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Bewundern, leugnen, abstreiten – wie steht die Szene zum NSU? | Rechtsextremismus | bpb.de

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Bewundern, leugnen, abstreiten – wie steht die Szene zum NSU?

Johannes Radke

/ 9 Minuten zu lesen

Die Frage, was vom NSU und seinen Taten zu halten sei, spaltet die deutschen Rechtsextremisten. Die Reaktionen reichen von Bewunderung bis Ablehnung. Manche glauben an einen Komplott der Sicherheitsbehörden. Nur in einer Hinsicht sind sich die extrem Rechten einig: Sie haben kein Mitgefühl für die Opfer des NSU.

Es war ein makabres Bild, als im Januar 2012, nur wenige Monate nach dem Auffliegen des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU), knapp hundert Neonazis durch München zogen. Aus dem Lautsprecherwagen tönte erst Rechtsrock – und dann die Melodie von "Paulchen Panther", der Zeichentrickfigur, die von Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe für ihr grausiges Bekennervideo benutzt worden war. Die Botschaft war klar: Hier drückten Rechte dem NSU gegenüber Bewunderung für die brutalen Morde aus. Die Polizei stoppte den Aufzug. Stadtrat Marian Offman (CSU) nannte den Vorgang eine "unglaubliche Provokation". Die Grünen sprachen von "Verhöhnung der Opfer und Unterstützung der Mörder". Die Staatsanwaltschaft ermittelte wegen "Belohnung und Billigung von Straftaten". Ein Jahr später wurden zwei Angeklagte freigesprochen. Das Gericht befand, es ließe sich kein Straftatbestand nachweisen. Bis heute feixt man in der Szene über die Aktion.

Solch positive Bezüge auf den NSU sind unter militanten Neonazis keine Seltenheit, doch es gibt auch ganz andere Reaktionen in der Szene. Während die Gewaltbereiten unverhohlen die rassistischen Mordtaten verherrlichen, ist eine weit größere Gruppe davon überzeugt, es handele sich beim NSU um eine "von Geheimdiensten gesteuerte Inszenierung" – mit dem Ziel, der Bewegung zu schaden. Daneben gibt es noch eine dritte, die mit Abstand kleinste Fraktion: Sie steht den Mordtaten eher ablehnend gegenüber. Terrorismus hält sie für politisch kontraproduktiv und abschreckend für die breiten Massen, die man ja gewinnen will. In einer Hinsicht sind sich die extrem Rechten einig: Sie haben weder Mitleid noch Mitgefühl für die Opfer des NSU, sie verleumden die Ermordeten als "kriminelle Ausländer" oder verhöhnen sie gar als "Döner-Brater". Die Frage jedoch, was vom NSU und seinen Taten zu halten sei, spaltet die deutschen Rechtsextremisten.

Die Bewunderer

Offene Sympathiebekundung: Mit einem Hakenkreuz und dem Schriftzug NSU ist am Montag (06.08.2012) eine Skulptur vor dem Kiliansdom von Würzburg (Unterfranken) besprüht. (© picture-alliance/dpa)

Da wären zum einen die Bewunderer. Auf den Websiten militanter Rechtsextremer taucht immer wieder der Rosarote Panther auf - eine unverhohlene Anspielung auf die NSU-Bekennervideos, mit der zweifelsohne eine Anerkennung für die Morde zum Ausdruck gebracht werden soll. Auf den meisten Bildern lächelt der Panther, auf manchen posiert er mit Pistole oder mit einer Mehrlader-Flinte, einer sogenannten Pumpgun, wie sie Mundlos und Böhnhardt benutzten. Als im Februar 2012 eine bundesweite Schweigeminute für die NSU-Opfer stattfand, schrieb eine militante Kameradschaft aus Hamburg auf ihrer Webseite: "Trauer um verstorbene Ausländer? Nicht mit uns!" Eine rechtsextreme Berliner Kleidungsmarke druckte T-Shirts mit dem Slogan "Killer-Döner nach Thüringer Art". Auf rechtsextremen Konzerten registrierte der Verfassungsschutz NSU-Rufe aus dem Publikum.

Einen guten Einblick, wie der NSU-Prozess von der Szene rezipiert wird, gibt der anonyme Twitter-Account "NSUisFake". Auch hier taucht Paulchen Panther als Profilname und User-Bild auf. "Das Suchen und Erfinden von Beweisen gegen Zschäpe im NSU- Schauprozess geht heute weiter", kommentiert der Betreiber den Prozessauftakt. Ein paar Tweets später folgen Textzeilen eines verbotenen Liedes der Hitlerjugend. Geradezu schizophren wirkt das Abstreiten der NSU-Morde, um die Terrorgruppe im nächsten Moment wieder zu feiern und als Drohkulisse zu benutzen. Ein Tweet an den Vorsitzenden des NSU-Untersuchungsausschusses, Sebastian Edathy (SPD), lautet: "NSU is watching you!"

Noch eindeutiger geht es in deutschen Gefängnissen zu. Wie die Berliner Zeitung aufdeckte, klebten rechtsextreme Häftlinge in sächsischen Haftanstalten an ihre Zellenwände Porträtfotos von Böhnhardt und Mundlos. Der langjährige NPD-Kader und mutmaßliche NSU-Helfer Ralf Wohlleben wurde in der JVA Tonna (Thüringen) derart von seinen Mitgefangenen hofiert, dass die Behörden ihn aus Sicherheitsgründen nach Bayern verlegen ließen. Vom heimlichen Austausch von Kassibern - das sind verbotene, geheime, schriftliche Mitteilungen eines Gefangenen an einen anderen - bis hin zu Fluchtplänen war die Rede.

Aber nicht nur im Gefängnis, sondern auch außerhalb erfährt Wohlleben breite Unterstützung von seinen Gesinnungsgenossen, die ihn gern Wolle nennen. T-Shirts und Anstecker mit der Parole "Freiheit für Wolle!" gibt es inzwischen in Dutzenden Versandläden zu kaufen. Zahlreiche Solidaritätsbekundungen kursieren im Netz. "Er verlässt die Front nicht oder wechselt gar aus strategischen Gesichtspunkten die Seite", wird Wohllebens Aussageverweigerung auf der rechtsextremen Webseite Altermedia gelobt. "Wolle sitzt stellvertretend für all diejenigen in Haft, die sich nicht verbeugen, bis sie brechen", heißt es da.

Im Oktober 2012 steuerten 15 bundesweit bekannte Neonazibands Lieder für eine "Solidaritäts-CD" bei, deren Erlös Wohlleben zugute kommen soll. Neben Gruppen wie Blitzkrieg, Uwocaust und Alte Freunde und Ekzess ist auch Michael Regener mit seiner Band Die LunikoffVerschwörung zu hören. Regener war früher Sänger der als kriminelle Vereinigung verbotenen Rechtsrockgruppe Landser und genießt im Milieu Kultstatus. Auch im Gerichtssaal unterstützen bekannte Neonazis ihre "Kameraden" auf der Anklagebank. Im Zuschauerraum des NSU-Prozesses sitzen regelmäßig rechtsextreme Aktivisten, darunter auch ein verurteilter Bombenbauer aus Aachen.

Weitaus weniger Unterstützung erfährt hingegen Beate Zschäpe. Das mag vor allem daran liegen, dass sie sich konsequent in Schweigen hüllt. Ihre politische Gesinnung stellt sie im Gegensatz zu Wohlleben nicht zur Schau. Aber es dürfte auch eine Rolle spielen, dass aus der neuen Generation von Rechtsextremen kaum noch jemand Zschäpe persönlich kennengelernt hat. Die "Kameraden" bleiben daher unschlüssig, ob man auf sie zugehen oder besser Abstand halten soll. Zu groß ist die Sorge, dass sie im Laufe des Prozesses doch noch aussagen könnte. Sie bleibt unberechenbar.

Unterstützung erhielt Zschäpe ausgerechnet vom rechtsextremen Massenmörder von Oslo, Anders Breivik. Er schrieb ihr im Winter 2012 einen langen Brief, in dem er die Rechtsterroristin als "Liebe Schwester Beate" ansprach. "Wenn klar wird, dass du tatsächlich eine militante Nationalistin bist", schrieb Breivik, habe sie die Chance zur "mutigen Heldin des nationalistischen Widerstands" zu werden, "die alles getan und geopfert hat, um den Multikulturalismus und die Islamisierung Deutschlands zu stoppen". Die Sicherheitsbehörden beschlagnahmten den Brief, bevor er zugestellt wurde.

Die Verschwörungstheoretiker

Ein weiterer Brief an Zschäpe kam aus einer ganz anderen Richtung. Der ehemals linke Journalist Jürgen Elsässer, der sich mittlerweile in rechtslastigen Kreisen bewegt, schickte der Inhaftierten im Mai 2013 ein langes Schreiben. Er wähnt Zschäpe als Opfer eines Komplotts der Sicherheitsbehörden und sorgt sich um ihr Leben. "Ich habe Angst, dass Sie das Gefängnis nicht mehr lebend verlassen werden", schreibt er. "Reden Sie, solange Sie noch reden können. Nur wenn Sie auspacken über Ihre Hintermänner, Auftraggeber und Verführer, sind Sie einigermaßen geschützt", behauptet Elsässer. Er glaubt an eine Verschwörung wie aus einem Polit-Thriller, in der Zschäpe das Opfer einer Intrige geworden ist. Dass sie die Taten aus rechtsextremer Überzeugung begangen haben könnte, scheint für ihn nicht in Betracht zu kommen. Schließlich habe sie doch, so Elsässer, bei ihren Nachbarn in Zwickau den "Eindruck eines Engels" hinterlassen.

Das klingt bizarr, aber tatsächlich gibt es ein weit verzweigtes Netzwerk von Menschen, die ernsthaft solche und noch weit abstrusere Verschwörungstheorien zum NSU propagieren. Je mehr man im Netz sucht und je länger die Diskussionsstränge werden, desto mehr verlieren sich die Kommentatoren in immer unverständlicheren Theorien. Von "Mafiabanden" und verdeckten Geheimdienstoperationen wird da schwadroniert, vom "NSU-Phantom" oder "NSU-Märchen" ist die Rede. Die Unterstützungsgelder der Bundesregierung für die Angehörigen der Toten werden als "BRD-Schuldkult" bezeichnet, die Erschossenen als "sogenannte türkische Opfer". Verantwortlich gemacht für die Morde wird wahlweise der Bundesnachrichtendienst, die CIA, der Mossad oder alle zusammen. "Das Übliche. Die Judenmafia! Die Juden mischen überall nicht nur mit, sondern sind die Drahtzieher", schreibt ein User auf Altermedia.

Akribisch werden in zahlreichen Blogs vermeintliche und tatsächliche Ungereimtheiten bei den NSU-Ermittlungen gesammelt. Im Januar 2012 prangte auf dem Cover der rechtsextremen Zeitschrift Zuerst! der Titel "Bestellter Terror – Wem nützt die ‚rechte Gewalt‘?" Häufig werden Nachrichten aus seriösen Medien, die sich später als falsch herausgestellt haben, als Belege angeführt. Eine spätere Korrekturmeldung desselben Mediums wird wiederum als Beweis für die angebliche Macht der Geheimdienste über die Presselandschaft gesehen. Dadurch bestätigt sich die eigene Verschwörungstheorie immer wieder aufs Neue.

Die Kritiker

Nach dem Bekanntwerden des NSU war allen voran die NPD eiligst bemüht, sich von den Morden öffentlich zu distanzieren. Von "abstoßenden Taten des Kriminellen-Trios Uwe M., Uwe B. und Beate Z. aus Zwickau" sprach die sächsische NPD-Fraktion. Es sei klar, dass die NPD "Terrorismus und Gewalt jedweder politischen Richtung ablehnt und aufs Schärfste verurteilt".

"Wer angesichts dieser Bestialität auch nur ansatzweise auf die Idee kommt, dies könne im Sinne meiner Partei und meiner Fraktion sein, ist entweder unzurechnungsfähig oder agiert aus durchsichtigem politischen Interesse", sagte NPD-Chef Holger Apfel. Seine Partei sah er als Opfer einer geplanten Kampagne. Den NSU bezeichnete Apfel als "Popanz" und gab sich überzeugt davon, dass "die Verfassungsschutzämter in nicht unerheblichem Maß in den Fall involviert" seien. Nach der Festnahme des ehemaligen NPD-Politikers Wohlleben beteiligte sich die Partei nicht an den Solidaritätskampagnen, sondern distanzierte sich erneut. Man habe von etwaigen Verbindungen Wohllebens zum NSU nichts gewusst, und schließlich sei dieser seit 2010 kein Parteimitglied mehr. Bei den militanten Kameradschaften sorgte diese Abgrenzung für scharfe Kritik.

Wie ernst es der NPD mit ihren Distanzierungsversuchen tatsächlich ist, kann man nur schwer abschätzen. Ganz sicher passen mordende und bombende Neonazis nicht in das Konzept von Apfels Kurs einer "seriösen Radikalität" – den Normalbürger, den die NPD gern erreichen möchte, schrecken offene Gewalttaten ab. Auch die Angst, neue Argumente für ein NPD-Verbot zu liefern, spielt sicherlich eine Rolle.

Das Verhalten der NPD mag Opportunismus sein, sie mag die gezielten Morde tatsächlich ablehnen. Klar ist aber auch, dass sich die Partei von den vielen verurteilten Gewalttätern in den eigenen Reihen nie ernsthaft distanziert hat und viele NPD-Mitglieder offensichtlich klammheimliche Freude über die NSU-Morde empfinden. Ende 2011 fand sich beispielsweise auf der Facebook-Seite des damaligen stellvertretenden NPD-Kreisvorsitzenden Rainer Biller aus Nürnberg der Eintrag: "Tod dem Döner, es lebe die Nürnberger Bratwurst." Ebenfalls eingestellt war ein Bild der Imbissbude von Ismail Yasar, der von den Rechtsterroristen des NSU ermordet worden war. Unter dem Bild stand: "Wenn wir Glück haben, verschwinden erst die Dönerbuden und dann der Rest der Mischpoke." Nachdem die SPD Anzeige erstattet hatte, schloss die NPD Biller aus der Partei aus.

Und dennoch: In großen Teilen der neuen Rechten stoßen die Taten des NSU eher auf Ablehnung. Rassismus als Motiv für eine grausame Mordserie passt nicht in das Bild des sauberen, ordnungsbewussten Rechten. Entsprechend versucht man, die Taten zu entpolitisieren. Die rechts-konservative Junge Freiheit nennt Mundlos und Böhnhardt in einem Artikel nicht Neonazis, sondern "kaltblütige Schwerkriminelle", die "zu Lebzeiten keine politische Botschaft mit ihren Taten verbunden haben". Mit den Tätern will man nichts zu tun haben, Mitleid für die Opfer sucht man aber trotzdem vergebens. Von „sogenannten NSU-Opfern“ sprechen die Betreiber des rechtspopulistischen Blogs PI-News.de. Als "Sühnedenkmäler für Einheimische" werden die Gedenksteine für die Ermordeten bezeichnet. "Das NSU-Theater", so ein User-Kommentar, "dient eben der Pflege des Schuldbewusstseins der Deutschen."

Die Szene bleibt gewaltbereit

Dass die Aufdeckung des NSU und die folgenden Ermittlungen die Szene keineswegs eingeschüchtert haben, zeigte sich besonders deutlich zu Beginn des NSU-Prozesses in München. Kurz vor dem ersten Verhandlungstag wurden in einem Büro des Münchner Flüchtlingsrats die Scheiben eingeworfen. Nach dem Prozessauftakt folgten acht weitere nächtliche Angriffe auf Wohnprojekte und Büros von Anti-Nazi-Initiativen. Mal flogen Steine, mal waren es Farbbeutel. Die Kanzlei der Anwältin der Witwe eines NSU-Opfers wurde mit Fäkalien beschmiert. Erst als die Polizei drei junge Rechtsextreme auf frischer Tat ertappte, endete die Anschlagsserie. Im selben Zeitraum nahm die Polizei im niedersächsischen Düren eine Anzeige auf. Unbekannte hatten in der Nacht das Gebäude der islamischen Gemeinde in der Josephstraße mit Parolen beschmiert: "NSU lebt weiter – und ihr werdet die nächsten Opfer sein!"

Die Sicherheitsbehörden nehmen solche Drohungen durchaus ernst. Die Gewaltbereitschaft des rechtsextremen Spektrums hat seit der NSU-Enttarnung nicht ab-, sondern zugenommen. Im Verfassungsschutzbericht 2012 wird explizit vor potenziellen NSU-Nachahmern gewarnt.

ist freier Journalist mit dem Themenschwerpunkt Rechtsextremismus und Jugendkultur. Er betreut für ZEIT-Online seit Juli 2009 den Störungsmelder. Gemeinsam mit Toralf Staud hat er das ZEIT-Portal "Netz gegen Nazis" gestartet und an dem "Buch gegen Nazis" mitgeschrieben.