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"Es gab eine strikte Abgrenzung: Wir sind die Besseren" | Rechtsextremismus | bpb.de

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"Es gab eine strikte Abgrenzung: Wir sind die Besseren" Erinnerungen von Magnus, einem jungen Aussteiger

Claudia Hempel Protokolliert von Claudia Hempel

/ 14 Minuten zu lesen

"Es gibt nur einen Gott und das ist Adolf Hitler". So ist ein Bericht von "Magnus" aus dem thüringischen Schleusingen überschrieben, einem Aussteiger, den die Dresdener Journalistin Claudia Hempel für ihr jüngstes Buch "Wenn Kinder rechtsextrem werden. Mütter erzählen." befragt hat. Magnus schildert sehr lehrreich, wie sein rechtes Weltbild als Mitläufer entstand - und sich schlagartig wieder wandelte.

Sächsische Neonazis in Dresden im Februar 2008. (© MUT/Schwarzmann)

Magnus kommt gerade von der Arbeit. Es stimmt, was sein Vater erzählt hat: Er macht einen sehr freundlichen und charmanten Eindruck. Mittlerweile sind seine Haare gefärbt, die Nase ist gepierct und es fällt mir ausgesprochen schwer, mir hinter diesem sanften Jüngling einen Rechtsradikalen vorzustellen.

Ich muss ehrlich sein, trotz all der schlechten Dinge, die passiert sind, ist das eine Erfahrung, worüber ich froh bin, sie gemacht zu haben, weil ich jetzt besser hinter das Ganze blicke. Sicherlich durchschaue ich nicht alle Strukturen, dazu war ich vielleicht zu wenig involviert. Aber ich weiß Dinge, die andere nicht wissen und das ist viel wert. Es fing damit an, dass ich in der Schule jemanden aus meinem Dorf näher kennen gelernt habe. Damals war ich vielleicht 11 oder 12. Wir haben uns öfter auch nachmittags getroffen und haben viel zusammen gemacht: Fußball gespielt, aber auch Geländespiele. Ich erinnere mich noch, wie wir mit Holzwaffen durch die Gegend liefen.

Das waren schon richtige Kriegsspiele, wenn man so will. Irgendwann wurde uns das aber zu langweilig. Da bekam mein Freund eine Playstation geschenkt. Doch die Spiele, die wir dort gespielt haben, waren noch brutaler. Natürlich habe ich das damals so nicht wahrgenommen. Wir haben halt Nachmittage, Abende und teilweise auch Nächte mit dieser Playstation verbracht. Mir war nicht klar, dass ich da jetzt irgendwo reinrutsche, bis ich, ja, bis ich dann andere Leute über diesen Freund kennen gelernt habe. Die waren irgendwie noch eine Spur härter drauf und sie haben uns oft zu Konzerten mitgenommen. Mit denen haben wir viel Zeit verbracht. Wir haben uns auch auf dem Schulhof regelmäßig getroffen, sie waren in höheren Klassen und ich war einfach froh, endlich eine Gruppe gefunden zu haben, zu der ich dazugehöre. Ich bin vorher nie aus meinem Dorf rausgekommen und hatte auch in meiner Klasse keine Freunde. Ich war der absolute Einzelgänger. Ich weiß nicht, warum, ich war halt anders und habe irgendwie nicht in das Schema der anderen gepasst. Der Großteil der Klasse hat mich einfach ignoriert. Nur ein paar Mädchen gab es, die haben mich ständig geärgert. Ich habe mich da nicht besonders wohl gefühlt.

Durch meinen Kumpel aus dem Dorf habe ich in meiner Klasse jemanden kennen gelernt, der auch so eine Meinung hatte und dadurch hatte ich plötzlich in meiner Klasse jemanden, mit dem ich regelmäßig Kontakt hatte. Ich fühlte mich einfach integriert. Die Alternative zu meiner Gruppe wäre gewesen, dass ich als Einzelgänger den ganzen Tag in meiner Bude gehockt hätte und darauf hatte ich einfach keinen Bock. Wir haben ja nun auch nicht ständig über Politik geredet, sondern wir haben auch zusammen Fußball gespielt. Aber klar, selbst beim Fußball spielen, ging es schon ab und an mal ins Politische. Mein Klassenkamerad hat öfter einen Katalog in die Schule mitgebracht und daraus haben wir uns CDs bestellt. Da gab es so zwei, drei Typen, die haben über diesen Katalog massenweise Zeug bestellt. Ich habe das immer an die Adresse meines Freundes schicken lassen. Er hat mich gefragt: ''Na, willst du auch was haben?'' Ich habe mir was ausgesucht und ihm das Geld gegeben.

Nach der Schule haben wir uns regelmäßig getroffen und Musik ausgetauscht. Und dann hat man mal einen Flyer in die Hand gedrückt bekommen und ein paar Aufkleber, das sammelte sich allmählich in meinem Zimmer. Ich habe aber alles von Anfang an versteckt. Denn mir war klar, dass meine Eltern darauf allergisch reagieren würden. Ich muss sagen, dass ich zwar viele Leute kennen gelernt, aber nicht so tief dringesteckt habe. Ich war nie der krasse Rechtsextreme, war nicht vollends verblendet. Sicher, am Anfang fand ich es schon ein bisschen komisch, wie alle rumgelaufen sind, so uniformiert, alle ganz gleich. Aber das hat später nicht mehr so die große Rolle gespielt, für mich waren es halt Leute, die für einen da waren, mit denen man auch reden konnte. Das war wichtig.

Ich habe irgendwann selbst versucht, mir die Haare zu schneiden. Das ging eigentlich so von meinem Klassenkameraden aus, er hat ein bisschen Druck gemacht. Ich hatte etwas längere Haare und da kam oft der Spruch: "Jetzt schneide dir doch endlich mal die Haare ab!" Das habe ich irgendwann getan, habe mir den Rasierapparat genommen, mich vor den Spiegel gestellt und mich rasiert. Das ist aber eigentlich gründlich in die Hose gegangen. Ich hatte am Hinterkopf ein paar kahle Stellen und hinter den Ohren waren die Haare noch büschelweise da. Das sah sehr lustig aus. Irgendjemand hat dann noch mal nachgeschnitten, damit ich nicht ganz so zerzaust rumlaufe.

Ich hatte dabei aber kein besonderes Gefühl. Es war halt jetzt nur kalt am Kopf, das war alles. Vielleicht hat man da gesehen, dass ich jetzt auch mit dazugehöre, aber ich hatte nie so den Kick, von wegen: Wow, jetzt hast du es geschafft. Der Druck von den Kumpels war einfach weg. Das war wohl der Haupteffekt.

Ich selbst habe mich überhaupt nicht als auffällig gesehen. Ich war der Meinung, ich renne ganz normal rum. Aber ich bin schon ab und an mal von Leuten angemacht worden, wegen meines Aussehens, also kann es vielleicht nicht ganz so harmlos gewesen sein. Irgendwie sahen aber alle so aus, mit denen ich etwas zu tun hatte. Da merkt man den Unterschied ab einem bestimmten Punkt nicht mehr. Wir haben ja auch viel zusammen gemacht, waren ständig zusammen. Wir haben auch gemeinsam Hilfsprojekte durchgeführt. Irgendwelche Typen hatten schon längere Zeit versucht, ein Haus zu kriegen und das sollte dann als Zentrum mit Wohnungen und Kneipe und Versammlungsräumen umgebaut werden. Ich habe da auch viel mitgeholfen, habe viel renoviert. Das durfte natürlich keiner erfahren, es durfte nicht an die Öffentlichkeit kommen, was mit diesem Haus passieren sollte. Man hat auch anderen geholfen – bei Umzügen oder beim Malern. Das fand ich einfach gut. Das war eine feste Größe, dass die Gruppe jemandem hilft.

In dieser Zeit habe ich wahrscheinlich am tiefsten mit dringesteckt. Ich war ständig dort. Und als ich dann den Typen näher kennen gelernt habe, der das Haus gekauft hatte, da bin ich regelmäßig mit zu den Konzerten gefahren. Er hatte viele Verbindungen und er hat sehr tief in der Szene dringesteckt. Ständig hat er mit irgendwelchen Leuten telefoniert und hat auch viele von diesen Konzerten mit organisiert. Er kannte halt Gott und die Welt. Aber man hat es ihm überhaupt nicht angesehen, dass er ein altbekannter Nazi ist. Auf den Konzerten waren immer viele Menschen. Es ist ja nun nicht so, dass diese Musik nur hohles Rumgegröle ist. Das waren meist Texte, die halt wirklich ins Ohr gehen und offensichtlich hat das gewirkt. Das waren immer so gemietete Säle, irgendwo im Eichsfeld oder in Hildburghausen. Es war auch eine gute Stimmung dort, zumindest solange die ersten noch nicht betrunken waren. Denn wenn das der Fall war, fingen meist Schlägereien an. Das war eigentlich immer so, ich habe kein Konzert ohne Schlägerei erlebt. Irgendeinen Grund gab es immer. Ich habe mich aber am Rand gehalten.

Die Gewalt in der Gruppe war schon hoch und sobald Alkohol floss, ging es auch los. Natürlich sind sie auch als Gruppe oft genug durch die Dörfer gezogen und haben Leute verprügelt, das hat man dann schon immer wieder gehört. Ich habe da aber nie mitgemacht. Doch erzählt wurde, dass es in B. einen Schwarzen gab, den sie zusammengeschlagen haben oder irgendwelche Linke auf dem Markt. Solche Geschichten konntest du ständig hören. Ich habe es aber nie miterlebt. Da bin ich auch nicht der Mensch dafür. Sobald ich gemerkt habe, dass sich etwas zusammenbraut, bin ich weg. Das ist einfach nicht meine Art, ständig Streit zu suchen. Klar, ab und zu auf den Konzerten, da gab es ein paar Rempeleien und dann wurdest du schnell angebrüllt, ob du Stress suchst. Aber da waren eben meine Freunde drum herum und die haben denjenigen, der da austicken wollte, gleich zurückgehalten. So ist mir nie etwas Ernsthaftes passiert. Die Kumpels haben einem einfach den Rücken frei gehalten. Klamotten und solches Zeugs habe ich nie selbst gehabt. Wenn wir auf Konzerte gefahren sind, habe ich die entsprechenden Sachen von Freunden geborgt gekriegt, so Springerstiefel mit weißen Schnürsenkeln, eine Bomberjacke und auch T-Shirts.

Die anderen, das waren halt auch Größen in der Szene, das waren Figuren zu denen ich aufgeschaut habe. Die waren bekannt, die waren cool, denen sind die Mädchen hinterhergelaufen. Da gab es einen, der saß auch schon zwei Jahre im Knast wegen schwerer Körperverletzung. Er war der King, den fanden alle richtig cool. Ich auch. Das war so ein Draufgängertyp. Er hatte etwas Unnahbares. Alle haben irgendwie zu ihm aufgeschaut und keiner hat sich getraut, etwas gegen ihn zu sagen. Ich wäre auch gern so gewesen. Solche Leute waren mein Vorbild.

Buchcover "Wenn Kinder rechtsextrem werden", aus dem dieses Kapitel stammt. (© H.Kulick)

Ich wollte auch immer so viele Leute kennen, wie die, doch andererseits bin ich bei den Konzerten zum Beispiel nie von meiner Gruppe weggegangen. Ich bin einfach zu introvertiert. Da bin ich wahrscheinlich an mir selbst gescheitert. Aber dieses Haus war der Dreh- und Angelpunkt der Szene. Dort war immer etwas los. Momentan ist das Haus ziemlich verlassen. Der Typ, dem das Haus gehört, war irgendwie plötzlich weg. Ich weiß nicht, was aus dem geworden ist. Ich sehe da auch ab und an ein Auto auf den Hof fahren, aber ich weiß nicht, wer das ist. Natürlich haben wir auch viel über Politik geredet. Sie haben versucht, mich aufzuklären, wie Deutschland früher war und haben mir erzählt, wie Deutschland besser werden könnte. Ich habe da zwar mehr oder weniger nur zugehört, also das war eher ein Monolog von der anderen Seite. Aber ich fand nicht alles dumm, was sie sagen. Ein Stückchen Wahrheit war halt immer mit dabei. Sie haben immer gesagt, wenn wir erst an der Macht sind, dann erhöhen wir das Kindergeld. Was willst du dagegen sagen, das klingt doch nicht schlecht.

Natürlich gab es auch Leute, die behauptet haben, Konzentrationslager hätte es nie gegeben, aber das hat mich nicht so interessiert. Ich habe halt gedacht, na ja, ist ja nun egal, ob es die gegeben hat oder nicht. Aber ich habe nie vollständig die Meinung angenommen, so wie sie es wahrscheinlich gern gehabt hätten. Es gab immer Dinge, an denen ich gezweifelt habe, die ich nicht richtig zu Ende gedacht fand. Sie haben auch gemerkt, dass ich skeptisch war und deshalb wollten sie mich ja auch auf ein Bildungswochenende schicken. Ich wäre eigentlich sehr gern auf diese Schulung gefahren, denn es hätte mich schon sehr interessiert, was sie dort zu sagen gehabt hätten. Aber das war ja schon die Zeit, wo mein Vater sehr energisch dagegen gearbeitet hat und ich durfte dort nicht hinfahren. Ich weiß zwar nicht mehr, wie er das geschafft hat, ich weiß nur, dass ich nicht mitgefahren bin.

Er hat mir ganz oft abends Standpauken gehalten, wo ich zwar nur mit einem halben Ohr hingehört habe, aber irgendetwas muss ja hängen geblieben sein. Der Stress, den mir mein Vater gemacht hat, war vielleicht an einem Punkt gut, denn ich habe manche Sachen nicht gemacht, weil ich einfach den Stress zu Hause nicht haben wollte. Das ist schon komisch, denn andererseits hat mich das, was mir meine Eltern da pausenlos erzählt haben, völlig kalt gelassen. Ich habe versucht, das einfach nicht an mich ranzulassen. Der Stress mit meinen Eltern fing eigentlich an, als sie irgendwelche Landserheftchen und NPD-Aufkleber bei mir gefunden haben. Seitdem habe ich fast jeden Abend Vorträge gekriegt. Irgendwann haben sie auch Punkte getroffen, die mich selbst berührt haben. Das waren Momente, wo ich einfach weg – also in mein Zimmer – gegangen bin. Sie wollten mir zum Beispiel verbieten, mich mit meinen Kumpels zu treffen, da habe ich für mich gesagt, jetzt reicht es, das muss ich mir nicht anhören und bin fort. Bin dann erst nachts irgendwann wiedergekommen.

Klar, meine Kumpels hatten auch ab und an Stress zu Hause, aber nicht weil sie Nazis waren, sondern weil sie eben mit Rauchen angefangen haben oder ihr Zimmer nicht aufgeräumt hatten. Ich habe die anderen beneidet, denn ich war der Einzige, der wegen dieses Nazikrams zu Hause Stress hatte. Na ja, und dann kamen eben noch ein paar andere Sachen dazu. Irgendwann stand ich mit meinem Kumpel so auf dem Schulhof rum und wir wollten rauchen. Dabei fiel uns auf, dass wir kein Geld für Zigaretten haben. Da gab es halt einen, der war so ein bisschen links angehaucht und den hatten wir ab und an mal auf dem Kieker. Mein Klassenkamerad hat dann zu mir gesagt: »Zieh den doch einfach mal zur Seite und flüstere ihm ins Ohr, dass er, wenn er nicht jeden Montag eine frische Schachtel Zigaretten für uns rausrückt, jedes Mal eine von uns auf die Schnauze kriegt.« Das habe ich auch gemacht und es verging keine halbe Stunde, da stand der Direktor vor unserem Klassenzimmer und hat mich rausgeholt. Ich habe mir da eigentlich gar nichts dabei gedacht. Das sollte nur lustig sein. Ganz alleine habe ich eigentlich nie etwas gemacht. Wir waren halt immer so ein Zweiergespann, das irgendwelche Ideen ausgebrütet hat. Am letzten Schultag gab es auch noch mal Zoff. Ich hatte in unserem Chemieraum was auf die Bank geritzt: ''Es gibt nur einen Gott und das ist Adolf Hitler.'' Da war mordsmäßiger Stress, als das aufflog. Wir saßen zu dritt auf der Bank, rechts mein Kumpel und links ein anderer Schüler. Der hat mich verpfiffen.

Die Konsequenz war, dass ich zu einem Gespräch mit meinem Klassenlehrer zitiert wurde. Aber das war nicht weiter tragisch. Er hat mehr oder weniger nur gesagt, dass ich das wieder in Ordnung bringen soll, weil es halt eine nagelneue Bank war. Aber inhaltlich hat er sich gar nicht geäußert. Ich glaube, das hing mit seiner eigenen Einstellung zusammen. So im Nachhinein unterstelle ich diesem Lehrer, dass er sogar positiv auf uns und unser rechtes Weltbild gewirkt hat. Er hat selbst oft auf die Ausländer und die Arbeitslosen geschimpft, das klang nicht viel anders, als das, was wir auch gemacht haben. Sein Unterricht war sowieso seltsam. Er hat meist erst einmal eine halbe Stunde gelabert und dann eine viertel Stunde Unterricht gemacht. Diese Ausfälle kamen immer in der ersten halben Stunde, wo er gelabert hat. Wir hatten Mathe und Chemie bei ihm. Er hat immer wieder zu uns gesagt, dass wir uns anstrengen sollen, sonst hätten wir keine Zukunft, weil die Ausländer uns alles wegnehmen und der Staat kaputt geht.

So ganz ernst haben wir ihn nicht genommen, aber eher als Lehrer nicht, weil er so wenig Unterricht gemacht hat. Wir haben einfach unsere Scherze mit ihm gemacht. Er hatte immer so einen weißen Laborkittel an und hat sich oft mit seinem Arm auf den Polylux gelehnt. Wir haben einen Klebestreifen schwarz und rot bemalt und da hatte er halt schwarz-weiß-rote Streifen an seinem Ärmel. Und doch habe ich mich irgendwann von der Szene distanziert. Das waren wohl zwei Punkte: die Freundin von meinem Kumpel und das Internat. Mit der Freundin meines Kumpels habe ich mich sehr gut verstanden. Manchmal, wenn wir allein waren, haben wir über ihn gesprochen und ich glaube, sie war es, die mir das erste Mal auch für seine negativen Seiten die Augen geöffnet hat. Als die beiden sich getrennt hatten, habe ich mich ab und an noch mal mit ihr getroffen und sie hat mir erzählt, was mein Kumpel so abgezogen hat und dass er sie auch geschlagen hat. In dem Moment dachte ich: Und das soll dein Freund sein? Das hat meinem Bild ihm gegenüber einen gehörigen Tritt verpasst. Damals war ich schon auf dem Internat und hatte auch andere Leute kennen gelernt.

Ich denke, das Internat hat mich verändert. Ich war mit einem Kiffer und einem Hip-Hopper auf dem Zimmer. Dort habe ich meinen ersten Joint geraucht und dort habe ich auch einfach andere Leute kennen gelernt. Das war irgendwie ein ganz anderes Klima. Da hat fast jeder gekifft und wir haben oft bei einem Tütchen zusammen gesessen und einfach gelabert. So etwas kannte ich vorher gar nicht. Manchmal haben wir einfach nur ruhig dagesessen und haben Musik gehört. Das war so ganz ruhig. Mit meinen Kumpels vorher, das war eher ein ständiges Diskutieren und diese Diskussionen verliefen oft sehr aggressiv und laut. Da war so ein Zwang dahinter. Ich weiß gar nicht, wie ich es beschreiben soll – da war ein unheimlicher Druck dahinter. Im Internat war es nun völlig anders.

Je länger man so in der Szene ist, desto mehr hat man auf die anderen Leute drum herum herabgeblickt. Da war so der Gedanke: Die anderen wissen nichts vom wahren Leben, die haben keinen Plan. Es gab da eine ganz deutliche Abgrenzung. Wir sind die Besseren. Das hat alle eingeschlossen, die gegen uns waren, auch meine Eltern. Ich habe damals auch versucht, meinen Bruder mit reinzuziehen, aber er hatte seinen eigenen Freundeskreis, das hat nicht geklappt. Ich habe ihn ein paar Mal mit zum Fußball genommen, aber er war einfach nicht anfällig dafür. Er hatte seinen Kumpel, auch aus unserem Dorf, mit dem er immer unterwegs war und als es dann nicht geklappt hatte, die beiden auf unsere Seite zu ziehen, waren sie in unseren Augen auch etwas Minderwertiges.

Ich habe meinen Kumpels aber nicht gezeigt, dass sich bei mir etwas verändert hat. Ich bin nur seltener mit ihnen zusammen gewesen. Sie haben das bis zum Ende wahrscheinlich nicht realisiert, dass ich mich von ihnen entfernt habe. Das Ende war eigentlich, als ich mir später noch einmal einen Iro habe schneiden lassen und sie mich damit gesehen haben. Ich stand da mit ein paar anderen auf dem Marktplatz rum und als die Nazis kamen, haben sie die anderen erstmal vollgepöbelt und irgendwann haben sie mich entdeckt. Und dann wurde ich richtig bedroht. Nur mein Kumpel aus Fischbach hat sich etwas zurückgehalten. Ich bin einfach abgehauen, sonst hätten sie mich verprügelt. Das waren ganz schön große Schränke, die da auf mich loswollten. Mit dem Stress, den mir meine Eltern gemacht haben, haben sie wahrscheinlich kaum etwas erreicht. Das ist völlig an mir abgeprallt. Eher diese Aktion, mich nach Taizé zu schicken, damit haben sie mehr bewirkt als mit ihren Tiraden.

Ich bin eigentlich nur mitgefahren, weil mein Bruder nicht alleine fahren wollte. Wir sind dann dort zu zweit hingefahren und das hat mein Weltbild völlig verändert. Ich meine, nach Taizé habe ich mich noch lange nicht von meinen Kumpels distanziert. Aber wahrscheinlich war das der Anfang vom Ende. Ich fand es wahnsinnig spannend zu sehen, wie so viele Menschen aus ganz verschiedenen Kulturen so friedlich zusammen leben können und vor allem, dass die Interesse an einem haben. Hier in Schleusingen ist man halt immer auf Ablehnung gestoßen, wenn man nicht gerade in irgendeiner Gruppe war. In Taizé war ich mehr oder weniger allein, aber ich habe mich nicht allein gefühlt. Das war eine völlig neue Erfahrung, dass man akzeptiert wird, so wie man ist.

Fussnoten

Claudia Hempel ist Journalistin in Dresden. Der Text ist ihrem soeben erschienenen Buch entnommen: "Wenn Kinder rechtsextrem werden. Mütter erzählen". (zu Klampen Verlag, Springe. 208 Seiten, Hardcover, Euro 12,80, ISBN 978-3-86674-021-1)