorie, trotz der Selbstbeschreibung des NSU als "Netzwerk" und trotz zahlreicher Hinweise auf ein breites Unterstützernetzwerk, wecke Erinnerungen an die staatliche Aufarbeitung des Oktoberfestattentats. "Drei Leute sind weg", fasste ein Teilnehmer nüchtern zusammen.

Referenten:
Franziska Schmidtke, Friedrich-Schiller-Universität Jena
Dr. Matthias Quent, Soziologe, Jena

Moderation: Ruth Grune, Bundeszentrale für politische Bildung

Peter Schuller hat Politikwissenschaft sowie für das Lehramt an Mittelschulen in Passau studiert. Nach Stationen im schulischen Vorbereitungsdienst und bei der Robert Bosch Stiftung volontiert er seit April 2016 im Fachbereich Print der Bundeszentrale für politische Bildung. Dort ist Peter Schuller in der Redaktion für die Heftreihe Informationen zur politischen Bildung tätig.