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Antikoloniale Bewegungen in Afrika. Drei Beispiele

Sébastien Martineau

/ 16 Minuten zu lesen

Unabhängigkeit war nicht unbedingt die zentrale Forderung aller antikolonialen Gruppen und Bewegungen – eine Tatsache, die ein wenig verschleiert wurde durch die Art und Weise, wie der Prozess der Unabhängigkeitswerdung von den politischen Eliten im postkolonialen Afrika inszeniert wurde. Einige von denen, die später als "Väter der Unabhängigkeit" bezeichnet wurden, haben sich sogar öffentlich gegen diese Option ausgesprochen wie der Senegalese Léopold Sédar Senghor; er erklärte im August 1958, dass die Unabhängigkeit eine "Katastrophe" wäre, wie der Historiker Ibrahima Thioub erinnert. Nur zwei Jahre später, 1960, erlangten 17 afrikanische Länder – darunter der Senegal – den Status eines unabhängigen Landes. Die Bewegungen, welche die Kolonialordnung infrage stellten, verfolgten sehr unterschiedliche Forderungen und Strategien. Waren sie "antikolonial", "nationalistisch", "separatistisch"? Die Antwort hängt sehr vom jeweiligen Land und vom Zeitraum ab, der betrachtet wird. Im Folgenden wird anhand von Beispielen gezeigt, was die Aktivisten beeinflusste und welches ihre Hauptforderungen und Strategien waren.

Zunächst lassen sich einige charakteristische Merkmale anführen, die allen Bewegungen gemein waren: Eine maßgebliche Rolle spielte der Zugang zur Bildung; viele der Aktivisten waren Lehrer, Ärzte oder Anwälte. Auch der Kontakt mit anderen Gesellschaften und ihren Lebenswelten beeinflusste sie: Viele hatten Europa während des Zweiten Weltkrieges als Soldaten erlebt und "nebenbei herausgefunden", dass auch Weiße untergeordnete Tätigkeiten verrichten konnten. Einige hatten US-amerikanische oder europäische Universitäten besucht und Kontakte zu den Gewerkschaften in diesen Ländern geknüpft. Ein weiterer wichtiger Einflussfaktor war die Idee des Sozialismus – häufig neu interpretiert, um die Realitäten des Kontinents, insbesondere die unterschiedlichen Gesellschaftsmodelle, besser abzubilden. Der Panafrikanismus und die Idee einer afrikanischen Besonderheit, die sich in einer Art politischer Einheit konkretisieren konnte, hat zahlreiche "nationalistische" Führer geprägt. Auch Mahatma Gandhis Weg der gewaltfreien Aktion in Indien war ein wichtiger Impuls. Dennoch haben einige Bewegungen, die sich auf ihn beriefen, am Ende den bewaffneten Kampf gewählt, um ihre Ziele zu erreichen.

Die Frage der Gewaltanwendung hat auch die folgende Auswahl der Beispiele ein Stück weit vorgegeben: Hier haben wir den Fall Ghanas, wo die wichtigste nationalistische Bewegung mit friedlichen Mitteln an die Macht gelangte, oder Kameruns, wo der bewaffnete Kampf auf die Liquidierung der wichtigsten separatistischen Führer hinauslief, und schließlich Algeriens, wo sich die Nationalisten nach langem Krieg gegen die Kolonialmacht durchsetzten.

Algerien: Ende einer Illusion

Algerien wurde in Frankreich als Bestandteil des französischen Mutterlandes betrachtet. Es war die einzige wirkliche französische Siedlungskolonie in Afrika. 1960 lebten rund eine Million Europäerinnen und Europäer, darunter besonders viele aus Spanien und Italien, in Algerien – das waren etwas mehr als zehn Prozent der Bevölkerung. Dass es Frankreich gelang, das Land auch nach dem Ersten Weltkrieg unter Kontrolle zu halten, ist nicht zuletzt darauf zurückzuführen, dass Teile der algerischen Elite an die Idee der "Assimilierung" glaubten, das Versprechen, auf Dauer zu gleichberechtigten Bürgerinnen und Bürgern Frankreichs zu werden – ein Phänomen, das man in zahlreichen früheren Kolonien Frankreichs findet.

Doch wurde dieses Versprechen nie eingelöst, und das "algerische Bürgertum" begann, sich Gehör zu verschaffen. Der Historiker Bernard Droz, Autor des Buches "Geschichte der Dekolonisation im 20. Jahrhundert", schrieb, dass sich unter "diesem Einfluss eine erste Opposition abzeichnete, die Bewegung der ‚Jeunes Algériens‘, die um 1910 erstmals in Erscheinung trat". Die Forderungen beschränkten sich jedoch auf das Wahlrecht für eine Minderheit der Bevölkerung und eine ebenso begrenzte politische Vertretung.

Die erste Organisation, die offen die Unabhängigkeit des Landes forderte, war Étoile nord-africaine (Nordafrikanischer Stern). 1926 in Frankreich gegründet, strebte er die Vereinigung der aus dem Maghreb stammenden Arbeiterinnen und Arbeiter an, welche die Kolonialordnung bekämpfen wollten. Entstanden unter dem Einfluss der Parti communiste française (PCF) (Kommunistische Partei Frankreichs) löste er sich nach und nach von dieser und ging von einem maghrebinischen zu einem algerischen Nationalismus über. Eine seiner wichtigsten Forderungen war die Einrichtung von Schulen, in denen in arabischer Sprache gelehrt werden sollte. Zudem forderte er das Wahlrecht für alle und die Abschaffung des Code de l’indigénat (der einen rechtlichen Status begründete, durch den die Einheimischen Algeriens diskriminiert wurden, und der 1946 außer Kraft gesetzt wurde), zudem räumte er der Religion des Islams einen wichtigen Platz ein. Aus den Reihen des wiederholt verbotenen Étoile kam schließlich auch derjenige, der zum Begründer des algerischen Nationalismus werden sollte: Messali Hadj.

Weit weniger radikal in seinen Forderungen war Ferhat Abbas, der eher die Elite des Landes vertrat, die eine Assimilierung befürwortete. Abbas, Apotheker und Journalist, ging in den 1930er Jahren in die Politik. Auch er lehnte den Code de l’indigénat ab. Während des Zweiten Weltkriegs unternahm er zunächst einen Vorstoß bei den Behörden des Vichy-Regimes (1940–1944), dann bei den Exilstreitkräften der Widerstandsbewegung für ein freies Frankreich, um Zusagen hinsichtlich erweiterter Rechte für die muslimische Bevölkerung in Algerien zu erwirken – ohne Erfolg.

Diese Fehlschläge veranlassten ihn, im Februar 1943 das Manifeste du peuple algérien (Manifest des algerischen Volkes) zu veröffentlichen, in dem er die gleichberechtigte Teilhabe aller Einwohnerinnen und Einwohner Algeriens in politischen Angelegenheiten und eine eigene Verfassung forderte. Von einem Bruch mit Frankreich war noch immer keine Rede; es ging vielmehr um eine Art Föderalismus. Abbas sprach in dem Manifest auch die Frage der Landreform an (die Algerier hatten massive Enteignungen zugunsten der französischen Siedler hinnehmen müssen), und er forderte eine Anerkennung von Arabisch als gleichberechtigte Sprache neben dem Französischen. Auch die Rolle der Oulémas (islamische Rechtsgelehrte), die sich ebenfalls zu Beginn der 1930er Jahre organisierten, sollte nicht vernachlässigt werden. Sie haben zum Erwachen des algerischen Nationalismus beigetragen und propagierten die Rückkehr zur Reinheit des islamischen Glaubens, den sie der ausländischen Kolonialpolitik gegenüberstellten.

Keine der genannten Bewegungen, welche die Kolonialherrschaft verurteilten, stellte die Präsenz der Europäer in Algerien grundsätzlich infrage. Wie kam es dennoch zum bewaffneten Kampf und zum Fortzug der meisten Europäer, die doch zum Teil seit Generationen in Algerien gelebt hatten? Im Mai 1945, unmittelbar nach der Kapitulation Deutschlands, gerieten in Setif und Guelma, im Nordosten Algeriens, Feiern, die anlässlich dieses Ereignisses stattfanden, außer Kontrolle. Schüsse fielen, nachdem nationalistische Aktivisten eine algerische Flagge hochgehalten hatten. In der Region brachen Unruhen aus; etwa 100 Europäer wurden getötet. Im Zuge der folgenden Repression seitens der Kolonialverwaltung kamen mehrere Tausend Menschen ums Leben. Diese gewaltsamen Übergriffe stellten einen Wendepunkt in der Kolonialgeschichte Algeriens dar – und für einige Historiker auch in der Geschichte des französischen Kolonialismus. Die folgenden Jahre verliefen relativ ruhig, aber der politische Aktivismus schwächte sich nicht ab, im Gegenteil: Einige Gruppen trafen bereits Vorbereitungen für den bewaffneten Kampf. Laut Bernard Droz "verschaffte die Repression Algerien die trügerische Atempause eines friedlichen Jahrzehnts".

Ferhat Abbas setzte seine Bemühungen auf dem Gesetzesweg fort. Er gehörte der zweiten Verfassungsgebenden Versammlung in Frankreich an, deren Arbeit 1946 in der Verfassung der Vierten Französischen Republik mündete. Aber die weitreichendsten Anträge der einheimischen Repräsentanten – so plädierte Abbas an der Seite von Léopold Sédar Senghor für mehr Föderalismus – wurden in die endgültige Fassung nicht aufgenommen, und 1948 wurden die ersten Wahlen zur algerischen Nationalversammlung von den französischen Behörden manipuliert.

Die Popularität von Ferhat Abbas litt unter der politischen Blockade Frankreichs, und viele wandten sich Messali Hadj und seinem "integralen Nationalismus" zu. "Seine Partei, das Mouvement pour le triomphe des libertés démocratique (MTLD) (die Bewegung für den Sieg der demokratischen Freiheiten, S.M.), zählte nur einige Tausend Anhänger, erfreute sich aber einer nicht unbeträchtlichen Popularität unter Jugendlichen und algerischen Pfadfindern, ja sogar in den Gewerkschaften." Die "Messalisten" zogen zunehmend den Mittelstand und die Intellektuellen an. Doch der MTLD war gespalten, und es war schließlich auch eine Abspaltung des Mouvement, aus welcher der Front de libération national (FLN) (Nationale Befreiungsfront) hervorging. Am 1. November 1954 brach der Aufstand aus. Der FLN zog nach und nach andere Bewegungen an und versammelte die Führung des MTLD, die Oulémas, die Gruppe um Ferhat Abbas sowie die algerische Kommunistische Partei um sich. "Einzig die Messalisten verharrten in einer entschlossenen Opposition, hatte doch Zaïm (so der Beiname von Messali Hadj, S.M.) die Bildung des FLN als persönlichen Affront empfunden."

Acht Jahre später, im März 1962, war es dann auch der FLN, mit dem Frankreich die Verträge von Evian unterzeichnete, die den Weg in die Unabhängigkeit Algeriens bereiteten. Die Stellung der Europäer wurde an und für sich durch diese Verträge abgesichert. Aber in den folgenden Monaten veranlassten die veränderten Kräfteverhältnisse innerhalb der nationalistischen Bewegung sowie die blutigen Attentate der Organisation armée secrète (OAS) (Organisation der geheimen Armee) – einer undurchsichtigen Gruppe von Militärs, deren Ziel es war, Algerien als integralen Bestandteil Frankreichs zu erhalten – die Mehrzahl der Europäer zum Weggang. In dem nun zwischen den Nationalisten ausbrechenden Machtkampf konnte sich schließlich Ahmed Ben Bella (ein Veteran der MTLD von Messali Hadj, der beinahe die gesamten Kriegsjahre im Gefängnis verbracht hatte) mit seiner Groupe de Tlemcen gegen die provisorische Regierung durchsetzen, die 1958 gebildet worden war und sehr auf die internationale Anerkennung der algerischen Nationalbewegung hingewirkt hatte.

Im Juni 1962 wurde in Tripolis ein Programm formuliert. Auf politischer Ebene konnte sich die Option einer Einheitspartei durchsetzen. Auf wirtschaftlicher Ebene stellte das Programm laut Ferhat Abbas eine "schlecht verdaute Version des Marxismus" dar, so zitiert von der Historikerin Malika Rahal. Es sah die Umverteilung von Land vor, eine symbolische Rolle für die Landbevölkerung und große Anstrengungen zur Industrialisierung. Ben Bella bestand darauf, dass das Programm Bezug auf den Islam – sein "Schlachtpferd" – nahm. Es folgten zudem Verstaatlichungen, nicht zuletzt der Mineralölwirtschaft. Das unabhängige Algerien gründete sich auf diesen ideologischen Fundamenten, ohne jemals seine wirtschaftlichen Verbindungen zum Westen, insbesondere zu Frankreich und den USA, zu lösen – ein Prozess, der durch das weitgehende Fehlen einer Elite erschwert wurde, die während des Krieges dezimiert worden war, vielfach durch die französische Armee, aber auch durch den FLN. Letzterer ist noch heute an der Macht – in einem Land, in dem die Armee eine zentrale Rolle spielt.

Kamerun: Ein vergessener Krieg

Togo und Kamerun nahmen einen besonderen Platz unter den französischen Gebieten ein. Die beiden Länder, frühere deutsche Kolonien, waren zu einem Teil Frankreich und zum anderen Teil Großbritannien überantwortet worden, zunächst in Form eines "Mandats" des Völkerbundes, dann als Treuhandgebiet der Vereinten Nationen – ein System, das ausdrücklich darauf zielte, die Entwicklung dieser Gebiete in Richtung Selbstverwaltung oder Unabhängigkeit zu fördern. "Das Dokument des Völkerbundes anempfahl besonders die territoriale Integrität Kameruns, die Freilassung und Gleichstellung der Sklaven, das Verbot der Zwangsarbeit, den Respekt vor dem Grundbesitz der einheimischen Bevölkerung", wie Pauline Isabelle Ngo Nyouma, eine Forscherin im Bereich Gender Studies, zeigt. "Das wachsende Bewusstsein und der Wille, von den Rechten zu profitieren, die ihnen dieser Sonderstatus verlieh, trugen zur Herausbildung eines nationalen Geistes in Kamerun bei." Nun sah sich die Nationalbewegung aber einer starken Repression ausgesetzt; zunächst von Seiten der französischen Armee, dann von den Truppen des unabhängigen Kameruns, die durch Frankreich unterstützt wurden – ein Konflikt, der wenig öffentliche Aufmerksamkeit erhielt und stets im Schatten der Kolonialkriege in Indochina und Algerien stand.

Der Romanautor und Essayist Mongo Béti war einer der ersten Autoren, der in seinem Werk "Main basse sur le Cameroun" (Beschlagnahme des Kamerun), das bei seinem Erscheinen 1972 in Frankreich verboten wurde, über diese Ereignisse berichtete. Als eines der ersten Anzeichen für eine Mobilisierung macht er die Gründung der Union des syndicats confédérés du Cameroun (USCC), die der mitgliederstärksten französischen Gewerkschaft CGT nahestand, im Dezember 1944 in Duala aus. Dieses Gewerkschaftsbündnis "sah sich sofort einer sehr heftigen Kampagne des aus Europa stammenden katholischen Klerus ausgesetzt, die – angesichts seiner seinerzeit übergroßen Mehrheit – quasi missionarische Züge trug". Verschiedene nationalistische Führer verdienten sich ihre Sporen innerhalb der USCC. Aber ein wirklicher Meilenstein war im April 1948 die Gründung einer politischen Massenpartei, der Union des populations du Cameroun (UPC) (Union der Völker Kameruns). An ihrer Spitze stand Ruben Um Nyobé, der fortan den Nationalismus Kameruns verkörperte. Der junge Beamte, der Erfahrungen in der Gewerkschaftsarbeit bei der USCC gesammelt hatte und durch den Marxismus geprägt war, bereiste das Land, um für die Idee eines "Kameruns durch die Kameruner, für die Kameruner" zu werben. Er verurteilte die Macht der Kolonialisten und das Los, das den Einheimischen beschieden war. Mit Um Nyobé an der Spitze entfaltete sich die UPC, um schließlich zur wichtigsten politischen Kraft im Land zu werden.

Die Partei fand ihre Anhängerschaft insbesondere unter der ständig wachsenden städtischen Bevölkerung Kameruns. Die vorrangigen Ziele der Partei waren klar: sozialer und ökonomischer Fortschritt für alle Kameruner, die Wiedervereinigung beider Landesteile und die Unabhängigkeit – durch Gewaltlosigkeit. 1949 sandten der UPC angeschlossene Organisationen erste Petitionen an die Vereinten Nationen, in denen die Unabhängigkeit Kameruns gefordert wurde. Im Dezember 1952 wurde Um Nyobé eingeladen, vor dem Treuhandrat der Vereinten Nationen zu sprechen – ein historischer Akt für viele Kameruner. Um Nyobé forderte dort die sofortige Wiedervereinigung mit dem Norden des Landes unter britischer Vormundschaft und die Unabhängigkeit binnen zehn Jahren.

Um den wachsenden Einfluss der UPC zu bekämpfen, wurde eine Konkurrenzpartei gegründet, der Bloc démocratique camerounais (BDC) (Demokratischer Block Kameruns), der die von Frankreich befürwortete Assimilierung unterstützte. Im April und im Mai 1955 wuchs die Spannung zwischen den Anhängern beider Gruppierungen mit einem Schlage. Gewalttätigkeiten brachen aus. Die Repression der Kolonialverwaltung erfolgte mit harter Gewalt. "Man sah, wie die Truppe Afrikaner mit einer Art von sadistischer Gewalt niedermetzelte, sodass noch heute niemand die Zahl der Toten auch nur annähernd schätzen kann." Die UPC wurde im Juli 1955 von der französischen Verwaltung verboten. Ihre Führer gingen in den Untergrund oder ins Exil. Um Nyobé, der sich in seiner Heimatregion versteckte, versuchte gleichwohl, eine Aufhebung des Verbots zu erreichen, um an den Wahlen im November 1956 teilzunehmen; aber die französische Verwaltung ließ sich Zeit, und der Anführer der UPC entschied sich für einen Boykott der Wahl.

Um Nyobé, der dem bewaffneten Kampf noch immer zurückhaltend gegenüberstand, wurde von einigen Mitgliedern seiner Bewegung in dieser Frage überholt: Am Vorabend der Wahlen ermordeten Aufständische zwei von den kolonialen Siedlern unterstützte Kandidaten. Der bewaffnete Kampf begann zwar, aber die Nationalisten verfügten über wenig Mittel. Im Übrigen blieb ein großer Teil der Bevölkerung für Politik wenig empfänglich: "Ethnischer und sozialer Partikularismus, archaische Mentalitäten, extreme geografische Zersplitterung, Ignoranz und Mittellosigkeit – all dies trug dazu bei, die ländlichen Massen von der Politik fernzuhalten, das heißt sicherlich 80 Prozent der Bevölkerung."

Um Nyobé wurde am 13. September 1958 im Untergrund getötet. Einige Monate später, nachdem es Frankreich gelungen war, ihm genehme politische Führer durchzusetzen, gewährte es Kamerun die Unabhängigkeit, de facto am 1. Januar 1960. Aus dem Exil in Guinea lehnten die dahin verbannten Führer der UPC diese Scheinunabhängigkeit Kameruns ab, die nur gegen die Zusicherung gewährt worden war, den Zugriff Frankreichs auf die kamerunische Politik und Wirtschaft aufrechtzuerhalten. Der Kampf dauerte mehr als zehn Jahre. Die Regierung Kameruns, das über keine eigene Armee verfügte, stützte sich zumindest bis zum Jahr 1964 auf die französische Armee. Wie in Algerien wurde die Bevölkerung zwangsumgesiedelt, um die Hilfsnetze der Rebellen zu kappen. Die Führer der UPC wurden einer nach dem anderen ausgeschaltet: Felix Moumié starb im November 1960 in Genf, wahrscheinlich vergiftet; Ernest Ouandié wurde 1971 erschossen. Im Unterschied zu den algerischen Nationalisten ist es ihnen niemals gelungen, die Aufmerksamkeit der internationalen Gemeinschaft auf ihren – lange Zeit friedlichen – Kampf und die gewalttätige Unterdrückung zu lenken. Es war schließlich ein Mitglied des Bloc démocratique camerounais, der an die Macht gelangte: Ahmadou Ahidjo. Er blieb mehr als 20 Jahre lang Präsident und setzte ein überaus autoritäres Regime durch, das keine Möglichkeit der politischen Opposition ließ.

Ghana: Accra als Hauptstadt des Panafrikanismus

Die Goldküste, das spätere Ghana, stellt aus mehreren Gründen einen Sonderfall im britischen Weltreich dar. "Das Land, über 40 Jahre wichtigster Kakaoproduzent der Welt, besaß eine vielseitige, prosperierende Landwirtschaft. Von allen afrikanischen Kolonien verfügte es über das fortschrittlichste Bildungssystem und das größte Reservoir an gut ausgebildeten Arbeitskräften", wie der Historiker Martin Meredith beschrieb. Überdies, so merkt Ibrahima Thioub an, war der britischen Präsenz eine Form der politischen Organisation vorausgegangen, das Königreich Ashanti. Der Protest gegen die mit der Kolonialisierung verbundenen Ungerechtigkeiten hat in diesem Land eine verhältnismäßig lange Tradition. Aber er verfestigte sich im Verlauf des Zweiten Weltkrieges. Dies zeigte sich insbesondere am gewerkschaftlichen Engagement: Zwischen 1940 und 1945 ist die Zahl der Gewerkschaftsmitglieder in der Goldküste von 900 auf 6000 gestiegen.

Die britische Verwaltung erkannte die Notwendigkeit verfassungsrechtlicher Reformen, deren Reichweite sie zu begrenzen wünschte. Sie glaubte zu wissen, mit wem sie zu regieren habe: mit der Intelligenzia des Landes, den Großbauern, Händlern, Anwälten. Letztere wurden seit 1947 von einer eigenen Partei vertreten, der United Gold Coast Convention. Sie forderten eine schnellstmögliche Selbstverwaltung und zeigten sich kritisch gegenüber den traditionellen Oberhäuptern und ihrer Macht, die den freien Handel behinderten.

Die Parteiführung entschied, einen Mann anzuwerben, der sich hauptamtlich dem Aufbau dieser neuen Bewegung widmen konnte. Sie wandten sich an Kwame Nkrumah, der gerade zwölf Jahre im Ausland verbracht hatte. In den USA hatte er Wirtschaft, Theologie, Philosophie und Soziologie studiert und auch seine Leidenschaft für die panafrikanischen Theorien entdeckt. In London hatte er sich erstmals stärker politisch engagiert. Nkrumah, "ein bemerkenswerter Agitator und Organisator", nahm bald die Geschicke der United Gold Coast Convention in die Hand und tat alles dafür, um die Popularität der Partei zu erhöhen. Aber der Versuch war nicht von langer Dauer. 1949 beschloss Nkrumah, eine eigene Gruppierung zu gründen, die Convention People’s Party (CPP). Nun war "Selbstregierung jetzt!" das erklärte Ziel, was dennoch keinen Bruch mit Großbritannien bedeutete. Er stützte sich insbesondere auf Jugendgruppen und Zeitungen. Seine Reden begeisterten rasch die Gewerkschaften, entlassene Soldaten oder kleine Einzelhändler. Die CPP "kanalisierte das Trachten der Bevölkerung, indem sie die legale Agitation mit den von Gandhi angewandten Mitteln des Streiks und Boykotts verband. Nach einer Phase der Unterdrückung, besonders während der Streiks im Februar 1948 und im Januar 1950, und wiederholten Verhaftungen Nkrumahs musste London einen verfassungsgebenden Prozess einleiten, weil die Wahlen von 1951 den repräsentativen Charakter der CPP bescheinigt hatten."

Tatsächlich wurden Wahlen abgehalten, erstmals nach dem direkten Wahlrecht. Nkrumah verbüßte da eine dreijährige Gefängnisstrafe. Die CPP erzielte einen großen Erfolg, und die britische Verwaltung stimmte zu, ihn vorzeitig zu entlassen und zum neuen "Führer der Regierungsgeschäfte", dann zum Ministerpräsidenten zu ernennen. Die Tatsache, dass ein Schwarzer an die Spitze der Regierung aufrückte, löste auf dem afrikanischen Kontinent förmlich einen Schock aus, zumal er sich auf den Marxismus berief. Er strebte danach, Ghana zu einem industrialisierten, geeinigten und sozialistischen Land zu entwickeln – ein Modell, das sich nach seinem Willen sodann über ganz Afrika ausbreiten sollte.

Aber vorläufig unterstützten die neuen Institutionen in der Goldküste weiterhin den britischen Gouverneur, der weiterhin die Hand über Polizei, Justiz, Militär und Diplomatisches Corps hielt. Im Juli 1953 wandte sich Nkrumah an das Parlament, um die unverzügliche Selbstverwaltung zu fordern. 1954 wurde abermals eine neue Verfassung angenommen. Diesmal setzte sich die Regierung ausschließlich aus Afrikanern zusammen. Der Nimbus von Kwame Nkrumah in der Goldküste erreichte einen Höhepunkt. Aber er stieß nicht auf einhellige Zustimmung, auch in seiner eigenen Partei nicht; er sah sich mit Austritten konfrontiert. Überdies gefährdete der Verfall der Weltmarktpreise für Kakao den wirtschaftlichen Wohlstand und den sozialen Frieden. Die CPP errang 1956 dennoch einen klaren Wahlsieg. Am 6. März 1957 wurde Ghana zu einem unabhängigen Staat innerhalb des Commonwealth, mit Nkrumah als Ministerpräsident und der Königin von Großbritannien als Monarchin. 1958 organisierte er, getreu seinem panafrikanischen Ideal, die erste Konferenz der unabhängigen Staaten Afrikas. Aber sein Traum einer afrikanischen Einheit ging nicht in Erfüllung. Die neuen politischen Führer auf dem Kontinent schienen sich an ihre Macht zu gewöhnen und fanden die Idee eines vereinten Afrikas plötzlich weit weniger verlockend. Im Innern verspielte Nkrumah innerhalb weniger Jahre seine enorme Popularität. Er ließ andere Parteien verbieten und sich zum Präsidenten auf Lebenszeit ernennen. Seine Politik der gezielten Förderung wurde durch die Konjunkturabschwächung und insbesondere den Verfall der Kakaopreise behindert. 1966, als er sich auf einer Auslandsreise befand, wurde er durch einen Militärputsch gestürzt; ghanaischen Boden hat er nie wieder betreten.

Alles in allem erlagen Afrikas politische Führer in der postkolonialen Periode häufig der Versuchung, ein autoritäres Regime zu errichten. Sie schoben das Argument vor, einen starken Staat schaffen zu müssen, der wenig oder gar keinen Platz für politische Opposition ließ. Nur wenige Länder auf dem Kontinent erlebten keinen Staatsstreich – und das Thema bleibt aktuell, wie die Beispiele Mali und Guinea-Bissau in diesem Jahr zeigen.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Bernard Droz, Geschichte der Dekolonisation im 20. Jahrhundert, Paris 2009, S. 199.

  2. Vgl. ebd., S. 203.

  3. Vgl. ebd., S. 207.

  4. In der Radiosendung "La Marche de l’histoire", France Inter, 19.3.2012, online: Externer Link: http://www.franceinter.fr/emission-la-marche-de-l-histoire-la-prise-du-pouvoir-par-le-fln-en-1962 (1.10.2012).

  5. Zwangsarbeit unterscheidet sich von der Sklaverei dadurch, dass der Arbeiter formell frei bleibt und nicht als "Eigentum" gilt. Zwangsarbeit wurde besonders in den rohstoffreichen Kolonien mangels Infrastruktur sehr häufig für den Warentransport genutzt. Bezogen auf die französischen Kolonien wurde sie offiziell 1946 durch das Houphouët-Boigny-Gesetz abgeschafft.

  6. Pauline Isabelle Ngo Nyouma, Beteiligung der Frauen an den nationalen Befreiungskämpfen und Frauenförderung in Afrika: Vergleichende Analyse von Kamerun und Mosambik, online: Externer Link: http://www.ceafri.net/site/spip.php?article202 (1.10.2012).

  7. Mongo Béti, Main basse sur le Cameroun, Paris 1972.

  8. Vgl. ebd., S. 27.

  9. Ebd., S. 63.

  10. Dies betrifft den Teil unter französischer Vormundschaft. 1961 wurde das britische Kamerun nach einem Referendum in zwei Teile getrennt: Der Norden wurde Nigeria angegliedert, der Süden Kamerun.

  11. Martin Meredith, The State of Africa, London 2005, S. 22.

  12. So in einem Gespräch mit dem Verfasser.

  13. Vgl. B. Droz (Anm. 1), S. 80.

  14. Vgl. M. Meredith (Anm. 11), S. 17f.

  15. B. Droz (Anm. 1), S. 231.

  16. Ebd.

  17. Nach einem Referendum wurde das Land 1960 zur Republik, mit Nkrumah als Präsident.

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Geb. 1980; Redakteur des Magazins "Économie et développment" bei der "Deutschen Welle", Kurt-Schumacher-Straße 3, 53113 Bonn. E-Mail Link: sebastien.martineau@dw.de