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Repräsentationen des "Gegenwärtigen" im deutschen Schulbuch | Zeitgeschichtsschreibung | bpb.de

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Repräsentationen des "Gegenwärtigen" im deutschen Schulbuch

Simone Lässig

/ 21 Minuten zu lesen

In Schulbuchdarstellungen erscheint die Zeitgeschichte meist national geprägt; weltgeschichtliche Perspektiven werden im Kontext der "großen Politik", in der Darstellung von Institutionen oder politischer Krisen eröffnet.

Einleitung

Deutschland gilt international als leuchtendes Beispiel - Timothy Garton Ash sprach mit feiner Ironie von einer neuen "DIN-Norm" - für die Auseinandersetzung mit einer höchst problematischen Nationalgeschichte; einer jüngeren Vergangenheit, die nachgeborenen Generationen kaum Anlässe bietet, eine positive Identifikation mit der eigenen Nation zu entwickeln. Genau das aber war seit dem 19. Jahrhundert und teilweise bis heute ein wichtiges Anliegen staatlichen Geschichtsunterrichts. Insofern drängt sich die Frage auf, wie diese Spannung ins Schulbuch, also in jenes frühe "Massenmedium", übersetzt wird, dem fast alle Staaten dieser Welt (auch) die Aufgabe zuschreiben, kohärente Deutungen und überzeugende Embleme (nationaler) Zugehörigkeit zu vermitteln.

Vor dem Hintergrund der historischen Belastungen und der Intensität, mit der diese nach einer längeren Phase des "Beschweigens" gesellschaftlich durchgearbeitet wurden, hat die Frage nach angemessenen Repräsentationen des noch Gegenwärtigen für deutsche Schulen eine ganz besondere Brisanz. Zeitgeschichte ragt in die Gegenwart von Schülern, Lehrern und Familien hinein und erschwert es damit, Vergangenheit aus emotionaler Distanz zu bewerten. Nicht nur in der Politik und der medialen Öffentlichkeit, sondern auch in privaten Räumen wird die "Epoche der Mitlebenden" oft zur "Streitgeschichte". Vieles von dem, was etwa zum Alltag in den Diktaturen des 20. Jahrhunderts oder zu Kriegserfahrungen und Zwangsmigrationen im Schulbuch steht, wird auch in der außerschulischen Lebenswelt erinnert und diskursiv verhandelt.

Für die Gestaltung von Schulbüchern leiten sich daraus Erwartungen ab, die im Kontext der ohnehin komplexen und gebrochenen deutschen Geschichte allein in fachlicher Hinsicht zu veritablen Herausforderungen werden: Dies betrifft etwa die Konkurrenz zwischen Schulbuch und (anderen) Massenmedien, die sich mit Vorliebe der Zeitgeschichte annehmen. Selbst wenn Jugendliche nicht zur bevorzugten ZDF-Klientel gehören und Guido Knopps Schlaglichter auf den Nationalsozialismus eher bei der Generation der Zeitzeugen denn bei Nachgeborenen populär sein dürften, so bilden medial vermittelte Sichtweisen doch eine wichtige Rahmung auch für Schulbuchrepräsentationen. Spielfilme wie "Schindlers Liste", "Good Bye, Lenin" oder "Das Leben der Anderen" wurden von vielen Jugendlichen gesehen und dürften deren Sicht auf die jeweiligen historischen Phänomene (mit) geprägt, also auch Lehrplan, Schulbuch und Lehrende herausgefordert haben. Alles in allem wohnt der Zeitgeschichte demnach immer ein tendenziell subversives Potenzial inne, das in Konflikt geraten kann mit den Funktionen, die Geschichtsschulbüchern gemeinhin zugewiesen werden.

Schulbücher stehen für staatlich approbiertes und hinreichend legitimiertes Wissen, das von den Deutungseliten einer Gesellschaft als relevant eingestuft und als gesichert verstanden wird. Sie bieten einen Anhaltspunkt dafür, welche Fragestellungen, Perspektiven, Methoden und Erkenntnisse aus der Fachwissenschaft als Mainstream-Wissen anerkannt werden. Durch den Zwang zur didaktischen Reduktion verweisen sie vergleichsweise präzise darauf, welche Wissensbestände aus der Fülle von Angeboten ausgewählt und an kommende Generationen weitergegeben, also ins kulturelle Gedächtnis einer Nation bzw. Gesellschaft eingeschrieben werden sollen. Die neuere Forschung stellt jedoch die Eindeutigkeit und Verbindlichkeit historischer Schulbuchnarrative zunehmend in Frage und begreift das Medium Schulbuch mehr und mehr als einen interdiskursiven, multifunktionalen Wissensraum, der hegemoniale Sichtweisen ebenso spiegelt (und produziert) wie die widerstreitenden Elemente von Erinnerungskulturen.

Bildungspolitische, fachliche und didaktische Erwartungen

Obwohl das Schulbuch schon mehrfach totgesagt wurde, hat es sich im deutschen Geschichtsunterricht als Leitmedium behauptet - sei es in Form des klassischen Buches, als Kopie aus verschiedenen Lehrwerken oder in der elektronischen Variante: Solange Lehrende auf staatlich approbierte Lehrmaterialien zurückgreifen, wird die Form allein wenig an den spezifischen Charakteristika und den Deutungspotenzialen dieses Mediums ändern. Vielmehr besteht Grund zur Annahme, dass Schulbuchwissen noch an Relevanz gewinnen könnte: Mit der Einführung von kompetenzorientierten und thematisch oft unbestimmten Kerncurricula, welche die Fachkonferenzen eigenständig mit Inhalten füllen müssen, und eingedenk der knappen Zeit, die Lehrerinnen und Lehrern dafür zur Verfügung steht, könnte das Schulbuch erst recht zum "heimlichen Lehrplan" werden. Insofern ist es trotz der großen Bedeutung konkurrierender Medien und ungeachtet der Tatsache, dass von Schulbuchrepräsentationen nicht linear auf Aneignungsprozesse und Identitäten geschlossen werden kann, keineswegs unerheblich, welche (zeitgeschichtlichen) Narrative die derzeit gebräuchlichen Schulbücher prägen.

Angemessen beurteilen lassen sich diese nur, wenn man sich vergegenwärtigt, welch hohen Anforderungen Schulbücher gerecht werden müssen: Einerseits unterliegen sie dem Zwang, Komplexität zu reduzieren, andererseits sollen sie dem Stand fachwissenschaftlicher, fachdidaktischer und pädagogischer Forschung sowie bildungspolitischen Vorgaben entsprechen. Besonders hoch liegen die didaktischen Messlatten: Erwartet wird, dass Schulbücher ein reflexives und reflektiertes Geschichtsbewusstsein fördern und einen gewichtigen Beitrag zur Entwicklung fachspezifischer Kompetenzen erbringen. In altersgemäßer Sprache und Präsentationsform sollen sie Geschichte als Konstruktion verständlich machen, dazu befähigen, Angebote der Geschichtskultur kenntnisreich zu analysieren und unter Verzicht auf explizite oder implizite ideologische Tendenzen Orientierung in einer - von Diversität geprägten - postmodernen Gesellschaft bieten. Dem entsprechen die Forderungen nach einem "offenen Geschichtsbild", nach Kontroversität (unterschiedliche Bewertungen derselben Ereignisse oder Prozesse), Multiperspektivität (ein möglichst breites Spektrum von Sichtweisen unterschiedlicher historischer Akteure) und Pluralität (Akzeptanz verschiedener triftiger Deutungen). Auch der Anspruch, Emotionalisierung und Moralisierung so weit zu vermeiden, dass der Erkenntnisprozess nicht durch "Überwältigung" beeinflusst wird, gehört in Deutschland (noch) zum didaktischen Standard.

Ein Kennzeichen der deutschen Schulbuchlandschaft im Fach Geschichte ist eine - gemessen am internationalen Maßstab - fast beispiellose Breite und Diversität. Diese Vielfalt ist nicht allein auf das föderale und gegliederte Schulsystem zurückzuführen, sondern spiegelt auch die postmodernen Pluralisierungstendenzen in den Geschichtswissenschaften. So finden sich oft innerhalb ein und desselben Verlages, ja sogar innerhalb einer Schulbuchreihe unterschiedliche Erzählmuster, differente methodische wie inhaltliche Konzepte und voneinander abweichende Bildaussagen; während in vielen Lehrwerken unterschiedliche Quellenaussagen (Multiperspektivität) und widerstreitende historiografische Bewertungen von Ereignissen (Kontroversität) durchgängig zu finden sind, muss man sie in anderen mit der Lupe suchen. Vor allem Haupt- und Realschülern scheint man eine kritische Auseinandersetzung mit differenten Deutungen der Vergangenheit nicht zumuten zu wollen.

Geprägt wird die Schulbuchlandschaft auch durch Aktualität: Schulbücher wagen sich näher an die Gegenwart heran als die Geschichtswissenschaft, die oft erst aktiv wird, wenn Quellen staatlicher Provenienz frei zugänglich sind. Neue Akzente setzte erst die DDR-Forschung, die kaum an Aktensperrfristen gebunden war und deshalb ohne Verzögerung "Geschichte schreiben" konnte.

Gemäß den Rahmenrichtlinien und Lehrplänen der Länder wird Zeitgeschichte ab Jahrgangsstufe 9 unterrichtet, bis Klasse 11 überwiegend in chronologischer Struktur. Die Schwerpunkte zur Zeitgeschichte weichen dabei nur geringfügig voneinander ab. Nationalsozialismus, Holocaust und Zweiter Weltkrieg; Kalter Krieg und deutsche Teilung sowie die deutsche und europäische Einigung haben - wenngleich in unterschiedlicher Gewichtung - in jedem Bundesland und in jedem Schulbuch Platz und bilden auch Schwerpunkte dieser Analyse. Dass gerade die jüngste Zeitgeschichte aufgrund von eng gedrängten Lehrplänen oft nur kursorisch oder gar nicht unterrichtet wird, ist den Schulbuchverlagen nicht vorzuwerfen, muss aber bedacht werden.

Tätergedächtnis und Opferdiskurse

Nationalsozialismus und Holocaust sind in allen Bundesländern Kernthemen schulisch vermittelter (National-)Geschichte. Obwohl die Zahl der Zeitzeugen signifikant zurückgeht und die Epoche dem kommunikativen Gedächtnis nach und nach entschwindet, wird der Zivilisationsbruch keineswegs marginalisiert, sondern intensiver als je zuvor verhandelt. Die zentralen Perspektiven allerdings haben sich verschoben. Die Periode wird zwar nach wie vor auch als personenzentrierte Täter- und Opfergeschichte geschrieben - mit wachsender Sensibilität für die Würde der Opfer -, zugleich aber wird sie nun auch in ihrer Alltäglichkeit erschlossen. Begriffe wie "Hitler-Deutschland", "verstrickt" oder "im deutschen Namen", die ebenso wie früher dominante Visualisierungsstrategien den Eindruck vermitteln konnten, nur eine kleine Gruppe führender Nationalsozialisten habe Verantwortung getragen, sind aus Schulbüchern nahezu verschwunden.

Zentral ist vielmehr die Perspektive Gesellschaft: Intensiv wird die Frage nach Tätern und Opfern, nach Handlungsoptionen unter den Bedingungen der Diktatur, nach dem Wissen um die Judenvernichtung und nach aktiver Beteiligung daran verhandelt. Das Ineinandergreifen von Faszination und Gewalt ist im Schulbuch ebenso angekommen wie die Erkenntnis, dass viele Deutsche die fortschreitende Entrechtung und später die Vernichtung der Juden (und anderer Opfergruppen) geduldet oder aktiv mitbetrieben haben und dass ein Großteil der Bevölkerung weder distanziert war noch aktiv Widerstand geleistet hat. Fotos von Diskriminierungsakten, auf denen Lernende unzählige Beobachter ausmachen können, gehören zum Standardrepertoire insbesondere der Gymnasialbücher.

Noch immer sind es allerdings überwiegend Täter, die verbale wie visuelle Sprecherrechte haben: Es dominieren Blicke auf (zumeist jüdische) Opfer und nicht deren eigene Sichtweisen und Wahrnehmungen. Das hängt zwar auch mit der asymmetrischen Quellenüberlieferung zusammen. Diese rechtfertigt aber nicht einen unbedarften Umgang mit Quellen - seien es nun mangelhaft oder gar nicht kontextualisierte Abbildungen (Propagandaplakate und Presseerzeugnisse, inszenierte Fotos) oder aber Texte, deren nationalsozialistische Semantik nicht ausreichend problematisiert und dekonstruiert, sondern bestenfalls als Wertung vorgegeben wird. Damit entsteht ein paradoxes Bild: Auf der einen Seite dominiert ein opferzentriertes Gedächtnis, das Lernenden Empathie abfordert, und auf der anderen Seite bestimmen Täter den Duktus und die Blickwinkel, über den Politik und Gesellschaft im Nationalsozialismus fassbar werden.

Dabei bemühen sich Schulbuchautoren durchaus darum, nicht allein die Ausnahmesituation zu dokumentieren, in der viele Betroffene Geschichte nur noch erleiden, aber nicht (mit)gestalten konnten. Die Dichotomie Juden - Deutsche wird indes oft unkritisch weitergetragen; Inklusion und hybride Zugehörigkeiten spiegelnde, unter Umständen auch produktive Irritation auslösende Begriffe wie "jüdische Deutsche", "deutsche Juden", "jüdische Europäer" oder "deutsche Roma" sind eher die Ausnahme. Auch tendieren nicht wenige Bücher, welche die Normalität jüdischen Lebens vor 1933 abbilden wollen, (wieder) zu jener "Beitragsgeschichte", die schon vor Jahrzehnten mit guten Gründen kritisiert worden ist: Die Aufzählung jüdischer Nobelpreisträger oder Künstler soll vor Augen führen, welche Leistungen jüdische Deutsche erbracht und welchen Schaden sich das nationalsozialistische Deutschland durch ihre Ausgrenzung, Vertreibung oder Ermordung zugefügt hat; sie kann aber auch einer (positiven) Stereotypisierung Vorschub leisten und symbolische Grenzziehungen eher stabilisieren als auflösen.

Insgesamt lässt sich konstatieren, dass die leidenschaftlichen Debatten um die angemessene Bewertung der nationalsozialistischen Vergangenheit und die im vergangenen Jahrzehnt ausgetragenen Kontroversen um den Opferstatus "der Deutschen" die Auseinandersetzung mit der ersten deutschen Diktatur und der Vernichtung der europäischen Juden weder verdrängt noch relativiert haben. Im Gegenteil: Auschwitz als negativer Gründungsmythos eines neuen demokratischen Deutschland und eines auf Friedenssicherung und Verständigung ausgerichteten Europa prägt alle Lehrwerke. Dies stützt die Einschätzung Martin Sabrows, der prognostiziert, dass Holocaust und Mauerfall wohl auf absehbare Zeit "die beiden und zugleich hierarchisch gestuften Bezugspunkte des zeitgeschichtlichen Denkens in Deutschland bleiben" werden.

Die Befürchtung, dass sich ganz neuartige, auf Deutsche verengte Opfererzählungen im Schulbuch manifestieren und den Basisnarrativ für den späten Nationalsozialismus und die frühe Nachkriegszeit prägen könnten, bestätigt sich in den untersuchten neueren Werken nicht. Akzentverschiebungen jedoch zeigen sich erstens in der Berücksichtigung verschiedener Opfergruppen (politische Gegner, Homosexuelle, Sinti und Roma, Behinderte oder Zwangsarbeiter). Zweitens beziehen sich Opferdiskurse fast selbstverständlich auch auf ausgebombte, vertriebene oder hungernde, (eher selten) auf verwaiste oder vergewaltigte Deutsche. Dies gilt weniger für die NS-Zeit als für die Situation ab 1945 und weniger für Texte als für Bildquellen. Doch auch hier bietet sich ein eher diffuses Bild. Während einige Bücher das Thema Vertreibungen weiterhin meiden und den Blick eher auf die Integration der Neuankömmlinge richten, berücksichtigen es andere weit mehr als noch in den 1990er Jahren. Zwar folgt keines der analysierten Bücher einem auf Deutsche fokussierten Opferdiskurs, doch betten längst nicht alle Schulbücher die Vertreibung von Deutschen in den Kontext europäischer Zwangsmigrationen während und im Gefolge des Zweiten Weltkrieges ein. Alles in allem aber bilden Erzählungen und Bilder deutschen Leids trotz fortwirkender nationaler Verengungen keine dominante Deutungsachse und auch keinen Hinweis auf einen Paradigmenwechsel. Deutsche Schuld und deutsche Verbrechen werden immer wieder thematisiert.

Komplexität deutscher Nachkriegsgeschichte

Die Frage, wie die Geschichte beider deutscher Staaten und Gesellschaften in ein annähernd kohärentes und zugleich für transnationale Perspektiven offenes Geschichtsbild zu integrieren ist, stellt nicht nur wegen der unmittelbaren zeitlichen Nähe zum Geschehen, sondern auch wegen der unübersehbaren Asymmetrien im gesellschaftlichen Diskurs eine besondere Herausforderung dar. Für sie kann der Umgang mit der nationalsozialistischen Vergangenheit nur bedingt als "Kopiervorlage" dienen. Aus der Vogelperspektive ging es zwar nach 1945 ebenso wie nach 1990 um die Frage, wie eine Gesellschaft Vergangenheit kritisch analysieren und zugleich - auch über Identitätsbildung durch Geschichte - jene Menschen in die neue Ordnung integrieren kann, die sich einer nunmehr diskreditierten Ideologie verpflichtet hatten. Im Unterschied zur Nachkriegszeit standen aber nach 1990 vielfach Entwürfe eines ganzen Lebens - unter Umständen in zwei deutschen Diktaturen - zur Disposition.

Zudem vollzog sich der Systemwandel 1989/90, in dessen Folge ein durchgreifender Elitenwandel in Gang kam und Geschichte neu geschrieben wurde, nur auf einen, den kleineren Teil der Nation. Die alte Bundesrepublik existierte territorial vergrößert weiter, während sich in den neuen Bundesländern fast alle bisherigen Orientierungspunkte auflösten, ein durchgreifender Elitenwandel in Gang kam und Geschichte neu geschrieben werden sollte. Während es beim Nationalsozialismus mehr als einer Generation bedurfte, bis das Vergessen durch Erinnern abgelöst wurde, begann das Ringen um die Bewältigung der Diktaturerfahrungen nun ohne zeitlichen Verzug und - nach einer kurzen Phase bürgerrechtlicher Dominanz - vielfach unter der Deutungshoheit von Westdeutschen. Dies gilt auch für Schulbücher und ihre Autoren, bei denen sich die Narrative des Kalten Krieges verständlicherweise nicht sofort auflösten: Stalinismus, 17. Juni 1953 und Mauerbau, Teilung und Repression - nun ergänzt durch Informationen zu Bürgerbewegung und Opposition, zum Mauerfall und zur gelungenen deutschen Einheit bildeten den Kernbestand von DDR-Geschichte im Schulbuch der frühen 1990er Jahre. Im Zentrum standen der autoritäre Charakter des sozialistischen Staates und die Durchherrschung der Gesellschaft durch die SED beziehungsweise die von ihr kontrollierte Staatssicherheit.

Seit Beginn des neuen Jahrtausends hat sich der - von oben und von außen geformte - Blick thematisch und konzeptionell sichtbar erweitert: Die DDR wird nicht mehr nur als Polizeistaat charakterisiert, sondern adäquat zu anderen Epochen auch über ausgewählte Aspekte seiner Gesellschaftsgeschichte vergegenwärtigt. Totalitarismustheorien taugen kaum noch zur Leiterzählung. Die meisten Bücher bemühen sich um Historisierung und unterscheiden zwischen der NS-Herrschaft mit ihrem Vernichtungswillen und ihren Menschheitsverbrechen einerseits, und den autoritären sozialistischen Systemen und ihren Menschenrechtsverletzungen andererseits.

Grenzen findet das Bemühen um Historisierung allerdings insofern, als die Geschichte der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ), der DDR oder der Staaten des Ostblocks nur selten in einen Zusammenhang mit der des europäischen Sozialismus gestellt wird. Die von den Nationalsozialisten unterbrochenen Kontinuitätslinien bleiben gekappt, was eine reduzierte Wahrnehmung und eine Externalisierung dieses historischen Phänomens ("ohne Stalin kein Sozialismus") begünstigt. So dürfte sich Jugendlichen nur schwer erschließen, was nach Kriegsende nicht wenige Menschen mobilisierte und auch eine Reihe prominenter Westemigranten motivierte, auf ein sozialistisches Deutschland hinzuarbeiten. "Sozialismus" erscheint als von vornherein zum Scheitern verurteilte Sackgasse und als historische Periode ohne innere Dynamik. Dem entspricht eine häufig wertende Terminologie: Bemühungen um eine gesellschaftliche Alternative werden entweder als reine Propaganda abgetan, gönnerhaft kommentiert oder von ihrem Scheitern her bewertet.

Im Umkehrschluss wird damit freilich auch der Westen enthistorisiert. Die Geschichte der alten Bundesrepublik ist mehr oder weniger zwingend eingebettet in eine Erfolgserzählung und besitzt eine auf Kontinuität ausgerichtete Temporalstruktur, in der für Krisen, Konflikte oder Brüche kaum Raum bleibt. Die DDR hingegen steht fast unabhängig von dem jeweils dominierenden narrativen Konzept für eine einprägsame Misserfolgsgeschichte und erscheint nachgerade als "bleierne Zeit". Damit spiegeln viele Schulbücher ein Grundaxiom deutscher Erinnerungskultur präzise wider: Der Blick auf 1989/90 (und von da zurück) konturiert die Deutung der europäischen Nachkriegsgeschichte fast exklusiv. Allerorten begegnet man retrospektiven, auf Mauerfall, Wiedervereinigung und europäische Integration ausgerichteten Erzählstrukturen.

Auch wenn vom "Ende der Geschichte" heute nicht mehr die Rede ist und in einigen Schulbüchern auch Verunsicherungen des Westens (1968, Ölkrise, RAF, Reformstau, Wettrüsten) Erwähnung finden, so wird diese Geschichte doch nur selten als ein für die Zeitgenossen offener Prozess begriffen. Dahinter steht die gesellschaftlich breit verankerte historisch-politische Gewissheit, dass die Implosion der kommunistischen Systeme zugleich die Alternativlosigkeit des westlichen Wirtschafts- und Gesellschaftsmodells belegt habe. Möglicherweise erwächst erst aus der gegenwärtigen Krise ein Potenzial für ein wirklich "offenes Geschichtsbild".

Schon jetzt gibt es innerhalb des skizzierten, tendenziell teleologischen Rahmens unterschiedliche, mit fachwissenschaftlichen Diskussionen korrespondierende Akzentsetzungen. Dies zeigt sich beispielsweise an der Wahl der Zäsuren. Für einen Teil der Autoren bilden die friedliche Revolution bzw. die in den sozialistischen Gesellschaften Europas erwachenden zivilgesellschaftlichen Kräfte den Fluchtpunkt für die Darstellung der jüngeren Zeitgeschichte, die einige Bücher inzwischen auch europäisch lesen. Damit wird das 20. Jahrhundert in seiner Spannung zwischen nachgerade unbeschreiblicher Gewalt einerseits und neuen Formen von Zivilität andererseits gedeutet. Andere Schulbuchautoren hingegen schreiben die Geschichte sehr viel stärker auf 1990, also auf die (Wieder-)Vereinigung der beiden deutschen Staaten zu. Hier erscheint das 20. Jahrhundert eher als eine von tiefen Brüchen durchzogene, aber letztlich positiv konnotierte und klar "nach Westen" weisende Nationalgeschichte. Dominant ist eine Fortschritts- und Erfolgserzählung, die sich primär auf Politik und Staat bezieht, während der stärker auf 1989 ausgerichtete Narrativ eher gesellschaftsgeschichtlich angelegt und offener für Ambivalenz ist.

Die meisten Schulbuchautoren sind um eine vergleichende, teilweise auch integrative Behandlung der deutsch-deutschen Nachkriegsgeschichte bemüht. Die Frage nach Gegensätzen und Gemeinsamkeiten zieht sich durch viele Lehrwerke. Damit entsprechen sie dem Stand fachwissenschaftlicher und fachdidaktischer Diskussionen, bekräftigen aber insofern auch Asymmetrien, als die Konsumgesellschaft des Westens fast automatisch eine leuchtende und überlegen scheinende Kontrastfolie zu einer grauen und düsteren DDR darstellen muss. Diesen Eindruck erwecken insbesondere Bildquellen: Dort, wo die DDR nicht als Repressions- und Überwachungsstaat visualisiert wird, begegnet sie Lernenden als freudlose Zumutung in Gestalt von grauen Plattenbauten, biederen Schrebergärten oder langen Menschenschlangen vor Lebensmittelläden.

Während Jugend im Westen meist für "Vielfalt von Lebensformen" steht, scheint sich das Leben ihrer Altergenossen im Osten nur "Zwischen Druck und Anpassung" bewegt zu haben. Diese Deutung ist zwar nicht grundsätzlich abwegig, aber eben auch nicht vollständig. Quellen, die zugleich verständlich machen könnten, warum sich Menschen in der DDR arrangierten oder sogar wohl fühlen konnten, sind ausgesprochen rar, die Topoi Mangel und Bespitzelung hingegen fast allgegenwärtig: So heißt es in einem Abschnitt zur Freizeitgestaltung, diese sei durch die SED-Führung geduldet worden, denn "wer das gesamte Wochenende auf seiner Datsche verbrachte und den Rest der Woche mit Jagd auf Ersatzteile und Baustoffe beschäftigt war, (fand) (...) kaum noch Zeit, sich politisch oppositionell zu engagieren". Was in der Beschäftigung mit dem Nationalsozialismus etabliert ist, findet in Bezug auf den Sozialismus erst nach und nach Akzeptanz und gehört noch nicht zum Standard: kritische Historisierung und distanzierte Erklärung statt Moralisierung und politischer Delegitimierung.

Auffällig ist auch, dass politische Geschichte für die Zeit nach 1945 nach wie vor dominiert. Zwar zeigen fast alle Lehrwerke Interesse an Kulturgeschichte und Manifestationen des Alltags auch in der DDR. Der Basisnarrativ aber speist sich hier aus Herrschaftsstrategien, Repression und Propaganda einerseits, Dissidenten und oppositionellem Verhalten andererseits. Über die informellen Strukturen der DDR-Gesellschaft und über den Kitt, der sie - auch - zusammenhielt, finden sich kaum substanzielle Informationen. Während der Überwachungsstaat mit beiden Händen zu greifen ist, bleibt sein Gegenstück, die "partizipatorische Diktatur", nahezu ohne Konturen. Einige wenige Schulbücher berücksichtigen jedoch multiple Alltagserfahrungen oder eigensinnige Bewältigungsstrategien und eröffnen so einen differenzierten Zugang zu den Funktionsweisen von Herrschaft und Gesellschaft: Politische Unterdrückung allein, so das "Geschichtsbuch Oberstufe", "sichert keine Herrschaft, ebenso wenig wie die Privilegierung der Eliten in Staat, Wirtschaft und Kultur. Eine systemstabilisierende Loyalität der Bevölkerung gegenüber der Staatsführung muss hinzukommen. Ein Grund für die Loyalität der DDR-Bürger waren der langsam, aber stetig wachsende Lebensstandard und die Arbeitsplatzgarantie." Ferner werden die Sozial-, die Frauenpolitik und das Bildungssystem genannt.

Doch es ist nicht allein die narrative, sondern auch die semantische Struktur, die Zugänge zu Geschichte eröffnet oder verstellt. In den meisten Schulbuchtexten zur Geschichte des Sozialismus dominieren - mehr als in anderen Kapiteln - Passivkonstruktionen. Wer gehandelt hat, wer Verantwortung trug oder Schuld auf sich lud, bleibt unklar. Wenn überhaupt, dann haben - wie vielfach in den Medien - die herrschende Elite und prominente Dissidenten, zuweilen auch westdeutsche Kommentatoren eine historische Stimme. Drei Viertel der DDR-Bürger - nämlich diejenigen, die weder geherrscht und gespitzelt noch mutig widerstanden, sondern sich eingerichtet und angepasst, still gelitten oder aber idealistisch gehandelt haben, die ihren Vorteil suchten oder sich verführen ließen - bleiben historisch "sprachlos". Obgleich dies (ähnlich den in NS-Kapiteln dominierenden Täterquellen) mit der Überlieferungssituation zu tun haben und nicht intendiert sein mag, führt eine solche Zuteilung von Sprecherrechten dazu, dass die Vielfalt der Akteure - auch, ja gerade der Opfer - und Verantwortungen von Einzelnen hinter dem repressiven Charakter des Systems zurücktreten.

Vergleicht man deutsche Schulbuchtexte zu diesem Thema mit denen anderer Länder, so ist der erreichte Grad an Differenzierung gleichwohl bemerkenswert. So sehen englische oder amerikanische Lehrwerke das Phänomen Staatssozialismus zwar - anders als deutsche - aus einer dezidiert europäischen Perspektive, aber nur als Teil des Kalten Krieges und in binären Grundstrukturen von (sowjetisch gesteuerter) Herrschaft und Opposition, changieren also stetig zwischen Repressions- und Widerstandsnarrativ.

Nationalgeschichte im Kontext

Deutsche Schulbücher eröffnen zwar weltgeschichtliche und transnationale Perspektiven; für das 20. Jahrhundert beziehen sich diese aber primär auf die "große Politik", auf Institutionen und zentrale politische Krisen. Der Kalte Krieg mit seinen Kernthemen (Konfrontation, Wettrüsten und Entspannungspolitik, Kuba-Krise, Vietnam-Krieg), die europäische Integration, der Nahost-Konflikt, die Gründung der UNO und teilweise auch Terrorismus gehören zum Basisinventar, während globale Problemfelder wie Ungleichheit und Armut, Migration oder Entkolonialisierung ungleich seltener historisiert werden. Dass inzwischen ein erheblicher Teil der Lernenden aus Familien mit Migrationserfahrung stammt, schlägt sich im Schulbuch erst ansatzweise nieder; selbst dort, wo es um Welt- oder Globalgeschichte geht, sind die Erzählstränge oft auf eine primär deutsche und dabei genuin politikgeschichtliche Perspektive ausgerichtet.

Gesellschafts- und kulturgeschichtliche Zugänge sind in diesem Rahmen ebenso unterrepräsentiert wie postkoloniale Ansätze oder Außensichten auf Europa; nur selten erhalten etwa die Kolonisierten eine eigene (Quellen-)Stimme, wenn es um Kolonialismus und Dekolonisierung geht. Als ambivalentes europäisches Erbe erschließt sich der Kolonialismus ohnehin kaum. Die Geschichte der europäischen Integration wird indes mit einem skeptischen, keineswegs von Euphorie oder Fortschrittsoptimismus getragenen Unterton geschrieben. Während sich die Geschichte der Bundesrepublik als Erfolgsnarrativ lesen lässt und die Ost-West-Konfrontation, da vielfach über Karikaturen visualisiert, weniger als reale Bedrohung denn als absurdes, fast groteskes Phänomen erscheint, stehen in globaler und gegenwartsnaher Perspektive eher Probleme, Gefahren und Krisen im Fokus. Vor allem in den Bildern, die Schulbücher über die vergangenen zwanzig Jahre transportieren, wirkt die Welt unübersichtlich und voller Herausforderungen.

Problematisierung und kritische Distanz kennzeichnet aber auch den Basisnarrativ zur deutschen Geschichte. Die Autoren gehen behutsam mit der historischen Begründung nationaler Identität um, arbeiten den Unterschied zwischen historischer Belastung und Vertrauenswürdigkeit in der Gegenwart heraus und sensibilisieren für historische Mythenbildung. Der Begriff "Nation" wird selten (nur) positiv konnotiert und immer auch mit der Gefahr des Nationalismus in Verbindung gebracht. Das "Jahrhundertereignis" der deutschen Wiedervereinigung stellen die meisten Schulbücher wenn nicht in europäischer Perspektive, so doch ohne patriotische Anwandlungen dar.

Man stößt zwar auf korrekturbedürftige Stereotype - etwa zum historischen Islam und Muslimen -, aber selten auf ausgeprägte Feindbilder, scharf geschnittene Exklusionsmuster oder Abgrenzungsstrategien. Regelmäßig hingegen begegnet man einem pazifistischen Grundton und dem Bemühen, solche Strategien, soweit sie historisch legitimiert sind, kritisch zu hinterfragen.

Bemerkenswert ist, dass deutsche Schulbücher inzwischen den Wandel von Erinnerungskulturen zu einem eigenständigen Thema machen, dass sie faktisch "Gedächtnisgeschichte" schreiben und Geschichte als Konstrukt verstehbar machen. Inwieweit sie im Konzert anderer Medien und erinnerungsrelevanter Akteure realiter Weisen der Weltaneignung prägen - darüber wissen wir noch wenig, doch ist die Forschung auf dem besten Wege, mehr darüber herauszufinden.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. z.B. Norbert Frei, Vergangenheitspolitik, München 1996; Erik Langenbacher, Moralpolitik versus Moralpolitik: Recent Struggles over the Construction of Cultural Memory, in: German Politics and Society, 23 (2005) 3, S. 106-134; Martin Sabrow et al. (Hrsg.), Zeitgeschichte als Streitgeschichte, München 2003; Saskia Handro/Thomas Schaarschmidt (Hrsg.), Aufarbeitung der Aufarbeitung. Die DDR im geschichtskulturellen Diskurs, Schwalbach/Ts. 2011.

  2. Hans Rothfels, Zeitgeschichte als Aufgabe, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, 1 (1953) 1, S. 1-8, hier: S. 2.

  3. Vgl. M. Sabrow et al. (Anm. 1); Sabine Moller, Diktatur und Familiengedächtnis, in: S. Handro/T. Schaarschmidt (Anm. 1), S. 140-154; Harald Welzer et al. (Hrsg.), "Opa war kein Nazi". Nationalsozialismus und Holocaust im Familiengedächtnis, Frankfurt/M. 2010.

  4. Vgl. Michele Barricelli/Julia Hornig (Hrsg.), Aufklärung, Bildung, "Histotainment"? Zeitgeschichte in Unterricht und Gesellschaft heute, Frankfurt/M. 2008.

  5. Unter dem Eindruck des "Memory-Booms" haben kulturwissenschaftliche bzw. wissenssoziologische Annäherungen an das Schulbuch an Attraktivität gewonnen: Vgl. neben Beiträgen im Journal of Educational Media, Memory and Society (JEMMS) z.B. Thomas Höhne, Schulbuchwissen. Umrisse einer Wissens- und Medientheorie des Schulbuchs, Frankfurt/M. 2003; Michael A. Apple, Ideology and Curriculum, New York 2004; Yasemin N. Soysal/Hanna Schissler (eds.), The Nation, Europe and the World. Textbooks and Curricula in Transition, Oxford 2005; Jason Nicholls (ed.), School History Textbooks Across Cultures, Didcot 2006; Stuart J. Foster/Keith Crawford (eds.), What Shall we tell the Children? International Perspectives on School History Textbooks, Greenwich 2006; Saskia Handro/Bernd Schönemann (Hrsg.), Geschichtsdidaktische Schulbuchforschung, Berlin 2006; Holger Thünemann, Zeitgeschichte im Schulbuch, in: Susanne Popp et al. (Hrsg.), Zeitgeschichte - Medien - historische Bildung, Göttingen 2010, S. 115-132.

  6. Vgl. Wolfgang Jacobmeyer, Das Schulgeschichtsbuch. Gedächtnis der Gesellschaft oder Autobiographie der Nation?, in: Geschichte, Politik und ihre Didaktik (GPD), 26 (1998), S. 26-35.

  7. Vgl. Eleftherios Klerides, Imagining the Textbook: Textbooks as Discourse and Genre, in: JEMMS, 2 (2010) 1, S. 31-54.

  8. Zuletzt: Bernd Schönemann/Holger Thünemann, Schulbucharbeit. Das Geschichtslehrbuch in der Unterrichtspraxis, Schwalbach/Ts. 2010; Bodo von Borries, Nationalsozialismus in Schulbüchern und Schülerköpfen, in: Markus Bernhardt/Ulrich Mayer (Hrsg.), Bilder - Wahrnehmungen - Konstruktionen. Reflexionen über Geschichte und historisches Lernen, Schwalbach/Ts. 2006, S. 135-151; Michael Sauer, Zeitgeschichte in Unterrichtsmedien - Einführung, in: S. Popp et al. (Anm. 5), S. 113.

  9. Schulbuchverlage publizieren Jahr um Jahr aktualisierte Auflagen (sehr selten ganz neue Werke). In den Schulen aber werden Schulbücher im Durchschnitt etwa sieben Jahre lang genutzt; alle Werke, die nach 2003 publiziert wurden, müssen als "aktuell" betrachtet werden. Für diesen Aufsatz wurden Lehrwerke beider Sekundarstufen untersucht, wobei sich die vertiefte Analyse auf Schulbücher aus drei paradigmatisch ausgewählten Bundesländern konzentriert: Nordrhein-Westfalen (als bevölkerungsreichstes Land mit wechselnden politischen Mehrheiten), Sachsen (als eines der östlichen Länder) und Bayern (als großes, konservativ geprägtes Land mit starkem bildungspolitischem Gewicht).

  10. Lehrer achten bei der Anschaffung von Schulbuchreihen genau darauf, dass sich diese eng an Lehrpläne anlehnen bzw. auf Kerncurricula abgestimmt sind. Zu den vielfältigen Anforderungen ans Schulbuch: Eckhardt Fuchs/Joachim Kahlert/Uwe Sandfuchs (Hrsg.), Schulbuch konkret. Kontexte - Produktion - Unterricht, Bad Heilbrunn 2010.

  11. Michael Sauer, Zeitgeschichte - Medien - Historische Bildung, in: S. Popp et al. (Anm. 5), S. 25-38, hier: S. 33.

  12. Als unverzichtbar gelten: Fragekompetenz sowie historische Methoden-, Sach- und Orientierungskompetenz. Vgl. Hans-Jürgen Pandel, Geschichtsunterricht nach PISA, Schwalbach/Ts. 2005; Verband der Geschichtslehrer Deutschlands, Bildungsstandards Geschichte. Rahmenmodell Gymnasium, 5.-10. Jahrgangsstufe, Schwalbach/Ts. 2006.

  13. Insofern können die folgenden Befunde keine Repräsentativität in einem streng wissenschaftlichen Sinn beanspruchen. Ausgehend von der Frage nach thematischen Schwerpunkten und Leiterzählungen geht es vielmehr darum, Tendenzen aufzuzeigen.

  14. Vgl. Martin Lücke/Michael Sturm, Stiefschwestern. Zum Verhältnis von Zeitgeschichte und Geschichtsdidaktik, in: M. Barricelli/J. Hornig (Anm. 4), S. 27-42.

  15. Aus diesem Grund wird die Geschichte der alten Bundesrepublik überwiegend "dekadologisch" aufgearbeitet. Vgl. Anselm Doering-Manteuffel/Lutz Raphael, Nach dem Boom. Perspektiven auf die Zeitgeschichte seit 1970, Göttingen 2010.

  16. Vgl. etwa die unterschiedlichen Gewichtungen zwischen zwei Schulbüchern, die beide in Bayern in Stufe 11 eingesetzt werden: Westermann (2009), Horizonte 11, sowie Cornelsen (2009), Forum Geschichte 11.

  17. Vgl. Dietmar von Reeken, Eine ganz normale Epoche? Überlegungen zur Zeitgeschichte in Geschichtskultur und Geschichtsunterricht, in: Zeithistorische Forschungen, 2 (2005) 2, S. 282.

  18. Vgl. u.a. Schrödel (2010), Zeit für Geschichte, 9/10, S. 190ff.; Cornelsen (2008), Forum Geschichte, Bd. 5, Bayern; Westermann (2009), Horizonte 11, Geschichte Gymnasium, Bayern, S. 176ff.

  19. Beispiele auch bei: Susanne Popp, Nationalsozialismus und Holocaust im Schulbuch, in: Gerhard Paul/Bernhard Schoßig (Hrsg.), Öffentliche Erinnerung und Medialisierung des Nationalsozialismus, Göttingen 2010, S. 98-115, hier: S. 106. Vorbildlich: Cornelsen (2009), Forum Geschichte 11, Bayern, S. 181.

  20. Offenbar finden die Empfehlungen der Wissenschaftlichen Arbeitsgemeinschaft des Leo-Baeck-Instituts Beachtung: LBI-Kommission für die Verbreitung deutsch-jüdischer Geschichte, Deutsch-jüdische Geschichte im Unterricht, Frankfurt/M. 2003 (neue Fassung: 2011).

  21. Martin Sabrow, Meistererzählungen der Zeitgeschichte, in: ders. (Hrsg.), Leitbilder der Zeitgeschichte, Leipzig 2011, S. 21.

  22. Vgl. S. Popp (Anm. 19), S. 112. Zu Flucht und Vertreibung: Wolfgang Höpken, Das Thema der Vertreibung im deutschen Schulbuch, in: Anja Kruke (Hrsg.), Zwangsmigration und Vertreibung, Bonn 2006, S. 107-115.

  23. S. Popp (Anm. 19) hat jedoch dafür sensibilisiert, dass politisch linke Gegner des Nationalsozialismus - Gewerkschafter, Sozialdemokraten, Kommunisten, Pazifisten - sichtbar unterrepräsentiert sind.

  24. Zu diesem Ergebnis kommt auch W. Höpken (Anm. 22), S. 113.

  25. Diese Lebensentwürfe sind zudem im Kontext einer Blockkonfrontation zu verorten, die vielen Zeitgenossen in Ost und West auf Dauer gestellt schien.

  26. Vgl. Oldenbourg (2009), Mosaik. Der Geschichte auf der Spur, S. 122ff.; Cornelsen (2008), Forum Geschichte, Bd. 5, S. 280, sieht daneben auch ein "Drängen" der deutschen Kommunisten, speziell jener der "Gruppe Ulbricht".

  27. Mosaik überschreibt sogar eine Doppelseite mit: "Wandel im Westen - Stillstand im Osten" (S. 158f.). Vgl. auch: Augusta Dimou, Changing Certainties? Socialism in German History Textbooks, in: Maria Todorova (ed.), Remembering Communism. Genres of Representation, New York 2010, S. 293-316.

  28. Francis Fukuyama, The End of History and the Last Man, New York 1992.

  29. Bemerkenswert auch in den Bildquellen: Oldenbourg (2009), Mosaik, S. 164ff.

  30. Vgl. Christoph Kleßmann/Peter Lautzas (Hrsg.), Teilung und Integration, Schwalbach/Ts. 2006.

  31. Exemplarisch: Oldenbourg (2009), Mosaik, S. 132-137, oder Cornelsen (2008), Forum Geschichte Band 5, S. 304.

  32. Diesterweg (2007), Expedition Geschichte 5, S. 97-100.

  33. Westermann (2009), Horizonte 11, S. 277.

  34. Vgl. Mary Fulbrook, Ein ganz normales Leben, Darmstadt 2008.

  35. Vgl. Cornelsen (2006), Geschichtsbuch Oberstufe. Das 19. und 20. Jahrhundert, Ausgabe Sachsen Anhalt, S. 454.

  36. Ansätze u.a. in: Cornelsen (2008), Kursbuch Geschichte, Sachsen; Oldenburg (2009), Mosaik, NRW; Cornelsen (2008), Forum Geschichte kompakt, NRW.

  37. Ansätze bei: Oldenburg (2009), Mosaik, NRW Sek. 1, S. 102-105, 207, und Klett (2007), Geschichte und Geschehen, Sek. 2, NRW, etwa S. 491f. und S. 529; Cornelsen (2008), Forum Geschichte Bd. 5, Bayern, S. 83, 100f.

  38. Vgl. Klett, Zeitreise 3 (2006), S. 128ff.

  39. Vgl. Keine Chance auf Zugehörigkeit? Schulbücher europäischer Länder halten Islam und modernes Europa getrennt. Ergebnisse einer Studie des GEI zu aktuellen Darstellungen von Islam und Muslimen in Schulbüchern europäischer Länder, online: www.gei.de/fileadmin/bilder/pdf/Presse_
    interviews/Islamstudie_2011.pdf (20.12.2011).

  40. Cornelsen (2008), Kursbuch Geschichte, Neubearbeitung Sachsen, enthält ein 50-seitiges Kapitel "Historisches Erinnern und nationale Identität" (S. 516ff.), u.a. zum Umgang mit der NS-Vergangenheit in Ost und West, Mythen und Feindbildern sowie Erinnerungen an den Ersten Weltkrieg im europäischen Vergleich. Vgl. auch folgende Schulbücher: Klett (2007/2009), Geschichte und Geschehen, Band 6, Sachsen 10 und 12; Diesterweg (2007), Expedition Geschichte 5.

  41. Am Georg-Eckert-Institut entsteht ein Forschungsschwerpunkt zu Praktiken der Erinnerung im Spannungsfeld von Lehrplänen, Schulbüchern und anderen Medien sowie Lehrenden und Lernenden. Vgl. auch: S. Moller (Anm. 3).

Dr. phil., geb. 1964; Professorin für Neuere/Neueste Geschichte an der Technischen Universität Braunschweig und Direktorin des Georg-Eckert-Instituts für internationale Schulbuchforschung, Celler Straße 3, 38114 Braunschweig. E-Mail Link: sekretariat@gei.de