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Hochwasservorsorge in Deutschland | Hintergrund aktuell | bpb.de

Hochwasservorsorge in Deutschland Interview mit Prof. Dr. Christian Kuhlicke

Prof. Dr. Christian Kuhlicke

/ 6 Minuten zu lesen

Um den Jahreswechsel 2023/2024 standen große Teile Deutschlands unter Wasser. Laut Prof. Dr. Christian Kuhlicke müsste die Hochwasservorsorge systematisch vorangebracht werden.

Mitte Dezember 2023 bauten Feuerwehrleute in Koblenz eine mobile Hochwasserschutzwand auf. Sie verhinderte, dass der Rhein das Ufer überschwemmt. (© picture-alliance/dpa)

bpb.de: Müssen wir uns auf Hochwasser wie in Nord- und Mitteldeutschland vermehrt einstellen?

Christian Kuhlicke: Hochwasserereignisse wie das zum Jahreswechsel werden in Zukunft mit hoher Wahrscheinlichkeit zunehmen – und zwar im Wechsel mit starker Trockenheit. Wir beobachten, dass bestimmte Wetterlagen über einen längeren Zeitraum als früher über Mitteleuropa verweilen. Bei dem aktuellen Hochwasser haben die langen Niederschläge dazu geführt, dass die Landschaft den Niederschlag nicht mehr aufnehmen konnte. Im Prinzip sind Winterhochwasser jedoch relativ gängige Phänomene in Mitteleuropa.

Hat sich der Hochwasserschutz in den letzten Jahren verbessert?

Ein wesentlicher Erfolg der letzten 20 Jahre ist, dass man deutlicher kommuniziert: Ein vollkommener Schutz ist nicht möglich. Es ist eine Fehlannahme, dass man sich vor Hochwasser schützen kann. Ein solcher Schutz wäre nur mit extrem hohen Deichen möglich, was sehr teuer und technisch teilweise nicht umsetzbar wäre. Es ist daher angebrachter, von Vorsorge zu sprechen.

Hochwasservorsorge ist vor allem Aufgabe der Länder beziehungsweise der Kommunen. Die Länder, die in den vergangenen Jahren sehr stark vom Hochwasser betroffen waren, haben ihren technischen Schutz seitdem deutlich verbessert. Das macht sich durchaus bezahlt. Das gilt vor allem für Sachsen, Sachsen-Anhalt und Teile Bayerns. Eine internationale Studie hat z.B. gezeigt, dass sich die hohen Investitionen in die Hochwasservorsorge in Sachsen nach dem Hochwasser 2002 bemerkbar gemacht haben. 2013 fielen die Schäden deutlich geringer aus, obwohl die Wasserstände durchaus vergleichbar waren. Auch in Sachsen-Anhalt wurde ein groß angelegtes Programm auf den Weg gebracht, um Deiche entlang der Elbe rückzuverlegen – das heißt, den Deich weiter entfernt vom Fluss zu bauen und dem Fluss so mehr Platz zu schaffen.

Wenn der technische Hochwasserschutz in der Vergangenheit verbessert wurde, dann vor allem an den großen Flüssen. Die kleinen Flüsse sind in kommunaler Verantwortung und da sind die Kommunen sehr unterschiedlich aufgestellt.

Verbesserungen wurden auch in der Kommunikation, insbesondere bei Warnungen, erzielt. Auf Bundesebene gibt es mittlerweile einExterner Link: Hochwasserinformationsportal, auf dem man die Pegelstände und die Warnstufen für Gesamtdeutschland einsehen kann.

Die größten Hochwasserereignisse der letzten Jahrzehnte

Dezember 1993, Rheinhochwasser: Nach ausgiebigem Niederschlag Anfang Dezember führte Starkregen vor Weihnachten vor allem am Mittelrhein zu extremem Hochwasser. Unter anderem die Altstädte von Koblenz und Köln wurden überschwemmt.

Januar 1995, Rheinhochwasser: Am Niederrhein war dies das stärkste Hochwasserereignis im 20. Jahrhundert. In den Niederlanden wurden 200.000 Menschen evakuiert, da Deichdurchbrüche befürchtet wurden. In Köln waren die Schäden trotz ähnlicher Pegelstände wie 1993 dank Vorsorgemaßnahmen geringer.

Juli 1997, Oderhochwasser: In Südpolen und Teilen Tschechiens fiel drei bis fünf Mal so viel Niederschlag wie im Juli üblich. Über 70 Menschen starben in den beiden Ländern. An der Oder in Deutschland mussten etwa 10.000 Menschen evakuiert werden.

August 2002, Hochwasser im Einzugsgebiet der Elbe: Am stärksten waren die Bundesländer Sachsen und Sachsen-Anhalt betroffen. Es gab über zwanzig Deichdurchbrüche und 21 Todesopfer. Die Deichdurchbrüche führten zu riesigen Überschwemmungsflächen.

Juni 2013, Hochwasser im Einzugsgebiet von Elbe und Donau: An den Flüssen Weiße Elster, Saale und teilweise an der Elbe erreichte das Hochwasser die höchsten bisher gemessenen Pegelstände. Drei Deichbrüche an Mulde, Saale und Elbe führten zu großen Überflutungsflächen. An der Donau brach ein Deich bei Deggendorf, in Passau wurde ein neuer Höchstpegel der Donau gemessen. Insgesamt verursachten die Hochwasser Schäden in Höhe von über 6,6 Milliarden Euro.

Juli 2021, Starkregenereignis in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen: In der Nacht vom 14. auf 15. Juli fielen in Teilen der zwei Bundesländer bis zu 150 Liter Regen pro Quadratmeter. Dies führte an Flüssen wie Interner Link: Ahr und Erft zu Hangrutschen und extremen Sturzfluten. Über 180 Menschen starben in den beiden Bundesländern. Der finanzielle Interner Link: Schaden wird auf 40 Milliarden Euro geschätzt.

Was waren wichtige gesetzliche Veränderungen?

Besonders wichtig ist, dass Gefährdungen inzwischen systematisch kartiert werden müssen: Welche Bereiche sind besonders anfällig für Hochwasser? Das ist die Grundlage, um zu wissen, wo verstärkt hingeschaut werden muss. Ich würde sagen, das ist ein wesentlicher Schritt. Festgelegt wurde das mit der Europäischen Hochwasserrisikomanagement-Richtlinie 2007. An den großen Flüssen wurde die Kartierung für Hochwasser bereits umgesetzt. Auch die Kartierung für Starkregen beginnt nun in den Ländern. Die Kartierung von Überschwemmungen durch Starkregen ist allerdings deutlich komplizierter, da sie eben fast überall auftreten können und nicht an Flüsse gebunden sind. Auch hier soll festgehalten werden, welche Gebiete besonders gefährdet sind, damit die Vorsorge gestärkt werden kann.

Das Externer Link: Klimaanpassungsgesetz, das im November 2023 von der aktuellen Bundesregierung beschlossen wurde, ist ebenfalls ein wichtiger Baustein. Politik und Gesellschaft werden sich dadurch stärker als bisher Gedanken machen müssen: Was sind messbare Ziele, die im Bereich der Anpassung auf lokaler Ebene erreicht werden sollen? Welchen Risiken sehen sich Kommunen und Länder ausgesetzt und mit welchen vorsorgenden Maßnahmen können diese verringert werden? Hochwasservorsorge soll also in den weiteren Kontext des Klimawandels gestellt werden.

Wo besteht noch Handlungsbedarf?

In Deutschland besteht das grundsätzliche Problem, dass die Belange der Hochwasservorsorge relativ leicht ignoriert werden können, weil es teils Ausnahmeregelungen gibt. Nur der technische Hochwasserschutz wie zum Beispiel der Bau von Deichen wird einigermaßen konsequent verfolgt und umgesetzt. Dazu gibt es drei weitere Bereiche, die für die Hochwasservorsorge von großer Bedeutung sind.

Erstens sollte so viel Niederschlag wie möglich im Boden zurückgehalten werden, sodass das Wasser erst gar nicht in kleine Flüsse und später in größere Flüsse hineinfließt. Doch die sogenannte Schwammfähigkeit – also die Aufnahme von Wasser beispielsweise in Flussauen oder Waldlandschaften – ist kompliziert umzusetzen. Denn hier muss etwa mit Waldeigentümern oder Landwirten über die Wiedervernässung von Mooren oder Feuchtwiesen verhandelt werden.

Zweitens sollte den Flüssen möglichst viel Raum gegeben werden, damit sie sich ausbreiten können. Hierzu können zum Beispiel Deiche zurückverlegt oder Auen, also natürliche Überflutungsflächen, geschaffen werden.

Drittens, und das ist ein wesentlicher Punkt, sollte die sogenannte Exposition verringert werden – also Gebäude, Straßen oder andere Infrastruktur sollten aus stark gefährdeten Bereichen ausgelagert werden. Hierbei geht es um Rückbau. Diese Exposition zurückzunehmen oder gar nicht erst zuzulassen, ist im Externer Link: Wasserhaushaltsgesetz vorgesehen. In stark hochwassergefährdeten Gebieten sollte nicht gebaut werden. Es gibt aber Ausnahmen im Gesetz und im Prinzip kann jede Kommune sich auf diese Ausnahmen berufen. Das Problem ist, dass diese drei Bereiche nicht systematisch angegangen werden. Gemeinsam mit anderen Forschenden aus ganz Deutschland haben wir kurz nach dem Hochwasser 2021 den wesentlichen Handlungsbedarf in Deutschland aufgezeigt. Andere Länder in Europa wie beispielsweise die Niederlande sind da weiter als Deutschland.

Was haben die Niederlande besser gemacht?

Nach den großen Rheinhochwassern 1993 und 1995 haben die Niederlande realisiert, dass sie die gesamte Hochwasservorsorge umorganisieren müssen. Dabei hatten sie ein ganz klares Ziel: Sicherheit sollte die oberste Priorität im Land haben. Zur zweiten Priorität erklärte das Land, die Lebensqualität der niederländischen Bevölkerung zu verbessern. Und beides wurde in der Kommunikation mit den Bürgern miteinander verbunden. Diese Kommunikationsstrategie war wichtig, um die Bevölkerung mit ihren Sorgen einzubinden und für die Maßnahmen zu gewinnen. In Deutschland wurde lange Zeit auf eine andere Strategie gesetzt: Wenn es zum Beispiel um Deichrückverlegungen ging, wurde das Hauptaugenmerk auf den Raum für die Flüsse gelegt – also die Natur in den Vordergrund gestellt. Besser wäre es, zu betonen, dass die Rückverlegung vor allem zur Sicherheit der Bevölkerung geschieht und das nebenbei auch Vorteile für die Natur birgt, das zeigen auch unsere Befragungen. Denn für viele Menschen ist es zweitrangig, ob der Fluss mehr Raum hat oder nicht. Anders ist das, wenn es um die Sicherheit der Bewohnerinnen und Bewohner geht. Dann stimmen viele einem Umbau eher zu.

Die Niederländer waren da konsequent und haben in zehn Jahren das gesamte Land umgebaut. Das Land hat beispielsweise mehr Raum für die Flüsse bereitgestellt, sie haben entsiegelt, also Flächen geschaffen, auf denen Wasser versickern kann und Gebäude zurückgebaut. Außerdem haben sie große landwirtschaftliche Flächen umgewidmet. Sie waren in der Umsetzung radikaler, als die deutsche Politik es bislang war. In den Niederlanden war allerdings auch der Problemdruck deutlich höher, da große Teile des Landes unter dem Meeresspiegel liegen und bei einem Hochwasser überschwemmt würden.

Neben der öffentlichen Vorsorge gibt es auch die private Hochwasservorsorge. Was liegt in der Verantwortung jedes Einzelnen?

Der Paragraf 5 im Wasserhaushaltsgesetz hält fest: Im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren ist jede Privatperson angehalten, Hochwasservorsorge zu betreiben. Ich würde den Paragrafen eher als Appell bezeichnen, weil er praktisch keine Konsequenzen zur Folge hat, wenn er nicht umgesetzt wird. Die meisten Menschen fühlen sich nicht verantwortlich für ihre private Vorsorge. Doch da bewegt sich etwas: Wir haben in letzter Zeit einige Befragungen durchgeführt, die zeigen, dass sich das ändert. Je häufiger Menschen von einem Hochwasser oder von Starkregenereignissen betroffen sind, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie sich selbst um ihre Vorsorge kümmern.

Wie funktioniert die private Hochwasservorsorge?

In drei Bereichen können Privatpersonen vorsorgen, um bei einem Hochwasser besser geschützt zu sein.

Verhaltensvorsorge: Hierbei geht es zunächst um das generelle Wissen, wie es um die Gefährdungslage der eigenen Wohnung oder des Hauses steht. Außerdem sollten Menschen im Hochwasserfall wissen, wo sich wichtige Dinge wie Ausweise oder Medikamente befinden. Auch gehört dazu, einen Überblick zu haben, welche Nachbarn Unterstützung brauchen könnten oder wo Sandsäcke zu finden sind.

Versicherung: Schäden durch Hochwasser oder Starkregenereignisse werden von der Elementarschadenversicherung abgedeckt. Rund die Hälfte der Gebäude in Deutschland ist nach einer Schätzung des Gesamtverbands der Versicherer gegen Elementarschäden versichert. Für Gebäude, die stark gefährdet sind, ist es jedoch schwierig, eine Versicherung abzuschließen. Denn über die Aufnahme entscheidet die Versicherung.

Bauvorsorge: Dieser Bereich bezieht sich auf Baumaßnahmen am Haus. Möglich sind wasserdichte Türen und Fenster oder mit einer Wanne den Keller abzudichten. Rückstauklappen können verhindern, dass über Rohre Wasser von außen ins Haus gedrückt wird.

Wer zahlt bei Hochwasserschäden?

Die Betroffenen müssen selbst für ihre Schäden aufkommen. Wenn man eine Versicherung abgeschlossen hat, dann übernimmt in der Regel die Versicherung. Bei großen Ereignissen gibt es häufig öffentliche Zuschüsse. Die Entwicklung dieser öffentlichen Zuschüsse ist durchaus interessant. Bei den Rhein-Hochwassern 1993 und 1995 war das ein Millionenbetrag, der übernommen wurde. Die Hilfen sind dann bei den Hochwassern 2002 und 2013 an Donau und Elbe ausgeweitet worden. 2021 waren wir mittlerweile bei 30 Milliarden Euro, die durch die Steuerzahler bereitgestellt werden.

Hierbei kommt es zu der Ungerechtigkeit, dass man ein großes Ereignis braucht, damit diese Aufbauhilfen beschlossen werden. Wenn man von einem lokalen, kleinen Ereignis betroffen ist, das für den Einzelnen genauso großen Schaden bringen kann, steht man meist allein da.

Wie könnte der Wiederaufbau stattdessen finanziert werden?

Statt punktueller Wiederaufbauhilfen wäre es sinnvoller, eine Umlage auf alle Hauseigentümer einzuführen – also eine kollektive Elementarschadenversicherung. Dann wäre jeder bei einem Schaden versichert. Starkregenereignisse können fast überall auftreten. Wir sollten uns daher als Gesellschaft von dem Bild lösen, dass nur die Menschen an Flüssen davon profitieren würden.

Das Gespräch führte Isabel Röder am 12.01.2024 für bpb.de.

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Prof. Dr. Christian Kuhlicke ist Diplom-Geograph. Am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Leipzig leitet er das Departement für Stadt- und Umweltsoziologie. Außerdem ist er Professor für Umweltrisiken und Nachhaltigkeit an der Universität Potsdam. Er forscht zur Wahrnehmung von Umweltrisiken und Extremereignissen.