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Polizei im digitalen Raum | Polizei | bpb.de

Polizei Editorial Polizei(en) und innere Sicherheit in Deutschland. Strukturen, Aufgaben und aktuelle Herausforderungen Abstrakte Gefährdungslagen. Zum Kontext der neuen Polizeigesetze Polizei im digitalen Raum Gewalt und Polizei. Ambivalenzen des innerstaatlichen Gewaltmonopols Polizei- als Erziehungsarbeit? Zu einem zentralen Motiv deutscher Polizeiarbeit in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts Polizei und Rechtsextremismus "Wir wollen keine Bullenschweine". Feindbild Polizei im Linksextremismus Cops, Bullen, Flics, Piedipiatti. Polizist*innen in der populären Kultur

Polizei im digitalen Raum

Thomas-Gabriel Rüdiger

/ 16 Minuten zu lesen

Mit dem Internet ist ein Raum ohne physische Grenzen entstanden, in dem Menschen miteinander interagieren und kommunizieren. Er stellt die Polizei vor die Frage, welche Funktion sie in diesem Raum übernehmen soll und welche Rahmenbedingungen dafür nötig sind.

Eine der grundlegenden gesellschaftlichen Erwartungen an die Polizei ist, dass sie Menschen vor Straftaten schützt und Täter überführt. Diese Aufgaben erfordern eine stetige Anpassung der Polizeiarbeit an neue gesellschaftliche, rechtliche und kriminologische Entwicklungen. Lange konnte davon ausgegangen werden, dass es sich bei diesen Entwicklungen um Handlungsweisen handelt, die in einem physischen Raum stattfinden. Dies bedeutete, dass die gesellschaftlichen Akteure und damit auch die Polizei entlang fester Erfahrungswerte auf die jeweiligen neuen, auch strafbewährten Phänomene reagieren konnten. Durch die Etablierung eines virtuellen Raumes als weltweite Kommunikationssphäre hat sich diese Prämisse faktisch aufgelöst. Obwohl Menschen statistisch gesehen im virtuellen Raum mehr Zeit verbringen als etwa im Straßenverkehr und immer mehr Lebensbereiche und -aktivitäten vornehmlich dort stattfinden, ist die Polizei als regulierender Faktor hier noch nicht vergleichbar verankert. Die Polizei steht erst am Anfang einer Reflexion der eigenen Rolle und Aufgabe in diesem Raum. Die Hürden, die sich bei einer polizeilichen Verortung im digitalen Raum stellen, sind immens.

Virtueller Interaktionsraum

Rund 90 Prozent der deutschen Bevölkerung ab 14 Jahren nutzen zumindest gelegentlich das Internet, 77 Prozent sogar täglich. Bei den 14-Jährigen liegt die Quote seit 2012 sogar konstant bei 100 Prozent. Soziale Medien stehen im Fokus der Nutzung: 95 Prozent aller 12- bis 19-Jährigen nutzen Whatsapp, 67 Prozent Instagram und 54 Prozent Snapchat; allein 72 Prozent der über 14-jährigen Deutschen nutzen zumindest gelegentlich Whatsapp, 19 Prozent Facebook und 15 Prozent Instagram. Auch der Bereich der Onlinespiele muss berücksichtigt werden: In Deutschland spielen etwa 34 Millionen Menschen mit einem Durchschnittsalter von 34 Jahren Computer- und Videospiele, davon wiederum 15 Millionen Onlinespiele.

Die durchschnittliche tägliche Dauer von Internetaktivitäten der Deutschen steigt seit Jahren. Jugendliche verbringen mit der Nutzung Sozialer Medien im Durchschnitt 166 Minuten online. Diese Tendenz zeigt sich auch bei der generellen Internetnutzung. Während der durchschnittliche Deutsche ab 14 Jahren 2016 noch 128 Minuten am Tag online verbrachte, waren es 2018 bereits 196 Minuten. Wer das Internet mobil nutzte, verbrachte 2018 bereits 240 Minuten online, sodass durch die Verbreitung von Smartphones mit einem weiteren Anstieg gerechnet werden kann. Zum Vergleich: Durchschnittlich verbringen Menschen in Deutschland etwa 82 Minuten täglich im Straßenverkehr. Parallel zum physischen Raum hat sich also eine Art virtueller öffentlicher Raum gebildet, in dem Menschen einen relevanten Teil ihres Lebens verbringen und miteinander in Interaktion treten.

Kriminalität imvirtuellen Raum

Kriminalität – also willensgetragenes und strafbewährtes Verhalten – entsteht in vielen Ausprägungen aus der Interaktion zwischen Menschen. Diese Interaktion ist auch im Internet möglich. Entsprechend ist kaum eine Deliktsform denkbar, die nicht auch im oder über das Internet begangen werden kann. In Deutschland hat sich für Kriminalität im Internet der Begriff "Cybercrime" etabliert. Dabei wird unterschieden zwischen Cybercrime im engeren Sinne – computerbasierte Angriffe, die sich gegen das Internet oder entsprechende Hardware richten – und im weiteren Sinne – Delikte, bei denen das Internet als Tatmittel genutzt wird, beispielsweise bei Beleidigung oder Volksverhetzung in Sozialen Medien.

In der politischen Debatte über Normen im Netz wird häufig betont, dass das Internet kein rechtsfreier Raum sei. Ob ein System, beispielsweise ein Land, jedoch als ein Rechtsraum definiert werden kann, hängt weniger davon ab, ob theoretisch Recht gilt. Vielmehr kann es daran festgemacht werden, dass der Bruch des geltenden Rechts mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit auch sanktioniert wird. Eine besondere Rolle kommt dabei der sogenannten Dunkelzifferrelation zu, dem Verhältnis zwischen dem Hell- und dem Dunkelfeld der Kriminalität. Das Hellfeld bilden Strafdelikte, die den Strafverfolgungsbehörden zur Kenntnis gelangen. Ins Dunkelfeld fallen tatsächlich begangene, aber nicht den Strafverfolgungsbehörden zur Anzeige gebrachte Delikte. Für klassische Delikte wie einen Ladendiebstahl geht die Kriminologie beispielsweise von einer ungefähren Dunkelzifferrelation von 1 zu 10 aus, das heißt auf einen angezeigten Ladendiebstahl kommen 10 tatsächlich begangene. Damit ist Ladendiebstahl ein Delikt mit einem hohen Dunkelfeld, dennoch wird in Deutschland keine ernsthafte Debatte darüber geführt, ob Einkaufszentren oder gar Deutschland rechtsfreie Räume sind.

Anders sieht es im digitalen Raum aus. Die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) weist für 2018 für Cybercrime im engeren Sinne 63.496 Anzeigen aus, für Cybercrime im weiteren Sinne 271.864 Anzeigen. Diesen Fallzahlen steht nach unterschiedlichsten Untersuchungen ein immenses Dunkelfeld gegenüber. So gaben im Rahmen einer Studie 27 Prozent der befragten 14- bis 24-Jährigen an, im Internet beleidigt worden zu sein. Bei 8,6 Millionen 14- bis 24-Jährigen in Deutschland 2017 entspricht eine solche Konfrontationsrate etwa 2,3 Millionen Betroffenen. Das Hellfeld weist hingegen nur 12.384 Anzeigen aus. Das bedeutet eine Dunkelzifferrelation von etwa 1 zu 185. Zudem wurde herausgearbeitet, dass 66 Prozent der befragten Jugendlichen das Internet als eine "Beleidigungskultur" wahrnehmen würden.

Ähnliche Quoten sind für das Phänomen Cybergrooming festzustellen, also onlinebasiertes Einwirken auf ein Kind zur Einleitung oder Intensivierung eines sexuellen Missbrauchs: Die PKS weist für die entsprechenden Grundtatbestände 1391 Anzeigen für 2018 aus, Studien haben jedoch Konfrontationszahlen von etwa 30 Prozent ermittelt. Mädchen berichteten mit etwa 45 Prozent von wesentlich höheren Konfrontationsraten als Jungen mit etwa 15 Prozent. Im Ergebnis kann auch hier von absoluten Konfrontationszahlen im sechsstelligen Bereich ausgegangen werden. Zu ähnlichen Ergebnissen kommt eine Studie, die allein für das unerwünschte Zusenden pornografischer Medien im Internet eine Dunkelzifferrelation von 1 zu 404 veranschlagt. Insgesamt erscheint eine durchschnittliche Dunkelzifferrelation von 1 zu etwa 300 für alle digitalen Delikte als nicht unrealistisch.

Fixierung von Normenüberschreitungen

Auch wenn solche Hochrechnungen Schwächen haben, zeigt sich, dass die Wahrscheinlichkeit im Netz, für Delikte auch verfolgt zu werden, geringer ist als im physischen Raum. Hier muss bedacht werden, dass im Internet Normenüberschreitungen teilweise zeitlich fixiert werden, beispielsweise in Form von strafbaren Kommentaren, sexuellen Belästigungen oder ähnlichen Delikten vor allem in Sozialen Medien. Typischerweise ist eine Normenüberschreitung im physischen Raum eine temporäre und situationsabhängige Handlung, deren Fixierung meist in Form des stattgefundenen Schadens und der Erinnerungen der Beteiligten erfolgt. Ein Unbeteiligter, der an einem Tatort vorbeikommt, kann also möglicherweise nicht mehr registrieren, dass hier ein Normenbruch stattgefunden hat. Im virtuellen Raum bleibt ein Normenbruch hingegen häufig nachvollziehbar.

Der nicht unumstrittenen Broken-Windows-Theorie zufolge kommt es bei einem Normenbruch – den eingeschlagenen Fensterscheiben – maßgeblich darauf an, dass sichtbar reagiert wird, um ein Interesse an einer Normendurchsetzung zu symbolisieren. Erfolgt dies nicht, kann es zu einem Kreislauf aus einer sinkenden Hemmschwelle zur Normenüberschreitung und einer nachlassenden Normenkontrolle kommen.

Gedanklich kann daran die Routine-Activity-Theorie angeschlossen werden, die drei Faktoren benennt, die sich gegenseitig bedingen und in einer konkreten Situation zu einer Entscheidung für oder gegen einen Normenbruch führen können: Jemand muss erstens eine grundsätzliche Tatmotivation besitzen, zweitens muss ein lohnendes Ziel vorliegen und drittens müssen die vorhandenen Schutzmechanismen entsprechend gering sein.

Wenn ein Normenbruch sichtbar stattfindet und es zu keiner Reaktion beziehungsweise dem Beseitigen der Schäden – der Reparatur der Fensterscheibe – oder einer sichtbaren staatlichen Reaktion etwa in Form von Polizeistreifen kommt, zeigt dies, dass die Schutzmechanismen und damit das Risiko bei einer Tatbegehung offenbar niedrig sind. Entsprechend kann die Hemmschwelle für das jeweilige Delikt sinken. Dies könnte zu einem generellen Gefühl der Rechtsfreiheit im Internet beitragen, das durch die digitale Fixierung intensiviert wird und in Ansätzen einem anomischen Raum ähnelt.

Je nach Deliktsart wird damit auch das Dunkelfeld für Menschen sicht- und wahrnehmbar. Ein Nutzer, der im Internet mit strafbaren Kommentaren, sexuellen Belästigungen oder mit Betrugshandlungen konfrontiert wird, bekommt einen Einblick in das Dunkelfeld. Der Theorie einer "Präventivwirkung des Nichtwissens" zufolge ist genau dies ein grundsätzliches Problem. Ausgangspunkt dieses Ansatzes ist, dass einerseits keine Gesellschaft mit der transparenten Offenlegung der tatsächlich stattfindenden Kriminalität umgehen kann und faktisch also auf das Hellfeld angewiesen und beschränkt ist, da Unkenntnis über die tatsächlichen Normenbrüche einen notwendigen normstabilisierenden Faktor darstellt. Die gesamte Sicherheitsarchitektur ist am Hellfeld ausgerichtet, also Personal- und Finanzressourcen von Polizei und Justiz oder die Gestaltung des rechtlichen Rahmens. Andererseits hat genau dies einen präventiven Charakter auf die Normeneinhaltung. Denn wenn jeder Mensch über die tatsächlich stattfindende Kriminalität im Bilde wäre, die nicht geahndet wird, würde dies zu einer Senkung der Hemmschwelle und damit zu weiteren Delikten führen.

Hürden der Polizeipräsenz und Strafverfolgung

Die reine Präsenz der Polizei im öffentlichen Raum ist also ein essenzieller Faktor der Normenregulierung. Diese wird einerseits durch zufällige Streifen von uniformierten Beamten und andererseits durch stationäre Polizeigebäude wahrgenommen. Sie zeigt den Menschen, dass der Staat sein Gewaltmonopol wahrnimmt, und ermöglicht ein direktes Ansprechen der Polizisten, um beispielsweise Strafanzeigen zu tätigen. Nicht umsonst ist eine typische Reaktion auf den Verdacht des Aufkommens eines "rechtsfreien Raumes" oder einer "No-Go-Area" die Erhöhung der Polizeipräsenz in diesen Bereichen. Dabei tritt nach dem Lüchow-Dannenberg-Syndrom die Entwicklung ein, dass in einem Raum, in dem die Polizeipräsenz verstärkt wird, die registrierte Kriminalität nicht sinkt, sondern ansteigt. Mehr Polizei vor Ort führt auch mehr Kontrollen durch und erhöht damit die Wahrscheinlichkeit von selbst festgestellter Kriminalität – vor allem bei sogenannten Kontrolldelikten, also Tathandlungen, die selten durch Betroffene angezeigt werden, wie etwa Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz. Dabei ist die polizeiliche Präsenz eine Alltäglichkeit und für eine generelle Einhaltung von Normen unabdingbar.

Im digitalen Raum ist die Polizei noch nicht in einem ähnlichen Maßstab aufgestellt. Nach gegenwärtigem Verständnis gibt es zunächst zwei grundlegende Formen der Polizeipräsenz im Netz. Zum einen kann diese verdeckt erfolgen, beispielsweise um Recherchen und Beweissicherungen für Ermittlungsmaßnahmen zu betreiben, in Form sogenannter verdeckter Ermittler, bei denen sich die Polizisten eine eigene Identität geben. Verdeckte Ermittler werden genutzt, um sich in Darknet-Foren einzuschleusen, oder sie geben sich als sogenannte Scheinkinder in Sozialen Medien aus, um Cybergroomer proaktiv zu überführen. Diese Form der Präsenz ist für den Nutzer nicht wahrnehmbar, eine entsprechende präventive Wirkung kann sich also nicht entfalten. Inwiefern die Polizei sich zudem dabei auf Ermächtigungsgrundlagen stützen kann, die nicht für einen virtuellen Einsatz gedacht waren, ist zudem umstritten.

Zum anderen kann Polizeipräsenz wahrnehmbar sein. Diese Art der Polizeipräsenz erfolgt in Deutschland fast ausschließlich über institutionelle Social-Media-Accounts der Polizei. Ende 2018 gab es in Deutschland 333 solcher Accounts, rund 41 Prozent davon auf Facebook und etwa 48 Prozent auf Twitter, weitere 8 Prozent auf Instagram und 3 Prozent auf YouTube. Der ursprüngliche Grund für den Einsatz von Sozialen Medien durch die Polizei waren Kommunikationsmöglichkeiten im Rahmen von Demonstrationen. Vor allem im Zusammenhang mit dem polizeilichen Einsatz bei Krawallen in Großbritannien 2011 war auch in Deutschland die Erkenntnis gereift, dass die Polizei in Sozialen Medien vertreten sein müsste. Ein weiterer wichtiger Baustein für die Entwicklung waren die Erkenntnisse des Composite-Forschungsprojektes, das die polizeiliche Akzeptanz Sozialer Medien in Europa erforschte. Zum damaligen Zeitpunkt war die deutsche Polizei faktisch digital nicht präsent. So gab es zum Erhebungszeitpunkt lediglich 19 Accounts der deutschen Polizei, im Verhältnis zu 1089 in Großbritannien oder 718 in den Niederlanden, wobei die deutsche Polizei im Vergleich jedoch wesentlich mehr Personal hatte. Obwohl die deutsche Polizei ihre Präsenz mittlerweile ausgebaut hat, stehen den 333 offiziellen Social-Media-Accounts allein auf Twitter 2200 polizeiliche Accounts der niederländischen Polizei gegenüber.

In den Niederlanden oder auch in Großbritannien wird neben Kommunikationszwecken zudem vermehrt auf das Konzept des "digital community policing" gesetzt. Dies bedeutet, dass individuelle Polizisten dienstliche Accounts in Sozialen Medien anlegen und in eine Kommunikation mit dem Bürger treten, beispielsweise mit Präventionstipps, Veranstaltungshinweisen und Verhaltensanweisungen bei konkreten Gefahrensituationen. Gleichzeitig beantworten die Beamten aber auch Fragen der Community. Diese Art der Ansprechbarkeit ähnelt also in ihrer Funktion einer Polizeistreife. In Deutschland steht diese Form der Nutzung erst am Anfang. Entsprechende Accounts gibt es gegenwärtig nur in Niedersachsen – insgesamt sind es hier 14. Die niederländische Polizei hat allein 3400 Beamte, die als sogenannte "WikiAgents" aktiv sind. Bei den deutschen Landespolizeien sind insgesamt lediglich 1823 Polizisten für Cybercrime zuständig, das entspricht einer Quote von unter einem Prozent.

Zusammenfassend ist also festzustellen: Bisher setzt die Polizei in Deutschland Soziale Medien vorrangig dazu ein, um Handlungsanweisungen möglichst vielen Menschen transparent zu erklären und zu vermitteln. Ferner nutzt sie Soziale Medien auch, um Informationen im Rahmen von Strafverfahren zu erhalten. Weniger im Fokus steht bisher die Frage der generalpräventiven Wirkung der polizeilichen Präsenz im Netz sowie der Einsatz zur Vermittlung von Präventionsthemen.

Herausforderungen für die Polizeiarbeit

Die gesamte Sicherheitsstruktur der deutschen Polizei ist auf die Abarbeitung des Hellfeldes ausgerichtet. Dabei ist sie in der Lage, leichte Schwankungen innerhalb des Hellfeldes abzudecken, wenn es beispielsweise in einem Deliktsfeld zu einem höheren Anzeigenaufkommen kommt. Doch nur, weil nicht das gesamte Dunkelfeld ersichtlich ist, reichen die polizeilichen Ressourcen. Die Sicherheitsbehörden wären schlicht nicht in der Lage, das gesamte Dunkelfeld abzuarbeiten. Da Deutschland aber offensichtlich nicht als rechtsfreier Raum wahrgenommen wird, scheint das auszureichen, um eine generelle Normenakzeptanz herbeizuführen.

Eine relevante Hürde für die Polizeiarbeit im digitalen Raum stellt das Legalitätsprinzip dar, das vornehmlich in Deutschland und Österreich verankert ist. Dieses Prinzip, das sich primär aus den Paragrafen 152 Absatz 1 und 163 Absatz 1 der Strafprozessordnung speist, verpflichtet Polizeibeamte dazu, bei einem Anfangsverdacht zwingend strafprozessuale Maßnahmen einzuleiten. Wenn der Polizist dies nicht tut, setzt er sich der Gefahr einer Strafbarkeit nach Paragraf 258a Strafgesetzbuch aus. Dieses Konstrukt ist am Hellfeld orientiert und soll sicherstellen, dass Straftaten unabhängig von anderen Faktoren verfolgt werden. Das Prinzip ist nicht dafür gedacht, dass Sicherheitsbehörden tatsächliche Kriminalität vollumfänglich ins Hellfeld rücken können. Im Internet wird genau das zum grundsätzlichen Problem. Denn hier kann jeder Kriminalität mit wenigen Mausklicks selbst erhellen, sei es im Darknet oder in den Sozialen Medien. Faktisch kann dabei jede Beleidigung, jede Urheberrechtsverletzung und so fort einen Anfangsverdacht darstellen, der wiederum eine Strafverfolgungspflicht auslöst. Da das Legalitätsprinzip keine Ausnahmen oder eine Wertigkeitshierarchie von Delikten vorsieht, muss jede Straftat unverzüglich verfolgt werden. Eine Konzentration auf spezielle Delikte beispielsweise bei einer virtuellen Polizeistreife ist also nicht umsetzbar. Hinzu kommt, dass die Polizei auch keine Verjährung feststellen darf, dies obliegt letztlich der Staatsanwaltschaft.

Ein weiteres Problem ist, dass im Internet keine physischen Grenzen gelten. Daher müssen auch strafbare Handlungen von Menschen im Ausland – faktisch weltweit – in die zu verfolgenden Delikte aufgenommen werden, da Polizisten nicht auf den ersten Blick erkennen können, ob beispielsweise der Verfasser eines strafbaren Kommentars in Deutschland sitzt oder nicht. Auch die sprachliche Ausrichtung von Kommentaren kann hierbei nur ein Indiz sein, denn allein onlinebasierte Übersetzungssysteme ermöglichen Veröffentlichungen in nahezu allen Sprachen. All dies multipliziert mögliche Straftaten, auf die die Polizei im Netz reagieren müsste. Im Internet entsteht so eine Art Kriminalitätstransparenz, für die das Legalitätsprinzip nicht geschaffen wurde.

Die Bundeswehr soll 2017 rund zwei Millionen Cyberangriffe nur gegen ihre eigenen Systeme festgestellt haben. Wenn sie nur 15 Prozent davon zur Anzeige gebracht hätte, wären das fast so viele Anzeigen, wie die gesamte polizeiliche Kriminalstatistik für das Tatmittel Internet überhaupt ausgewiesen hat. Es droht letztlich eine Überlastung der Sicherheitsbehörden. Die Konsequenz ist naheliegend: Je weniger Angehörige der Sicherheitsbehörden im Internet aktiv sind, desto weniger kommen sie in Konflikt mit dem Legalitätsprinzip.

Aber nicht nur die Architektur der Strafverfolgung steht vor einer grundsätzlichen Herausforderung, sondern auch das polizeiliche Aufgabengebiet der Gefahrenabwehr. Obwohl hier zwar die originäre Zuständigkeit bei den Ordnungsbehörden liegt, werden diese doch häufig in Form einer subsidiären Aufgabenwahrnehmung durch die Polizei übernommen. Die Art und Weise, wie die Polizei dieser Aufgabe nachgehen kann, wird in den Landespolizeigesetzen geregelt. Diese sind auch wesentliche Unterscheidungsmerkmale zwischen den Landespolizeien, da die darin erteilten Befugnisse sich von Land zu Land unterscheiden. Im Gegensatz zur klassischen Strafverfolgung, die auf Bundesgesetzen basiert, ist bei der Gefahrenabwehr die örtliche Zuständigkeit die Grundlage, der zufolge ein Polizist seinem Polizeigesetz entsprechend nur in seinem Bundesland zuständig werden darf. Im alltäglichen Leben spielt dies selten eine Rolle, da ein Polizist meist in seinem Bundesland handelt. Wenn jedoch wie im Internet bereits zwischen Staaten keine physischen Grenzen zu ziehen sind, gilt dies noch viel stärker für die Grenzen von Bundesländern. Damit ist die Feststellung einer örtlichen Zuständigkeit, die für die Anwendung der deutschen Polizeigesetze notwendig ist, im digitalen Raum nahezu unmöglich. Dies führt dazu, dass Polizeigesetze weitestgehend nur rudimentär im Internet angewandt werden können. Dies gilt auch für die Verhütung von Straftaten, die eine der wenigen originären Aufgaben der Polizei und ebenfalls in den Polizeigesetzen verankert ist. Im Ergebnis wird "ein zentrales Handlungsfeld der Polizei völlig unbeachtet gelassen". Hieraus kann abgeleitet werden, dass zum gegenwärtigen Zeitpunkt eine föderative Sicherheitsstruktur im digitalen Raum an ihre Grenzen stößt.

Braucht ein digitaler Raum eine digitale Polizei?

Die Polizei ist in jeder demokratischen Gesellschaft ein Eckpfeiler des Rechtsstaates. Sie ist dabei ganz selbstverständlich auch im öffentlichen Raum präsent, um einerseits das Gewaltmonopol des Rechtsstaates sichtbar zu vertreten und andererseits für die Menschen ansprechbar zu sein. Gleichzeitig ermöglicht eine Erkennbarkeit der Polizei eine rechtsstaatliche Überprüfung polizeilicher Maßnahmen. Aber auch potenzielle Straftäter im öffentlichen Raum müssen stets mit dem Risiko rechnen, dass eine Polizeistreife vorbeikommt. Dabei ist die Sicherheitsarchitektur in Deutschland so aufgestellt, dass es keine Totalüberwachung, aber auch keine absolute Unterwachung gibt. Diese Struktur orientiert sich jedoch an physischen Regeln wie Landesgrenzen, an denen sich die Polizeien des Landes und des Bundes orientieren können.

Eine gesellschaftliche wie sicherheitspolitische Debatte der Übertragung dieser Mechanismen auf den digitalen Raum steht erst am Anfang. Die bisher offenbar vorhandenen Unsicherheiten bei der Polizei, wie mit diesem Raum umgegangen werden muss, zeigt sich in vielen Bereichen, sei es die im internationalen Vergleich sehr zögerliche Nutzung von Social-Media-Accounts, die geringe Auseinandersetzung mit dem im Verhältnis zu physischen Delikten höheren Dunkelziffern, dem sehr geringen polizeilichen Personal für den digitalen Raum oder bei der Frage der Anwendbarkeit der Polizeigesetze im Internet. Hierbei zeigt sich auch, dass rechtliche Konstrukte wie das Legalitätsprinzip nicht einfach auf die Polizeiarbeit im Internet übertragen werden können. Der häufige Verweis darauf, dass der digitale kein rechtsfreier Raum sei, erscheint vor diesem Hintergrund eher wie ein Reflex statt wie eine Feststellung.

Letztlich fehlt es bisher an einer übergeordneten Strategie in Deutschland, wie die Sicherheit im Internet auch zwischen Menschen gewährleistet und strukturiert werden und ob die Polizei ein integraler Bestandteil dieses digitalen Raumes sein soll. Eine tatsächliche Polizeiarbeit und Präsenz in einem digitalen Raum würde dabei folgerichtig auch eines wesentlich höheren Personal- und Ressourceneinsatzes bedürfen und gleichzeitig zu steigenden Fallzahlen führen. Die hohen Konfrontationszahlen von Menschen mit Kriminalität im digitalen Raum können eine solche Debatte aber rechtfertigen.

arbeitet als Cyberkriminologe am Institut für Polizeiwissenschaft der Fachhochschule der Polizei des Landes Brandenburg in Oranienburg. E-Mail Link: thomas.ruediger@fhpolbb.de