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Vermögensforschung: Reichtum und seine philanthropische Verwendung

Wolfgang Lauterbach Miriam Ströing

/ 16 Minuten zu lesen

Im Jahr 2014 ist die Forbes-Liste der reichsten Menschen der Welt zum 28. Mal erschienen. Mit der Erstveröffentlichung 1986 wurde im Banken- und Anlagenwesen auf den Anstieg der Anzahl der Millionäre reagiert, um wirtschaftlich attraktive Kapitalbesitzer zu zeigen und erkennbar zu machen, wie sich Vermögensreichtum verteilt und wandelt. Damit wurde auf eine Entwicklung aufmerksam gemacht, die in den Jahrzehnten davor in den USA und auch in Europa noch keine große Bedeutung hatte: die Anhäufung von Vermögen im Besitz einzelner Personen, die gegebenenfalls weltumspannend agieren können. Bis in die 1980er Jahre stellten diese nur eine verschwindend kleine Gruppe dar. Die Erwerbstätigkeit, das daran gekoppelte Einkommen und die Klassenzugehörigkeit galten als bedeutendste Faktoren zur Einordnung gesellschaftlicher Positionen. So war es nur folgerichtig, dass das Thema Vermögen in der Ökonomie kaum und in der Soziologie kein Gegenstand von Debatten und Untersuchungen war. Schicht- und klassentheoretische Diskurse über die "nivellierte Mittelstandsgesellschaft" dominierten.

Rückblickend zeigt sich, dass in der Zeit von 1950 bis etwa 1970 aufgrund von Währungsumstellungen, Lastenausgleich und weiteren Regelungen das Vermögen in deutschem Privatbesitz nicht nennenswert angestiegen ist. In den darauffolgenden Jahren von 1971 bis 1992 begann sich das Nettohaushaltsvermögen gegenüber dem verfügbaren Einkommen auseinander zu entwickeln, was sich bis in die Gegenwart fortsetzt. Betrug das Verhältnis von Nettovermögen zum verfügbaren Einkommen 1970 noch das Dreifache, so entwickelte es sich auf das 3,6-fache bis 1993 und betrug 2005 das 4,6-fache. Gleichzeitig stieg die Anzahl der Millionäre in den vergangenen 20 Jahren und jüngst auch die der Milliardäre an. Für 2012 lassen sich weltweit 12 Millionen Millionäre und 1645 Milliardäre verzeichnen, deutschlandweit waren es etwas mehr als eine Million Millionäre.

Die historische Entwicklung der Nachkriegszeit ließ es also zunächst nicht notwendig erscheinen, sich mit der kleinen Gruppe der Reichen zu beschäftigen. Erst ihr zahlenmäßiger Anstieg und die dadurch bedingte Umgestaltung der ökonomischen Zusammensetzung der Bevölkerung veranlassten dazu. Klassische Begriffe wie "Eliten" oder "Oligarchen" schienen die gewachsene Gruppe der Reichen nicht mehr zufriedenstellend zu beschreiben. Als Folge dieser Veränderungen kam die Frage auf, wer "die Reichen" überhaupt sind.

Auf diesen Wandel in den 1980er und 1990er Jahren, dem Anstieg der Anzahl reicher Personen einerseits und der Arbeitslosen und Sozialhilfeempfänger andererseits bei gleichzeitiger generationenübergreifender Verfestigung der Armut in einigen wenigen gesellschaftlichen Gruppen und steigenden Ungleichheiten, reagierte die Bundesregierung zu Beginn des 21. Jahrhunderts mit dem ersten Armuts- und Reichtumsbericht. In der Zwischenzeit sind vier Berichte (2001, 2005, 2008, 2013) erschienen, in denen die Entwicklung der Einkommensverteilung und jüngst auch der Vermögen in der Gesellschaft nachgezeichnet wird. International hat auch die OECD mit entsprechenden Berichten auf die Einkommens- und Vermögensentwicklung reagiert.

Die Vermögensforschung setzt sich daher zum Ziel, die zahlenmäßig relevanter gewordene Gruppe der Reichen in ihrer gesellschaftlichen Bedeutung einzuordnen, die Entstehungszusammenhänge sowie die Verwendung von Reichtum zu verstehen und zu erklären. Hierzu sind individualbasierte quantitative Daten unverzichtbar, da sie es ermöglichen, individual- oder haushaltsbezogene Aussagen über die Lebenssituation von Reichen zu treffen. Diese Studien können selbstverständlich kaum repräsentativ sein, da die Stichproben sich auf eine kleine Gruppe von etwa ein bis zwei Prozent der Bevölkerung beziehen. Hinzuzufügen sind qualitative Studien, mithilfe derer es möglich ist, die Lebenswirklichkeit von Reichen, vor allem von Superreichen und Milliardären, eingehend und detailliert zu untersuchen. Durch die Verwendung individualbasierter quantitativer wie qualitativer Daten wird es möglich, ein Sozialprofil dieser Gruppe zu erstellen und die Entstehung und Verwendung von Vermögen zu betrachten.

Begriff und Verständnis der Vermögensforschung

Mit dem Begriff der Vermögensforschung bezeichnen wir ein interdisziplinäres Forschungsprogramm, das sich seit etwa zehn Jahren in Deutschland, aber auch international herausgebildet hat. Dieses Programm hat zwei Ziele: Erstens geht es darum, die Lebenslagen sowie die Lebenswirklichkeit von Reichen, vorwiegend in Deutschland, zu beschreiben und die Entstehung derartiger herausragender ökonomischer Positionen ursächlich zu erklären. Die Vermögensforschung untersucht die strukturellen Zusammenhänge, in denen reiche Menschen leben, und stellt die langfristig wirkenden Strukturmerkmale in den Mittelpunkt. Die gesellschaftliche Wirklichkeit reicher Personen wird aus den "objektiven" Bedingungszusammenhängen erklärt und in ihren subjektiven Handlungszusammenhängen verstanden.

Derartige außergewöhnliche Positionen lassen zweitens unweigerlich die Frage aufkommen, wie Vermögen verwendet wird. Hierbei steht nicht der Lebensstil im Vordergrund, sondern die Frage nach einem "verantwortungsvollen" Umgang. Der Vermögensforscher Thomas Druyen beschreibt Vermögen als Handlungsbegriff wie folgt: "Wir vermögen etwas zu tun, weil wir es wollen. Wir vermögen etwas zu tun, weil wir es können. Wir vermögen etwas zu tun, weil wir bereit sind, etwas zu leisten." Die Begriffe Vermögen und Möglichkeit verweisen auf eine zukünftige Handlung, auf das Potenzial, womit das Wünschenswerte, das durch die zur Verfügung stehenden Ressourcen realisiert werden kann, im Mittelpunkt steht. Bei reichen Personen, die sich gesellschaftlich engagieren, handelt es sich also um spezifisches, in Handlung umgesetztes Vermögen.

In Abgrenzung zur herkömmlichen Analyse des Schichtungssystems der Gesellschaft lassen sich in der Vermögensforschung vier neue Herangehensweisen ausmachen: (1) Sie bezieht sich nicht nur auf statistische Querschnittsangaben über Verteilungen, sondern nutzt gezielt Individualdaten, um Aussagen über die Gruppe der Reichen tätigen zu können. (2) Sie bezieht sich auf ein Konzept von Reichtum, das Vermögen und nicht Einkommen als Basis fokussiert. Die gesellschaftliche Position von Reichen hängt daher nicht vom individuellen Erwerbs- oder Haushaltseinkommen ab, sondern vom Vermögen. (3) Sie erfasst die Genese von Reichtum als multifaktorielles Phänomen: Reichtum kann durch Heirat, Erbschaft, Unternehmertum oder Erwerbsarbeit entstehen und ist daher als ein heterogenes Phänomen zu begreifen, das sich vom "Millionaire next door" bis hin zum Milliardär erstreckt. (4) Schließlich stehen die Verwendung von Reichtum durch philanthropisches Handeln sowie die handlungsleitenden Motive im Zentrum.

Unterscheidung von Wohlhabenden und Reichen

Im Unterschied zur herkömmlichen Bestimmung der gesellschaftlichen Position durch Einkommen wird darauf Bezug genommen, dass Reichtum erst durch den Besitz von materiellem Vermögen möglich wird. In der amtlichen Berichterstattung hat hingegen die Definition von Reichtum basierend auf Einkommen, vorwiegend Erwerbseinkommen, eine lange Tradition. Die Grenzziehung wird in der Regel entsprechend der Bestimmung der Armutsgrenze vollzogen: Wer weniger als die Hälfte beziehungsweise 60 Prozent des Medianeinkommens erzielt, gilt als arm. Wer analog dazu mehr als das Doppelte (200 Prozent) erwirtschaftet, gilt als vermeintlich reich. Ein strengeres Konzept sieht die Grenze beim Dreifachen (300 Prozent). Diese Schwellenwerte folgen statistischen Überlegungen, deren Ausgangspunkt immer das durchschnittliche oder mediangewichtete individuelle Einkommen im Verhältnis zum Durchschnitt des Bevölkerungseinkommens ist. Die statistische Logik der Schwellenwertbestimmung folgt einer seit Jahrzehnten bestehenden Sichtweise hinsichtlich der gesellschaftlichen Bedeutsamkeit des Erwerbs- oder Haushaltseinkommens im Unterschied zur Wichtigkeit des Vermögensbesitzes.

Die Sichtweise geht zurück auf die Bedeutung der Vermögenden, wie sie bereits Max Weber beschrieben hat. In seinem Werk "Wirtschaft und Gesellschaft" hat er auf den Wandel der Klassenstruktur und die damit verknüpften Beschäftigungs- und Einkommensverhältnisse verwiesen. "Marktklassen" schafften spezifische Lebenschancen, die Verfügung über Besitz und Einkommen sei die "allerelementarste ökonomische Tatsache". Jedoch verfügen über Besitz nur sehr wenige, über Einkommen hingegen sehr viele. In den 1960er und 1970er Jahren wurde die Aufmerksamkeit unter dem Eindruck einer ständig wachsenden Erwerbsbeteiligung vor allem der Männer in der Industriegesellschaft verstärkt auf den Arbeitsmarkt gelegt. Der Soziologe Frank Parkin formulierte in Anlehnung an Weber: "Property ownership is so heavily concentrated in the hands of so few, it does not figure as the primary source of reward for the mass of the population". Die Bedeutung des Arbeitsmarktes für den erreichten Lebensstandard wurde als essenziell angesehen: "Life chances are determined by class position." Transfereinkommen, Erbschaften oder Ressourceneinsparungen durch einen gemeinsam bewohnten Haushalt standen hingegen kaum im Zentrum der Aufmerksamkeit: "Asset income are of less means in the next future."

Die Vermögensforschung betont hingegen die Bedeutsamkeit von Vermögensbesitz. Erst der Besitz von Vermögen lässt eine "Distanz zum Notwendigen" entstehen. Sie schafft die Freiheit, unabhängig von Erwerbseinkommen zu sein. Die Wahlfreiheit der Verwendung in einem marktwirtschaftlichen System und die Unabhängigkeit der Investition definiert die herausgehobene Position materiell Vermögender. Sie können entscheiden, ob und vor allem wann sie investieren oder sich engagieren. Das macht den Vermögensbesitzer zu demjenigen, der von anderen umworben wird. Vermögen ist ein "absolutes Mittel", auf das sich soziales Handeln ausrichtet.

Reichtum wird daher als allgemein erstrebenswert angesehen. Überlegungen zur Akkumulation von Vermögen finden sich bei den Wirtschaftswissenschaftlern Franco Modigliani und Richard Brumberg, die entlang der Lebenszyklus-Hypothese formulieren, dass Menschen durch ihre Einkommenserzielungspräferenz und ihr individuelles Sparverhalten darauf abzielen, Vermögen zu akkumulieren. Sieben Funktionen tragen dazu bei, Vermögen als erstrebenswert zu kennzeichnen. (1) Erzielen Individuen ein gewisses Einkommen aus Vermögen, müssen sie nicht mehr zwischen "Arbeit und Freizeit" abwägen. Damit sind sie unabhängig von der Notwendigkeit, einer Beschäftigung nachzugehen (Unabhängigkeitsfunktion). (2) Im Unterschied zum Erwerbseinkommen, das in der Regel für den Konsum verwendet wird, können durch Vermögen weitere Zins- oder Rentenerträge erzielt werden (Einkommensfunktion). (3) Der Besitz von Vermögen schafft eine Sicherheit gegenüber auftretenden Lebensrisiken und ökonomischen Krisen, die zu einer Minderung des Einkommens beitragen können (Sicherungsfunktion). (4) Durch Vermögen kann der Status der Familie oder des Haushaltes lange erhalten werden, und mögliche Schwankungen im Einkommen haben keine Auswirkungen auf die Stellung in der Gesellschaft (Statuserhaltungsfunktion). (5) Der durch das Vermögen bestimmte gesellschaftliche Status der Familie kann auf die nächste Generation vererbt werden (Vererbungsfunktion). (6) Ökonomisch gesehen kann durch Vermögen weiteres Vermögen geschaffen werden, da etwa Vermögenswerte niedriger besteuert werden als Einkommen (Zinsvorteilsfunktion). (7) Schließlich verleiht materielles Vermögen die Möglichkeit, Einfluss zu nehmen und Entscheidungen zu treffen (Machtfunktion).

Diese Sichtweise wird herangezogen, um Wohlhabende von Reichen zu unterscheiden. Reichtum existiert nur da, wo Vermögen ab einer bestimmten Höhe vorhanden ist, wo Erwerbstätigkeit und das Erzielen von Erwerbseinkommen für den Lebensunterhalt nicht mehr notwendig sind. Die durch Einkommen bestimmte gesellschaftliche Position kann hingegen nur als Wohlstand bezeichnet werden. Denn auch die Wohlhabenden "bleiben von den Interessen und den Nöten des Alltags beherrscht". Personen, die mehr als das Doppelte oder Dreifache des Durchschnittseinkommens verdienen, unterscheiden sich zwar bezüglich der sozialen Lage von der Mittelschicht, die Abhängigkeit vom Erwerbseinkommen bleibt jedoch bestehen. Selbstverständlich steigt mit dem Einkommen auch das verfügbare Vermögen. Jedoch kann nicht der Schluss gezogen werden, dass mit steigendem Einkommen auch das Vermögen in entsprechender Relation steigt, denn die Korrelation von Einkommen und Vermögen ist begrenzt. So ist das mittlere Vermögen in den Jahren 2002 bis 2007 gesunken, wenngleich das Einkommen gestiegen ist. Die dennoch starke Konzentration der Vermögen zeigt sich vor allem am oberen Rand: So besitzen etwa zehn Prozent der Bevölkerung rund zwei Drittel des Vermögens. Neben der derzeit verwendeten unteren Vermögensgrenze von 500.000 US-Dollar verfügbarem Kapitalvermögen lassen sich weitere Schwellenwerte bestimmen: "High Net Worth Individuals" (HNWIs), "Ultra-High Net Worth Individuals" (U-HNWIs), Superreiche und Milliardäre. HNWIs weisen ein Netto-Finanzvermögen von mindestens einer Million US-Dollar auf, U-HNWIs von mindestens 30 Millionen US-Dollar und Superreiche verfügen über mindestens 300 Millionen US-Dollar.

Philanthropische Verwendung von Reichtum

Eine Möglichkeit der Legitimation von Reichtum in den Händen weniger und daraus resultierender sozialer Ungleichheiten ist die Übernahme gesellschaftlicher Verantwortung durch Reiche, indem sie philanthropisch handeln und der Gesellschaft damit "etwas zurückgeben". Der "wahrhaft Reiche" ist demnach derjenige, der von den Mitgliedern der Gesellschaft akzeptiert wird und nicht der, der den "demonstrativen Müßiggang" lebt.

Zur Übernahme gesellschaftlicher Verantwortung lassen sich zwei übergeordnete Betrachtungsansätze benennen. Zum einen besteht, vor allem in der US-amerikanischen Forschung, der Philanthropiebegriff, der sich auf freiwilliges, nicht gewinnorientiertes Geben von Zeit oder Wertgegenständen für öffentliche Zwecke bezieht und vornehmlich im Zusammenhang mit finanziellen Zuwendungen in hohem Ausmaß verwendet wird. Zum anderen geht es mit der Begrifflichkeit bürgerschaftlicher Verantwortung vorwiegend um zeitliches Engagement, das freiwillig, unentgeltlich, gemeinschaftlich und öffentlich stattfindet. Beide Ansätze verweisen generell auf die freiwillige, nicht gewinnorientierte Übernahme gesellschaftlicher Verantwortung.

Legt man den Fokus zunächst auf Stifter, so lassen sie sich als Personen beschreiben, die eine "Kombination von bürgerlichem Unternehmertum, ausgeprägtem Individualismus und einem spezifischen Sendungsbewusstsein" auszeichnet. Diese Eigenschaften treffen mit dem altruistischen Wunsch zusammen, ihr Vermögen auch der Allgemeinheit zu widmen, indem sie einen Teil für gemeinnützige Zwecke zur Verfügung stellen. Durch die Eigenschaft von Stiftungen, die einem durch den Stifter festgesetzten Zweck folgen, dehnen sie ihren Individualismus und ihr Sendungsbewusstsein über den beruflichen Bereich in die zivilgesellschaftliche Sphäre hinein aus und versuchen "in gesellschaftsreformerischer Absicht zwischen diesen Sphären zu vermitteln".

Die wichtigsten Motive von Stiftern sind "Dankbarkeit, Altruismus, Gesellschaftsreform und Prestige". Sie verweisen auf unterschiedliche Werthaltungen: (1) Dankbarkeit steht für einen Reziprozitätskontext von Geben und Nehmen. (2) Altruismus verweist auf eine gemeinschaftsbezogene Orientierung und die Erfüllung sozialer Normen. (3) Gesellschaftsreform beschreibt den Wunsch, Probleme der Gesellschaft aktiv und gestaltend zu lösen. (4) Prestige verweist auf den Reziprozitätsgedanken, Anerkennung und Wertschätzung durch stifterische Tätigkeit zu erhalten. Bei der Frage, ob Engagierte bestimmte Erwartungen an ihr Handeln knüpfen, zeigt sich, dass Stifter häufig auf eine Reziprozität von Geben und Nehmen bedacht sind. Sie sind daran interessiert, symbolisches Kapital in Form von Anerkennung zu erwerben und tauschen auf diese Weise ihr eigenes ökonomisches Kapital dafür ein. Engagement ist daher nicht ausschließlich altruistisch: "While characterizing philanthropy as an obligation, donors readily acknowledge that it is also enjoyable." Oder es ist einfach eine "socially acceptable avenue for the exercise of leadership and public participation".

Bei der Übernahme gesellschaftlicher Verantwortung ist die Beziehung zwischen Markt, Staat, Familie und Zivilgesellschaft von besonderem Interesse. Stifter vertreten dabei häufig die Meinung, dass die Aufgaben des Staates deutlich eingeschränkt sein sollten. Es wird zwar formuliert, dass Stiftungen den Staat nicht ersetzen, sondern lediglich unterstützen sollen, jedoch mit der grundsätzlichen Haltung, dass staatliche Eingriffe in vielen Bereichen ineffizient seien. Stiftungen können innovativ und schnell auf neue Probleme und Aufgabenfelder der Gesellschaft reagieren. Da sie nicht auf Effizienz angewiesen sind, gilt dies auch im Vergleich zur Wirtschaft.

Analysen zum philanthropischen Handeln im Sinne von Stiftertum, Spenden, der (Mit-)Organisation von Hilfsprojekten sowie der Übernahme freiwilliger Tätigkeiten aus der Studie "Vermögen in Deutschland" (ViD) ergeben, dass mit einem Anteil von 76,5 Prozent ein Großteil der Befragten gesellschaftliche Verantwortung übernimmt. 70,2 Prozent der befragten Hauptschulabsolventen sind philanthropisch aktiv, bei denen mit mittlerer Reife sind es 73,1 Prozent, und Personen mit Fachhochschulreife beziehungsweise Abitur engagieren sich mit einem Anteil von 81,5 Prozent. Selbstständige sind mit einem Anteil von 84,1 Prozent gegenüber abhängig Beschäftigten (71,2 Prozent) erkennbar häufiger gesellschaftlich engagiert. Generell finden sich unter Reichen überdurchschnittlich viele Personen mit hohen schulischen und beruflichen Abschlüssen, was sich in einem hohen Anteil in Vollzeit Erwerbstätigen (86 Prozent in ViD gegenüber 74 Prozent in der Mittelschicht) und Unternehmern niederschlägt. Da Vermögen in der Regel sukzessive im Lebensverlauf aufgebaut werden, befinden sich in höheren Vermögensgruppen tendenziell ältere Personen, gerade unter den HNWIs.

In Bezug auf die Motive bürgerschaftlich Engagierter unterscheiden die Sozialwissenschaftler Thomas Gensicke und Sabine Geiss zwischen Gemeinwohl-, Geselligkeits- und Interessenorientierung. Begreift man gesellschaftliche Verantwortungsübernahme umfassend und betrachtet neben Stiftertum, Ehrenämtern oder Geldspenden weitere Varianten sozialen Engagements, lassen sich bei Vermögenden ebenfalls altruistische und selbstbezogene Motive ausmachen. Für 20 Prozent sind Partizipation und für 26 Prozent Selbstverwirklichung sehr wichtig. Bei den altruistischen Motiven wird Verantwortungsübernahme mit 26 Prozent als sehr wichtig benannt und 15 Prozent geben sogar moralisch-dankbare Motive an.

Personen, die sich durch die Übernahme freiwilliger Tätigkeiten bürgerschaftlich engagieren, ist vor allem das Interesse für ihr Engagement bedeutsam, dagegen kommt es ihnen deutlich weniger auf die Anerkennung ihrer Tätigkeit an. Wohlhabende wollen sich durch philanthropisches Handeln eher "selbst verwirklichen" und an der Gesellschaft partizipieren. HNWI’s hingegen sehen ihr Engagement viel stärker als gesellschaftliche Verantwortung. So finden sich auch unter Reichen selbstbezogene wie altruistische Motive.

Generell führen Engagierte religiös altruistische, pietistische oder humanitäre Motive und Werte für ihr Handeln an. So sind vor allem Überzeugungen, sich für Schwächere in der Gesellschaft einzusetzen und ihnen Unterstützung zukommen zu lassen, prägend. Hinzu kommt aber teilweise auch eine "egoistische Komponente", meist der Anerkennung und des Zugangs zu bestimmten Kreisen.

Selbstverwirklichung, Partizipation, gesellschaftliche Verantwortung und Dankbarkeit sind somit vier Handlungsmotive für Reiche, philanthropisch aktiv zu werden. Diese Motive schließen sich nicht zwangsläufig gegenseitig aus, denn es können ebenso rationale Motive wie erwartete Anerkennung oder Prestigegewinn sowie Selbstverwirklichung zusammen mit einem Verpflichtungsgefühl oder Dankbarkeit für die eigene gute Situation wirken.

Zusammenfassung

Die Vermögensforschung zielt als Reaktion auf den starken Anstieg der Vermögenden darauf ab, diese gesellschaftliche Gruppe zu beschreiben, theoretisch zu durchdringen und ihre Lebenssituation und Lebenswirklichkeit zu erklären. Ein zweiter Fokus liegt auf der Verwendung der Vermögen, insbesondere hinsichtlich eines gesellschaftlich verantwortungsvollen Umgangs mit diesem. Der Besitz von Vermögen, um über eine "Distanz zur Notwendigkeit" zu verfügen, kennzeichnet Reiche. Philanthropie ist für sie ein Mittel, ihre gehobene Stellung im ungleichen Gefüge gesellschaftlicher Positionen zu legitimieren. Aber auch andere, altruistische wie egoistische Motive führen zu sozialem Engagement: gesellschaftliche Verantwortung, moralisch-dankbare Verantwortung, Partizipation und Selbstverwirklichung.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Luisa Kroll, Inside the 2014 Forbes Billionaires List: Facts and Figures, Externer Link: http://www.forbes.com/sites/luisakroll/2014/03/03/inside-the-2014-forbes-billionaires-list-facts-and-figures/ (11.3.2014).

  2. Vgl. Edward Nathan Wolff, International Comparisons of Wealth Inequality. Review of Income and Wealth, 42 (1996) 4, S. 433–451; James B. Davies, Wealth and Economic Inequality, in: Wiemer Salverda/Brian Nolan/Timothy M. Smeeding (Hrsg.), The Oxford Handbook of Economic Inequality, Oxford 2011, S. 127–149.

  3. Vgl. Johann Handl/Karl-Ulrich Mayer/Walter Müller, Klassenlagen und Sozialstruktur, Frankfurt/M. 1977.

  4. Vgl. Joachim R. Frick/Markus M. Grabka, Die Verteilung der Vermögen in Deutschland. Empirische Analysen für Personen und Haushalte, Berlin 2010, S. 20f.

  5. Vgl. Capgemini/RBC Wealth Management, World Wealth Report 2013, o.O. 2013.

  6. Für einen historisch-konzeptuellen Überblick zur Entwicklung der Ungleichheit unter spezieller Berücksichtigung von Reichen und deren sozialen Merkmalen siehe Hans-Ulrich Wehler, Die neue Umverteilung. Soziale Ungleichheit in Deutschland, München 2013.

  7. Siehe OECD, Growing Unequal? Income Distribution and Poverty in OECD Countries, Paris 2008.

  8. Vgl. Stefan Weick, Wer zählt zu den "Reichen" in Deutschland?, in: Informationsdienst Soziale Indikatoren, 24 (2000), S. 1–5; Wolfgang Lauterbach/Melanie Kramer/Miriam Ströing, Vermögen in Deutschland: Konzept und Durchführung, in: Wolfgang Lauterbach/Thomas Druyen/Matthias Grundmann (Hrsg.), Vermögen in Deutschland. Heterogenität und Verantwortung, Wiesbaden 2011; J.R. Frick/M.M. Grabka (Anm. 4).

  9. Thomas Druyen, Entstehung und Verbreitung von Vermögenskultur und Vermögensethik, in: ders./Wolfgang Lauterbach/Matthias Grundmann (Hrsg.), Reichtum und Vermögen. Zur gesellschaftlichen Bedeutung der Reichtums- und Vermögensforschung, Wiesbaden 2009, S. 29–41, hier: S. 30.

  10. Thomas J. Stanley/William D. Danko, The Millionaire Next Door, New York 1996.

  11. Dem ist hinzuzufügen, dass seit dem dritten Armuts- und Reichtumsbericht 2008 auch eine integrierte Betrachtung von Einkommen und Vermögen zur Differenzierung verschiedener Positionen erfolgt.

  12. Vgl. Joachim Merz/Dierk Hirschel/Markus Zwick, Struktur und Verteilung hoher Einkommen – Mikroanalysen auf der Basis der Einkommensteuerstatistik. Beitrag zum zweiten Armuts- und Reichtumsbericht 2004 der Bundesregierung, o.O. 2005, S. 39; vgl. auch Bundesministerium für Arbeit und Soziales (Hrsg.), Lebenslagen in Deutschland. Der vierte Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung, Bonn 2013. Die Schwellenwerte 200 und 300 Prozent sind die bei empirischen Vergleichen meistgenutzten Grenzen. Zur Abgrenzung der Mittelschicht gegenüber den vermeintlich reichen Gruppen werden auch 150 oder 175 Prozent des durchschnittlichen, nach Haushaltsgröße gewichteten Nettoeinkommens verwendet. Wer zwischen 50 und 60 Prozent des Durchschnittseinkommens verdient, wird als nahe der Armutsgrenze lebend bezeichnet. In manchen Publikationen findet sich auch der Begriff prekär, womit das bestehende Abstiegsrisiko gemeint ist.

  13. Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, Tübingen 1964 (1922), S. 177.

  14. Frank Parkin, Class Inequality and Political Order, New York 1971, S. 24.

  15. Ebd., S. 87.

  16. Ebd., S. 24.

  17. Pierre Bourdieu, Die feinen Unterschiede, Frankfurt/M. 1979, S. 103.

  18. Georg Simmel, Philosophie des Geldes, Frankfurt/M. 1993 (1900), S. 298.

  19. Vgl. Christoph Deutschmann, Geld als absolutes Mittel: Zur Aktualität von Simmels Geldtheorie, in: ders. (Hrsg.), Kapitalistische Dynamik, Wiesbaden 2008, S. 41–54; ders., Geld als universales Inklusionsmedium moderner Gesellschaften, in: Rudolf Stichweh/Paul Windolf (Hrsg.), Inklusion und Exklusion: Analysen zur Sozialstruktur und sozialen Ungleichheit, Wiesbaden 2009, S. 223–241.

  20. Vgl. Franco Modigliani/Richard Brumberg, Utility Analysis and the Consumption Function: An Interpretation of Cross-Section Data, in: Kenneth K. Kurihara (Hrsg.), Post-Keynesian Economics, New Brunswick, NJ 1954, S. 388–436.

  21. P. Bourdieu (Anm. 17), S. 100f.

  22. Vgl. Markus M. Grabka/Joachim R. Frick, Vermögen in Deutschland wesentlich ungleicher verteilt als Einkommen, in: DIW Wochenbericht, 74 (2007) 45, S. 665–673, hier: S. 665.

  23. Vgl. W. Lauterbach/M. Kramer/M. Ströing (Anm. 8).

  24. Thorstein Veblen, Theorie der feinen Leute. Eine ökonomische Untersuchung der Institutionen, Frankfurt/M. 1986 (engl. Original: 1899), Kapitel III.

  25. Vgl. Sebastian Braun, Begriffsbestimmung, Dimensionen und Differenzierungskriterien von bürgerschaftlichem Engagement, in: Enquete-Kommission "Zukunft des Bürgerschaftlichen Engagements" (Hrsg.), Bürgerschaftliches Engagement und Zivilgesellschaft: auf dem Weg in eine zukunftsfähige Bürgergesellschaft, Opladen 2002, S. 55–72; Marita Haibach: Großspenden in Deutschland: Wege zu mehr Philanthropie, Köln 2010; Petra Krimphove, Philanthropen im Aufbruch. Ein deutsch-amerikanischer Vergleich, Wien 2010.

  26. Vgl. Thomas Adam, Bürgergesellschaft und moderner Staat. Ein deutsch-amerikanischer Vergleich, in: Roland Becker et al. (Hrsg.), Eigeninteresse und Gemeinwohlbindung. Kulturspezifische Ausformungen in den USA und Deutschland, Konstanz 2001.

  27. Steffen Sigmund, Zwischen Altruismus und symbolischer Anerkennung. Überlegungen zum stifterischen Handeln in modernen Gesellschaften, in: Axel Jansen et al. (Hrsg.), Eigeninteresse und Gemeinwohlbindung. Kulturspezifische Ausprägungen in den USA und Deutschland, Frankfurt/M. 2001, S. 213–231, hier: S. 228.

  28. Ebd.

  29. Ebd., S. 226.

  30. Vgl. P. Bordieu (Anm. 17).

  31. Francie Ostrower, Why The Wealthy Give. The Culture of Elite Philanthropy, Princeton, NJ 2002, S. 14.

  32. Ebd., S. 69.

  33. Durch die prekärer werdende staatliche Finanzierbarkeit der Sozialleistungen und Steuerungsfähigkeit kam es zu einer Renaissance der Diskussionen um die Zivilgesellschaft. Dabei geht es um Alternativen zum Vertrauen auf institutionelle Mechanismen durch den verstärkten Einbezug der Bürger und ihrer Gemeinwohlorientierung. Vgl. T. Adam (Anm. 26); Holger Backhaus-Maul, Traditionspfad mit Entwicklungspotenzial, in: APuZ, (2008) 31, S. 14–20; Herfried Münkler, Bürgerschaftliches Engagement in der Zivilgesellschaft, in: Enquete-Kommission (Anm. 25), S. 29–36.

  34. Vgl. Eva Schulze/Thomas Steffens/Sybille Meyer, Privilegierte Lebenslagen – Gesellschaftliche Eliten – Gemeinwohlorientiertes Handeln, Berlin 2004, S. 94f.

  35. ViD ist eine quantitative Befragung von nahezu 500 reichen Haushalten beziehungsweise 850 reichen Personen in Deutschland aus dem Jahr 2009. Inhalt der Studie sind Erkenntnisse über Sozialprofil, Werte und Einstellungen von Reichen, der Genese ihres Reichtums und seine Verwendung mit einem Fokus auf der Übernahme gesellschaftlicher Verantwortung. Vgl. W. Lauterbach/M. Kramer/M. Ströing (Anm. 8).

  36. Vgl. Miriam Ströing, Über die Philanthropen unter den Reichen, in: Wolfgang Lauterbach/Michael Hartmann/dies. (Hrsg.), Reichtum, Philanthropie und Zivilgesellschaft, Wiesbaden 2014 (i.E.).

  37. Vgl. ebd.

  38. Für detaillierte Informationen zum Sozialprofil von Reichen gegenüber der Mittelschicht siehe Wolfgang Lauterbach/Alexander Tarvenkorn, Homogenität und Heterogenität von Reichen im Vergleich zur gesellschaftlichen Mitte, in: W. Lauterbach/T. Druyen/M. Grundmann (Anm. 8), S. 57–94.

  39. Vgl. Thomas Gensicke/Sabine Geiss, Hauptbericht des Freiwilligensurveys 2009. Ergebnisse der repräsentativen Trenderhebung zu Ehrenamt, Freiwilligenarbeit und Bürgerschaftlichem Engagement, hrsg. vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Berlin 2010.

  40. Vgl. M. Ströing (Anm. 36).

  41. Vgl. Tarek El Sehity/Anna Schor-Tschudnowskaja, Die Perspektive der Vermögenskulturforschung, in: T. Druyen/W. Lauterbach/M. Grundmann (Anm. 9), S. 143–202; Miriam Ströing/Melanie Kramer, Reichtum und die Übernahme gesellschaftlicher Verantwortung, in: ebd., S. 95–142.

  42. Vgl. Steffen Sigmund, Grenzgänge: Stiften zwischen zivilgesellschaftlichem Engagement und symbolischer Anerkennung, in: Berliner Journal für Soziologie, 10 (2000), S. 333–348, hier: S. 341.

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Dr. phil. habil. geb. 1960; Professor für Sozialwissenschaftliche Bildungsforschung, Universität Potsdam, Karl-Liebknecht-Straße 24–25, 14476 Potsdam. E-Mail Link: wolfgang.lauterbach@uni-potsdam.de

M.A., geb. 1984; wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Sozialwissenschaftliche Bildungsforschung (s.o.). E-Mail Link: miriam.stroeing@uni-potsdam.de