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Die Revolutionen von 1848/49 | Die Revolution von 1848/49 | bpb.de

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Die Revolutionen von 1848/49

Frank Lorenz Müller

/ 16 Minuten zu lesen

Die Ereignisse der Jahre 1848/49 waren folgenreich für die deutschen Staaten. Die mit der Revolution verbundene Hoffnung auf einen geeinten konstitutionellen Nationalstaat und die Erfahrung politischer Freiheit gingen in das kollektive Gedächtnis der Bevölkerung ein.

Gustav Adolph Rösler verkündet den Waffenstillstand in Frankfurt am 18. September 1848. Rösler (* 31. Oktober 1818 in Görlitz; † 13. August 1855 in Quincy) war Abgeordneter der Frankfurter Nationalversammlung. Holzstich, gezeichnet von Fritz Bergen (1857-1941) nach zeitgen. Darstellung. (© picture-alliance/akg)

Im Frühling des Jahres 1848 erfasste eine Welle revolutionärer Bewegungen die Staaten des Deutschen Bundes – wie auch große Teile Europas. Während der Erschütterungen, die bis zum Spätsommer des darauffolgenden Jahres andauern sollten, gerieten Throne ins Wanken. Verhasste Verbote wurden weggewischt, und ein genereller „Aufbruch zur Freiheit“ lag in der Luft. Das scheinbar plötzliche und vermeintlich unwiderstehliche Auflodern der revolutionären Flammen, das schwindelerregende Gefühl unbegrenzter Veränderungsmöglichkeiten und dann die ebenso rapide erfolgende obrigkeitliche Eindämmung der Revolutionen führten dazu, dass dieser knappe Zeitraum manchen Zeitgenossen als geradezu unwirklich erschien. Früh kam – gerade aus konservativer Sicht – für 1848/1849 der Begriff des „tollen Jahres“ auf: Zeitgenossen und spätere Betrachter vertraten den Gedanken, es habe sich hier um eine hitzige, die Regeln der Vernunft sprengende Entgleisung gehandelt. Der Versuch, die Ereignisse dieser gerafften revolutionären Epoche auf solche Art abzusondern und in ihrer Bedeutung zu relativieren, ist verständlich. Er führt jedoch in die Irre. Vielmehr waren die revolutionären Ereignisse im Deutschen Bund auf vielfache Weise mit den Strukturen und Vorgeschichten der deutschen Staaten und Gesellschaften in der Jahrhundertmitte verwoben. Sie bezeugten zudem, dass die deutschsprachige Mitte des Kontinents eng mit den weiteren Entwicklungen in Europa verbunden war.

Vorgeschichten

Die Epoche vor dem März 1848, ab dem sich das revolutionäre Geschehen wie ein Lauffeuer in den Staaten des Deutschen Bundes verbreitete, wurde rückblickend als „Vormärz“ bezeichnet. Daraus wird ersichtlich, wie eng die Stoßrichtungen und Akteure dieser Vorgänge mit den Spannungen und Anliegen der davorliegenden Epoche verklammert waren. Die Konflikte, die 1848 ausbrachen, zeichneten sich spätestens seit den frühen 1830er Jahren ab, waren aber in vieler Hinsicht schon seit der Zeit unmittelbar nach der Neuordnung Europas und der deutschen Staatenwelt auf dem Wiener Kongress von 1814/1815 erkennbar.

Zum einen ging es um die Verzögerung oder gar Verweigerung freiheitlicher politischer Hoffnungen und Erwartungen. Diese hatten sich unter dem Eindruck der Französischen Revolution, ihres von Napoleon angeführten militärischen Ausgreifens auf weite Teile Europas und Deutschlands und dann während des Kampfes gegen die französische Vorherrschaft entwickelt. Der Liberalismus spielte hier eine entscheidende Rolle: Diese politische Bewegung strebte vor allem durch die Abfassung geschriebener Verfassungen und gewählte repräsentative Parlamente eine Beschränkung obrigkeitlicher Macht an. So sollten individuelle Freiheitsrechte garantiert sowie eine Teilhabe des Volkes an der Gesetzgebung und am politischen Prozess gewährleistet werden. In einigen Staaten im Süden und der Mitte Deutschlands – Baden (1818), Bayern (1818), Württemberg (1819), Hessen-Darmstadt (1820) – wurden Verfassungsordnungen geschaffen und der monarchische Obrigkeitsstaat „konstitutionell“ eingehegt. Andernorts versandeten solche Reformen. In Braunschweig (1832) und Hannover (1833) erließen die Fürsten erst dann Verfassungen, als es infolge der französischen Juli-Revolution von 1830 bereits zu revolutionären Erschütterungen gekommen war.

Entscheidend war jedoch, dass sich die beiden deutschen Großmächte – das Königreich Preußen und der österreichische Kaiserstaat – einer solchen Entwicklung dezidiert verweigerten. Vielmehr standen sie, unter der Führung des österreichischen Staatskanzlers Metternich, für eine Politik der politischen Beharrung und der Unterdrückung liberaler oder radikal-demokratischer Strömungen. Für die zunehmend frustrierte, aber dennoch anwachsende oppositionelle liberale Bewegungspartei stand der monarchische Staat für Repression, Gängelei und Kompromissunfähigkeit. Die „Karlsbader Beschlüsse“ (1819), mit denen die sogenannten Demagogenverfolgungen von Oppositionellen durch staatliche Polizeibehörden begann, oder die Strafmaßnahmen, die der Deutsche Bund 1832 als Reaktion auf die freiheitliche Botschaft des Hambacher Festes ergriff, belegten diese Sicht. Die weit verbreitete öffentliche Heroisierung der sieben entlassenen Göttinger Professoren, die sich 1837 gegen den Widerruf der hannoverschen Verfassung verwehrt hatten, zeigte jedoch, dass sich der Wunsch nach liberaler Veränderung nicht mehr auslöschen ließ. 1848 sollte er die gegen ihn aufgerichteten Dämme durchbrechen.

Eng verbunden mit Hoffnungen auf mehr Freiheit war der Wunsch, der im Deutschen Bund lebenden Bevölkerung eine größere nationale Einheit zu verschaffen. Auch hier findet sich ein vielfach akzeptiertes Erbe der Französischen Revolution: die Überzeugung, dass die Nation die letztgültige Rechtfertigungsinstanz allen Regierungshandelns darstellt und dass Nationen über eigene Rechte und Interessen verfügen, die zu Freiheit und Fortschritt im Inneren sowie zu Macht nach Außen führen. Dagegen erschienen die im Deutschen Bund eher lose föderierten Monarchien wiederum als Hemmschuh. Aus Sicht der deutschen Nationalbewegung, die besonders nach 1840 stark anwuchs, betrogen sie mit ihrer Kleinstaaterei die deutsche Nation um die Früchte der nationalen Einheit.

So bedeutend diese politischen Strömungen auch waren, in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts blieben sie Elitenphänomene. Den Zehntausenden, die sich Liberalismus und Nationalismus auf die Banner geschrieben hatten, standen Millionen von Männern, Frauen und Kindern gegenüber, die in eine Armutskrise gerieten. Das Wachstum der vormärzlichen Wirtschaft im Deutschen Bund hinkte dem Anstieg der Bevölkerung hinterher. Angesichts des Überangebots an Arbeitskräften führte die relativ geringe Zahl neuer Erwerbstellen in der Landwirtschaft und in der sich nur langsam entwickelnden Industrie zu sinkenden Löhnen, Statusverlust und schlechteren Lebensbedingungen. Handwerkerexistenzen wurden zunehmend prekär; in agrarischen Räumen wuchs eine unterbeschäftigte Landarbeiterschicht heran, die in die Städte drängte. Unter dem Begriff des Pauperismus verfestigte sich eine Armuts- und Unterbeschäftigungskrise, die sich schließlich in Brotkrawallen entlud.

Als sich die Lage 1845-1847 aufgrund von Missernten, der Kartoffelfäule und einer zyklischen Wirtschaftskrise nochmals dramatisch verschärfte und einen tausendfachen Hungertod mit sich brachte, wurde die Situation explosiv. Aus Sicht einer zunehmend verelendeten Bevölkerung erschien die staatliche Obrigkeit nicht mehr als fürsorglich, sondern als eine strafend-unnachgiebige Instanz. Eine grimmige Zeichnung in den „Fliegenden Blättern“ fasste diese Sicht 1847 eindringlich zusammen: Als „officielle Abhülfe“ auf das Leid der verhungernden Bevölkerung in Schlesien präsentierte das satirische Blatt eine Abteilung Soldaten mit aufgepflanzten Bajonetten.

Die Deutsche Revolution 1848/1849. Lizenz: cc by-nc-nd/4.0/deed.de

Märzereignisse

Die Revolutionen erreichten Deutschland im März 1848. Zuvor waren schon in Süditalien und Piemont unter dem Druck der Straße Verfassungen gewährt worden. In Paris wurde am 24. Februar König Louis-Philippe verjagt und kurz darauf die Republik verkündet. Diese Nachrichten beflügelten die Kräfte der Veränderung und entmutigten die Verteidiger des Status quo. Überall im Deutschen Bund – in München und Stuttgart, in Karlsruhe und Darmstadt – fanden Volksversammlungen statt. Bei herrlichem Frühlingswetter versammelten sich die Menschen auf Straßen und Plätzen. Unter der Regie liberaler Politiker wurden „Märzforderungen“ aufgelistet, die auf freiheitlichen Wandel, auf die Stärkung der Menschen- und Bürgerrechte, auf nationalen Fortschritt und Volksbewaffnung pochten. Beinahe überall verlief der revolutionäre Wandel nach gleichem Muster und unfassbar schnell. Unter dem Druck der mobilisierten Bevölkerung machten die Herrscher und ihre Gefolgsleute rasch Zugeständnisse. Die alten Kabinette wurden abgesetzt und durch neue „Märzministerien“ ersetzt, die dem liberalen Wandel verpflichtet waren. Ehemalige Oppositionsführer – wie Heinrich von Gagern in Hessen-Darmstadt oder Friedrich Römer in Stuttgart – standen nun an der Spitze der Regierungen.

In Wien und Berlin entbrannten Mitte des Monats Barrikadenkämpfe, bei denen Militär und sogar Artillerie gegen die aufständische Bevölkerung eingesetzt wurde. In der preußischen Hauptstadt rückten am 18. März über 14.000 Soldaten gegen 3.000 bis 4.000 revolutionäre Kämpfer vor. Als König Friedrich Wilhelm IV. am Morgen des 19. März die Kampfhandlungen beenden ließ und sich mit seiner bekannten Proklamation „An meine lieben Berliner“ mit politischen Zugeständnissen an das Volk wandte, waren mehr als 300 „Märzgefallene“ zu beklagen. Andernorts verliefen die „Märzereignisse“ jedoch weitestgehend unblutig und mit einer geradezu verdächtigen Leichtigkeit.

Die revolutionären Veränderungen fanden jedoch nicht nur auf der Ebene der Einzelstaaten statt. Regionale und überregionale Zusammenkünfte oppositioneller Politiker wie das Heidelberger Treffen am 5. März oder das dort geplante „Vorparlament“, einer eigenmächtig konstituierten Versammlung liberaler und radikaler Persönlichkeiten, die sich die Vorbereitung einer deutschen Nationalversammlung zur Aufgabe gemacht hatte, trugen die Revolution Ende März nach Frankfurt – ins Herz des Deutschen Bundes. Zwar hatte dieser selbst schon Reformen eingeläutet, indem er etwa den Einzelstaaten die Pressefreiheit empfahl oder die schwarz-rot-goldene Trikolore zur Bundesflagge erhob, aber das genügte nicht. Die Institutionen des Bundes kamen ihrer Abschaffung zuvor, indem sie sich im Juli schließlich selbst suspendierten. Sie machten damit der am 18. Mai 1848 zusammengetretenen deutschen Nationalversammlung und der von ihr begründeten „provisorischen Centralgewalt“ Platz.

Die Fürsten und Revolutionsgegner wichen im März 1848 nicht allein vor der Kraft politischer Ideen zurück, sondern gerade auch vor der Masse der durch soziale Not mobilisierten Bevölkerung. Nicht nur „Pressefreiheit“ sollen hungrige Elberfelder Arbeiter auf einer Versammlung gefordert haben, sondern auch „Fressefreiheit“. Fast 90% der Berliner, die im März getötet, verletzt oder verhaftet worden waren, gehörten der Unterschicht an, und so kann man dem im Herbst 1848 hingerichteten Demokraten Hermann Jellinek beipflichten, der die Märzrevolution „das große Werk der Volksmassen“ genannt hat. Die unterbürgerliche, „elementare“ Revolution lief zeitgleich mit den Bestrebungen nach politischer Freiheit und nationaler Einigkeit ab, bediente sich aber anderer Formen und hatte andere Ziele. Es kam zu Maschinenstürmerei und Attacken auf Steuerämter. Durch die Besetzung des öffentlichen Raumes durch Gruppen protestierender Arbeiter und Handwerker entwickelte sich „Straßenpolitik“ (Manfred Gailus), durch die Druck auf Arbeitgeber und politische Machthaber ausgeübt wurde. Zugleich fegte eine Revolution von Kleinbauern und Landarbeitern durch ländliche Räume, um die Situation der agrarischen Unterschichten zu verbessern und die letzten Reste feudaler Pflichten auszumerzen.

Nationalversammlung, Verfassungswerk und nationale Einheit

Mitte Mai 1848 begannen die Beratungen der deutschen Nationalversammlung. Ihre 585 Mitglieder waren aus freien Wahlen hervorgegangen, die im April und Mai 1848 in allen Mitgliedsstaaten des Deutschen Bundes stattfanden. Die Wahlrechtsbestimmungen variierten von Ort zu Ort – das vorgeschriebene Kriterium der „Unabhängigkeit“ wurde uneinheitlich ausgelegt, und nur in fünf Bundesstaaten wurde direkt (also ohne Wahlmännergremien) gewählt. Überall galt jedoch der Grundsatz, dass auf 50.000 ein Mandat fallen sollte und Frauen vom Wahlrecht ausgeschlossen blieben. Trotz dieser Einschränkungen und der regional sehr unterschiedlichen Wahlbeteiligungen stellten die Wahlen zur Nationalversammlung einen bedeutenden Moment in der Geschichte der deutschen Demokratie dar.

Am 18. Mai zogen die Abgeordneten feierlich in die Frankfurter Paulskirche ein, um sich der historischen Aufgabe zu widmen, Deutschland durch eine liberale Verfassung zu einen. Getragen von der Gunst der Stunde und der kurzfristigen Lähmung der monarchischen Einzelstaaten erweiterte das Parlament wenig später noch seine Befugnisse, indem es eine deutsche Regierung, die „Provisorische Zentralgewalt“ unter der Führung eines von ihm bestimmten „Reichsverwesers“ einrichtete.

Die Nationalversammlung bestand aus einer Gruppe wortgewaltiger, tiefschürfender und redseliger Männer zumeist bürgerlicher Herkunft – in der Hauptsache Staatsdiener und Freiberufler. In den Wahlen hatten sich die moderat liberalen Honoratioren durchsetzen können, die zunächst zuversichtlich davon ausgingen, die gewünschten Veränderungen mit den fürstlichen Machthabern vereinbaren zu können. Radikale Demokraten, wie beispielsweise Friedrich Hecker, der legendäre Anführer des erfolglosen badischen April-Aufstandes, oder die reaktionär-konservative Rechte, wie sie in der Berliner Hofkamarilla vertreten waren, spielten kaum eine Rolle. Die Abgeordneten gruppierten sich bald in vergleichsweise lose und fluktuierende Gruppierungen, die sich nach den Gasthäusern benannten, in denen man mangels geeigneterer Räumlichkeiten tagte: Das Spektrum reichte vom „Donnersberg“ und dem „Deutschen Hof“ am linken Rand, wo man auf die Volkssouveränität pochte und kein Übereinkommen mit den Monarchen suchen wollte, über die zahlreicheren Gruppen im Zentrum, wie den „Württembergischen Hof“ und dem „Casino“, bis zu den im „Steinernen Haus“ und im „Café Milani“ versammelten Rechten, die lediglich eine staatenbündische Verfassung für Deutschland anstrebten und den Kronen ein beträchtliches Mitspracherecht einräumen wollten. Nach vielen Verwerfungen und unter dem Druck der sich verändernden Umstände setzte sich bei den entscheidenden Verfassungsfragen im Frühjahr 1849 schließlich eine von zentralen Kräften getragene kleindeutsch-erbkaiserliche Position durch. Je mehr rechte und moderate Kräfte jedoch das Parlament nach der Ablehnung der Reichsverfassung durch Preußen verließen, umso dominanter wurde der verbleibende linke Flügel.

Die großen Hoffnungen, die auf der Paulskirche lagen, konnte das Parlament nicht erfüllen. In der Kürze des machtpolitischen Augenblicks, der ihm vergönnt war, war es den gewaltigen Aufgaben nicht gewachsen. Zudem wurde zu viel Zeit mit Grundsatzfragen – wie etwa der rechtlichen Grundlage zur Schaffung einer Regierung oder der Berücksichtigung der sozialen Dimension bei der Abfassung des Grundrechtekatalogs – sowie mit selbstgefälliger Rhetorik vertan. Weitere Grundsatzdebatten entbrannten unter anderem über den Eigentumsbegriff, die Auswanderungsfreiheit, die Schulverfassung, die Grenzziehung, den Charakter des Reichsoberhaupts sowie das Vetorecht des Kaisers. Allein die Debatten zum Grundrechtekatalog dauerten bis Ende Dezember, und als die Reichsverfassung schließlich am 27. März 1849 verabschiedet wurde, hatte sich das Blatt längst zugunsten der Gegenrevolution gewendet. Vor deren militärischer Macht musste die zum „Rumpfparlament“ geschmolzene Nationalversammlung schließlich im Sommer 1849 fliehen und wurde im Juni 1849 in Stuttgart aufgelöst

Problematisch war zudem die robuste Haltung der Nationalversammlung zur nationalen Grenzziehung. Bei den Debatten zu Posen, Schleswig, Böhmen oder dem Trentino wurde wenig Federlesen mit den Unabhängigkeitswünschen anderer nationaler Gruppen gemacht. Stattdessen zeichnete sich hier eher der machtpolitische Wunsch nach einem „Großdeutschland der Paulskirche“ (Günter Wollstein) ab, der im Falle Schleswigs sogar einen kriegerischen Konflikt gegen Dänemark zur Folge hatte. Hier hatten dänische Bemühungen, das Herzogtum Schleswig in den dänischen Gesamtstaat einzubinden, den Widerstand der dort und im benachbarten Holstein lebenden deutschen Bevölkerung hervorgerufen, die sich gegen König Friedrich VII. erhoben. Am Krieg zur „Befreiung“ Schleswigs, das sie als Teil des zu gründenden deutschen Nationalstaat betrachteten, beteiligten sich Freiwillige aus dem gesamten Deutschen Bund.

Bei aller Kritik sollte die Nationalversammlung nicht verdammt werden. Der von ihr erarbeitete Verfassungsentwurf mit seinem ausführlichen Grundrechtekatalog und dem sorgfältigen Austarieren von demokratischer und monarchischer Macht, von Föderalismus und Zentralstaatlichkeit war in vieler Hinsicht wegweisend. Zudem darf die schier unüberwindbare Komplexität ihrer Aufgabe nicht übersehen werden. Wie konnten die als deutsch angesehenen österreichischen Provinzen in ein deutsches Reich integriert werden, ohne den Habsburger Vielvölkerstaat dabei zu zerstückeln? Aber ließ sich ein geeintes Deutschland ohne Salzburg, Innsbruck und Wien denken? Über diese Frage und den sich daraus ergebenden Plan, die (klein-)deutsche Kaiserwürde dem preußischen Königshaus anzutragen, zerbrach die Einheit des Parlaments. Als Friedrich Wilhelm IV. im April 1849 die durch einen so teuren parlamentarischen Kompromiss erkaufte Krone verwarf, war klar, dass die politische Mission der Nationalversammlung unerfüllbar geworden war.

Revolutionärer Mobilisierungs- und Politisierungsprozess

Die parlamentarischen Debatten in Frankfurt und in den verschiedenen Landesparlamenten waren in einen breiten Prozess der Politisierung der deutschen Bevölkerung eingebunden. Das befreiende „Märzereignis“ hatte alle Schranken niedergerissen, die der Ausbildung einer politischen Öffentlichkeit bisher im Wege gestanden hatten. Wo Presse-, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit nicht sogleich bewilligt worden waren, nahmen sich die Menschen diese Rechte einfach. Es kam zu einer veritablen Presse-Explosion: Zahllose Zeitungen, Zeitschriften, Pamphlete und Flugblätter aller politischen Couleur wurden landauf landab gedruckt und eifrig gelesen. In ganz Deutschland sollen 1849 ca. 1700 Zeitungen erschienen sein. Bis in das platte Land hinein fanden sich Lesehallen, wo solche Druckerzeugnisse auslagen und hitzig diskutiert wurden.

Ohne Angst vor Polizeispitzeln oder Gendarmen haben zu müssen, debattierten die Menschen nun leidenschaftlich auf Straßen und Plätzen, in Gasthäusern und Cafés. Nicht selten entwickelten sich aus solchen Diskussionen Protestzüge, in deren Verlauf die Forderungen der Menge lauthals an die Orte der Macht transportiert wurden – vor Schlösser, Rathäuser oder Ministerien. Gerade in den größeren Städten gärte die „Straßenpolitik“ beständig, aber entgegen einer älteren Forschungsmeinung blieben auch die Bewohner ländlicher Räume weiterhin politisch mobilisiert. Ein solches Engagement wurde auch durch eine Vielzahl von Festen aufrechterhalten, auf denen die revolutionären Errungenschaften gefeiert wurden oder man den Opfern der Kämpfe gedachte. Der revolutionäre Politisierungs- und Mobilisierungsprozess war so umfassend, dass selbst unterprivilegierte Gruppen – wie beispielsweise Frauen oder Juden – die Gelegenheit ergriffen, sich aktiv einzubringen.

Zeitgleich bildete sich eine unüberschaubare Vielzahl von Vereinen, Clubs und Verbindungen, in denen Gleichgesinnte zur besseren Vertretung ihrer Interessen zusammenkamen. Dabei ist vor allem die Gründung politischer Vereine zu beachten, die das gesamte Spektrum umfassten. Schon bald wurden hier die Unterschiede zwischen Demokraten und Liberalen deutlicher, die im Vormärz noch durch ihre gemeinsame Opposition zum monarchischen Obrigkeitsstaat verdeckt geblieben waren. Nun betonten die in „Volksvereinen“ und „Rustikalvereinen“ organisierten Demokraten durch ihr deutlicheres Eintreten für die sozialen Belange des Volkes und eine republikanische Staatsform die Unterschiede zum moderaten Liberalismus. Die in weniger zahlreichen „Deutschen“, „Konstitutionell-Monarchischen“ oder „Bürgervereinen“ vereinigten Liberalen waren eher geneigt, soziale Fragen dem freien Markt zu überlassen und auf die konstitutionelle Monarchie zu setzen. Daneben gab es bedeutende konfessionelle Gruppen (wie etwa die zahlreichen katholischen Piusvereine, die insgesamt das nach Mitgliederzahl stärkste Vereinsnetz bildeten) und sogar konservative Preußen- und Militärvereine. Damit entstand 1848 eine Frühform des für Deutschland später charakteristischen Parteienmusters.

Aber auch gewerkschaftliche und genossenschaftliche Interessensverbindungen – wie die Handwerkervereine – prägten die politische Kultur des Revolutionsjahres. Delegierte zahlreicher Verbindungen versammelten sich auf überregionalen oder nationalen Kongressen – wie etwa dem Frankfurter Handwerkerkongress im Juli 1848, dem Berliner „Junkerparlament“ konservativer Kräfte im August oder dem Mainzer Katholikentag im Oktober 1848. Zuletzt bildeten sich sogar landesweite Dachverbände, wie der liberal-demokratische Zentralmärzverein mit seinen mehr als tausend Mitgliedsvereinen oder Stephan Borns „Allgemeine deutsche Arbeiterverbrüderung“, der sich bis 1849 etwa 170 Arbeitervereine anschlossen.

Revolutionswende im Herbst 1848

Diese breitgefächerten Entwicklungen waren bedeutsam – gerade auch auf längere Sicht, aber sie konnten den Umschlag im Herbst des Revolutionsjahres nicht verhindern. Im September brachen in Frankfurt und Baden Volksaufstände der städtischen Unterschichten und innerhalb der Landbevölkerung aus, die sich diesmal gegen die neue Ordnung richteten. Enttäuscht vom zögerlichen Tempo der Veränderungen und von Rückschlägen im nationalen Krieg gegen Dänemark sowie angestachelt von republikanischen Wortführern wie Ludwig Simon und Gustav Struve wandten sich radikale Aufständische gegen die Nationalversammlung und das badische Märzministerium unter Karl Georg Hoffmann. Mit Hilfe preußischer, österreichischer und badischer Truppen wurden diese Erhebungen resolut niedergeschlagen, und das Schreckgespenst eines linksradikalen Umsturzes gab den Revolutionsgegnern nunmehr eine scharfe politische Waffe in die Hand. Von der anhaltenden Dynamik der revolutionären Aktionen im Arbeiter- und Handwerkermilieu verunsichert, sehnte sich das politisch moderate Bürgertum zunehmend nach Ruhe und Ordnung.

In Österreich gelang es den radikalen Kräften der zweiten Wiener Revolution, wie etwa dem Sicherheitsausschuss oder der Akademischen Legion mit ihrer sozialrevolutionären Programmatik (Minimallohn, Krankenversicherung, Profitbeteiligung der Arbeiter) nicht auch außerhalb der Hauptstadt Unterstützung zu mobilisieren, so dass die kaiserliche Partei Ende Oktober nach blutigen Kämpfen die vollständige Kontrolle über Wien erringen konnte. Als der Reichstag im Frühjahr aufgelöst und eine Verfassung oktroyiert wurde, erstrahlte Wien in freiwilliger Festbeleuchtung. Die Vorgänge in Preußen verliefen ähnlich: nach einem Aufruhr im Oktober kam es zu Kämpfen zwischen der Bürgerwehr und Protestierenden, denen elf Arbeiter zum Opfer fielen. Nach weiteren Unruhen ordnete König Friedrich Wilhelm IV. Anfang November die Verlegung der preußischen Nationalversammlung an und ließ Berlin von Truppen besetzen. Wenig später wurde die Nationalversammlung aufgelöst und eine Verfassung erlassen. Moderat liberale und konservative Kreise reagierten mit Loyalitätsbekundungen; in Berlin öffneten Theater, Parks und der Weihnachtsmarkt wieder ihre Tore.

Reichsverfassungskampagne 1849

Aufgrund dieser Veränderungen stand der Abschluss der Verfassungsberatungen in der Paulskirche unter keinem günstigen Stern. Nachdem der nun wieder fest im Sattel sitzende preußische König Kaiserwürde und Verfassung verworfen hatte, wandte sich das Frankfurter Parlament im Mai 1849 an das deutsche Volk: jeder sei nun aufgerufen, dem Verfassungstext Gültigkeit zu verleihen. Als Reaktion darauf entwickelte sich eine zweite Revolutionswelle, die Reichsverfassungskampagne. Unter dem Banner des Verfassungstextes mobilisierten sich vor allem städtische unterbürgerliche Kräfte zur Verteidigung der Revolutionserrungenschaften gegen die fürstliche Gegenrevolution. In Hannover, Württemberg und Preußen kam es zu teilweise blutigen Auseinandersetzungen. Nach der Flucht des sächsischen Königs bildete sich in Dresden eine kurzlebige Gegenregierung, die Anfang Mai von preußischen und sächsischen Truppen in Barrikadenkämpfen niedergerungen wurde. Im Königreich Bayern wurden die Unruhen in Franken durch die Ausrufung einer kurzlebigen Republik in der Rheinpfalz überschattet. Sie trat Mitte Mai ins Leben, wurde aber schon einen Monat später von preußischen Interventionstruppen beendet.

Mit der Ausrufung der Republik in Baden erreichte die Revolutionsbewegung ihren Höhe- und Endpunkt. Nach der Flucht des Großherzogs Leopold übernahm am 15. Mai 1849 eine „Exekutivkommission“ die Regierung und begann die Volksbewaffnung. Trotz ihres militärischen Geschicks waren die revolutionären Truppen in einer aussichtslosen Lage. Preußische Truppen siegten erst bei Waghäusel (21.6.1849) und schlossen die Reste der badischen Kräfte dann in der Festung Rastatt ein. Drei Wochen später lieferten sich die Verteidiger den Preußen „auf Gnade und Ungnade“ aus. Es begann eine Phase unnachgiebiger Unterdrückung der Revolution: 51 Todesurteile wurden vollstreckt; fast tausend Haftstrafen wurden verhängt; mehr als 80.000 Badener emigrierten.

Rastatt steht als Symbol der Niederlage am Ende des revolutionären Jahres in Deutschland. Nach Frankfurt, Wien, Berlin, Dresden und der Pfalz hatte auch in Baden die Gegenrevolution triumphiert. Damit war der Deutsche Bund, dessen Organe später unverändert wiedererstanden, Teil eines europäischen Musters. 1849 wurde auch in den italienischen Staaten und in Ungarn die alte Ordnung weitestgehend wiederhergestellt. In Frankreich, wo General Cavaignac die radikale Phase der Revolution bereits im Juni 1848 blutig niedergeschlagen hatte, war im Dezember 1848 Louis Napoleon zum „Prinz-Präsidenten“ der Republik gewählt worden. Vier Jahre darauf erklärte er sich zum „Kaiser der Franzosen“. Dennoch blieb 1848/49 alles andere als folgenlos – gerade für die Deutschen. Die Hoffnung auf einen geeinten konstitutionellen Nationalstaat und die kurze, aber intensive Erfahrung politischer Freiheit ließen sich nicht aus dem kollektiven Gedächtnis der Bevölkerung tilgen. Trotz beachtlicher Anstrengungen gelang es den Regierungen in den 1850er Jahren nicht, die Uhr gänzlich auf die Zeit vor dem März 1848 zurückzudrehen. Preußen blieb ein Verfassungsstaat, in dessen Landtag liberale Abgeordnete schon 1858 wieder die Mehrheit bildeten. Unter dem Beifall der nationalliberalen Partei wurde König Wilhelm I. von Preußen, der 1849 als Prinz die Truppen im badischen Feldzug kommandiert hatte, 1871 zum Kaiser eines konstitutionellen deutschen Nationalstaat ausgerufen. „Die Totengräber der Revolution von 1848“, so der grimmige Kommentar von Friedrich Engels, „waren ihre Testamentsvollstrecker geworden.“  

Weiterführende Literatur

  • Bleyer, Alexandra: 1848: Erfolgsgeschichte einer gescheiterten Revolution (Stuttgart, 2022)

  • Botzenhardt, Manfred: 1848/49: Europa im Umbruch (Paderborn, 1998)

  • Canis, Konrad: Konstruktiv gegen die Revolution. Strategie und Politik der preußischen Regierung, 1848-1850/51 (Paderborn, 2022)

  • Engehausen, Frank: Die Revolution von 1848/49, Seminarbuch (Paderborn, 2007)

  • Fahrmeir, Andreas: Europa zwischen Restauration, Reform und Revolution, 1815-1850 (München, 2012)

  • Hachtmann, Rüdiger: 1848: Revolution in Berlin (Berlin, 2022)

  • Müller, Frank Lorenz: Die Revolution von 1848/49 (Darmstadt, 2011 [4. Aufl.])

  • Rapport, Mike: 1848: Revolution in Europa (Stuttgart, 2012)

  • Siemann, Wolfram: Die deutsche Revolution von 1848/49 (Frankfurt/Main, 2006 [8. Aufl.])

Weitere Inhalte

Frank Lorenz Müller ist Professor für Neuere Geschichte an der University of St. Andrews, Schottland. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen u.a. der Liberalismus, Nationalismus und die Monarchie im Europa des 19. Jahrhunderts.