Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Die Aids-Pandemie in Sub-Sahara-Afrika | Afrika | bpb.de

Afrika Editorial Afrika zwischen Autokratie und Demokratie Wie viel Demokratie gibt es in Afrika? Trinkwasserversorgung und Armut in Sub-Sahara-Afrika Fünf Jahre NEPAD Konfliktlagen am Horn von Afrika Die Aids-Pandemie in Sub-Sahara-Afrika

Die Aids-Pandemie in Sub-Sahara-Afrika

Sarah Tietze

/ 16 Minuten zu lesen

Wo liegen die Ursachen der Aids-Pandemie in Sub-Sahara-Afrika? Welche Auswirkungen haben sie auf die sozialen, ökonomischen und politischen Rahmenbedinungen?

Einleitung

Der afrikanische Kontinent trägt die Hauptlast der weltweiten AIDS-Epidemie. In Afrika leben zehn Prozent der Weltbevölkerung, aber mehr als 60 Prozent aller HIV-Infizierten. Zudem breitete sich die Seuche in den unterentwickelten Staaten Sub-Sahara-Afrikas sehr schnell aus. Während die Zahl der Infizierten 1989 noch bei fünf Millionen lag, stieg die Anzahl bis 2006 auf ca. 26 Millionen an. Nur in drei Ländern - Kenia, Uganda und Simbabwe - lässt sich ein Rückgang bei der nationalen Prävalenz, also dem prozentualen Anteil der HIV-Infizierten an der Gesamtbevölkerung, feststellen.


Das Ausmaß der Seuche variiert innerhalb der Region. Das Zentrum der globalen AIDS-Epidemie liegt im südlichen Teil des Kontinents. Dort finden sich die weltweit am schwersten betroffenen Staaten mit Infektionsraten zwischen 20 und 40 Prozent. In Ostafrika ist die Prävalenz geringer. In Tansania beträgt sie zum Beispiel 8,8 und in Kenia 6,7 Prozent. In West- und Zentralafrika gibt es noch kein Land, das eine Prävalenz von über zehn Prozent aufweist.

Ziel dieses Beitrags ist es, zum einen die Ursachen und Auswirkungen der AIDS-Pandemie in Sub-Sahara-Afrika darzustellen und die komplexen sozialen, ökonomischen und politischen Rahmenbedingungen zu verdeutlichen, die einerseits die Ausbreitung der tödlichen Seuche begünstigen und andererseits in zunehmenden Maß von ihr beeinflusst werden. Zum anderen soll kurz erörtert werden, wie es um Lösungsansätze und ihre Durchführbarkeit bestellt ist. Dabei werden in der gebotenen Kürze der Zugang zu lebensrettenden Medikamenten und die AIDS-Politik afrikanischer Regierungen thematisiert.

Zwei Besonderheiten von AIDS erschweren die Bekämpfung der Seuche und machen ihre Auswirkungen so dramatisch. Erstens hat die Krankheit eine vergleichsweise lange Inkubationszeit von sechs bis acht Jahren. Während dieses Zeitraumes bleibt die Infektion zwar symptomfrei, aber der Betroffene ist bereits ansteckend. Wenn er sich keinem HIV-Test unterzieht, bleibt er ahnungslos und infiziert unwissentlich andere Menschen. Außerdem kann eine AIDS-Epidemie lange unerkannt bleiben, weil es eine Zeit lang dauert, bis das volle Ausmaß der Seuche anhand der steigenden Zahl von Erkrankten deutlich sichtbar wird. Dieser Verzögerungseffekt erleichtert es sowohl auf der Ebene von Politik und Gesellschaft als auch auf der individuellen Ebene, AIDS zu leugnen und zu verdrängen. Das erschwert Aufklärungskampagnen und die Präventionsarbeit. Zweitens befällt AIDS, da es sexuell übertragbar ist, im Gegensatz zu vielen anderen Infektionskrankheiten den leistungsfähigsten Teil der Bevölkerung: die jungen Erwachsenen. Diese Gruppe sollte eigentlich die Versorgung von Kindern und alten Menschen sicherstellen. Die Krankheit reißt eine Lücke mitten in die Bevölkerungspyramide und zerstört so nachhaltig gesellschaftliche Strukturen.

Teufelskreis aus Ursache und Wirkung

AIDS führt vielfach auch zur Verstetigung von Unterentwicklung. Fast die Hälfte der Menschen in Sub-Sahara-Afrika zählt nach den von der Weltbank aufgestellten Kriterien zu den ärmsten Menschen der Welt, lebt also von einem Dollar pro Tag oder weniger. Auf dem Index für menschliche Entwicklung sind, von einigen Ausnahmen wie Südafrika, Botswana und Mauritius einmal abgesehen, die Staaten der Region auf den letzten Plätzen zu finden.

Da AIDS die Elterngeneration tötet, leben in Afrika immer mehr Waisenkinder. 2005 waren es bereits zwölf Millionen. Das Netz der Großfamilie ist häufig die einzige soziale Absicherung dieser Kinder, doch die Pflegefamilien sind mit der Anzahl der zu versorgenden AIDS-Waisen zunehmend überfordert. Es besteht die Gefahr, dass diese nicht in gleichem Maße wie die leiblichen Kinder an den familiären Ressourcen beteiligt werden und, anstatt zur Schule zu gehen, arbeiten müssen. Eine weitere Option für Waisen ist die Bildung eines Kinderhaushalts. Durch das Fehlen eines erwachsenen Versorgers sind die Möglichkeiten zur Einkommenssicherung jedoch gering, sodass diese Kinder oft in großer Not leben. Eine wachsende Zahl versucht, als Straßenkinder ihren Lebensunterhalt mit Prostitution, Bettelei und Kriminalität zu sichern. Waisen sind zudem aufgrund ihrer schwachen sozialen Position und ihres eingeschränkten Zugangs zu Ressourcen besonders anfällig für sexuelle Ausbeutung und damit auch für eine Infektion mit HIV.

In den meisten Ländern Sub-Sahara-Afrikas bedeutet AIDS immer noch ein langsames und qualvolles Sterben. Die Erkrankten können keiner Erwerbstätigkeit mehr nachgehen und die hohen Kosten, die bei der aufwändigen Versorgung der Opfer entstehen, erhöhen das Verarmungsrisiko für die betroffenen Familien. Studien aus dem südlichen Afrika zeigen, dass das Haushaltseinkommen in einer solchen Situation um 66 bis 80 Prozent sinkt. Die landwirtschaftliche Produktion, die in Afrika der wichtigste Erwerbszweig ist, und die Subsistenzwirtschaft, durch die viele Familien ihr Überleben sichern, werden durch AIDS beeinträchtigt. Bereits für 2000 wurde der Verlust von Arbeitskräften durch die Seuche im Bereich des Landwirtschaftssektors in Staaten des südlichen Afrikas auf bis zu zehn Prozent geschätzt, für 2010 wird mit Verlusten zwischen 13 und 26 Prozent gerechnet. Für die Ernährungslage der von AIDS betroffenen Familien hat dies schwerwiegende Folgen. In Simbabwe nahm die Maisproduktion in Haushalten, die einen Erwachsenen an die Krankheit verloren hatten, durchschnittlich um 61 Prozent ab. Auch auf nationaler Ebene zeigen sich bereits die Auswirkungen von AIDS. Frühere Entwicklungserfolge werden zunichte gemacht. So ist die Lebenserwartung im südlichen Afrika als Folge der Epidemie im Durchschnitt um 20 Jahre zurückgegangen. Die Seuche verringert zudem das Pro-Kopf-Wachstum in 24 afrikanischen Staaten um 0,5 bis 1,2 Prozent pro Jahr.

Armut und Elend sind nicht nur die Folge von AIDS, sondern auch seine Ursache. Es ist schon häufiger beobachtet worden, dass unterentwickelte Länder in viel höherem Maße von Infektionskrankheiten betroffen sind als reiche Staaten. AIDS macht hier keine Ausnahme. Armut erleichtert der Krankheit das Eindringen in die afrikanischen Gesellschaften. Im Folgenden sollen kurz die wichtigsten Faktoren für die Ausbreitung der Seuche dargestellt werden. Sie bedingen nicht nur AIDS, sondern sind darüber hinaus auch miteinander verflochten.

Ungleichheit von Frauen und Männern

Der niedrige soziale Status von Frauen und Mädchen ist einer der wichtigsten Gründe für die rasante Ausbreitung von AIDS in Sub-Sahara-Afrika. Frauen stellen mit einem Anteil von 57 Prozent die Mehrheit der HIV-Infizierten in der Region. Das herrschende Rollenverständnis billigt Afrikanerinnen wenig Kontrolle über ihre Sexualität zu. Von ihnen wird gefordert, sich den Wünschen ihres Partners unterzuordnen und, was sexuelle Themen anbetrifft, unbedarft zu sein. Jungfräulichkeit bis zur Eheschließung wird von Mädchen erwartet. Männern wird eine deutlich aktivere Rolle zugestanden. Sie dürfen und sollen schon früh sexuell aktiv sein, und auch nach der Hochzeit wird von ihnen nicht zwingend eheliche Treue verlangt. Polygamie ist in vielen Staaten Sub-Sahara-Afrikas bis heute verbreitet und die Vorstellung, dass ein verheirateter Mann monogam lebt, deswegen auch keine Selbstverständlichkeit. So gaben im Rahmen einer ugandischen Studie 45 Prozent der befragten Ehemänner an, mehrere Sexualpartner zu haben, von den Frauen waren es nur fünf Prozent. Bei Befragungen in Tansania bekannten sich 40 Prozent der verheirateten Männer zu außerehelichen Affären. Dieses Verhalten führt dazu, dass in Afrika für junge verheiratete Frauen das größte Risiko besteht, sich mit HIV anzustecken.

Hinzu kommt, dass Frauen und Mädchen in hohem Maße sexueller Gewalt ausgesetzt sind. Laut einer Studie der Weltgesundheitsorganisation wurden in Äthiopien 56 Prozent der Teilnehmerinnen Opfer von sexueller Gewalt; in Tansania erklärten 47 Prozent der befragten Frauen, körperlich misshandelt worden zu sein. Dies bedeutet auch, dass Frauen selten die Möglichkeit haben, den Gebrauch von Kondomen oder einen gemeinsamem AIDS-Test durchzusetzen, wenn ihr Partner dies ablehnt. Ein weiterer Faktor, der die sexuelle Selbstbestimmung von Frauen einschränkt, ist ihre schwache ökonomische Position. Frauen haben kaum Zugang zu Lohnarbeit und damit wenig Möglichkeiten zur Einkommensgenerierung. Sie sind auf einen männlichen Versorger angewiesen und sehen sich in Krisensituationen unter Umständen gezwungen, auf "transactional sex" zurückzugreifen, also sexuelle Gefälligkeiten für Geld oder materielle Unterstützung anzubieten. Dadurch, dass Frauen, auch aufgrund des herrschenden Rollenverständnisses und ihrer ökonomischen Abhängigkeit, geringeren Zugang zu Bildung und zu Gesundheitsversorgung haben, ist es schwerer, ihnen Wissen über AIDS und die Präventionsmöglichkeiten zu vermitteln. Laut UNAIDS haben in afrikanischen Staaten oft mehr als zwei Drittel der Frauen nur ungenaue Kenntnisse über die Übertragungswege von HIV.

Mobilität, Migration und Urbanisierung

Besonders im südlichen Afrika ist die hohe Mobilität der Bevölkerung ein wichtiger Faktor bei der Verbreitung von AIDS. Dies trifft besonders auf Fernfahrer, Prostituierte, Saisonarbeiter, Händler und Militärangehörige zu. Die Arbeitsmigration in die Bergwerke der Region, die vorwiegend junge Männer betrifft, zerreißt familiäre Strukturen durch die jahrelange Abwesenheit der Arbeiter von ihren Familien. Hinzu kommt, dass die Bergarbeiter in Gemeinschaftsunterkünften kaserniert werden, in deren Umfeld sich häufig Prostituierte ansiedeln.

Die Urbanisierung begünstigt ebenfalls die AIDS-Pandemie. Die Anonymität und die schlechten Lebensbedingungen in den Elendsvierteln begünstigen Promiskuität und Prostitution. Die Prävalenzraten sind in Städten deutlich höher als auf dem Land, manchmal sogar doppelt so hoch.

Humanitäre Krisen und kriegerische Konflikte

Kriege und Bürgerkriege können die Ausbreitung der tödlichen Krankheit fördern. Bereits das erstmalige Auftauchen des HI-Virus in den siebziger Jahren in der Region der großen Seen und seine rasche Ausbreitung wird mit den Kriegen zwischen Uganda und Tansania und den damit einhergehenden Truppenbewegungen, Flüchtlingsströmen und Vergewaltigungen in Verbindung gebracht. Armeen sind überdurchschnittlich von AIDS betroffen und verbreiten die Seuche besonders effektiv, da Soldaten die Dienste von Prostituierten häufiger in Anspruch nehmen als andere Bevölkerungsgruppen, sehr mobil sind und meist von ihren Familien getrennt leben. Offizielle Zahlen sind nicht zugänglich, aber Schätzungen zufolge sind bei den kongolesischen und angolanischen Streitkräften Infektionsraten von ca. 50 Prozent denkbar. Für die Armeen Malawis und Simbabwes werden sogar Werte zwischen 70 und 80 Prozent vermutet.

Konflikte lösen häufig große Migrationsbewegungen aus, und mit den kämpfenden Truppen und fliehenden Zivilisten gerät auch das HI-Virus in Bewegung. Frauen und Mädchen, vor allem wenn sie von ihren Familien getrennt wurden, werden in dieser Situation häufig Opfer sexueller Übergriffe. Traurige Berühmtheit erlangten in diesem Zusammenhang Flüchtlingslager in Westafrika und der Demokratischen Republik Kongo. Dort hatten UN-Mitarbeiter Frauen vergewaltigt, auch indem sie Hilfsgüter gegen Sex tauschten. Vergewaltigungen wurden in afrikanischen Konflikten immer wieder als "Kriegswaffe" eingesetzt. In Ruanda wurden 1994 während des Genozids innerhalb weniger Wochen zwischen 200 000 und 500 000 Frauen missbraucht. 80 Prozent von ihnen sind heute HIV-positiv. Die Hälfte aller Vergewaltigungsopfer aus dem Bürgerkrieg in Sierra Leone erlitt dasselbe Schicksal.

Gewaltsame Konflikte fördern nicht nur AIDS, die Seuche stellt auch eine Gefahr für Sicherheit und Frieden dar. Die vielen AIDS-Waisen, denen es an einer ausreichenden sozialen Anbindung und materieller Versorgung fehlt, bilden ein dankbares Reservoir für die Armeen der Warlords in von Bürgerkriegen betroffenen Staaten. Außerdem steht zu befürchten, dass bei steigenden Infektionsraten in afrikanischen Armeen die Verteidigungsbereitschaft der betroffenen Verbände sinkt. Langfristig kann ein durch AIDS geschwächtes Militär die Sicherheit der betroffenen Staaten gefährden. Truppenteile könnten außer Kontrolle geraten und marodieren. Die Schwäche der nationalen Streitkräfte erleichtert zudem feindliche Invasionen. Auch gewaltbereite Gruppen innerhalb der nationalen Grenzen, etwa terroristische Vereinigungen, könnten ein Machtvakuum nutzen. Nicht nur die nationale Sicherheit ist von diesen Entwicklungen betroffen, sondern auch die Sicherheit auf internationaler Ebene, denn auch für Blauhelmsoldaten gelten die bisher erläuterten Zusammenhänge. UN-Truppen werden sogar maßgeblich für die Verbreitung von AIDS in Liberia und Sierra Leone verantwortlich gemacht. Befürchtungen, dass Peacekeeping-Truppen die Seuche in ihren Einsatzgebieten verbreiten oder die Krankheit bei ihrer Rückkehr in ihre Heimatländer einschleppen, sind durchaus berechtigt. Diese Mechanismen können in Zukunft negative Folgen für die Bereitschaft von Staaten haben, Blauhelme zu entsenden bzw. in ihrem Gebiet zu dulden.

Schwache Staaten

Staatsversagen, das in extremen Fällen zum völligen Zerfall der staatlichen Strukturen führen kann, ist eines der größten politischen Probleme in Sub-Sahara-Afrika und einer der Hauptgründe für die negative Entwicklungsbilanz vieler Länder. Extrembeispiele sind Somalia und die demokratische Republik Kongo. Die hohen AIDS-Infektionsraten in den Polizeikräften vieler afrikanischer Staaten lassen befürchten, dass die staatliche Ordnungsmacht und das Gewaltmonopol in manchen Ländern (noch) mehr ins Wanken geraten könnten.

Das Phänomen des Staatszerfalls beschleunigt aber auch in seinen milderen Formen die Ausbreitung von AIDS, da die mangelnde Funktionsfähigkeit staatlicher Institutionen ein effizientes Vorgehen gegen die Seuche erschwert. Gleichzeitig verstärken die ökonomischen und sozialen Folgen von AIDS die Tendenz zum Staatsversagen, da die Seuche auch Angehörige der kleinen Eliten wie Lehrer, Beamte und Angestellte im Gesundheitssektor trifft. Diese gesellschaftlichen Gruppen werden für eine erfolgreiche Entwicklungspolitik gebraucht und stellen den Großteil des Mittelstandes und der dünnen Basis an Steuerzahlern in den afrikanischen Staaten. In Sub-Sahara-Afrika verursacht AIDS mittlerweile zwischen 19 und 53 Prozent aller Todesfälle bei Angestellten im Gesundheitssektor. In Kenia, Swasiland, Uganda, Sambia und Simbabwe wird die Seuche in den nächsten Jahren zu einem akuten Mangel an Grundschullehrern führen. Im gesamten südlichen Afrika beklagen Ministerien, dass über die Hälfte ihrer Stellen unbesetzt bleiben, da qualifizierte Bewerber fehlen. Gerade medizinisches Personal, Lehrer und andere Fachleute haben eine Schlüsselfunktion bei der Bekämpfung von AIDS. Die Dezimierung dieser Bevölkerungsschichten behindert zunehmend den Kampf gegen die Seuche.

Lebensrettende Medizin

Sub-Sahara-Afrika ist nicht nur besonders schwer von AIDS betroffen, die Menschen dort haben auch die geringsten Chancen, im weltweiten Vergleich mit den lebensrettenden antiretroviralen Medikamenten (ARVs), die AIDS aufhalten können, behandelt zu werden. Ende 2003 hatten in Afrika weniger als fünf Prozent aller Infizierten Zugang zu ARVs. Hinsichtlich der Frage, ob und wie Medikamente gegen AIDS auch den Menschen in den Entwicklungsländern zugänglich sein sollten, kam es 2001 zu einer Auseinandersetzung im Rahmen der World Trade Organisation (WTO). Dabei standen sich ein globales Netzwerk, das sich aus Nichtregierungsorganisationen (NGOs) und Regierungen von Entwicklungsländern zusammensetzte, und die internationale Pharmaindustrie gegenüber, der wiederum die Industriestaaten sekundierten.

Südafrika hatte auf Druck einheimischer AIDS-Aktivisten ein Gesetz erlassen, das den Import von billigen Generika erleichtert. Die südafrikanische Regierung argumentierte, dass die AIDS-Epidemie ein nationaler Notstand sei, der nach den Bestimmungen der WTO solche Maßnahmen erlaube. Generika sind Kopien von Medikamenten, die zwar ebenso wirksam sind wie das Original, aber zu deutlich niedrigeren Preisen angeboten werden können, da ihre Hersteller keine Forschungs- und Entwicklungskosten refinanzieren müssen. Die hohen Preise, die aufgrund des 20-jährigen Monopols der Patentinhaber für ARVs verlangt werden können, machten das Medikament für viele der am meisten von AIDS betroffenen Länder unerschwinglich. Da Patente aber nicht international gelten, sondern von nationalem Recht abhängig sind, entwickelte sich in einigen Ländern wie Indien, Brasilien und Thailand eine blühende Generika-Produktion. Die Pharmaindustrie fürchtete, dass der internationale Markt mit kopierten Medikamenten überschwemmt werden könnte und forderte einen effektiven Schutz ihrer Patente. 40 Pharmafirmen verklagten daher Südafrika vor dem obersten Gericht in Pretoria, zogen die Klage aber bald wieder zurück. Den Firmen drohte ein schwerwiegender Imageschaden aufgrund der erfolgreichen Mobilisierung der Weltöffentlichkeit durch NGOs und die Medien. Auf der WTO-Ministerkonferenz im November 2001 wurde eine Erklärung verabschiedet, die bestätigt, dass die Mitgliedstaaten das Recht haben, selbst zu bestimmen, wann ein nationaler Notstand vorliegt, und diesem mit der Herstellung oder dem Import von Generika zu begegnen. Daraufhin fielen die jährlichen Kosten für eine Therapie mit ARVs von 10 000 US-Dollar im Jahr 2001 auf 132 US-Dollar im Jahr 2003.

In Afrika macht sich dieser Erfolg nur langsam bemerkbar. Botswana ist das erste afrikanische Land, das ein Programm zur Versorgung aller Infizierten durchführt. Ende 2004 hatten bereits 40 Prozent aller Erkrankten Zugang zu einer medikamentösen Therapie. Die südafrikanische Regierung hat bisher noch keine nennenswerten Erfolge auf diesem Gebiet vorzuweisen, obwohl sie 2003 ebenfalls erklärte, ARVs über das öffentliche Gesundheitssystem bereitstellen zu wollen. In anderen Staaten wird eine medikamentöse Therapie nur punktuell angeboten, entweder im Rahmen von Hilfsprojekten oder von Programmen, die multinationale Firmen für ihre Arbeiter und Angestellten durchführen. Auch Kampagnen ambitionierter internationaler Organisationen, die eine bessere Versorgung mit ARVs zum Ziel hatten, blieben weit hinter den Erwartungen zurück.

Aids-Politik

Dass es bisher in vielen afrikanischen Staaten nicht gelungen ist, Kapital aus der WTO-Entscheidung zu schlagen, hängt auch mit der "bad governance", also der schlechten Regierungsführung vieler afrikanischer Entscheidungsträger beim Kampf gegen AIDS zusammen. Eines der traurigsten Beispiele ist die Republik Südafrika, der es bisher trotz ihres relativ hohen Entwicklungsstandes nicht gelungen ist, die Seuche einzudämmen. Der geradezu explosionsartige Anstieg der Prävalenz in diesem Land - von einem Prozent 1990 auf 25 Prozent im Jahr 2000 - ist auch auf den Unwillen südafrikanischer Politiker zurückzuführen, der Seuche die ihr gebührende Priorität einzuräumen. Viele peinliche Skandale um verschwundene und falsch investierte Gelder, die Entdeckung vermeintlicher "Wundermittel" und die obskuren Äußerungen Präsident Mbekis, der Zweifel an der Existenz des HI-Virus anmeldete, gehen auf das Konto des regierenden ANC. Zu allem Überfluss wurde zeitweise auch noch die Vergabe eines Medikaments an schwangere Frauen eingestellt, das HIV-Infektionen ihrer ungeborenen Kinder verhindert. Die Fronten zwischen der sehr aktiven Zivilgesellschaft, in deren Reihen auch viele AIDS-Forscher zu finden sind, und der Regierung sind seit langem verhärtet. Das Expertenwissen und die langjährige Erfahrung der AIDS-Aktivisten finden viel zu selten Eingang in die offizielle Politik.

Die AIDS-Politik Ugandas gilt hingegen als Erfolgsgeschichte. Während die nationale Prävalenz in den neunziger Jahren noch bei 15 Prozent lag, wird sie 2005 auf sieben Prozent geschätzt. Neuere Studien weisen allerdings darauf hin, dass dieser dramatische Rückgang auch auf die hohe Sterblichkeit der Erkrankten zurückzuführen ist und nicht nur als Folge gelungener Präventionskampagnen gewertet werden darf. Trotzdem gehörte Präsident Museveni zu den wenigen afrikanischen Politikern, die AIDS vom ersten Moment an entschieden bekämpften. Bereits 1985 rief er einen "runden Tisch" ins Leben, an dem auch Vertreter der Zivilgesellschaft und Repräsentanten der HIV-Infizierten saßen. Die dort erarbeiteten Pläne zur Bekämpfung der Seuche wurden in den folgenden Jahren konsequent umgesetzt, was die internationalen Geber mit großzügiger finanzieller Unterstützung goutierten. Die christlichen Kirchen und die islamische Gemeinschaft des Landes erwiesen sich dabei als engagierte Verbündete. Über die Grenzen Ugandas hinaus wurde "The AIDS Support Organisation" (TASO) bekannt, eine 1987 gegründete Selbsthilfeorganisation mit mittlerweile über 80 000 Mitgliedern. TASO bietet in fast allen Landesteilen AIDS-Tests, Beratung und psychologische und medizinische Betreuung an. Außerdem leisten die Aktivisten von TASO, die oft selbst HIV-positiv sind, wichtige Präventionsarbeit. Das Beispiel Ugandas zeigt, dass AIDS eingedämmt werden kann, wenn seine Bekämpfung als gesamtgesellschaftliche Aufgabe wahrgenommen wird.

Ausblick

Richard Feachem, Executive Director des Global Fund to Fight AIDS, Malaria and Tuberculosis, bemerkte 2003 zur Zukunft von AIDS: "Horrifyingly, the worst is still to come." Für Afrika ist es eine Schicksalsfrage, wie die Pandemie sich in den nächsten Jahrzehnten entwickeln wird. UNAIDS erarbeitete dazu drei Szenarien, die bis 2025 reichen. Je nach Szenario werden dann zwischen 18,1 und 27,3 Millionen Kinder durch AIDS verwaist sein. Die Zahl der Menschen, die bis 2025 an der Seuche sterben werden, wird zwischen 66 Millionen im schlimmsten und 53 Millionen im "günstigsten" Fall geschätzt. Das negativste der drei Szenarien beruht auf der Annahme, dass der Kampf gegen AIDS in Afrika so weitergehen wird wie bisher, projiziert also die aktuelle Situation in die Zukunft.

Dieses Schreckensszenario zu verhindern, ist eine der größten Herausforderungen für die internationale Staatengemeinschaft in diesem Jahrhundert. Priorität sollte dabei die Versorgung der Infizierten mit ARVs haben, da so behandelte Patienten eine viel geringere Anzahl von Viren im Blut aufweisen und daher deutlich weniger ansteckend sind. Die Behandlung mit ARVs ist somit auch ein Beitrag zur Prävention. Damit würden außerdem die Todesraten gesenkt, und die Betroffenen könnten länger und produktiver leben. Der Teufelskreis aus Ursache und Wirkung kann auf diese Weise unterbrochen werden.

Die afrikanische Bevölkerung ist im Kampf gegen AIDS nicht passive Adressatin von Hilfeleistungen und Aufklärungskampagnen, sondern wichtigste Akteurin. Die Menschen müssen in die Lage versetzt werden, sich selbst vor der tödlichen Krankheit zu schützen. Dafür benötigen sie auf der technischen Ebene Wissen über die Krankheit, Zugang zu Kondomen, sauberen Spritzen, ARVs und erschwingliche AIDS-Tests. Auf der sozialen, ökonomischen und politischen Ebene müssen weitreichende Interventionen die grundlegenden Ursachen für die Ausbreitung von AIDS bekämpfen. Die Pandemie lebt von Armut, Ungleichheit der Geschlechter, Migration, Krieg und Staatszerfall. Nur durch eine Verbesserung der Rahmenbedingungen erhalten die Menschen die Möglichkeit, den sozialen, ökonomischen und politischen Determinanten von AIDS selbstbestimmtes Handeln entgegenzusetzen.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Die Immunschwächekrankheit HIV/AIDS und das HI-Virus werden im Folgenden allgemein als "AIDS" bezeichnet.

  2. Vgl. UNAIDS, AIDS Epidemic Update, Genf 2005, S. 17.

  3. Vgl. Ders., Report on the Global AIDS Epidemic, Genf 2004, S. 30.

  4. Vgl. UNAIDS (Anm. 2), S. 27f.

  5. Vgl. ebd., S. 29.

  6. Vgl. World Bank, Poverty, World Development Indicators, Washington, D.C. 2006. http://devdata. worldbank.org/wdi2006/contents/Section1_1_1.htm (10. 5. 2006).

  7. Vgl. UNDP, Human Development Report 2005, New York 2005, S. 222.

  8. Vgl. UNAIDS (Anm. 2), S. 61.

  9. Vgl. Gloria Jaques, Orphans of the AIDS-Epidemic. The Sub-Saharan Experience, in: Kempe R. Hope (Hrsg.), AIDS and Development in Africa. A Social Science Perspective, New York 1999, S. 51.

  10. Vgl. Chris Desmond/Karen Michael/Jeff Gow, The Hidden Battle: HIV/AIDS in the household and Community, in: South African Journal of International Affairs, 7 (2000) 2, S. 39 - 59, hier S. 52; Mark Schoofs, Die neue Plage Afrikas. Das Virus macht in Afrika ganze Generationen zu Waisen, in: Der Überblick, (2000) 3, S. 6 - 36.

  11. Vgl. UNAIDS (Anm. 2), S. 45.

  12. Vgl. Robyn Pharaoh/Martin Schönteich, AIDS, Security and Governance in Southern Africa. Exploring the Impact, Institute for Security Studies, Occasional Paper No. 65, 2003, S. 4.

  13. Vgl. Belinda Beresford, AIDS takes an economic and social toll. Impact on Households and Economic Growth most severe in Southern Africa, in: Africa Recovery, 5 (2001) 1, S. 19 - 23, hier S. 22.

  14. Vgl. UN Department of Economic and Social Affairs, Population Division, The Impact of AIDS, New York 2004, S. 17.

  15. Vgl. UNAIDS, Questions and Answers, Part One, IV/1: What is the economic impact of AIDS?, in: http://www.unaids.org/unaids_resources/200604- QA_PartI_en.pdf (10. 5. 2006).

  16. Vgl. UNAIDS, Women and AIDS. Confronting the Crisis, Genf-New York 2004, S. IV.

  17. Vgl. UNAIDS (Anm. 2), S. 27.

  18. Vgl. ebd., S. 28.

  19. Vgl. UNAIDS, Stop Violence Against Women. Fight AIDS, http://womenandaids.unaids.org/themes/docs/UNAIDS%20VAW%20Brief.pdf (20. 5. 2006).

  20. Vgl. UNAIDS, AIDS Epidemic Update 2004, Genf 2004, S. 10.

  21. Vgl. UNAIDS (Anm. 2), S. 18.

  22. Vgl. Christoph Benn/Sonja Weinreich, AIDS - Eine Krankheit verändert die Welt. Daten, Fakten, Hintergründe, Frankfurt/M. 2005, S. 48.

  23. Vgl. UNAIDS, AIDS Epidemic Update 2005 Graphics, HIV-Prevalence among 15 - 49-year-olds in rural and urban areas, selected sub-Saharan African countries, 2001 - 2003, www.unaids.org/en/HIV_ data/Epidemiology/epi_slides.asp (20. 10. 2006).

  24. Vgl. Laurie Garret, Die kommenden Plagen. Neue Krankheiten in einer gefährdeten Welt, New York-Frankfurt/M. 1994, S. 206.

  25. Vgl. Peter W. Singer, AIDS and International Security, in: Survival, 44 (2002) 1, S. 145 - 158, hier S. 153.

  26. Vgl. Joseph Leconte, The UN Sex Scandal, in: Weekly Standard vom 1. 3. 2005.

  27. Vgl. P. Singer (Anm. 25), S. 153.

  28. Vgl. International Crisis Group, HIV/AIDS as a Security Issue, Issues Report No. 1, S. 21, http://www.crisisgroup.org/home/index.cfm?id=1831&1=1 (10. 5. 2006).

  29. Vgl. ebd., S. 22.

  30. Vgl. ebd., S. 15.

  31. Vgl. UNAIDS (Anm. 2), S. 54.

  32. Vgl. ebd., S. 52.

  33. Vgl. ebd., S. 55.

  34. Vgl. C. Benn/S. Weinreich (Anm. 22), S. 109.

  35. Vgl. zu den folgenden Ausführungen Ives Beigbeder, International Public Health. Patients´ Rights vs. the Protection of Patents, Aldershot-Burlington 2004, S. 59, 79.

  36. Vgl. Kathryn Dinh, WTO Deadlines. Why Developing Countries must act now to protect access to medicines, in: Sexual Health, 1 (2004) 2, S. 63f.

  37. Vgl. C. Benn/S. Weinreich (Anm. 22), S. 109.

  38. Vgl. ebd.

  39. Vgl. UNAIDS (Anm. 2), S. 21.

  40. Vgl. zu den folgenden Ausführungen Gerhard Grohs/Sarah Tietze, AIDS-Politik im östlichen und südlichen Afrika, in: Ulf Engel (Hrsg.), Navigieren in der Weltgesellschaft. Festschrift für Reiner Tetzlaff, Münster 2005, S. 41 - 44.

  41. Vgl. UNAIDS (Anm. 2), S. 25.

  42. Vgl. ebd., S. 26.

  43. Vgl. zu den folgenden Ausführungen G. Grohs/ S. Tietze (Anm. 40), S. 39f.

  44. Vgl. http://www.tasouganda.org/about.php (10.5. 2006).

  45. Richard Feachem, AIDS hasn´t peaked yet - and that´s not the worst of it, in: Washington Post vom 12.1. 2003.

  46. Vgl. UNAIDS, AIDS in Africa. Three Scenarios to 2025, Genf 2005, S. 190.

  47. Vgl. ebd., S. 193.

M.A., geb. 1977; Doktorandin und Lehrbeauftragte am Geschwister-Scholl-Institut für Politische Wissenschaft der Ludwig-Maximilians-Universität München, Oettingenstrasse 67, 80538 München.
E-Mail: E-Mail Link: sarahtietze@hotmail.com