Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Die Große Allianz zögert | APuZ 49/1953 | bpb.de

Archiv Ausgaben ab 1953

APuZ 49/1953 Die Große Allianz zögert Bermuda, das Paradies im Atlantik Wenn alle Wege nach Washington führen

Die Große Allianz zögert

Hamilton Fish Armstrong

Zu einer Gesamtschau über die zeitgeschichtlichen Fragen gehört unerläßlich eine Kenntnis der politischen und wissenschaitlichen Zusammenhänge sowie der geistigen Faktoren, die heute das Denken und Handeln unserer Zeitperiode bestimmen.

Die Lücke zwischen der weithin empfundenen Notwendigkeit, über die wichtigsten geistigen Strömungen und Nietungen des In-und Auslandes unterrichtet zu sein, und der Unmöglichkeit, die vorliegende in-und ausländische Publizistik in ihren entscheidenden Veröffentlichungen zeitlich und kostenmäßig zu bewältigen, will die in Zukunft dem „Parlament" beigefügte Beilage „Aus Politik und Zeitgeschichte“ füllen.

Sie will ausführlich oder in abgekürzter Form über zeitgenössische Publizistik berichten, Vorträge und Aufsätze veröffentlichen und aus den großen außenpolitischen Zeitschriften der gesamten Welt diejenigen Artikel aufnehmen, von denen sie glaubt, daß sie für die Urteilsbildung des geistigen Menschen von entscheidender Bedeutung sind.

Die Verantwortung für den Inhalt der einzelnen Beiträge liegt weder bei der Bundeszentrale für Heimatdienst noch bei der Redaktion der Wochenzeitung „Das Parlament', sondern ausschließlich bei dem jeweiligen Verfasser.

Mit freundlicher Genehmigung des Verlages übernehmen wir aus der amerikanischen Zeitschrift „FOREIGN AFFAIRS" (Oktober 1953) den Aufsatz des Herausgebers dieser Zeitung Hamilton Fish Armstrong „THE GRAND ALLIANCE HESITATES".

Stalin starb am 5. März 1953 — wenn wir den Tag der offiziellen Todeserklärung zu Grunde legen — und in den nachfolgenden Wochen machten seine Nachfolger eine Reihe von versöhnenden Gesten in Richtung des Westens. Alle westlichen Staatsmänner waren der Ansicht, daß dieses wahrscheinlich keinen Wechsel in den sowjetischen Zielen sondern nur die Anwendung einer neuen Strategie bedeute. Sie stellten fast einmütig folgende Diagnose: Moskau trachte danach, die westlichen Alliierten durch die Vorspiegelung zu entzweien, daß kommunistische Gewaltherrschaft, Imperialismus und Expansionstrieb gemäßigt würden und daß darum Kosten und Mühen einer gemeinsamen Verteidigung nicht mehr notwendig seien. Aber innerhalb dreier Monate vergaßen die meisten westlichen Staatsmänner ihre eigenen Warnrufe. In allen westlichen Regierungen fanden sich nun Beamte, die handelten oder sich anschickten zu handeln, als ob die sowjetische Gefahr im Schwinden begriffen sei. Die öffentliche Meinung war natürlich überglücklich bei dem Gedanken, daß die Wolken sich verzögen und daß im neuen Lichte sowjetischer Vernünftigkeit Verteidigungsausgaben und -anstrengungen vermindert und die Steuern gesenkt werden könnten. Führende Amerikaner mahnten immer noch zu behutsamem Vorgehen, aber während sie im Prinzip vor jeder Enttäuschung warnten, betrachteten viele von ihnen das veränderte russische Verhalten als eine gegebene Tatsache. Sie entschuldigten die Steuersenkungen mit dem Hinweis darauf, daß sie das Kriegspotential nicht zu vermindern brauchten. Sie fanden einleuchtende Gründe, um die Termine für die europäische Wiederbewaffnung zu ändern, die man einst für lebenswichtig hielt. Sie entdeckten, daß die Umstellung von kostspieligen auf weniger kostspielige Waffentypen die militärische Kraft eigentlich stärken würde: sie waren sehr bereit, die Verzögerungen im Ausbau des Luftwarnsystems zu entschuldigen, sehr nachsichtig gegenüber der Tatsache, daß eine Luftabwehr kaum vorhanden war und wenig geneigt, Mittel zu bewilligen, um die Lage zu bessern. Sie kamen zu der Über-zeugung, daß unser Auswärtiges Amt und unser Informationsdienst im Ausland für die „Friedenszeit“ zu ausgedehnt seien und daß die Ausgaben für die Ämter willkürlich beschnitten werden könnten. Sie setzten die militärische Hilfe fürs Ausland herab und sie verhinderten eine andere Verwendung der Gelder mit der Begründung Europa habe frühere amerikanische Hilfe als Ersatz für Steuern zur Ausbalanzierung des nationalen Haushaltsplanes benutzt. Sie ließen dabei die Tatsache außer acht, das wir zur Stärkung der gemeinsamen Verteidigung auf erhöhte Ausgaben gedrängt hatten. Sie beschnitten das Programm der technischen Hilfe für unterentwickelte Länder, obgleich — nach Darstellung eines UN-Beamten — „das Land von Indonesien bis Lybien mit unbeendeten Projekten übersät sein würde, jedes Projekt ein Wahrzeichen für die gebrochenen Versprechen des Westens“. Sie forderten Schutzzölle ohne zu berücksichtigen, wie unsere Alliierten ohne unsere und die sowjetisch kontrollierten Märkte Handel treiben sollen.

Manchmal waren ihre Vorschläge auf Überlegungen und manchmal auf Rationalisierungsmaßnahmen gegründet. Manchmal stammten sie von Männern, die in der Führung politischer und militärischer Geschäfte Erfahrung hatten, manchmal auch von Isolationisten, die glücklich waren, ihre fundamentalen Theorien auf alten Vorkriegsgleisen wieder in Gang zu bringen. Die Entschuldigung hierfür war, ausgesprochen oder unausgesprochen, immer die gleiche: Die „nachgiebige Verhaltensweise“ der Sowjets, wie man es nannte, mochte vielleicht nur Strategie sein, aber diese Strategie war den Nachfolgern Stalins durch angeborene Schwäche aufgedrängt worden. Die Nachricht, daß Beria, Chef der Geheimpoliezi, einer Säuberung zum Opfer fiel, wurde als Bestätigung der Diagnose ausgelegt.

II.

Allgemein wird angenommen, daß mit dem Tod eines Diktators für seine Erben eine Periode tötlichen Zwistes anbricht. Bis zur Verhaftung von Beria gab es für solche Vorkommnisse in Moskau jedoch keine schlüssigen Beweise. Man hatte eher den einer Eindruck allgemeinen Erleichterung über das Hinscheiden des eifersüchtigen, alten Tyrannen, daß nunmehr der Alpdrude von LInsicherheit und Furcht endlich beseitig war, der über jedem im Kreml hing. Das neue Regime verhielt sich nicht, als ob es von inneren Kämpfen geschüttelt würde. Allen Voraussagen zum Trotz funktionierte es und machte nicht nur Politik sondern änderte sichtlich die politischen Grundsätze des Mannes, der gestern noch als unfehlbar galt. Selbst sein Name verschwand aus den Ansprachen und Auf-Sätzen seiner Schüler. Dem Verschwinden des Namens wurde durch mehrfache Bestimmungen gegen jeglichen „Persönlichkeitskult" oder „Talmudismus“ Nachdrude verliehen, womit man das wörtliche Kleben an den Aussprüchen des Meisters bezeichnete, anstatt sie entsprechend den Zeitumständen zu interpretieren. Lenins Name tauchte wieder auf, wahrscheinlich aber nur als ein weiterer Mahner, daß selbst Götter dem Wechsel unterworfen sind, wie die „New York Times" bemerkte. Obgleich die Folgen der neuen sowjetischen Politik auf der ganzen Erde zu spüren waren von der Kehrtwendung in den koreanischen Waffenstillstandsverhandlungen bis zum Ersatz eines ungarischen Satrapen durch einen anderen mit einem entgegengesetzten Programm — so waren sie doch kein Spiel des Zufalls sondern folgten einem Schema. Selbst wenn die neuen Regenten im Kreml gern einander an die Kehle gegangen wären. so schienen sie doch die Notwendigkeit einer verhaltenen und geschmeidigen Politik eingesehen zu haben, um den durch Stalins unnachgiebigen Größenwahn überall verursachten Antagonismus zu dämpfen. Weder gab es den geringsten Aufruhr noch bedeutete die Verhaftung eines Mitgliedes des obersten Triumvirates als Verräter, daß das neue Regime so schwach ist, daß ihm keine andere Wahl bleibt als in die Verteidigung zu gehen. 20 Jahre lang wurden mächtige politische, geistige und militärische Führer reihenweise in das Lubjankagefängnis geworfen und erschossen, wenn sich ihre Rivalen dazu stark genug fühlten oder wenn Zeitumstände Sündenböcke oder abschreckende Beispiele nützlich erscheinen ließen. Der sowjetische Staat ging seinen Weg auch ohne Trotzky, neben dessen Namen einst der von Stalin unbedeutend gewesen war. und ohne Bukharin, Lenins bevorzugter Theoretiker, und ohne viele, viele andere ebenso hervorragende Persönlichkeiten; und die Rote Armee ging ihren Weg ohne Marschall Tukhachevsky. Natürlich sollen wir nicht aus allen Anzeichen kommendes Unheil für uns herauslesen oder glauben, daß Stalins Nachfolger den Weg mit seinem unerschütterlichen Selbstvertrauen fortsetzen werden, noch sollte das übliche ermüdende kommunistische Beharren auf der Unzerstörbarkeit alles Kommunistischen unser Urteil zu sehr in der anderen Richtung beeinflussen. Wir dürfen nicht aus dem Chor der Selbst-Ermutigungen auf die Schwäche der Führer schließen. Wir dürfen nicht glauben, daß Malenkow, Molotow (wenn man schon wagt, schwarz auf weiß Namen hinzuschreiben, die in jedem Augenblick auf die lange Liste der „Nichtmehr-Lebenden" gehören könnten) und ihre Kollegen — wen auch immer der Zufall von Zeit auswählte oder wem gerade die Geschicklichkeit gegeben wurde, tötliehen Spritzen zu entgehen — etwas anderes betreiben als den Kalten Krieg. Daß Lenin wieder zitiert wird, ist für uns kein Grund zur Zufriedenheit. Denn es war Lenin, der die neue Wirtschaftspolitik anordnete, eine Abkehr zwar von den Auswüchsen, aber im Grunde doch nur die Vorbereitung für einen neuen und unbarmherzigen Vorstoß. Lenin war es, der kategorisch erklärte: „ , . . das Bestehen des Sowjetstaates Seite an Seite mit den imperialistischen Staaten ist auf die Dauer undenkbar. Am Ende wird der eine oder andere siegen. Und bis zu diesem Ende ist eine Reihe schrecklicher Zusammenstöße zwischen der Sowjetrupeblik und den bürgerlichen Staaten unvermeidlich“. Alle Symptome, denen wir heute gegenüberstehen, sind Teile des Kalten Krieges. Sie scheinen auf die Gewinnung von Zeit abzuzielen durch die Verwendung von Taktiken, die man in anderen Entwicklungspausen des sowjetischen Imperialismus angewandt hat. Stalins Nachfolger aber versuchen, die auf diese Weise gewonnene Zeit positiv zu verwerten — sie warten nicht einfach auf eine günstigere allgemeine Situation, um den Gang der Ereignisse zu beschleunigen, sondern arbeiten aktiv daran, eine solche Situation herbeizuführen. Wir wissen immer noch nicht, ob es sich dabei um einen „offensiven“ oder „defensiven“ Frieden handelt. Möglicherweise sogar um beides. Defensiv würde der Frieden nur insoweit sein, wie der Kreml es für notwendig erachtete, die steigende Unruhe innerhalb der Satellitenstaaten und die wachsende Kraft der freien Welt seit Beginn des Koreakrieges in Betracht zu ziehen. Offensiv würde der Frieden in dem Maße sein, wie der Kreml danach trachtete, die Reibungspunkte zwischen den westlichen Regierungen, die sich im letzten Jahre enthüllten, auszunützen, die Friedensliebe des Westens zu ermutigen, den Versuch einer westeuropäischen Integration abzufangen, die Bildung einer Europa-Armee zu stoppen und die westlichen Völker mit Optimismus zu erfüllen über die Möglichkeit allumfassender Verhandlungen und Regelungen. In dem einen Falle würde es sich um ein aus der ganzen Situation her notwendiges Verhalten handeln auf Grund der Überlegung, daß sich ein Frontalangriff auf die freie Welt gegenwärtig ausschließe und daß dem eigenen Land und den sowjetisch-besetzten Gebieten eine Frist der Ruhe notwendig ist, um die sich ausdehnende sowjetische Wirtschaft instand zu setzen, den Lebensstandard der Arbeiter und Bauern zu heben. Im anderen Falle würde es sich um zweckdienliche Maßnahmen handeln auf Grund der Einsicht, daß die Westmächte, bei ihren Bemühungen wieder aufzurüsten, ihre Mittel überschätzten und daß ihnen als Medizin ein guter Entschuldigungsgrund für die Verminderung ihrer Wachsamkeit nottäte. Lassen wir es dahingestellt, von welchem Motiv ihre Handlungen bestimmt werden, Stalins Tod jedenfalls schuf eine phantastische Gelegenheit, der veränderten Strategie das größtmögliche Maß an Plausibilität zu geben. Das schwierige an der Situation für uns ist nicht, ob die gegenwärtige Regierungsgewalt von einer Clique oder einem Komitee unter einem Vorsitzenden oder von einer neuen Diktatorpersönlichkeit ausgeübt wird, auch nicht einmal, ob sie einige Grade „stärker“ oder „schwächer“ ist als Stalin war. Schließlich kann eine Regierung einen Krieg ebenso gut aus einem Gefühl der Unsicherheit wie aus rücksichtsloser Kraft beginnen. Hingegen sollten wir genau beobachten, ob das Regime mehr oder weniger rational ist. Darüber dürften wir uns häufig noch nicht im klaren sein. Eine Regierung, die rationaler ist als die Stalins dürfte auf kurze Sicht weniger gefährlich sein, auf lange Sicht aber um so mehr. Sein eigener Starrsinn machte Stalin immer und immer wieder einen Strich durch die Rechnung — als er versuchte, den Marshallplan zu zerstören, Berlin zu blockieren, Tito in die Knie zu zwingen und Korea mit Gewalt zu nehmen. Dabei hätte er in jedem Falle sehr gute Erfolge haben können, wenn er nur schlauer ans Werk gegangen wäre.

Haben sich nun Stalins Nachfolger diese Lehren zu Herzen genommen? Wäre es der Fall, dürfte das neue Regime mehr Rücksicht auf die Bedürfnisse seiner unterjochten Völker durch Wiederherstellung des alten Lebensstandards nehmen, um sic weniger ihre Abhängigkeit spüren zu lassen. Das Regime dürfte geneigter sein, sich wahre Berichte seiner Auslandsvertreter anzuhören, und es dürfte treffender abwägen und geschickter seine Gegner gegeneinander ausspiclen. In Verhandlungen dürfte es in belanglosen Dingen entgegenkommender und in der Art seiner Propaganda weniger aufreizend sein. Es dürfte sogar bereit sein, innerhalb einer begrenzten Sphäre eine ansehnliche Zahlung zu leisten, um dadurch in einer weiteren Sphäre einen größeren Spielraum für seine Mit Wort, Manöver zu erhalten. einem das Regime würde intelligenter vorgehen — wenn auch deshalb nicht weniger hartnäckig, aber einfach geschickter und beweglicher. In seiner frühen Phase zeigte Stalin, daß er die Kunst der Vorsicht kannte; dafür war der spanische Bürgerkrieg ein treffendes Beispiel. Aber Macht und Eitelkeit förderten seine Neigung zu Irrtümern. Kurz vor seinem Tode wurde prophezeit, daß er als letzten Ausweg über ein Nebeneinanderleben mit Rußlands Feinden verhandeln würde, wenn er sich je von der Unmöglichkeit überzeugen könnte, sie zu entzweien. Vielleicht haben seine Nachfolger eine ehrgeizigere Vorstellung von der Politik — und werden sie nicht nur dazu benutzen, einen schlechten Umstand zu bessern sondern einen guten zu nützen. Es würden sich ihnen Wege in zwei Richtungen öffnen, wenn ihr Bemühen, die westliche Koalition zu schwächen positive Ergebnisse zeigte, und wenn sich die Möglichkeit für allgemein klärende Verhandlungen eröffnen würde. Sie könnten auf der Konferenz um hohen Gewinn spielen oder sie könnten wieder zur Offensive im Kalten Krieg greifen nach einer Pause, in der Sowjetrußland dem Westen auf dem Gebiet der Atomwaffen und der Wirtschaftskraft einen Vorteil abgerungen hätte. Diese Pause kann natürlich durch vorbereitende, aber fruchtlose und gar nicht ernst gemeinte Gespräche hinausgezögert werden. Sollten die Gespräche jedoch tatsächlich zu einer Vollkonferenz führen, so zeichnet sich die Möglichkeit großer Gewinne ab, und zwar wenn die Hoffnung auf Frieden und die wachsende Mißstimmung zwischen den Alliierten die westlichen Regierungen in wichtigen Fragen Kompromisse schließen läßt (wenn z. B. bei einer Annahme der Churchill’schen Idee von Einflußgebieten die von Rußland besetzten Länder auch weiterhin in der russischen Sphäre bleiben) — das wäre dann ein Sieg, der alle Anstrengungen auf Risiken lohnen würde. Sollte jedoch kein Kompromiß zustande kommen, weil sich der Westen nicht über den Preis für den „Frieden" einigen kann, so könnten in weiten Bereichen der öffentlichen Meinung immer noch die störrischen Regierungen für die neue Kriegsfurcht verantwortlich gemacht werden. Wüßten wir genau, daß dies die Konsequenzen wären aus Stalins Tod und aus den „Schwächen" seiner Nachfolger — im Gegensatz zu seiner „Stärke“ — würden wir dann noch die Steuern senken, die Verteidigungsanstrengungen vermindern und die Auslandshilfe beschneiden? Oder würden wir dann nicht doch Kraft und Witz mehr als je zuvor zusammenraffen? 111

Die neue Strategie der Sowjetunion will jedem etwas bieten. In bestimmten Fällen gewährt sie ein beschwichtigendes aber unwesentliches Entgegenkommen, wie den Austausch von Botschaftern oder eine sonstige gesellschaftliche Höflichkeit, die im Lichte ehemaliger Unhöflichkeit bedeutsam wirkt. In anderen Fällen ist das Entgegenkommen greifbarer aber doch auch wieder ohne grundsätzliche Folgen, weil es jederzeit widerrufen werden kann wie die Aufhebung der sowjetzonalen Grenzkontrollen in Österreich — von uns schon vor 5 Jahren beendet —, die den Russen jedoch trotzdem die Dankbarkeit einiger österreichischer Beamter einbrachte. Das Entgegenkommen kann aber auch tatsächliche Bedeutung haben wie die Unterzeichnung des koreanischen Waffenstillstandes, der in örtlicher oder militärischer Sprache als Verlust gebucht werden müßte, der aber mit anderen Vorzeichen in einer anderen Spalte als großer Gewinn erscheinen könnte. Unsere großen Alliierten befanden sich. bisher noch nicht unter den Empfängern direkter sowjetischer Wohltaten — obgleich es im Bereich des Möglichen liegt, wie aus Malenkows Anspielung in seiner Rede vom 8. August auf den französisch-sowjetischen Freundschaftsvertrag und aus seinem Angebot hervorgeht, mit Frankreich zusammenzuarbeiten, um das Wiederaufleben des deutschen Militarismus zu verhindern. Schon die ersten Andeutungen Moskaus auf Lockerung des Kalten Krieges machten einen beachtlichen Eindruck in England und Frankreich; und in Italien wurde den Politikern der Rücken außerordentlich gestärkt, die sich nicht vereinigen können und die nur regieren, um Zerstörung und Zwietracht zu säen. Ganz Europa setzte den Amerikanern bei ihren intensiven Bemühungen um die europäische Verteidigung einigen Widerstand entgegen. Der Marshall-Plan forderte ein Maß von gegenseitigem psychologischem Verstehen, das, nicht immer zu erwarten war. In Europa breitete sich die Furcht aus, daß wir uns ohne Rücksicht kopfüber in den fernöstlichen Konflikt stürzen und alle in einen Streitfall von unübersehbaren Ausmaßen verwickeln würden. Über allen lag das Grauen vor der Atombombe. Vergessen wir aber nicht, daß amerikanische Städte und Industrien gegenüber einem überraschenden Angriff von Atomwaffen ebenso verwundbar sind wie die Westeuropas; bisher wurde den Europäern (oder auch den europ. Staatsmännern) noch niemals die Wahrheit über den Atomkrieg überzeugend dargestellt. Die bloße Tatsache, der Quelle der Gefahr näher zu sein, ließ sie in althergebrachter Weise glauben, sie wären der Gefahr mehr ausgesetzt als die anderen. Diese und andere bekannte Gründe ließen sie eifrig — selbst wenn sie dabei nicht überzeugt wurden — auf sowjetische Einflüsterungen hören, daß die Gefahr nicht im kommunistischen Imperialismus sondern in der amerikanischen provozierenden Haltung liege.

Der Wechsel in der Sowjetstrategie veranlaßte Frankreich noch einmal die Ratifizierung der europäischen Verteidigungsgemeinschaft hinauszuschieben und die Seuche des „Neutralismus“ zu verbreiten. Damit soll natürlich nicht ausgedrückt werden, daß ein großer Teil der verantwortlichen französischen Meinung, die sich der EVG widersetzt, überhaupt dem Kommunismus freundlich gegenübersteht. Viele Franzosen, selbst einige am Quai d‘Orsay, geben einfach nicht zu, daß Sowjetrußland die Stelle Deutschlands als Hauptbedroher Frankreichs eingenommen'hat. Vor allem wollen sie nicht anstelle der alten englisch-französischen Entente eine enge Partnerschaft mit Deutschland zum Angelpunkt der französischen Politik machen. Es stimmt, daß England und die Vereinigten Staaten der NATO angehören und daß die Vertragstexte der NATO und der EVG ineinandergreifen; außerdem bemühten sich die Engländer, den nervösen Freunden auf der anderen Seite des Kanals besondere Zusicherungen zu geben. So sagte Churchill am 11. Mai dieses Jahres: „Wir bekennen uns zu dem Grundsatz, daß zwischen uns und der EVG eine besonders enge Beziehung besteht. In Erwartung des Inkrafttretens des EVG-Vertrages arbeiten wir mit den Mitgliedern der Gemeinschaft die Maßnahmen aus, die auf militärischem und politischem Felde notwendig sind“. Die Zweifler in Frankreich erwidern, daß nicht der Text militärischer Abmachungen wiegt, wenn der politische Geist sich ändert. Sie fühlen, daß die Unterstellung französischer Soldaten unter internationales Kommando und internationale Flagge und die Vermengung französischer und deutscher Soldaten innerhalb dieses Kommandos, die Ausrichtung der französischen Politik mehr beeinflussen würde als die französische Mitgliedschaft in der NATO. Deutschland überflügelt Frankreich an menschlichem und industriellem Potential, und die Ungleichheit wird sich noch vergrößern. Amerikanische Soldaten sagen, daß das Gleichgewicht zwischen Frankreich und Deutschland erhalten bleibt, so lange amerikanische Soldaten auf dem Kontinent sind. Aber danach? Wird Frankreich nicht schrittweise in die Auswirkungen deutscher Politik verstrickt, die danach trachten könnte, das an Polen verlorene deutsche Land mit Gewalt zurückzugewinnen oder — in umgekehrtem Falle — es durch einen Handel mit Rußland zurückzubekommen? Sie erinnern diejenigen, die über eine mögliche deutsch-russische Entente nur die Achseln zucken, an Deutschlands Zusammenarbeit mit Rußland nach zwei anderen großen Kriegen — Tauroggen im Jahre 1812 und Rapallo im Jahre 1922.

Franzosen, die so argumentieren, sind natürlich keine Neutralisten, denn sie würden es begrüßen, wen» England und die Vereinigten Staaten weiterhin auf dem Kontinent in Aktion bleiben würden und würden auch eine deutsche Zusammenarbeit in der NATO oder jedes andere Arrangement hinnehmen, wenn es nur auch England und die Vereinigten Staaten umfaßt und die Franzosen nicht mit ihren alten Feinden in solch enger Verbindung allein läßt. Die wahren französischen Neutralisten sind Kinder der Idee von der „Dritten Kraft" — von der Idee, daß Westeuropa durch sich selbst und für sich selbst leben kann und muß, außerhalb des Konfliktes zwischen der Sowjetunion und der Vereinigten Staaten. Sie machen geltend, daß Europa dazu in der Lage ist, wenn es vermeidet, zwischen Rußland und den Vereinigten Staaten Partei zu nehmen — auf geistigem, emotionellem oder materiellem Gebiet; wenn es mit seinen Menschen, seinem Potential und seinem Geld umsichtig umgeht; und wenn es seine Energien auf unsere Sozialreformen und wirtschaftliche Entwicklung konzentriert. Selbst wenn Frankreich gefühlsmäßig wünschen sollte, die Partei der Vereinigten Staaten zu ergreifen, so geben die französischen Neutralisten doch zu bedenken, laß es für Frankreich nicht ungefährlich 'st, sein Geschick an eine Nation zu binden, deren Staatsmacht auf so merkwürdige Art konstitutionell geteilt und dessen öffentliche Meinung unreif ist. Sie bemerkten eine weitläufige Disharmonie in der amerikanischen Fernost-Politik wie aus den Worten und Handlungen von Außenminister Acheson oder General McArthur zu entnehmen war; und seit unserer Wahl im Jahre 1952 behaupten sie, daß der allgemeine amerikanische Kurs gar nicht vorauszusehen sei, weil Außenminister Dulles auf die verschiedenartigen Elemente in der Republikanischen Partei Rücksicht nehmen muß, die von Präsident Eisenhower (die Welt ist rund), von den Isolationisten und „Zuerst-Asien“ -Senatoren (die halbe Welt ist besser als keine) und Senator McCarthy (liebe mich und die Welt ist mein) repräsentiert werden. Einige der Franzosen, die so argumentieren, sind ganz offen anti-amerikanisch eingestellt, andere stehen sehr weit links. Die Franzosen, die keines von beiden sind, sind überzeugt davon, daß Frankreich, auch bei gutem Willen es sich selbst mit amerikanischer Hilfe nicht leisten kann, in den gegenwärtigen Wiederaufrüstungsbestrebungen in Europa und im kostspieligen Kampf gegen den Kommunismus in IndoChina fortzufahren, und so wenden sie sich dem Neutralismus zu, weil es die einzige Theorie ist, hinter der sie Zuflucht finden können. Pierre Mendes-France, der eine straffe Wirtschaftsführung und einen Kompromis in Indo-China begünstigt, fehlten in der langen Kabinettskrise im Frühjahr nur wenige Stimmen, um Ministerpräsident zu werden, obgleich er, selbst kein Neutralist, von den Neutralisten und vom linken Flügel unterstützt wurde. Die Radikalsozialisten (selbst Edouard Herriot) sind gegen die EVG; sie sind dennoch keine Neutralisten und sind nicht gegen die NATO. Die Sozialisten (die die Kandidatur von Mendes-France unterstützten) sind die einzig» große Partei, die in dieser Frage ein offenes Spiel spielen. Einer von ihnen, ein ehemaliger Ministerpräsident, umriß das Problem mit dem Satz, daß „Frankreich mit Ruß-land auf Deutschlands Rücken den Handel austragen sollte" — nicht zu erwähnen (wenigstens tat er es nicht) die Rücken von Frankreichs gegenwärtigen Alliierten. Die gleiche Quelle ging sogar in ihrer Forderung so weit, daß die Westmächte den territorialen Gewinn von Sowjetrußland und seinen Satelliten in Osteuropa garantieren sollten als Gegenleistung für die sowjetische Bereitwilligkeit, Deutschland zu neutralisieren und zu entwaffnen und mit der allgemeinen Abrüstung zu beginnen. Inzwischen werden die französischen Kommunisten aus dem Nachlassen der Ost-Westspannungen Kapital schlagen und für eine neue „Volksfront" werben, was ihnen erlauben würde, sich an der Regierung zu beteiligen. Die Richtlinien für ihr Verhalten bezögen sie natürlich aus Moskau. Italien erhielt ähnliche Richtlinien und die gehorsame Propaganda hatte dort sogar mehr Wirkung. Bei den letzten Wahlen erzielten die Nenni-Sozialisten, die Verbündeten der Kommunisten, auf der Linken und die Monarchisten und Neo-Faschisten auf der Rechten die Hauptgewinne. Die Rechten sahen nichts Böses darin, das Spiel der Komunisten bis zur Niederlage de Gaspcris zu spielen, des Mannes, der Italien vor dem Kommunismus errettete, und die Politik einer europäischen Zusammenarbeit zu durchkreuzen, die durch Marshallplan und NATO ermöglicht wurde. Im kommenden Kampf wird wahrscheinlich die Rechte gegen die Linke stehen, wobei das Zentrum in die Gefahr gerät, nach beiden Richtungen in Stücke gerissen zu werden. Die Rechte und die Linke nutzen die Gegnerschaft zu De Gasperis „Atlantikpolitik“ aus. Im Laufe dieser Ereignisse lernten die Amerikaner zu ihrem Kummer wieder einmal Ungewißheit und Enttäuschung in der Außenpolitik kennen: Nichts schien so zu mißlingen wie der Erfolg.

IV.

Am 11. Mai sprach Ministerpräsident Churchill von der „veränderten Haltung der Sowjets und, wie wir alle hoffen, auch der Tendenz"; und obgleich diese Auffassung kein neues Beginnen in der britischen Politik verursachte, so stärkte sie doch gewisse schon bemerkbare Tendenzen. Außerordentlich lebhaft war die wachsende englische Bereitschaft, die koreanischen Feindseligkeiten zu beenden, ohne sich allzu sehr um die ins einzelne gehenden Garantien zu kümmern, auf denen die Vereinigten Staaten bestanden. Bestandteil der britischen Politik war außerdem das Bemühen, den Handel mit nicht-strategischen Gütern mit dem sowjetischen Block und China zu fördern. Es machen sich jetzt Bestrebungen bemerkbar, nach formeller Beendigung des Korea-krieges alle Einschränkungen im Ost-Westhandel fallen zu lassen. Weiter umfaßte die politische Route den Entschluß, Chiang-Kai-shek als eine Figur ohne aktuelle oder zukünftige Wirksamkeit oder Wert abzuschreiben und Formosa zu neutralisieren; weiterhin den Wunsch, die absolute Kontrolle des kommunistischen Regimes über China als harte Tatsache anzuerkennen und einen Platz für China in den Vereinten Nationen zu finden; und die Hoffnung, die Vereinten Nationen würden in steigendem Maße als Diskussions-und Versöhnungsforum, nicht aber als ein Instrument zur gewaltsamen Durchführung von Beschlüssen (auf jeden Fall gegen mögliche kommunistische Aggression) benutzt werden. Diesen Zielen fügte der britische Ministerpräsident noch zwei besondere Anregungen hinzu, die beide typisch sind für die allgemeine Richtung englischer Überlegungen. Die eine Anregung war, durch eine Annäherung im Stile Locarnos die Beziehungen zwischen Westeuropa, Deutschland und der Sowjetunion auf eine tragbare Grundlage zu stellen. Nach Ansicht einiger lag darin im Keim die Idee, die Oder-Neiße-Linie zu garantieren (da augenblicklich keine Aussicht besteht, sie auf friedliche Weise zu revidieren) und die sowjetische Vorherrschaft in Osteuropa in irgendeiner Form anzuerkennen. Churchill regte außerdem eine Vier-Mächte-Konferenz auf höchster Ebene ohne vorher festgelegte Tagesordnung über besondere Fragen an, sondern nur um zwanglos die Möglichkeiten einer umfassenden Regelung zu sondieren. Die meisten Fragen sind schon gründlich untersucht worden; aber zwei sind es Wert wieder aufgerollf zu werden unter Berücksichtigung dessen, was wir für die Absichten der augenblicklichen sowjetischen Strategie halten. Der Misisonschef der sowjetischen Delegation bei den Vereinten Nationen hat — abgesehen davon, daß er die Konferenzen als Schalltrichter für Propaganda benutzte — klar zu erkennen gegeben, daß die westlichen Bemühungen fehlschlagen werden, die Organisation der Vereinten Nationen so auszurichten, daß mit ihrer Hilfe der Frieden erzwungen werden kann. Sowjetische Obstruktionspolitik verhinderte es, nach den in der Charta vorgezeichneten Richtlinien vorzugehen — Schaffung eines militärischen. Führungskomitees, Zuweisung von Kontingenten aus den Nationalen Armeen zum Einsatz für die Aufgaben der Vereinten Nationen usw. Als Ersatz wurde im November 1950 der Friedensvereinigungs-Beschluß angenommen, der eine unabhängige Aktion in der Generalversammlung vorsieht, wenn ein sowjetisches Veto im Sicherheitsrat eine Aktion gegen einen Angreifer verhindert. Neuerliche Erklärungen über englische Politik lassen eine nur geringschätzige Ansicht von diesem oder anderen Versuchen erkennen, den Vereinten Nationen Krallen zu geben. Es drängt sich heute der Eindruck auf, daß England die Vereinten Nationen aus zweierlei Gründen gerne in ihrer Rolle als Friedensstifterin unterstützen würde, aber nicht, wenn sie etwas gewaltsam durchsetzen möchte. Einer der Gründe ist, daß die NATO als Exekutivorgan ja innerhalb der Region geschaffen ist, die das konkreteste englische Interesse besitzt, nämlich Europa. Die NATO befriedigt nicht nur die wichtigsten englischen Verteidigungsbedürfnisse sondern hat als regionale Verteidigungsorganisation auch noch den Vorteil, nicht zu Schwierigkeiten innerhalb des Commonwealth — z. B. mit Indien — zu führen, Schwierigkeiten, wie sie aus antiAggressionsplänen unter einer so weit gefaßten Sicherheitsgarantie wie in der Charta erwachsen. Hier liegt wahrscheinlich auch die zweite Begründung dafür, warum englische offizielle Erklärungen den Wert der in der Charta enthaltenen Exekutiv-vorkehrungen jetzt verkleinern und auf Schwierigkeiten hinweisen, sie in die Tat umzusetzen. Soll eine weltweite Organisation wie die Vereinten Nationen überhaupt irgendwelche Exekutionsmaßnahmen durch-führen, so müssen sie in gleicher Weise im Osten und Westen wirksam sein. England würde es begrüßen, wenn sich die Vereinten Nationen auf wirtschaftliche, finanzielle und soziale Probleme konzentrieren würde, die vor das Forum der verschiedenen Komitees gelangen, und die Verantwortung für Exekutionen in Europa der NATO und im Fernen Osten hauptsächlich den Vereinigten Staaten überlassen.

An dieser Stelle soll eine historische Bemerkung eingeflochten werden. Auf der San Franzisko-Konferenz 1945 wurde lange debattiert darüber, was wohl mit den Vereinten Nationen geschehen würde, wenn eine Veto-Macht der Aggression für schuldig befunden würde. In der ersten Reaktion wurde gesagt, daß sich die Vereinten Nationen fernhalten und es den Mitgliedern überlassen würden zu handeln, als ob es sie gar nicht gäbe. Wenn sich der Angriff gegen einen kleinen Mitgliedstaat richtete, könnten die Großmächte ihn ignorieren. Dies würde die Ohnmacht der Vereinten Nationen enthüllen und sie auf die Rolle des Völkerbundes nach der Ablehnung des Genfer Protokolls im Jahre 1925 beschränken. Richtete sich der Angriff gegen eine andere Großmacht, so würde keine schriftliche Vorkehrungsmaßnahme sie daran hindern, Widerstand zu leisten. Artikel 51 versuchte, diesen Akt der Selbstverteidigung zu legalisieren. Legal oder nicht, würde das Ergebnis doch das Ende der Vereinten Nationen bedeuten. Als das Vorgehen Sowjetrußlands im befreiten Polen das Ausmaß seiner Raubgier und Grausamkeit enthüllte, stellte das führende republikanische Mitglied der amerikanischen Delegation, Senator Vandenberg, in einer privaten Unterhaltung mit dem Autor dieses Artikels mit scharfen Worten die Frage, ob es für die Vereinigten Staaten überhaupt noch einen Wert hätte, weiter einer Organisation anzugehören, in denen Sowjetrußland das Vetorecht hat. Ihm wurde entgegnet, daß die Organisation auch dann gerechtfertigt sei, selbst wenn auch eines Tages ein von Moskau begangener oder unterstützter Aggressionsakt die Vereinten Nationen auffliegen lassen sollte; denn es würde dann immer noch eine mächtige, der Charta treue Koalition übrigbleiben, die bereit sei, gemeinsam zu handeln, wie es die Vorschrift erfordere. Um jeden Zweifel an der Legalität einer solchen Handlungsweise zu beseitigen, wurde der Text des Art. 51 erweitert, der nunmehr ein solidarisches und individuelles Recht der Seblstverteidgung einschließt. Damit war Senator Vandenberg zufrieden. Es fand auch bei den englischen Vertretern Anklang in Erinnerung an die Tatsache, daß die Vereinigten Staaten, zwar den europäischen Alliierten in zwei Weltkriegen zu Hilfe geeilt waren, aber doch erst dann, als sie ausgeblutet waren und die Niederlage nicht weit war. Es war offensichtlich vorteilhaft, für den Fall einer anderen Krise die Basis zu schaffen für ein sofortiges solidarisches Vorgehen. Es wäre gut, wenn sich die Engländer an ihren alten Standpunkt erinnern und wenn sie erwägen würden, ob es für England und das Commonwealth vorteilhaft ist, Zweifel entstehen zu lassen, oder ob sie noch zu den alten Grundsätzen stehen. Tun sie es nicht mehr, dann dürfte in den Amerikanern das Gefühl der Verlassenheit in verschiedenen Bezirken aufkommen, in denen sie vitale Interessen haben und in denen eines Tages alle Mitglieder auf die Probe gestellt werden könnten, ob sie noch wie im Fall Korea, gegen eine Aggression Zusammenhalten. All dieses ist natürlich im Zusammenhang mit noch allgemeineren Überlegungen oft diskutiert worden, von denen zwei besonders wichtig sind. Es ist z. B. möglich zu erklären, daß eine Aussöhnung das richtige ist, wenn die Schuld der Aggression nicht klar erwiesen ist oder wenn noch eine Chance besteht, beide Seiten zur Feuereinstellung zu veranlassen und miteinander zu reden. Aber es ist ganz etwas anderes, wenn Risiko und hohe Unkosten als Entschuldigungsgrund herhalten müssen, wenn ein Staat es unterläßt, gegen einen klaren Fall von Aggression vorzugehen. Werden außerdem keine Strafmaßnahmen in Bereitschaft gehalten, so ist der potentielle Angreifer weniger geneigt, Friedensbeschlüsse anzunehmen, und diese werden geringere Wirksamkeit haben. Die Pflicht, Versöhnungsbeschlüsse anzuerkennen, und die Pflicht, gegen einen Angreifer vorzugehen, liegen auf einer Ebene. Nimmt man eine davon weg, so ist die Symmetrie einer internationalen Organisation, die zur Aufrechterhaltung des Friedens bestimmt ist, verloren. Wir hoffen, es wird niemals dazu kommen. Sollte der Fall je eintreten, so ist der Traum von der kollektiven Sicherheit unter dem Zeichen der Vereinten Nationen ausgeträumt, die drei Präsidenten den Eckstein unserer auswärtigen Politik genannt haben. In jüngster Zite machten sich zwischen der englischen und amerikanischen Ansicht über die Zukunft der sogenannten Satelliten ebenfalls einige Differenzen bemerkbar. China kann nicht unter die sowjetischen Satelliten eingereiht werden in Anbetracht der Größe des Landes und der zahlreichen Bevölkerung, der räumlichen Entfernung zwischen Moskau und Peking und angesichts der Tatsache, daß die chinesischen Kommunisten ohne direkte ausländische Hilfe zur Macht kamen. Die augenblicklichen Beziehungen zwischen den beiden größten kommunistischen Staaten sind alles andere als klar; doch wenn wir nach den Beziehungen zwischen zwei beliebigen Kommunisten untereinander schließen, so ist kaum anzunehmen, daß die Bindung zwischen der Sowjetunion und China aufrichtig ist. Sie dauert, weil sie beiden Teilen Vorteil bringt, aber auch keinen Augenblick länger. Zweifellos ist Mao Tsetung ein Kommunist; auch Tito war es — und ist es heute noch. Wenn Mao zu der Überzeugung käme, daß es seinen eigenen Interessen und denen Chinas als Nation dienlich ist, sich von Moskau loszusagen, könnte er es zweifellos tun; doch haben wir keinen Grund zu der Annahme, daß er nach seiner Absage an Moskau dann dem Westen gegenüber die gleiche Haltung wie Titos nationalkommunistisches Regime einnehmen würde. Wie dem auch sei, zwischen beiden Regimen bestehen im Ursprung und in der Situation zugleich Ahnlichkeiten und Verschiedenheiten, und es erscheint unklug so zu handeln, als ob irgendein modus vivendi aus der Natur der Sache heraus zwischen dem kommunistischen China und den Vereinigten Staaten für immer unmöglich sei. Auch die Natur der Dinge ist dem Wechsel unterworfen. Unter den gegenwärtigen Umständen wird die amerikanische Politik sich weiterhin bemühen, chinesische Angriffe in Asien zu vereiteln, und versuchen, die chinesisch-russische Partnerschaft so fruchtlos und unbefriedigend wie möglich erscheinen zu lassen. Das bedeutet aber nicht, daß es von uns oder den Engländern klug gehandelt wäre, uns bis in die ferne Zukunft grundsätzlich auf eine chinafeindliche Haltung festzulegen. Der drastische Wechsel unserer Anforderungen an das Deutschland von 1945 und von heute, die unerwartete Umwandlung unserer Beziehungen zu Jugoslawien und der Gang der Ereignisse, der uns jetzt Japan zu einer Aufrüstungspolitik drängen läßt, von der General McArthur darzutun versuchte, daß Japan ihr nie folgen würde, — alle diese Tatsachen sollten Staatsmänner und Gesetzgeber davor warnen, die Probleme von morgen allzu vertrauensselig vorauszusagen oder zu versuchen, ihre Nachfolger auf bestimmte Lösungen festzulegen. Unsere Differenzen mit England über China sind weder vom Historischen noch vom Praktischen her gesehen die gleichen wie die über die Zukunft der jetzt von Sowjetrußland kontrollierten osteuropäischen Länder, von denen zwei mit russischen Gruppen belegt sind. Englands Tradition, das Gleichgewicht der Kräfte auf dem Kontinent aufrecht zu erhalten, läßt es Einflußsphären als ebenso natürlich wie nützlich empfinden, und es glaubt, daß sich die Vereinigten Staaten in der Karibischen See ebenso zu verhalten scheinen. Als Churchill und Eden im Jahre 1944 Moskau aufsuchten, einigten sie sich mit Stalin auf eine Interessenteilung auf dem Balkan — der Sowjetunion wurde ein vorherrschender Einfluß im Verhältnis 75 zu 25 in Rumänien, Bulgarien und Ungarn eingeräumt, während die gemeinsamen Interessen in Jugoslawien 50 zu 50 aufgeteilt wurden. Über dieses Abkommen war Staatssekretär Hull sehr unglücklich. Im Mai des gleichen Jahres hatte er sich britischen Anregungen widersetzt, Rußland ein kontrollierendes Interesse in Rumänien zu gewähren, wenn England dafür ein kontrollierendes Interesse in Griechenland erhielte. Er hielt Präsident Roosevelt vor, daß dieser Handel im Gegensatz stände zu dem Grundsatz eines breiten Systems kollektiver Sicherheit, wie es für die Vereinten Nationen geplant war. Nach dem Kriege bewies die britische Regierung in den Iran betreffenden Vorschlägen, daß sie immer noch nicht davon überzeugt war, daß Einflußsphären schändlich sind. Noch kürzlich erklärte Premierminister Churchill in seiner Rede vom 11. Mai, daß er bereit wäre, ein besonderes Interesse und eine besondere Stellung Rußlands in Osteuropa anzuerkennen, wobei er ausdrücklich das Recht Rußlands einschloß, sich freundlich gesinnter Regierungen in den angrenzenden Staaten zu vergewissern. Was er sagte, war in etwa theoretisch. Aber wenn er damit sagen wollte, daß eine Viermächte-Konferenz dies als einen natürlichen Preis für den Rückzug sowjetischer Truppen aus dem Gebiet ansehen würde, so befindet er sich im Gegensatz zu dem, was Mr. Dulles vor einem Jahr über die Befreiung der osteuropäischen Länder sagte und ebenso zu Präsident Eisenhowers vorsichtiger aber bestimmt formulierter Erklärung, daß sie fähig sein sollen, ihre Unabhängigkeit wiederzugewinnen. Dies ist ein Beispiel, warum die Westmächte sich über das Wesentliche eines jeden Punktes auf der Tagesordnung einer Viermächte-Konferenz im voraus einigen sollten. Churchills Bemerkungen können falsch gedeutet worden sein, oder er kann seine Ansicht ändern. Aber in keinem Fall sollte die osteuropäische Frage zum Hindernis zwischen England und den Vereinigten Staaten über den grundsätzlichen Umriß einer europäischen Lösung werden; es braucht nicht dazu zu kommen, wenn wir unsere Ziele klar umreißen und sie ausreichend erklären. Sie basieren auf der Tatsache, daß der Nationalismus bei den osteuropäischen Völkern und auf dem Balkan eine dominierende Kraft war seit den Tagen, als sie für ihre Freiheit vom otto-manischen, habsburgischen und zaristischen Reich kämpften und gewannen. Titos Rebellion gegen Moskau im Jahre 1948 entsprang seinem Nationalgefühl und hatte deshalb Erfolg. Vergangenen Juni mahnten Ostdeutschland und die anderen sowjetisch besetzten Länder daran, wie universal und wie intensiv dieses Gefühl ist; und Malenkow suchte durch Versprechungen besserer Lebensumstände die Auswirkungen unschädlich zu machen, indem er bessere Lebensbedingungen den Völkern versprach, die zum Nutzen der sowjetischen Wirtschaft und der sowjetischen Militärmaschine arbeiten. Nationalismus und Unabhängigkeit sind die Losungsworte für unsere osteuropäische Politik. Die westliche Demokratie stellt einen Kontrast dar zu sowjetischem Tenor hinter dem Eisernen Vorhang; wir sollten Westeuropa helfen, weiterhin einen Kontrast zum russischen Lebensstandard zu bilden (z. B. Berlin, unser bestes Fenster nach dem Osten). Aber am wirkungsvollsten ist es, die Völker Osteuropas wissen zu lassen, daß wir entschlossen sind, sie sollen das haben, was ihnen die Russen nicht geben — nationale Freiheit. Es ist unnötig, die Politik als eine „Befreiung" zu bezeichnen, von der die kommunistische Propaganda die Vorstellung verbreitet hat, sie bedeute einen von den Vereinigten Staaten begonnenen Krieg. Die Völker Westeuropas fürchten einen Alliierten, dessen politisches Programm, wie ihnen erzählt wird, das Risiko eines Krieges einschließt; und die Osteuropäer, die schon einmal durch die Rote Armee erfahren haben, was es heißt, befreit zu werden, würden vielleicht eine andere Bezeichnung vorziehen. Doch ist das Hauptanliegen dieser Völker zweifellos die Erlangung der Freiheit für das Individuum und der Freiheit für die Nation. Davon müssen wir ausgehen bei unserem Versprechen, die revolutionären Regime, die eines Tages die gegenwärtigen Sklaven-regierungen verdrängen werden, anzuerkennen und zu unterstützen. Außer der moralischen und geistigen Ermutigung können wir ihnen auch schon auf andere Weise helfen, wenn sich dafür die Möglichkeit bietet wie z. B. im vergangenen Sommer in der Ostzone Deutschlands und in Westberlin. Wir können denjenigen die Hoffnung auf ein neues Leben in Amerika geben, die dank ihrer Tapferkeit und List aus der Zone hinter dem Eisernen Vorhang entfliehen konnten (wie es in bescheidenstem Umfang das von Senator McCarran so heftig befehdete Gesetz tut) — das ist eine scharfe Propagandawaffe für die Demokratie und gegen sowjetische Tyrannis, das Mindeste an christlichem Gemeinschaftsgeist und eine Methode neue Bürger zu gewinnen, die ihren außerordentlichen Charakter bewiesen haben. Es würde jedoch die Wirksamkeit unserer Taten und Worte außerordentlich vermindern, wenn der Eindruck entstehen sollte, als ob wir versuchten, diese Völker auf ein bestimmtes soziales Gefüge in der Zukunft zu verpflichten. Ein erfahrener Beobachter kommunistischer Tätigkeit in Asien berichtete kürzlich dem Autor dieses Artikels, daß die Kommunisten dort nur Fortschritte ma-chen könnten, wenn sie ihre Feinde als anti-Nationalistcn plakatierten. Wir sollten ihnen diesen Vorteil in Osteuropa nicht einräumen. Es ist viel wichtiger, die besetzten Gebiete zu ermutigen, sich selbst von Rußland zu befreien, als von vorne-herein ihre Regierungsformen für die Zeit nach ihrer Befreiung festzulegcn. Wir müssen vermeiden, in einen ideologischen Streit über Regierungsformen hineingezogen zu werden, die die eine Extreme für reaktionär und feudal und die andere für radikal und revolutionär hält. Als größten Anreiz sollten wir diesen Völkern — entgegen dem russischen Verfahren — das Anerbieten machen, ihnen behilflich zu sein, die von ihnen gewünschte Gesell-schaftsform aufzubauen. Wir sollten sie jetzt schon durch unser Verhalten überzeugen, daß es auch so sein wird. Ein Übereinkommen zwischen den Westmächten und den angrenzenden Staaten über eine gemeinsame Politik nach dem Verschwinden der Satellitenregierungen könnte als konkreter Beweis dienen und von unseren Sendern als wirksame Waffe benutzt werden. Man sollte sich auf eine Nicht -Einmischungspolitik verpflichten mit einer Ausnahme: eine internationale, von den Vereinten Nationen ausgeübte Kontrolle sollte die Rechte verschiedener politischer und sozialer Elemente schützen, eine freie Diskussion gewährleisten und dafür sorgen, daß das ganze Volk in der Lage ist, für die Volksvertreter seiner Wahl zu stimmen. Sollte es sich für eine Form des nationalen, von Moskau unabhängigen Kommunismus entscheiden, so hätten wir uns zwar besseres gewünscht, können uns aber immer noch damit zufriedengeben, daß es im Vergleich zum heutigen Zustand schon ein Fortschritt ist; sollte es sich für eine parlamentarische Regierung nach westlichem Muster entscheiden, so entspräche es nicht der Hoffnung von Marschall Tito und vielen örtlichen Kommunisten, es würde aber viel besser als der jetzige Zustand sein. Möglich, daß es ein Mittelding zwischen beiden wäre. Wenn wir zu einem offenen Einvernehmen mit Marschall Tito über freie Wahlen unter der Kontrolle der Vereinten Nationen in den befreiten, ihm benachbarten Satellitenstaaten gelangen könnten (und der Autor hat Grund anzunehmen, daß es jetzt möglich wäre), so würden wir zukünftige Mißverständnisse und vielleicht sogar große Gefahren vermeiden. Es könnte sich sogar um nähere Zukunft handeln. Das kleine Albanien zum Beispiel könnte sogar ohne jeglichen Anreiz von außen zu jeder Zeit seinen Marionettenregenten Enver Hodscha liquidieren. Dies würde den Westen schwierigen Entscheidungen gegenüberstellen, über die sich bisher noch niemand Gedanken gemacht hat, ob sie nun nur zwischen den Westmächten oder mit ihnen und dem angrenzenden Grie-chenland und Jugoslawien besprochen werden sollen. Auch unsere britischen Alliierten sollten sich von dem Vorteil klarer Grundsätze für solch einen Fall im besonderen und im allgemeinen zur Stärkung unserer Freiheitspropaganda überzeugen lassen, selbst wenn sie ihre Bereitwilligkeit dafür drangeben müßten, zukünftige Verhandlungen mit Rußland durch Anerkennung des ganzen russischen Besitzes außerhalb der russischen Grenzen von 1938 zu erleichtern.

Der Rückzug Sowjetrußlands in die Grenzen von 193 8 sollte nicht mit der Anerkennung der Welt auf irgendeine privilegierte Stellung Rußlands außerhalb dieser Grenzen verbunden sein, sondern eher mit der Zusicherung, daß die russische Regierung, welcher Art sie auch sei, innerhalb der Grenzen vor Angriffen sicher sein wird. Zusicherungen auf diesem Gebiet, die eine Großmacht wie Rußland anerkennen würde, müßten auf Gegenseitigkeit beruhen — nichts Gewährtes, sondern von beiden Seiten Gegebenes. Ein wirklich funktionierendes allgemeines Sicherheitssystem dürfte das richtige sein. Das ist die eigentliche Basis für die Freiheit der Völker Osteuropas und für die Sicherheit Rußlands an seinen westlichen Grenzen.

V.

Die sowjetische Antwort vom 5. August auf die westliche Anregung, die vier Außenminister sollten auf einem Treffen die Deutschlandfrage diskutieren, zeigte wieder einmal den Unterschied zwischen westlicher und sowjetischer Auffassung über die Gewinne aus einer Konferenz. Nachdem die sowjetische Note die westliche Idee freier Wahlen in Deutschland kritisiert und sich beklagt hatte über die „Aufrüstung" Westdeutschlands (die, wie sie betont, für die Nachbarstaaten sehr beunruhigend sein müßte) fährt sie mit der Erklärung fort, daß die sowjetische Regierung doch bereit sei, die deutsche Frage zu besprechen. Dann kam das „Aber". Die Sowjetregierung (Fortsetzung der Note) wünschte die durch den Waffenstillstand in Korea geschaffene günstige Atmosphäre zu nutzen, um allgemeine Maßnahmen wie die Begrenzung der Bewaffnung und die Ächtung von Militärbasen im Ausland zu diskutieren; und da diese Frage auch Asien angingen, sei die Teilnahme der kommunistischen Chinaregierung „erforderlich". Punkt 1 auf der sowjetischen Tagesordnung waren demnach „Maßnahmen, um die Spannungen in den internationalen Beziehungen abzuschwächen". Punkt 2 war Deutschland. Die Sowjetnote fügte scheinbar in Form eines nachträglichen-Einfalls — obgleich wir überezugt sind, daß es nicht so gemeint war — hinzu, daß die Lösung der deutschen Frage zur Lösung der österreichischen Frage beitragen würde. Das stellt die Sache auf den Kopf. Eine Rede Malenkows drei Tage später weitete das Spiel auf Frankreichs Furcht vor Deutschland aus und forderte eine französische und sowjetische Zusammenarbeit, um die Wiederbewaffnung Deutschlands zu verhindern. Aber Moskau war noch nicht zufrieden. Die anti-deutschen Gefühle Frankreichs waren mal wieder gereizt worden, aber die deutschen Freunde Rußlands befanden sich im Hintertreffen, weil Moskau die deutsche Wiedervereinigung anderen Zielen nachgeordnet hatte. Die neue Sowjetnote vom 16. August versuchte, das Spiel mit Frankreich lebendig zu erhalten, während sie gleichzeitig den Irrtum in Deutschland berichtigte. Die Westmächte halten die Abhaltung allgemeiner freier Wahlen in Deutschland für das einzig logische und sichere Vorgehen, um eine alldeutsche Regierung zu wählen, die dann an den Verhandlungen über einen Friedensvertrag teilnehmen würde. Moskau entgegnete nun mit der Anregung, durch das Ost-und Westdeutsche Parlament eine provisorische alldeutsche Regierung bilden zu lassen. Dieser schwache Körper, in jeder Beziehung nur ein Stückwerk, sollte die Wahlen vorbereiten und abhalten. Wir kennen das Vorbild hierfür. Es führte zur Verschmelzung von Ministerpräsident Mikolazszyks Polnischer Exilregierung mit der unter kommunistischem Schutz in Lublin aufgestellten provisorischen Polnischen Regierung — und das Ergebnis war, daß Polen bald an die Sowjets ausgeliefert wurde. Und es ist auch das Vorbild für das in Yalta ratifizierte Tito-Shabashich-Übereinkommen, wodurch die königliche jugoslawische mit Titos Regierung verschmolzen wurde, um allmählich in ihr unterdrückt zu werden. Da außerdem der sowjetische Vorschlag der provisorischen alldeutschen Regierung die Teilnahme an Koalitionen und militärischen Bündnissen untersagen würde, wäre die EVG dahin. Das sowjetische ostzonale Kommunique vom 23. August verstärkte noch die unterstellte Anziehungskraft des Programms auf alle Deutschen durch Angebote wirtschaftlicher Konzessionen in der Ostzone und durch das Westdeutschland gegebene Versprechen, die Kriegsgefangenen zu entlassen. Die Alternative hierzu wurde durch die Ankündigung unterstrichen, daß sowjetische Wissenschaftler die Wasserstoff-bombe hatten explodieren lassen. Wird der Kreml noch einen Schritt weiter gehen in seiner Politik und eine Pause in Indo-China anregen? Gleich der in Korea? Ist die Aussicht auf Beendigung der enormen Belastungen für Frankreich verlockend genug, um eine Tito-Politik mit umgekehrten Vorzeichen in Erwägung zu ziehen, wobei es dann dem Rat des oben-erwähnten Ex-Premiers folgen würde? Sollten die Sowjets wirklich gewillt sein, diese Zahlungen in Asien zu leisten in der Hoffnung, den Erfolg in ihren europäischen Zielen damit zu besiegeln, dann sollten wir die Versuchungen, von denen Frankreich heimgesucht würde, nicht dadurch zu bannen versuchen, daß wir es schwach und wankelmütig nennen. Wir können nur dem logisch geschulten französischen Geist erklären, daß die Annahme der sowjetischen Lösung den Rückzug aus der westlichen Gemeinschaft bedeuten würde. Der erste Schritt zu einer für uns annehmbaren Lösung besteht darin, daß wir für Frankreich und uns selbst die vollen Konsequenzen — für uns beide — einer derartigen Katastrophe einsehen. Sollten einige der jetzt in Europa bemerkbaren Tendenzen sich vertiefen, so wäre eine radikale Revision der Politik im Bereich des Möglichen, die unserige einbegriffen, ob wir dazu bereit sind oder nicht. Wir könnten uns auf die NATO beschränkt sehen, beraubt des Planes für eine europäische Armee. Um der NATO zum Erfolg zu verhelfen, sollten wir mehr Energie und Witz als bisher darauf verwenden, ihre Funktionen hier im Lande und im Aus-lande klar zu machen — hier, daß es sich um eine Organisation handelt, die ebenso wichtig ist für unseren eigenen Schutz wie für den Europas — im Auslande, daß wir an die NATO glauben und sie erschöpfend unterstützen werden. Die Engländer mögen noch einmal überdenken, ob sie wirklich erwarten können, ein Gleichgewicht auf dem Kontinent zu erhalten, ohne sich selbst dabei mehr zu engagieren. Die Franzosen mögen sich mit der Tatsache auseinandersetzen, daß die Alternative zu deutschen Kontingenten in einer Europa-armee eine unabhängige deutsche Armee ist, und ob Deutschland innerhalb der NATO nicht ein sicherer Nachbar ist als außerhalb.

VI.

Wir widersetzen uns garnicht im Grundsätzlichen Verhandlungen mit den Russen: wir haben keinen Grund, sie zu fürchten unter der Voraussetzung, daß die Punkte der Tagesordnung präzis sind. Jede der vergangenen Verhandlungen mit den Kommunisten hat uns gelehrt, daß die Tagesordnung von entscheidender Bedeutung ist. Wir möchten über abgegrenzte Fragen verhandeln in der Hoffnung, sie zu lösen. Wir haben die Erfahrung gemacht, daß sie allgemeine Fragen besprechen wollen, die ihnen die Gelegenheit zu großartigen Propagandaeffekten geben. Rüstungsbeschränkungen, auf denen die sowjetische Propaganda immer herumreitet, sind ein solcher Fall. Auch wir sprechen über Abrüstung. Aber wir sind der Ansicht, daß sie nur möglich und wert einer Diskussion werden als Ergebnis vorausgegangener politischer Entscheidungen, die eine Atmosphäre internationaler Sicherheit geschaffen haben. Dies ist kein Gegensatz zu den seit dem Jahre 1945 von uns gemachten Anstrengungen, die Sowjets zu überreden, irgendeine brauchbare und wirksame Methode zur Ausschaltung der Gefahr eines überraschenden Atomangriffs anzunehmen. Würden sie nur ein wirkungsvolles Prüfungs-und Kontrollsystem annehmen, so wäre dies die beste denkbare Einleitung zu der Regelung unserer besonderen Anliegen und für die allgemeine Abrüstung, die sie zu wünschen vorgeben. Wir diskutierten einige Jahre lang in Genf mit anderen Nationen die Frage der allgemeinen Rüstungsbeschränkung. Wir versuchten, grundsätzliche Gegebenheiten abzuwägen und anzugleichen, die in funktioneller Hinsicht vollkommen verschieden waren und die je nach Nation, Gegend und Zeitpunkt an Wert variierten. So war es nicht erstaunlich, daß wir zu keinem Resultat kamen. In jedem Falle war der Wagen vors Pferd gespannt. Das Wiederaufleben der französisch-deutschen Rivalität und die Auswüchse des Faschismus schufen die Kriegsfurcht, und es bestand kein Rahmenwerk für die allgemeine Sicherheit. Die Lehre aus jenen Tagen ist, daß eine allumfassende Rüstungsherabsetzung und -beschränkung eine der letzten politischen Entscheidungen ist, zu denen Regierungen aufgefordert werden sollten; es ist der letzte Schritt auf der Straße zum Frieden, der dann im wesentlichen schon gewonnen ist. Bevor wir uns diesem Straßenabschnitt nähern, müssen wir erst noch Korea, Indo-China, Deutsch-land, Österreich, die von Sowjetrußland besetzten Staaten und viele andere Gebiete durchqueren, wo nationale und ideologische Interessen aufeinanderprallen und die Drohung des Krieges entsteht.

Trotz aller Rückschläge müssen wir weiterhin versuchen, die Sowjets auf eine Diskussion festumrissener Fragen, die das Risiko des Krieges in sich tragen, festzunageln. „Es ist die Politik ihrer Majestät Regierung“, sagte Premierminister Churchill am 11. Mai, „in jeder Weise alles in ihrer Macht stehende zu tun, um jedwede Handlung oder Worte zu vermeiden, die irgendeine günstige Reaktion verletzen könnten und jedes Anzeichen einer Besserung in unseren Beziehungen zu Ruß-land zu begrüßen“. Die Regierung der Vereinigten Staaten stimmte dem zu und bestätigte diese Ansicht. Das bedeutet allerdings nicht, daß wir uns der Idee Churchills einer uneingeschränkten Diskussion mit den Russen anschließen müssen. Wir versuchen nicht zu Unrecht, sie zu bestimmten Fragen sich äußern zu lassen. Aber es ist unser Fehler, daß unsere Antwort auf ihre Noten lautet: „Nein, weil.. wenn es doch heißen müßte: „Ja, aber.. Die Menschen lesen im allgemeinen keine Noten. Sie interessieren sich für das Ergebnis, nicht für die Begründung. Ob jemand nein sagt und ob jemand die Tür für weitere Versuche offen läßt, ist von ungeheurer psychologischer Wichtigkeit. Das ist kein Streit um Worte; wir sollten klug genug sein, in jedem Falle ihnen das letzte Wort zu überlassen. Vor Verhandlungen mit den Russen werden wir uns genau überlegen müssen, was sollen wir fordern? Was können wir gewähren? Welche Grundsätze dürfen wir ungeachtet jeglicher Risiken niemals opfern? Wenn es tatsächlich zu einer Konferenz kommt — wenn überhaupt — ist zu überlegen, wie die Große Allianz durch alle Wechselfälle einer langen Konferenz in Freundschaft und Stärke zusammengehalten werden kann. Es besteht die Gefahr, daß auf einer Konferenz ein falscher Frieden geschlossen wird oder daß die Große Allianz bei einer Umgehung dieser Gefahr auseinanderbricht. Es gibt noch eine ganz andere Gefahr. Bei einer Konferenz mit der Sowjetunion werden sich zahlreiche Herzen von Männern und Frauen im Westen — und nach unserer Ansicht auch im sowjetischen Osten — mit Hoffnung füllen. Ein Mißlingen der Konferenz würde allgemeine Enttäuschung nach sich ziehen, die zu verzweifelten Handlungen führen könnte. Es wird keine Zauberformel in der amerikanischen Politik geben, die die gegenwärtige Lage plötzlich verändert; noch erlaubt die gegenwärtige psychologische Einstellung eine neue Auslegung, die die gegenwärtige ersetzen könnte. Nur wenn wir unserer Überzeugung treu bleiben und weiterhin versuchen, sie ohne Rücksicht auf Mühen und Kosten zur Geltung zu bringen, können wir Europa überzeugen. Beim Versuch, die Große Allianz für den Frieden intakt zu halten, ist es wichtiger als alles andere, dem amerikanischen Volke immer und immer wieder zu erklären, warum es unmöglich ist, der unbewiesenen Behauptung beizupflichten, daß unser Gegner weich wurde. Der Schlüssel für die Einigkeit und Kraft der Allianz ist die amerikanische Einigkeit und Kraft.

Fussnoten

Weitere Inhalte