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Nach der Flut an der Ahr 2021 | Hintergrund aktuell | bpb.de

Nach der Flut an der Ahr 2021 Wiederaufbau und Aufarbeitung

Redaktion

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Über 180 Menschen starben bei der Flut in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen im Juli 2021. Ein Überblick über den Stand des Wiederaufbaus und die politische Aufarbeitung zwei Jahre danach.

Zwei Jahre nach der Flut ist ein Hotel in Altenahr vom Schlamm befreit, aber dennoch völlig zerstört. (© picture-alliance/dpa, Boris Roessler)

Nach Interner Link: Starkregenfällen verursachte eine Flutkatastrophe am 14. und 15. Juli 2021 vor allem in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen, aber auch in Bayern, Baden-Württemberg und Sachsen extreme Verwüstungen. Die Flut zählt zu den schwersten Naturkatastrophen der letzten Jahrzehnte, der Wiederaufbau ist noch lange nicht abgeschlossen. Wie die Regionen widerstandsfähiger gegen Hochwasser aufgebaut werden können, wird an vielen Orten diskutiert. Auch die politische Aufarbeitung der Flut dauert zwei Jahre danach noch an.

RückblickDas geschah 14. und 15. Juli 2021

Am 14. Juli und in der Nacht auf den 15. Juli fielen in Teilen von Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen innerhalb von 24 Stunden 100 bis 150 Liter Regen pro Quadratmeter – mehr als normalerweise im gesamten Monat. Der Großteil der Regenmenge konzentrierte sich auf ein kurzes Zeitfenster von zehn bis 18 Stunden. Das führte zu einem sehr schnellen Anstieg der Flüsse, extreme Pegelstände z.T. deutlich über bisherigen Rekordwerten wurden erreicht. Sturzfluten und massive Überschwemmungen waren die Folge.

Bei der Flut starben über 180 Menschen, 135 von ihnen im Ahrtal. In Nordrhein-Westfalen richtete das Hochwasser vor allem in Hagen und Wuppertal, im Kreis Euskirchen, dem Rhein-Sieg-Kreis, sowie in Teilen des Bergischen Landes große Schäden an. 49 Menschen kamen in Nordrhein-Westfalen während der Flut ums Leben. Gemessen an der Zahl der Opfer ist es die schwerste Katastrophe seit der Sturmflut 1962 in Hamburg. Der finanzielle Schaden beziffert sich laut einer Studie im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums auf über 40 Milliarden Euro. Die Flut verursachte damit einen so großen finanziellen Schaden wie noch nie eine Naturkatastrophe in Deutschland.

Im Ahrtal wurden über 9.000 Gebäude und über 100 Brücken zerstört oder stark beschädigt, 17.000 Menschen im Tal verloren ihr gesamtes Hab und Gut. Insgesamt waren etwa 10.000 Unternehmen von der Flut betroffen. Rund 165.000 Menschen hatten in den Tagen danach weder Strom noch Trinkwasser. Auch die Verkehrsinfrastruktur war betroffen: Autobahnen waren zum Teil mehrere Monate gesperrt, 600 Kilometer Schienen wurden nach Angabe der Deutschen Bahn zerstört.

Eine entscheidende Ursache für die Flutkatastrophe war die extreme Regenmenge, die innerhalb kürzester Zeit auf einige Regionen niederging. Weil es schon in den Monaten zuvor deutlich mehr als normalerweise geregnet hatte, waren die Böden gesättigt und konnten die Wassermassen nicht mehr aufnehmen. Auch die starke Versiegelung der Böden spielte in Teilen der Flutregionen eine Rolle.

Wiederaufbau dauert an

Mit der Kampagne „We Ahr open“ weist der Tourismusverein Bad Neuenahr-Ahrweiler darauf hin, dass die Urlaubsregion Ahrtal trotz der Flut wieder besucht werden kann. Zahlreiche Hotels, Weingüter und Restaurants wurden saniert und haben wieder geöffnet. Seit April dieses Jahres können Menschen in der Eifel wieder mit dem Zug von Gerolstein nach Kyllburg fahren. Die Deutsche Bahn hofft, dass Züge ab dem kommenden Jahr die Eifelbahn von Köln nach Trier wieder komplett nutzen können.

Es sind Fortschritte zu sehen, doch der Wiederaufbau der am schwersten betroffenen Regionen wird Jahre in Anspruch nehmen. Bis heute leben Menschen in provisorischen Unterkünften, den Mobiles Homes, weil ihre Häuser noch nicht bewohnt werden können. Die Reparatur der kompletten Bahnstrecke im Ahrtal wird nach Angaben der Bahn bis 2025 dauern.

Staatliche Unterstützung für den Wiederaufbau

Um die Menschen beim Wiederaufbau zu unterstützen, wurden mehrere Hilfsprogramme aufgelegt. Nach der Flut konnten Betroffene Soforthilfen erhalten, um akute Notlagen, beispielsweise für eine Unterkunft, zu überbrücken. Bund und Länder stellten dafür 800 Millionen Euro zur Verfügung. Für die Finanzierung des Wiederaufbaus wurde ein gemeinsamer Fonds in Höhe von bis zu 30 Milliarden Euro beschlossen. 12,3 Milliarden Euro stehen für Nordrhein-Westfalen und 15 Milliarden Euro für das schlimmer betroffene Rheinland-Pfalz zur Verfügung – auch Sachsen und Bayern sind bei der Soforthilfe und dem Wiederaufbaufonds berücksichtigt. Die Kosten teilen sich Bund und Länder jeweils zur Hälfte auf. Kommunen, Vereine, Unternehmen und Privatpersonen können über den Fond Hilfen beantragen. Bezuschusst werden beispielsweise der Abriss von Gebäuden, Sanierung oder Neubau. Auch für zerstörten Hausrat gibt es Pauschalen.

Ursprünglich sollten 16 Milliarden Euro aus dem Wiederaufbaufonds noch im Jahr 2021 fließen. Tatsächlich wurde innerhalb der ersten zwölf Monate nach der Katastrophe nur ein sehr kleiner Teil davon abgerufen: In Nordrhein-Westfalen bewilligten die zuständigen Behörden bis Juli 2022 gut 1,6 Milliarden Euro, in Rheinland-Pfalz wurden bis März 2023 erst 5 Prozent des Wiederaufbaufonds, rund 750 Millionen Euro, ausbezahlt.

Kritik an Antragsverfahren und Versicherungen

Ein Grund für diesen schleppenden Wiederaufbau sollen die aufwändigen Antragsverfahren sein. Die Antragssteller müssen Gutachten über Schäden, Kostenvoranschläge und Versicherungsunterlagen einreichen. Gemeinden schreiben für die Reparatur von Radwegen, Spielplätzen oder der Straßenbeleuchtung viele Einzelanträge. Private Betroffene berichten zudem, dass ihnen das Geld fehle, um Gutachten und Reparaturen in Vorleistung zu bezahlen. Den Verwaltungen fehlt darüber hinaus Personal, um die Anträge zügig zu bearbeiten und Bauvorhaben umzusetzen.

Immer wieder gibt es zudem Beschwerden über Versicherungen, die sich weigerten, Schäden zu übernehmen. Nach Angaben des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft wurde innerhalb des ersten Jahres nach der Flut drei Viertel der gemeldeten Schadenssumme übernommen. Fünf Milliarden Euro seien ausgezahlt worden. Der Gesamtschaden belaufe sich auf 8,5 Milliarden Euro und liege damit deutlich über den Hochwasserereignissen 2002 und 2013.

Neben staatlichen Hilfen und den Leistungen der Versicherungen unterstützen private Spenden die Menschen beim Wiederaufbau. Nach Angaben des Deutschen Zentralinstituts für soziale Fragen spendeten Privatpersonen und Unternehmen 655 Millionen Euro. Knapp zwei Jahre nach der Flut teilt das Aktionsbündnis Deutschland hilft mit, 70 Prozent seiner Spenden eingesetzt zu haben. Die Organisationen des Bündnisses nutzen das Geld unter anderem für Beratungen zu den Wiederaufbauhilfen, für psychosoziale Betreuung, sie finanzieren mobile Wohnungen, unterstützen Vereine und zahlen Einzelfallhilfen aus. Auch zwei Jahre nach der Flut würden diese Hilfsangebote weiter gebraucht.

Diskussionen um den Wiederaufbau

Beim Wiederaufbau sind sich viele einig, dass Wohngebäude, Brücken und Straßen so aufgebaut werden sollen, dass zukünftige Hochwasser- und Starkregenereignisse weniger Schäden anrichten. Das Forschungsprojekt KAHR, das den Wiederaufbau wissenschaftlich begleitet, hat hierzu zehn Empfehlungen ausgearbeitet. So sollen die Flüsse mehr Raum erhalten, die Wohnbebauung soll von den Ufern der Flüsse zurückweichen (Siedlungsrückzug).

Das werde jedoch nicht ausreichend umgesetzt, lautet die Kritik. Bis auf 34 Gebäude dürfen alle zerstörten Häuser an der Ahr wieder aufgebaut werden. Neu erstellte Überschwemmungskarte zeigen, dass große Teile der Gemeinden bereits bei kleineren Hochwasserereignissen überschwemmt werden. Solange ein Gebäude nicht komplett zerstört wurde, gilt jedoch Bestandsschutz. Dann darf auch ein Haus im Überschwemmungsgebiet wieder saniert und aufgebaut werden.

Beim Interner Link: Wiederaufbau stoßen verschiedene Interessen aufeinander. Dabei geht es zum Beispiel um die Frage, ob Denkmalschutz oder Hochwasserschutz wichtiger ist. In der Gemeinde Rech wurde zwei Jahre gestritten, ob die 300 Jahre alte Nepomukbrücke abgerissen werden muss, weil ihre Rundbögen den Abfluss bei Hochwasser blockieren könnten. Nach mehreren Gutachten hat der Gemeinderat im Juni dieses Jahres beschlossen, die beschädigte Brücke abzureißen.

Flut hat Auswirkungen auf psychische Gesundheit

Die Schäden durch die Flutkatastrophe sind zwei Jahre später nicht nur an der Infrastruktur sichtbar. Die Erlebnisse haben auch Auswirkungen auf die Gesundheit der Bevölkerung. Geldsorgen, der Verlust des eigenen Wohnraums, der Tod von Angehörigen, Freunden und Nachbarn oder eigene Todesangst während der Flutnacht belasten Kinder und Erwachsene noch heute. An einer Umfrage im Rahmen des mit Bundesmitteln geförderten KAHR-Projekts nahmen 516 Haushalte aus dem besonders betroffenen Landkreis Ahrweiler teil. Gut 42 Prozent der Befragten gaben ein Jahr nach der Flut an, dass das Ereignis sie immer noch sehr stark oder stark belaste. Und 28 Prozent der Befragten zeigten damals Anzeichen einer posttraumatischen Belastungsstörung – in der Gesamtbevölkerung der Bundesrepublik waren es zum Befragungszeitpunkt dagegen nur 1,5 Prozent, auf die dies zutraf.

Politische Aufarbeitung der Flut

Auf politischer Ebene wurde sowohl in Rheinland-Pfalz als auch in Nordrhein-Westfalen die Frage diskutiert, ob ein besseres Katastrophenmanagement Menschenleben hätte retten können. Kurz nach der Flut geriet der inzwischen zurückgetretene Landrat des Kreises Ahrweiler in die Kritik. Er soll die Bevölkerung zu spät gewarnt haben, sodass Evakuierungen nicht mehr möglich waren. Derzeit ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen ihn wegen fahrlässiger Tötung und Körperverletzung im Amt durch Unterlassen.

Im Keller der Kreisverwaltung Ahrweiler arbeitete die Technische Einsatzleitung während der Flut. Im Mai 2022 besichtigte der Untersuchungsausschuss des Landtages Rheinland-Pfalz die Kellerräume. (© picture-alliance/dpa, Thomas Frey)

In beiden Bundesländern richteten die Landtage Interner Link: Untersuchungsausschüsse ein, um die Ereignisse der Fluttage zu rekonstruieren. Die dort gewonnenen Einsichten führten zu mehreren Rücktritten. Im April 2022 trat die damalige Bundesfamilienministerin Anne Spiegel (GRÜNE) zurück. Als rheinland-pfälzische Umweltministerin hatte sie zehn Tage nach der Flut vier Wochen lang fast ununterbrochen Urlaub in Frankreich gemacht. Die nordrhein-westfälische Umweltministerin Ursula Heinen-Esser (CDU) musste zurücktreten, nachdem sie wenige Tage nach dem Hochwasser mit anderen Regierungsmitgliedern auf Mallorca einen Geburtstag gefeiert hatte. Der rheinland-pfälzische Innenminister Roger Lewentz (SPD) trat im Oktober 2022 zurück. Auslöser war eine Diskussion um die Frage, wie detailliert Lewentz über das Ausmaß der Flut in der Nacht Bescheid wusste.

Verbesserungen im Katastrophenschutz als Konsequenz

Als Reaktion auf die Flutkatastrophe wird in Deutschland der Interner Link: Bevölkerungsschutz verändert. Im Juni 2022 richteten Bund und Länder ein Kompetenzzentrum ein, das den Informationsaustausch verbessern und im Katastrophenfall Krisenstäbe vor Ort unterstützen soll. Außerdem sollen die Warnsysteme ausgeweitet werden. Seit Februar dieses Jahres ist das Handy-Warnsystem Cell Broadcast deutschlandweit verfügbar. Im Ernstfall erhalten alle Handys, die in den betroffenen Funkzellen registriert sind, einen Warntext und spielen einen schrillen Ton ab. Zudem sollen fest installierte Sirenen modernisiert und ausgebaut werden.

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