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Probleme der deutschen Entwicklungshilfe | APuZ 35-36/1962 | bpb.de

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APuZ 35-36/1962 Probleme der deutschen Entwicklungshilfe

Probleme der deutschen Entwicklungshilfe

HANS BRÄKER

Oft ist die Meinung zu hören, die Entwicklungshilfe der freien Welt sei nur eine Reaktion auf die Aktivität des Kommunismus. Das ist falsch. Auch ohne Kommunismus wäre Entwicklungshilfe zur Sicherung einer würdigen Existenzgrundlage der gesamten Menschheit notwendig gewesen. Die Expansionspolitik des Ostens hat sie allerdings gleichzeitig zu einer ungemein wichtigen politischen Aufgabe gemacht. Entwicklungshilfe ist der Kampf gegen Hunger, Not und Elend In der Welt. Sie ist die gemeinsame Sorge aller für eine menschenwürdige gesellschaftliche und wirtschaftliche Ordnung in den Entwicklungsländern.

Zahlen sind, wenn von Entwicklungshilfepolitik gesprochen wird, zweitrangig. Mit ihnen allein läßt sich der Wille der Bundesrepublik und ihrer Regierung zu einer freundschaftlichen Zusammenarbeit mit den Völkern Afrikas, Asiens und Lateinamerikas nicht dokumentieren. Es kommt auf den Geist an, in dem die deutsche Hilfe gegeben wird. Diese Veröffentlichung will versuchen, etwas davon zu vermitteln.

I. Die ideellen und ökonomischen Grundlagen

Die Lage in den einzelnen Entwicklungsländern ist sehr unterschiedlich. Eines aber ist ihnen allen gemeinsam: Überall ist die Not großer Teile der Bevölkerung unübersehbar. Die hauptsächlichen Gründe sind, daß die Bodenerträge unzureichend sind und keine ausreichende Ernährungsbasis für die Bevölkerung darstellen. Die geographischen Voraussetzungen, Klima und ebenso das Fehlen einer rationellen Bewirtschaftung sind hierfür verantwortlich. Die Ausfuhr von Rohprodukten bringt zu geringe Einnahmen, und sie ist dazu noch starken Schwankungen unterworfen. Einige Industrien sind in den Entwicklungsländern noch im Anfangsstadium. Ökonomische Mißverhältnisse in den Entwicklungsstaaten Schon diese Tatsachen erklären zu einem wesentlichen Teil, warum es ein krasses Entwicklungsgefälle zwischen den bereits industrialisierten und den noch wenig erschlossenen Entwicklungsländern det Erde gibt. Dieses Gefälle zeigt sich im Durchschnittseinkommen der Menschen in diesen Staaten sehr klar. Es liegt in den Entwicklungsländern pro Jahr und Kopf höchstens bei 100 Dollar, in den hochindustrialisierten Staaten des Westens aber bei 800 Dollar und in den USA sogar bei 2 000 Dollar. Dieses Mißverhält-nis wird sich voraussichtlich für die Länder Asiens, Afrikas und Lateinamerikas noch weiter Verschlechtern. Denn es gibt keine Anzeichen dafür, daß die Ge'burtsraten in absehbarer Zeit sinken werden, die in den Entwicklungsländern mit den meisten Menschen teilweise noch über twei Prozent jährlich hinausgehen. Andererseits war es durch den Einsatz moderner hygienischer und medizinischer Mittel möglich, die Kurve der Sterblichkeitsrate schnell abfallen zu lassen.

Das rapide Anwachsen der Bevölkerung hat die soziale Lage in den Entwicklungsländern ständig bedrohlicher werden lassen. Besonders auffällig äußert sich das in der Steigerung des Nettoeinkommens. In der Zeit zwischen 1950 und 1957 stieg dieses Einkommen pro Kopf und Jahr in einigen europäischen Ländern wie beispielsweise England, der Schweiz und der Bundesrepublik um 360 Dollar — in den wenig entwickelten Staaten der Erde aber nur um 10 Dollar! Die unaufhaltsame Zunahme der Bevölkerung wirkte also nicht nur ökonomisch hemmend, sondern sie hatte gleichzeitig zur Folge, daß jede mühsam erzielte Produktivitätssteigerung gewissermaßen sofort . wieder aufgegessen wurde. Die Not wurde größer, statt langsam abzusinken.

Kein einfaches Überspringen von Entwicklungsstufen Mancher glaubt, aus den Anfängen einer Entwicklung mit einem Sprung zu den heute erreichten Formen des Entwicklungsganges hinüber-springen zu können — also gleich in die modernste Technik hinein, in Automation und Kern-technik. Damit würde aber ein falscher und zudem gefährlicher Weg beschritten. Denn alle Maßnahmen zur Entwicklungsförderung müssen außer dem ökonomischen Effekt auch die Auswirkungen auf das kulturelle und soziale Gefüge eines Volkes berücksichtigen. Eine zu schnell vorangetriebene Technisierung oder die einseitige Förderung bestimmter Teile des Wirtschaftslebens, besonders der Schwerindustrie, wären wirtschaftlich sinnlos, weil sie auf die gleichmäßige Entwicklung der übrigen Bereiche in Gesellschaft und Wirtschaft nicht genügend Rücksicht nähmen. Gefährliche soziale und kulturelle Spannungen müßten die Folgen sein. Deshalb wird jeder Erfolg der wirtschaftlichen Bemühungen davon abhängen, ob es gelingt, den zum überwiegenden Teil noch in einer nicht-rationellen Vorstellungswelt lebenden Völkern Afrikas, Asiens und Lateinamerikas den Weg zu rationellem wirtschaftlichem und technischem Denken zu weisen. Diese Forderung nach rationalem Verhalten ist aber nur insoweit berechtigt, als damit die sachliche Notwendigkeit einer erfolgreichen Wirtschaftsführung gemeint ist.

Ein weiteres ist von höchster Wichtigkeit, wenn die ganz andere Ausgangsposition beurteilt wird, die jedes Entwicklungsland von einem hochindustrialisierten Land unterscheidet. Es ist der Umstand, daß in vielen Entwicklungsländern die Grundlagen einer modernen staatlichen Struktur, die sich von der Gemeinde bis zur Staatsführung aufbaut, einfach nicht vorhanden sind. Überdies fehlt ein ausgebildeter Beamten-stab auf nahezu allen Ebenen des öffentlichen Lebens. Es fehlt ein ausreichendes Erziehungssystem von der Grundschule bis zur Universität und Technischen Hochsdiule. Und es fehlen eine moderne Industriearbeiterschaft ebenso wie das Unternehmertum und das Investitionskapital für den Auf-und Ausbau der modernen Industrie. Schließlich fehlt auch die für jeden wirtschaftlichen Aufbau unentbehrliche „Infrastruktur“: Straßenbau, Eisenbahnbau, Energie-anlagen, Bewässerungswesen, Staudämme, Krankenhäuser — und noch vieles andere. Für eine solche Infrastruktur sind aber große Investitionen nötig. Die natürlichen Reichtümer der meisten Entwicklungsländer müssen als Basis für jede zukünftige Entwicklung erschlossen werden. Sie sind jedoch auch heute größtenteils noch unbekannt, denn die bisherigen geologischen und landwirtschaftlichen Untersuchungen reichen dafür nicht aus.

Wirtschaftliche Hilfe unter Zeitdruck Alle diese Tatsachen verbieten es, sich der Illusion hinzugeben, daß die Entwicklungsländer die wirtschaftliche und technische Entwicklung der Industriestaaten in kürzester Frist nachholen könnten. Dem steht andererseits aber entgegen, daß alle Hilfsmaßnahmen wie überhaupt alles, was in diesen Ländern geschieht, von der brennenden Sorge vor der tatsächlich schnellen Verschlechterung der wirtschaftlichen Verhält-nisse bestimmt werden. Deshalb sind die Länder Asiens, Afrikas und Lateinamerikas in der Zwangslage, die Entwicklung, die sich in Europa über mehrere Jahrhunderte erstreckte, in wenigen Jahrzehnten nachzuholen. Angesichts dieser Lage dürfte kaum damit zu rechnen sein, daß der wirtschaftliche Aufbau in diesen Ländern in absehbarer Zeit in ruhige und geordnete Bahnen geleitet werden könnte.

Es gibt keine „Patentlösung Mit diesen Realitäten werden aber die hilfsbereiten Länder des Westens genauso konfrontiert wie die Entwicklungsstaaten selbst. Ihre Hilfsmaßnahmen müssen dem Zeitdrude gerecht werden, der die wirtschaftliche Entwicklung in Asien, Afrika und Lateinamerika bestimmt. Es hieße Hoffnungen zu nähren, die kein Industriestaat der Erde erfüllen kann, wenn den Entwicklungsländern unter diesen Voraussetzungen eine „Patentlösung" für eine schnelle Verbesserung oder sogar kurzfristige Beseitigung ihres wirtschaftlichen Rückstandes angeboten werden sollte. Daß hieße zugleich, künstliche Unsicherheiten zu schaffen und die Ungeduld noch zu verstärken, die ohnehin vorhanden, heute aber verständlich und erträglich ist.

Die Konsequenz müßte die Zerstörung aller bisherigen fruchtbaren Entwicklungsansätze um den Preis eines wirtschaftlichen und auch politischen Chaos sein. Keine Regierung eines westlichen Staates kann sich mit einer solchen Verantwortung belasten. Das könnte nur eine Regierung tun, die — wie beispielsweise die kommunistischen — in der Schaffung von Chaos die Voraussetzung für die Durchsetzung ihrer eigenen ideologischen, wirtschaftlichen und außen-politischen Zielsetzungen sieht.

Die Hilfe der Bundesrepublik Deutschland geht von diesen grundsätzlichen Erwägungen aus und ist von der Überzeugung bestimmt, daß keine Nation, die in irgendeiner Form in die weltpolitischen und weltwirtschaftlichen Zusammenhänge verflochten ist, sich der Mitverantwortung für diese Zielsetzung entbunden fühlen darf: daß die Völker der Entwicklungsländer zu einer freiheitlichen Ordnung ihrer Verhältnisse gelangen. Die Aufgabe ist zu ernst, als daß sie mit propagandistischen oder spektakulären Nebenabsichten belastet werden könnte. Was allein bleibt, sind nüchterne und in der Praxis wirksame Maßnahmen.

Solche Maßnahmen finden allerdings durchweg keinen Massenbeifall und keinen Popularitätserfolg. Doch das spricht nicht gegen den Wert der deutschen Entwicklungshilfe. Die Entwicklungsländer gäben sich einer gefährlichen Illusion hin, wenn sie glaubten, allein die Hilfe aus dem Ausland sei der Schlüssel für die Beseitigung ihrer wirtschaftlichen Nöte. So wichtig und unerläßlich diese Hilfe ist: die entscheidenden Aufgaben müssen doch die Völker selbst bewältigen, die sie empfangen. Der Erfolg aller Maßnahmen hängt davon ab, daß sich in den Ländern Afrikas, Asiens und Lateinamerikas Menschen finden, die in genauer Kenntnis der Verhältnisse und Bedürfnisse ihrer Staaten bereit sind, die Verantwortung für sachgemäße Nutzung der von außen geleisteten Hilfe zu tragen. Auslandshilfe kann nur als Beitrag der Industriestaaten zu guter Partnerschaft mit den Entwicklungsländern gewertet werden. Sie erfüllt am besten dann ihren Sinn, wenn sie als Hilfe zur Selbsthilfe verstanden wird.

II. Möglichkeiten und Grenzen des Warenaustausches

Die gegenwärtig brennendsten und schwer zu lösenden Probleme liegen für die Entwicklungsländer auf kommerziellem Gebiet: im Außenhandel, im Warenverkehr mit den großen Industriestaaten. Der Haberler-Bericht des GATT von 1958 zeigt überdeutlich, daß in diesem Bereich unausgewogene Verhältnisse gegeben sind, die durch weitgehende handelspolitische Aus-richtung der Entwicklungsländer auf die Produktionsstrukturen der alten Industriestaaten bestimmt werden. Der Grund für diese Unausgewogenheit ist vor allem die Tatsache, daß wir es bei den Entwicklungsländern noch immer überwiegend mit Monokulturen zu tun haben, die landwirtschaftliche und industrielle Rohstoffe erzeugen.

Handelspolitische Ausrichtung auf die Produktionsstrukturen der Industriestaaten Der Haberler-Bericht zeigt einige Konsequenzen auf, die sich daraus für den Warenverkehr in der Welt ergeben:

1957 tauschten die Industriestaaten der freien Welt rund 60 Prozent ihrer Exporte untereinander aus, die Entwicklungsländer dagegen nur etwa 30 v. H. Von den Entwicklungsländern exportierten beispielsweise die nichteuropäischen Staaten des Sterling-Blocks nur 14 Prozent, die lateinamerikanischen Länder nur 9 Prozent und die überseeischen Kolonien europäischer Staaten sogar nur rund 6 Prozent ihrer Gesamtausfuhren jeweils in den eigenen Raum. Diese Zahlen haben sich bis heute nur unwesentlich geändert. Daraus ergibt sich, daß die Wirtschaft der Entwicklungsländer noch heute aus einem sowohl untereinander als auch zur Weltwirtschaft nur wenig arbeitsteiligen Kreislauf besteht. Er ist überwiegend von der landwirtschaftlichen Erzeugung — in weitem Maße für die Eigenversorgung — und von der Produktion industrieller Rohstoffe bestimmt. So sehen auch die Export-zahlen aus. Von 1950 bis 1957 sind beispielsweise die Ausfuhren der Industriestaaten nach den Entwicklungsländern um 7, 2 Milliarden Dollar gestiegen, während andererseits die Exporte der Entwicklungsländer nach den Industriestaaten des Westens nur um 3 Milliarden Dollar anwuchsen.

Dieser Zustand ist höchst ungesund. Er kann nur geändert werden, wenn die Austauschverhältnisse in der gesamten Weltwirtschaft nach Ausrichtung, Umfang und Zusammensetzung grundlegend umstrukturiert werden. So einleuchtend und einfach dies auch klingen mag: die Lösung dieses Problems ist sehr schwierig. Denn Veränderungen der Exportstrukturen sind nur durch Änderungen der Produktionsstrukturen zu erzielen. Das heißt: durch zunehmende Industrialisierung der Länder.

Die Überwindung dieses Dilemmas kann nur durch die Harmonisierung aller Hilfsmaßnahmen erreicht werden. Eine autonome Lösung dieser Fragen ist deswegen unmöglich, weil sich noch für unabsehbare Zeit zwei entscheidende Hemmungsfaktoren auf die Wirtschaftsbeziehungen zwischen den Industriestaaten und den Entwicklungsländern auswirken müssen. Einmal sind es die Schwankungen in der Wirtschaftskonjunktur der Industriestaaten. Für diese Länder selbst haben Boom und Rezession mit den seit 1930 entwickelten Maßnahmen ihren für die Konjunktur und für die gesamte Wirtschaftsentwicklung gefährlichen Charakter weitgehend verloren. Auf die Zahlungsbilanzen der Entwicklungsländer, die heute empfindlicher sind als je zuvor, muß jedoch jede Konjunkturschwankung nachteilige Rückwirkungen haben. Schwankungen der Rohstoffpreise Der zweite Punkt der Hemmungsfaktoren ist der Umstand, daß die landwirtschaftlichen und industriellen Rohstoffe seit Jahren starken Preisschwankungen auf dem Weltmarkt unterworfen sind. Gerade Schwankungen der Rohstoffpreise sind aber in gefährlicher Weise Störungsfaktoren für alle Länder mit monokulturellen Produktionsstrukturen — und damit auch für fast alle Entwicklungsländer.

Die Entwicklungstendenzen der letzten Jahre sind alarmierend. Der Rückgang der Rohstoffpreise hat zu Verlusten für die Entwicklungsländer geführt, und zwar zu so schweren Verlusten, daß sie die gleichzeitig von den Industriestaaten geleistete Finanzhilfe in erheblichem Umfang übertrafen. Wenn aber die Finanzhilfe auf diese Weise praktisch zu einem Regulator für Preisschwankungen auf dem Weltmarkt herabgemindert werden sollte, hätte sie ihren Sinn verfehlt.

Das Bemühen um eine Lösung des Entwicklungsproblems muß, da sie kurzfristig nicht zu schaffen ist, von Überbrückungsmaßnahmen begleitet sein. Sie müssen in der Lage sein, diesen beiden hauptsächlichen Hemmungsfaktoren ihre Spitze zu nehmen. Die Antrengungen der Industriestaaten gelten dabei gleichermaßen den wirtschaftskonjunkturellen Schwankungen wie auch den Preisschwankungen der Rohprodukte auf dem Weltmarkt.

Zweifellos ist die beste und zugleich „billigste“ Wirtschaftshilfe für die Entwicklungsländer eine anhaltend gute Konjunktur in den Industriestaaten. Nur damit ist die Gewähr gegeben, daß die Entwicklungsländer ihre Exportgüter — vorwiegend Rohstoffe, Nahrungsmittel, handwerkliche Erzeugnisse und einfache Industriewaren — zu befriedigenden Preisen absetzen und die für den Aufbau der Wirtschaft notwendigen ausländischen Investitionsgüter bezahlen können. Deshalb ist es eine besonders dringliche Forderung, die Mittel zur Regulierung der konjunkturellen Schwankungen noch stärker auszubauen.

Auf der anderen Seite lassen sich auch vom Rohstoffbedarf der westlichen Länder durchaus Möglichkeiten erkennen, den Preisschwankungen für Rohprodukte auf dem Weltmarkt entgegenzuwirken. Einige Zahlen zeigen das klar: Der Rohstoffbedarf der USA hat einen Umfang von 2, 6 Milliarden Dollar — der Bedarf der Staaten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) wird in naher Zukunft bei 4, 7 Milliarden Dollar liegen — Großbritannien braucht für 1, 7 Milliarden Dollar Rohstoffe, und wird noch Kanada hinzugenommen, dann das eine Gesamtsumme von fast zehn ergibt Milliarden Dollar jährlich.

Eine derartige Nachfrage bietet durchaus Ansatzpunkte für wirksame Maßnahmen. Sie könnte beispielsweise die Erzeugerländer veranlassen, bei der Produktion und beim Export Bindungen einzugehen, die auch wirklich einge-

halten werden. Es könnte weiter an sogenannte „Buffer-Stocks" gedacht werden, mit denen die Möglichkeit geschaffen wird, marginale Mengen aufzukaufen, wenn die Preise mehr als vertretbar gesunken sind — oder aber zu verkaufen, wenn die Preise zu hoch liegen. Es leuchtet ein, daß hier wirkliche Hilfe nur von einer guten Zusammenarbeit aller europäischen und amerikanischen Industriestaaten, also auch der USA und Kanadas, erwartet werden kann. Sie bemühen sich heute auch gemeinsam um diese Probleme. Es ist bekannt, daß die Anstrengungen darauf ausgerichtet sind, die aus der bewährten OEEC hervorgegangene OECD für Aufgaben einer solchen Entwicklungshilfe vorzubereiten und einzusetzen.

Am meisten werden unter allen vorgeschlagenen Maßnahmen Stabilisierungsabkommen gefordert.

Sie sollen eine langfristige Absatzsicherung der monokulturellen Exporterzeugnisse der Entwicklungsländer gewährleisten und ihnen feste Preise garantieren.

Stabilisierungsabkommen und Wirtschaftsordnung Das sind Möglichkeiten, die zwar erkannt, aber noch nicht ausgeschöpft worden sind. Was die oft geforderte Initiative der westlichen Industriestaaten angeht: Es gibt gewichtige Gründe dafür, mit Vorsicht und Bedachtsamkeit vorzugehen.

Diese Gründe werden allerdings nicht immer verstanden und sind häufig auch Anlaß kritischer Beurteilung der Handels-und Wirtschaftspolitik der Bundesrepublik und ihrer westlichen Partner. Sie sind in den von diesen Staaten vertretenen und praktizierten Ordnungsprinzipien zu finden. Denn für alle Länder mit einer marktwirtschaftlichen Ordnung müssen Methoden wie die vorgeschlagenen schwierige Fragen aufwerfen. Etwa, wenn daran gedacht wird, daß Stabilisierungsabkommen und ähnliche Abmachungen auch die Bereitschaft voraussetzen, für einen Teil der Einfuhren an landwirtschaftlichen und industriellen Rohstoffen zeitweilig Preise zu zahlen, die über denen des Weltmarktes liegen. Kein marktwirtschaftlich orientierter Staat kann seine Wirtschaft ohne ernste Gefahr für die von ihm vertretene Wirtschaftsordnung zu solchem Handeln zwingen.

Die Grundlage der staatlichen Existenz ist in der Bundesrepublik wie in den übrigen westlichen Staaten die freiheitliche Ordnung. Freiheit aber ist unteilbar. Es kann deshalb nicht zur Diskussion stehen, wichtige Grundprinzipien der marktwirtschaftlichen Ordnung aufzugeben.

Das Zögern der Bundesrepublik Deutschland und der anderen Staaten des Westens, ihre wirtschaftlichen Beziehungen zu den Entwicklungsländern mit Hilfe von Praktiken zu intensivieren, die diese Grundlagen in Frage stellen könnten, muß deshalb von den Staaten Afrikas, Asiens und Lateinamerikas verstanden werden.

Sie könnten davon auch nur sehr geringe Vorteile erwarten. Denn solche Stabilisierungsmaßnahmen haben, soweit sie bisher überhaupt angewandt wurden, allenfalls einen kurzfristigen Entlastungseffekt zur Folge gehabt. Sie sind keinesfalls echte Hilfe, die auf lange Zeit ein stetiges Ansteigen des Volkseinkommens bringt, daß die Voraussetzung für jeden Prozeß der Kapitalbildung ist, den jede Entwicklungsfinanzierung dringend erfordert. Wie schwierig zudem alle damit zusammenhängenden Probleme sind, hat nicht zuletzt die amerikanische „Stockpile-Politik“

gezeigt. Sie brachte den Beweis, daß die Anlage größerer Rohstoff-und Nahrungsmittellager langfristig die Ausdehnung unerwünschter und ökonomisch unzweckmäßiger Produktionen eher begünstigt als sie in Grenzen hält. Sie zeigte weiter, daß dann, wenn die vorgesehenen Lagerbestände einmal erreicht sind, gefährliche Absatz-und Preiskrisen erst recht „in der Luft hängen".

Die Erfahrungen der letzten Jahre besagen ferner, daß Stabilisierungsabkommen eher hemmend auf die langfristige, organische, wirtschaftliche Entwicklung einwirken. Meist werden monokulturelle Produktionsstrukturen durch diese volkswirtschaftlich fragwürdigen Mittel nicht allein nicht geändert, sondern in ihrer Existenz mehr noch garantiert oder sogar ausgeweitet.

Die Abkommen, die den Entwicklungsländern von den Staaten des Ostblocks gewährt wurden, sind kein Beweis dagegen. Im Gegenteil. Bei den monokulturellen Überschußgütern der Entwicklungsländer, die exportiert werden sollen, handelt es sich vorwiegend um Waren, die entweder für die Leichtindustrie oder den Verbrauch des höheren Genusses bestimmt sind.

Ihre Einfuhr setzt also einen hochentwickelten Massenkonsum voraus. Es läßt sich leicht nachweisen, in wie geringem Maße diese Voraussetzung in den Ostblockländern gegeben ist.

Die Praxis der vergangenen Jahre hat zu Genüge bewiesen, daß der Ostblock keinen Markt für diese Güter zu bieten hat. Denn meist wurde immer wieder versucht, große Teile dieser im Rahmen langfristiger Verträge importierten Waren auf den Märkten des Westens wieder abzusetzen — und zwar zu erheblich niedrigeren Preisen. Dadurch ist in vielen Fällen dem Direktexport der diese Überschußgüter erzeugenden Entwicklungsländer eine beträchtliche Konkurrenz mit den eigenen Produkten bereitet worden.

Von alledem abgesehen zeigen auch die Austauschzahlen zwischen dem Ostblock und den Entwicklungsländern aus den letzten Jahren die geringe Bedeutung dieses Handels, also auch den geringen Umfang der östlichen Einfuhren an landwirtschaftlichen und industriellen Gütern aus den Ländern Asiens, Afrikas und Lateinamerikas:

1959 betrug der gesamte Außenhandelsumsatz aller europäischen Ostblockländer — laut „Statistical Yearbook 1960“ der Vereinten Nationen — 23, 4 Milliarden Dollar. Die Bundesrepublik Deutschland allein hatte in diesem Jahr einen Außenhandelsumsatz von knapp 20 Milliarden Dollar. Im Jahre 1960 machte er etwa genau soviel aus wie der gesamte Umsatz des Ostblocks ein Jahr zuvor. Vom Außenhandelsumsatz der Ostblockländer entfielen 1959 jedoch nur etwa 2, 8 Milliarden Dollar, also rund zehn Prozent, auf den Handel mit den Entwicklungsländern. Vom Außenhandel der Bundesrepublik Deutschland im selben Jahr waren es hingegen fast 25 Prozent, runde fünf Milliarden Dollar, die an Gütern mit den Ländern Afrikas, Asiens und Lateinamerikas ausgetauscht wurden.

Die geradezu erschreckenden Gefahren, die sich aus Stabilisierungsabkommen für eine gesunde Wirtschaftsentwicklung ergeben können, macht das Beispiel der Baumwoll-Lieferungen Afghanistans an den Ostblock klar. Die afghanische Baumwollernte hatte nach zuverlässigen Berichten 1959 mit rund 20 000 bis 25 000 Tonnen ihren Höchststand erreicht. Die Baumwollwirtschaft selbst schätzt sie sogar nur auf 15 000 bis 20 000 Tonnen. Aus dem langfristigen Handelsabkommen mit den Ostblockländern hatte Afghanistan eine jährliche Lieferpflicht von etwa 15 000 Tonnen. Die afghanische Textilindustrie, zum größten Teil Heimindustrie, braucht 6 000 bis 7 000 Tonnen. Dieser Bedarf wird sich auf wenigstens 11 000 Tonnen erhöhen, wenn das moderne Textilwerk Gülbahar im Norden der Hauptstadt Kabul vollendet ist, das von Firmen aus mehreren westlichen Staaten aufgebaut wird. Dieses Werk wäre gut in der Lage — und deshalb wird es auch gebaut — den Außenhandel des Landes auf eine qualitativ wesentlich höhere Stufe zu bringen. Denn auf diese Weise könnten beachtliche Mengen der bisherigen RohbaumwolTAusfuhren durch Exporte von textilen Fertigwaren ersetzt werden.

Die Verwirklichung dieser Chance scheint vorerst aber höchst fraglich; denn Afghanistan steht angesichts der Lieferverpflichtungen gegegenüber dem Ostblock vor der Alternative: entweder muß die Anbaufläche für Baumwolle zur vollen Deckung des Bedarfs der eigenen Industrie beträchtlich vergrößert, die monokulturelle Produktionsstruktur also erheblich erweitert werden — oder das Land muß für die nächste Zeit darauf verzichten, die Kapazität seiner modernen Textilindustrie auszunutzen. Wie immer die Entscheidung ausfällt, sie kann bedenkliche Rückwirkungen haben, weil sie die dringend nötige Strukturveränderung verhindern kann. Dafür verantwortlich sind die langfristigen Stabilisierungsabkommen.

Eine weitere Ausdehnung der Agrar-und Rohstofferzeugung kann im Hinblick auf die Lage auf dem Weltmarkt im Zweifelsfall und mit gutem Gewissen nur solchen Ländern angeraten werden, die — wie etwa Indien — ihren eigenen Nahrungsmittelbedarf noch lange nicht decken können. Damit ist jedoch nichts gegen eine intensivere Produktion zur Verbesserung der Qualitäten und der Wettbewerbsfähigkeit gesagt, die überall erwünscht ist und in jedem Fall einen Fortschritt bringt.

Eine Lösung der schwierigen Strukturprobleme in den Entwicklungsländern kann also von Einzelmaßnahmen in Teilbereichen nicht erwartet werden. So wirksam sie im einzelnen Fall und im Augenblick auch erscheinen mögen — am Beispiel der afghanischen Stabilisierungsabkommen zeigt sich, daß sie auch von genau entgegengesetzter Wirkung sein können.

Europas Zusammenschluß steigert Absatzchancen für die Entwicklungsländer Die Möglichkeiten der Bundesrepublik zur Entwicklungsförderung auf handelspolitischem Gebiet sind, wie ein Blick in die Bilanz der deutschen Entwicklungshilfe lehrt, zweifellos noch nicht voll ausgeschöpft. Die Liberalisierung des deutschen Handels in den letzten Jahren hat zwar auch zu einer absoluten Steigerung der Einfuhren aus den Ländern Asiens, Afrikas und Lateinamerikas geführt. Im Vergleich zu den Importen aus den Industriestaaten ist sie jedoch zurückgeblieben. Spielraum ist theoretisch vor allem noch bei der Einfuhr von Agrarerzeugnissen, überseeischen Genußmitteln wie Kaffee, Tee und Tabak und bei Importen von Massen-konsumgütern aus den sogenannten „Niedrigpreisländern" gegeben — jedenfalls, soweit es sich dabei nicht um Dumping handelt. Die jetzt in der Bundesrepublik vielfach angestellten Überlegungen zur Erhöhung der Einfuhren aus den Entwicklungsländern finden ein weites Feld, und die Realisierung dieser Absicht kann ein wichtiger Beitrag zur Entwicklungsförderung sein. Sie ist dennoch nicht einfach und schnell durchzuführen, weil sie nur im größeren Rahmen der Lösung einiger wichtiger Strukturprobleme der Bundesrepublik selbst — besonders im Bereich der deutschen Agrarwirtschaft — zu sehen ist.

Es kommt hinzu, daß viele handelspolitische Schritte der Bundesrepublik Deutschland heute nur noch innerhalb der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft getan werden können. Die Bundesrepublik wird deshalb darauf hinwirken müssen, daß die Außenhandelspolitik der EWG als Ganzes den Bedürfnissen der Entwicklungsländer in möglichst weitem Umfang gerecht wird. Die Bildung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft kann von den Entwicklungsländern nur positiv gewertet werden. Denn die Produktivitätszunahme und die höhere wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, die dieses große europäische Wirtschaftsgebiet zur Folge haben wird, muß zwangsläufig auch zu höheren Importen gerade aus den Rohstoffländern führen.

Die Handelspolitik der Bundesrepublik ist wie alle anderen Hilfsmaßnahmen ebenfalls auf dem Grundsatz aufgebaut, den Entwicklungsländern auf organischem Wege bei ihrer Industrialisierung zu helfen. Es ist, wie gezeigt wurde, nur selbstverständlich, daß der ungeheure Einfuhrbedarf der Entwicklungsstaaten an Industrie-gütern nur bis zu einem gewissen Grad mit Exporten ihrer monokulturellen Erzeugnisse ausgeglichen werden kann. Noch für lange Zeit kann nicht damit gerechnet werden, daß die Handelsbilanzen der Entwicklungsländer gegenüber den Industriestaaten aus den roten Zahlen herauskommen können. Daraus darf aber keinesfalls die Konsequenz gezogen werden, die Lieferung von Industrieprodukten an die Entwicklungsländer zu drosseln oder den Warenaustausch gar auf die primitive, durch die moderne Wirtschaft längst überholte Barterbasis zu beschränken. Denn das würde eine starke Hemmung des Entwicklungsprozesses bedeuten.

Unterstützung der Industrialisierung durch Kreditgewährung der Bundesrepublik Die Bundesrepublik ist, um dieser Gefahr entgegenzuwirken, ein nicht gering zu veranschlagendes Risiko eingegangen. Sie tat dies mit dem Entschluß, vorläufig eine Schuldnerposition der meisten Entwicklungsländer Deutschland gegenüber auf sich zu nehmen. Schon vor Jahren baute sie ein staatliches Garantie-und Bürgschaftssystem auf, wirtschaftliche das besondere und politische Risiken bei der Ausfuhr absichern und dadurch der deutschen Wirtschaft die Gewährung bisher mittelfristiger, nun aber auch langfristiger Kredite an die Abnehmer in den Entwicklungsländern möglich machen soll. Diese Bürgschafts-und Garantielinie des deutschen Staates beträgt zur Zeit 12 Milliarden DM, von denen bis Ende 1960 rund 10, 2 Milliarden DM in Anspruch genommen wurden. Dieses System wurde ferner durch einen Plafond für die Gewährleistung von Finanzkrediten, Kapitalanlagen und Umschuldungen in Höhe von 5 Milliarden DM ergänzt. Davon waren zum gleichen Zeitpunkt 1, 6 Milliarden DM ausgenutzt.

Das schon 1949 geschaffene Garantie-und Bürgschaftssystem war natürlich ursprünglich in erster Linie ein Mittel der klassischen Exportförderung, wie es das in allen hochentwickelten Staaten mehr oder weniger gibt. Inzwischen hat es aber einen erheblichen Wandel in seiner Motivierung durchgemacht. Das Schwergewicht liegt heute nicht mehr, wie in der Vergangenheit, bei der allgemeinen Förderung der deutschen Ausfuhr. Vielmehr dient es seit langem, seit etwa 1957 zu 90 Prozent, ganz besonders der Förderung des Aufbaues in den Entwicklungsländern.

Das hat zur Folge, daß das deutsche Garantie-und Bürgschaftssystem sich heute in einem immer stärkeren Ausbau befindet, der nun allein von den wirtschaftlichen Notwendigkeiten der afrikanischen, asiatischen und lateinamerikanischen Länder bestimmt wird. Gleichzeitig hat sich auch ein Wandel in der Methode vollzogen. Früher waren es fast ausschließlich die Privatindustrie oder sogar ausländische Kunden, die sich um staatliche Garantien bemühen konnten — heute aber sind die Verhandlungen hierüber schon auf die Ebene der Wirt-schaftsminister des Geberlandes, also der Bun-desrepublik, und des jeweiligen Empfänger-landes vorgeschoben worden. Zwischen ihnen wird ein Rahmen festgesetzt, der später durch Festsetzung der Lieferungen von Ausrüstungsgütem ausgefüllt wird.

Handelspolitische Hilfe der Bundesrepublik soll Übergangsstadi um überbrücken Diese ursprünglich rein handelspolitische, inzwischen weiterentwickelte Maßnahme kann aber keinesfalls als das entscheidende Mittel für eine langfristig wirksame Verbesserung der wirtschaftlichen Situation in den Entwicklungsländern angesehen werden. Sie kann nur die Aufgabe haben, ein Übergangsstadium zu überbrücken, das so schnell wie möglich von der immer interessanter werdenden organischen Zusammenarbeit ergänzt und in vielfachen Bereichen auch abgelöst wird.

Diese Form der Zusammenarbeit hat klar erwiesen, daß die Bundesrepublik mit ihrer Entwicklungshilfe auf dem richtigen Weg ist. So wurden in den letzten zehn Jahren mit Hilfe des deutschen staatlichen Garantie-und Bürgschaftssystems Ausfuhren in Höhe von mehr als 25 Milliarden DM verbürgt. Zusammen mit dem sogenannten „Selbstbehalt“, wie das Risiko genannt wird, das die Exporteure selbst zu tragen haben, sind durch diese Bürgschaften Ausfuhren von über 31 Milliarden DM möglich gemacht worden. Davon waren nur für 10 Millionen DM, also nicht einmal 0, 4 Prozent, Verluste zu verzeichnen.

Durch Transferverzögerungen mußte der Bund mit 369 Millionen DM einspringen.

Aber auch dieser Betrag verringerte sich durch Rückflüsse bis Ende 1959 auf 173 Millionen DM.

Noch einmal 353 Millionen DM wurden aufgewandt, um weiteren Transferschäden vorzubeugen.

Doch auch diese Summe braucht nicht etwa als Verlust abgebucht zu werden.

Die Zahlen beweisen nicht allein die Wirksamkeit dieses entwicklungsfördernden Instrumentes der Garantie-und Bürgschaftsleistung, sondern ebenso die Tatsache, daß die Bedeutung dieser deutschen Maßnahme von den Regierungen der Entwicklungsländer richtig erkannt worden ist Sie wird von ihnen in erster Linie als ein bedeutsamer Beitrag zur eigenen Entwicklung gewertet. In der nüchternen Sprache der Zahlen besagt dieser Beitrag, daß — umgerechnet auf einen Jahresdurchschnitt — der deutschen Wirtschaft durch staatliche Hilfeleistungen die Möglichkeit eröffnet wurde, Ausfuhren in Höhe von rund 3 Milliarden DM jährlich zusätzlich zu den normalen Exporten in die Entwicklungsländer fließen zu lassen — und zwar Exporte von dringend in diesen Staaten benötigten Gütern. Allein diese zusätzlichen Ausfuhren erreichen für das Jahr 1959 fast die Hälfte des gesamten Außen-handelsumsatzes aller Ostblockstaaten mit den Entwicklungsländern, der nicht einmal 8 Milliarden DM betrug. Auf die letzten vier, fünf Jahre berechnet, fällt ein derartiger Vergleich noch viel ungünstiger für den Osten aus.

Die Zahlen über die deutsche Entwicklungshilfe bringen aber noch einen weiteren wichtigen Beweis. Die sehr geringen Verluste bei der Kreditgewährung der Bundesrepublik zeigen deutlich, daß Entwicklungshilfe für die Industriestaaten kommerziell kaum ein Risiko in sich birgt, daß also die „Schuldnermoral" der empfangenden Entwicklungsländer ausgezeichnet ist.

III. Kapitalhilfe — Voraussetzung für strukturelle Veränderungen

Das Ziel, die dringend nötigen Veränderungen an den Wirtschaftsstrukturen der Entwicklungsländer zu erreichen, ist zunächst und vordringlich eine Frage der Investition von Kapital. Dieses Problem macht aber auch den Regierungen dieser Länder die meisten Sorgen, denn bei dem außerordentlich niedrigen Volkseinkommen und dem entsprechend gleich niedrigen Individualeinkommen müssen auch die Ersparnis-möglichkeiten sehr gering — wenn nicht gleich null sein.

Schwierigkeiten bei der Kapitalbildung Die Größenordnung dieses Problems, das die Industriestaaten in den Entwicklungsländern zu bewältigen haben, läßt sich durch Zahlen, die der Sonderfonds der Vereinten Nationen 1960 veröffentlicht hat, klar erkennen. Danach beträgt das Gesamteinkommen der Entwicklungsländer jährlich rund 120 Milliarden Dollar. Ihre jährliche Kapitalbildung kam in den letzten Jahren auf nicht mehr als 9 Milliarden Dollar, von denen 6 Milliarden Dollar aus dem eigenen Steueraufkommen, und 3 Milliarden Dollar aus Hilfeleistungen von außen flossen. Diese Hilfe ist unter den gegebenen Voraussetzungen völlig ungenügend. Nadi den Berechnungen der UN müßten im Laufe der nächsten zehn Jahre etwa 30 Milliarden Dollar zusätzlich eingesetzt werden, wenn das Einkommen der Entwicklungsländer um nur 1 Prozent erhöht werden soll. Selbst diese Einkommenssteigerung wäre aber ei weitem noch nicht ausreichend, um die Grundlage für gesunde wirtschaftliche Verhältnisse zu schaffen.

Alle Versuche zu einer größeren Kapitalhilfe müßten hoffnungslos scheitern, wenn nicht wesentlich größere Hilfe als bisher von außen geleistet wird. Die Bundesrepublik sieht deswegen eine ihrer vordringlichsten Aufgaben darin, durch finanzielle Hilfe dazu beizutragen, die Kapitalbildung in diesen Ländern zu erhöhen. Wenigstens so weit, daß die wichtigsten Investitionsvorhaben ohne weitere Verzögerung verwirklicht werden können.

Auch auf dem Gebiet der Kapitalhilfe sind zweifellos noch nicht alle Möglichkeiten der Industriestaaten ausgeschöpft worden. Doch zeugt dies nicht etwa von einer Mißachtung dieses Problems, vor dem die Entwicklungsländer stehen, sondern ist hauptsächlich darauf zurückzuführen, daß durchweg alle europäischen Staaten nach Kriegsende ihre eigene Wirtschaft wiederaufbauen mußten. Die Bundesrepublik Deutschland hätte diese Aufgabe sicher nicht bewältigen können, wenn sie dabei nicht durch die umfangreiche Hilfe der USA aus dem soge-nannten Marshall-Plan unterstützt worden wäre. Aufgrund dieser eigenen Erfahrung weiß sie aber durchaus auch die große Bedeutung einer kräftigen Kapitalhilfe richtig einzuschätzen.

Investitionen zum Aufbau der Infrastruktur...

Die Investitionsaufgaben stellen sich in zweifacher Weise. Einmal geht es um den Auf-und Ausbau der „Infrastrukturen“ wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Art. Die Finanzierung von Projekten der Infrastruktur kann der Sache nach nur langfristig sein. Wenn aber die den Entwicklungsländern zu gewährenden Kredite und die Bedingungen für ihre Amortisation und Verzinsung nicht großzügig gehandhabt werden, müssen die Haushalte und Zahlungsbilanzen der empfangenden Länder noch mehr in Unordnung geraten. Der Privatindustrie sind in diesem Punkt enge Grenzen gesetzt. Deshalb ist also gerade hier eine multilaterale oder von Staat zu Staat zu gebende öffentliche Hilfe vonnöten. ... und an den Produktionsfaktoren Bei der zweiten Aufgabe geht es um Investitionen bei den Produktionsfaktoren, also beim Aufbau von wirtschaftlichen Betrieben industrieller oder landwirtschaftlicher Art. Hier muß die Privatindustrie auch in Zukunft einen entscheidenden Beitrag leisten. Denn niemand ist ebensosehr wie sie dazu qualifiziert, unter vollkommener Anpassung an die Verhältnisse des jeweiligen Landes Entwicklungsaufgaben auf diesem Gebiet durchzuführen.

Die Bundesrepublik hat an der Kapitalhilfe der Industriestaaten für die Entwicklungsländer. vom Auflaufenlassen der Forderungen aus Exporten abgesehen, bisher hauptsächlich in der Form teilgenommen, daß sie finanzielle Mittel internationalen Institutionen zufließen ließ. Es war naheliegend, das begrenzt zur Verfügung stehende deutsche Kapital über eine solche Organisation zu geben, deren Tätigkeit eine freiheitliche Entwicklungskonzeption verkörpert, wie sie den marktwirtschaftlichen Prinzipien der Bundesrepublik gerecht wird. Das war die Weltbank. Gerade sie sollte der Aufgabe dienen, an die Stelle des Kolonialismus eine Ordnung zu setzen, die nicht mehr auf politische Macht, sondern auf gesunden Geschäftssinn und Schuldnermoral gegründet ist. Die Weltbank arbeitet ihrer Grundkonzeption nach auf kaufmännischer Basis. Sie finanziert und refinanziert sich deshalb auch aus dem Kapitalmarkt. Ihr Ziel ist vor allem die Unterstützung des Wiederaufbaues und der Entwicklung der Mitgliedsländer durch Erleichterung von Kapitalanlagen für produktive Zwecke. Dadurch soll auf lange Sicht eine ausgeglichene Ausweitung des Außenhandels gefördert uund der Lebensstandard gehoben werden. Schon zur Zeit des Beitritts der Bundesrepublik hatte sich die Weltbank, die den Status einer Sonderorganisation der Vereinten Nationen hat, sowohl in der weißen als auch in der farbigen Welt großes Vertrauen erworben.

Die Bundesrepublik — größter Kreditgeber der Weltbank Der Weltbank gehören heute mehr als siebzig Länder an. Der besondere Wert der deutschen Kapitalhilfe über diese internationale Institution liegt jedoch darin, daß die Bundesrepublik seit nunmehr drei Jahren nach den Vereinigten Staaten der größte Kreditgeber der Weltbank geworden ist. Der letzte Kredit von 240 Millionen Dollar, das ist fast eine Milliarde D-Mark, den die Weltbank im Juli 1960 aufnahm, erhöhte den Gesamtbetrag ihrer Kredite in Deutschland zu diesem Zeitpunkt auf fast 600 Millionen Dollar, also rund 2, 4 Milliarden DM. Bis jetzt hat die Bundesrepublik der Weltbank in verschiedenen Formen einen Betrag von insgesamt 810 Millionen Dollar, das sind 3, 4 Milliarden DM, zur Verfügung gestellt. Seit mehr als vier Jahren ist sie sogar die Hauptquelle für die von der Bank aufgenommenen Gelder, denn sie steuerte zu den in dieser Zeit von der Weltbank beanspruchten Krediten in Höhe von 1, 3 Milliarden Dollar mehr als die Hälfte bei. Die Deutsche Bundesbank hat nahezu 10 Prozent ihrer gesamten Gold-und Devisenbestände an die Weltbank ausgeliehen. Mit den Krediten, die von der Bundesrepublik bis jetzt der Weltbank gewährt wurden, ist selbstverständlich — deren Grundsatz entsprechend — nicht die Auflage verbunden, daß die Weltbankkredite ausnehmenden Entwicklungsländer etwa einen Teil ihrer Aufträge nach Deutschland vergeben müßten.

In den fünfzehn Jahren ihres Bestehens hat die Weltbank über 5 Milliarden Dollar ausgeliehen. In den letzten Jahren ist dieses Kapital bis auf einen geringen Prozentsatz in die Entwicklungsländer geflossen. 1959/60 gingen 41 Prozent davon nach Asien und den Nahen Osten, 28 Prozent nach Afrika und 20 Prozent in die latein-amerikanischen Länder — aber nur etwa 10 Prozent nach Europa. Das ist ein Beweis dafür, daß die deutschen Geldmittel tatsächlich sinnvoll eingesetzt wurden. Der Weltbankpräsident Black hat in letzter Zeit mehrfach die deutschen Leistungen gewürdigt und sie als Zeugnis dafür gewertet, daß die Industriestaaten gewillt sind, den Entwicklungsländern mehr als jemals zuvor tatkräftig bei der Schaffung gesunder wirtschaftlicher Verhältnisse zu helfen.

Beteiligung der Bundesrepublik an der Internationalen Finanz-Korporation...

Auch dem Tochterinstitut der Weltbank, der Internationalen Finanz-Korporation, trat die Bundesrepublik Deutschland sofort nach der Gründung im Juli 1956 mit einem Zeichnungskapital von 3 65 5 000 Dollar bei. Diese Korporation, der heute 65 Länder mit einem gesamten Zeichnungskapital von knapp 100 Millionen Dollar angehören, ergänzt die Weltbank insofern, als sie die Spitzenfinanzierung für bestimmte gewinnbringende Projekte im privaten Bereich, besonders in den Entwicklungsländern, übernimmt.

Bis jetzt hat die Internationale Finanz-Korporation sich an Investitionsvorhaben mit einer Summe von weit mehr als 10 Millionen Dollar beteiligt. Der größte Teil dieser Projekte liegt in Südamerika, der Rest in Asien. Auch hier ist also der deutsche Beitrag voll der Entwicklungshilfe zugeflossen.

Es liegt aber in der Natur des Entwicklungsproblems, daß selbst der Tätigkeit der Weltbank eine Grenze gesetzt ist. Sie liegt bei Berücksichtigung der finanziellen Voraussetzungen in den Entwicklungsländern dort, wo durch die Neuaufnahme von Kapital zu Bedingungen, wie sie hinsichtlich der Zinsen und der Rückzahlung bei der Weltbank üblich sein müssen, die Grenzen der internationalen Kreditwürdigkeit erreicht oder gar überschritten werden.

Die guten Erfolge der Weltbank gehen in erster Linie auf die Tatsache zurück, daß die Entwicklungsländer zunächst ohne große Schuldner-belastung an sie herantreten und Kapital aufnehmen konnten. Die inzwischen eingegangenen Verpflichtungen haben aber bei den meisten dieser Länder nun den geringen Spielraum der Kreditwürdigkeit ausgefüllt. Der Rüdegang des Gesamtbetrages der Weltbankanleihen an die Entwicklungsländer zeigt das deutlich: Noch Ende der 50er Jahre hatten sie einen jährlichen Durchschnitt von über 700 Millionen Dollar erreicht, im Geschäftsjahr 1960 waren es jedoch nur noch 658 Millionen Dollar, von denen an die Schuldner auch nur 544 Millionen Dollar ausgezahlt wurden. Diesem Rückgang der Anleihen muß die Summe von einer Milliarde Dollar gegenübergestellt werden, die nach UNO-Berechnungen des Jahres 1951 alljährlich von der Weltbank ausgeliehcn werden sollten. Aus der Differenz läßt sich erkennen, wie schnell die Weltbank sich der Grenze ihrer Möglichkeiten nähert.

Das ist aber auch daraus zu verstehen, daß die Entwicklungsländer in steigendem Maße Aufgaben zu lösen haben, die sich aus dem Aufbau ihrer Infrastruktur ergeben. Dieses Problem wurde bisher noch am wenigsten bewältigt. Bei der Jahrestagung 1960 der Weltbank wurde denn auch erklärt, daß die Bank in erheblich höherem Umfang Kredite vergeben könnte, wenn gewisse Finanzierungen für Infrastruktur-zwecke als Voraussetzung für eine fruchtbare kommerzielle Kreditgewährung gesichert wären. Die Finanzaufwendungen für diesen Zweck amortisierten und verzinsten sich aber nicht kurzfristig im kaufmännischen Sinne. Hier sind langfristige Kredite unter besonders günstigen Bedingungen notwendig und unerläßlich. ... und an der Internationalen Entwicklungs-Organisation Einen Ausweg aus diesem Dilemma zeigt die seit 1958 vorbereitete und 1960 gegründete weitere „Tochter“ der Weltbank: die Internationale Entwicklungs-Organisation. Ihre Tätigkeit soll das Kreditvolumen der Weltbank dadurch beträchtlich ausweiten, daß sie den Entwicklungsländern Darlehen zu ungewöhnlich günstigen Bedingungen gewährt: also mit sehr langen Laufzeiten bei Rückzahlung in Landeswährung zu niedrigen Zinsen. Sie wurde zunächst mit einem Kapital von einer Milliarde Dollar ausgestattet, die auschließlich für die Förderung der infrastruktureilen Projekte eingesetzt werden sollen. Die Bundesrepublik hat ihren Anteil von 53 Millionen Dollar schon 1960 eingezahlt. Diese Neugründung ist zweifellos ein Zeichen der wachsenden Erkenntnis, daß die multilaterale Entwicklungshilfe nicht nur internationalen Institutionen überlassen werden darf, die nach konventionellen Bankregeln arbeiten. Es muß sich aber erst noch erweisen, ob die Kapitalausstattung der Internationalen Entwicklungs-Organisation mit einer Milliarde Dollar ausreicht, um der heute schon vielen Entwicklungsländern drohenden gefährlichen Kapitalknappheit zu be gegnen. Deutsches Kapital für den Sonderfonds der Vereinten Nationen Erst diese Aufgaben führen zum eigentlichen Die Tätigkeit des 1959 gegründeten Sonder-fonds der Vereinten Nationen hat allerdings bewiesen, daß auch der Einsatz knapp bemessenen Kapitals von sehr fruchtbarer Wirkung sein kann, wenn es nur zielbewußt verwendet wird. Der Sonderfonds verfügt zur Zeit über einen Betrag von über 30 Millionen Dollar. Die Bundesrepublik war 1959 und 1960, als der Gesamtbetrag des Fonds nur geringfügig über zwanzig Millionen Dollar lag, mit jeweils 476 000 Dollar, das sind je zwei Millionen DM, beteiligt. Für 1961 erhöhte sie den Betrag wesentlich. Zusammen mit dem Beitrag für das Erweiterte Technische Hilfsprogramm der Vereinten Nationen, von dem noch die Rede sein wird, macht er 23 Millionen DM aus — gegenüber jeweils 7 Millionen in den Jahren 1959 und 1960. Die Aufteilung dieser Summe auf beide UN-Programme hat die Bundesrepublik dem Ermessen des Sekretariats der Vereinten Nationen überlassen. Auch dieser Fonds dient einer begrenzten Zahl von Infrastruktur-Projekten, bei denen verhältnismäßig hohe, über einen längeren Zeitraum sich erstreckende und nicht unmittelbar rentable finanzielle Verpflichtungen eingegangen werden müssen. Im Gegensatz zur Internationalen Entwicklungs-Organisation handelt es sich bei den Hilfeleistungen aus dem Sonderfonds aber nur um „verlorene Zuschüsse“.

Alle diese aufgezeigten Leistungen der Bundesrepublik Deutschland zeugen von der Bereitschaft, die wirtschaftliche Entwicklung in den Ländern Asiens, Afrikas und Lateinamerikas nach besten Kräften zu fördern. Jeder objektiv Urteilende wird das anerkennen. Dennoch ist nie bezweifelt worden, daß auch über das bisher Geleistete hinaus noch erheblich mehr für die Entwicklungsländer getan werden muß. Ihr Kapitalbedarf ist riesengroß, und ihre Kreditwün-

sche übersteigen deshalb oft auch das erfüllbare Maß. Wenn der wirtschaftliche Aufbau in diesen Ländern nicht in ernsthafte Gefahr geraten soll, die sozusagen über Nacht zu Katastrophen von ungeahnten Ausmaßen führen könnte, ist es vor allem dringend nötig, diesen Aufbau in der Zukunft mehr noch als bisher den ökonomischen Realitäten anzupassen.

Diese Realitäten lassen, auch wenn an die schwierigen demographischen Gegebenheiten gedacht wird, keinen anderen Weg zu als den, eine leistungsfähige gewerbliche Wirtschaft aufzubauen. Das besagen auch alle Erfahrungen, die hochentwickelte Staaten hinter sich gebracht haben. Es wäre propagandistisch sicher attraktiver, den Entwicklungsländern und einem bei ihnen noch weitverbreiteten Ehrgeiz weismachen zu wollen, am besten sei der vorrangige Aufbau von Großindustrie. Natürlich haben auch Großbetriebe dort ihre Berechtigung, wo wichtige Güter nur in solchen Betrieben hergestellt werden können. Entscheidend ist aber gerade für die wirtschaftlich zurückgebliebenen Länder eine Entwicklung dessen, was mit „Gewerbefleiß“ bezeichnet werden kann. Dazu bedarf es einer möglichst breiten Grundlage von zahlreichen kleinen und mittleren Handwerks-und Industriebetrieben.

Denn auf diese Weise werden nicht nur viele neue Arbeitsplätze und Einkommen geschaffen, sondern es wird ebenso erreicht, daß der mit vielen sozialen, psychologischen, politischen und ökonomischen Gefahren behaftete Übergang vom Agrar-zum Industriestaat erleichtert wird und sich schmerzloser vollzieht.

Außerdem wird erst dadurch die für jeden industriellen Aufbau erforderliche breite tragfähige Basis geschaffen. Die mit dieser zentralen Aufgabe zusammenhängenden Probleme lassen ein höchst behutsames Eingehen auf die von Land zu Land verschiedenen Voraussetzungen geboten erscheinen. Sie sind deshalb nicht schematisch zu lösen.

Kem des Entwicklungsproblems: der heutigen und künftigen Stellung des Menschen in der sozialen, wirtschaftlichen und politischen Ordnung seines Landes. Der wirkliche Wert der von den Industriestaaten heute und in den kommenden Jahren für die Entwicklungsländer geleisteten Hilfe wird zweifellos einmal daran gemessen werden, ob es bei aller Bereitschaft zur materielden Unterstützung gelingt, der menschlichen Seite des Entwicklungsproblems gerecht zu werden.

Die hier sich auftürmenden Probleme sind so zahlreich und vielschichtig, daß sie am ehesten von einer bilateral gegebenen Hilfe angepackt und gelöst werden können. Denn sie ist, anders als die multilaterale Hilfeleistung, weit besser in der Lage, auf alle besonderen Voraussetzungen des einzelnen Landes einzugehen.

Förderung der privaten deutschen Kapitalinvestitionen Private Kapitalinvestitionen in die Entwicklungsländer haben einen sehr wichtigen „Globaleffekt“

vor allem für diese Staaten selbst.

Denn ihnen, die soviele Arbeitslose und Unterbeschäftigte haben, wird damit die Arbeit gewissermaßen direkt ins eigene Haus gebracht, ohne daß Menschenumsiedlungen oder -Verpflanzungen mit all ihren sozialen Konsequenzen notwendig sind. Im übrigen wird den Menschen dadurch das wichtige „know how" vermittelt, denn darauf kommt es an.

Trotz der grundsätzlichen Bereitschaft der Bundesrepublik, aus alledem die praktischen Folgerungen zu ziehen, stellten sich bisher doch der Durchführung deutscher Kapitalinvestitionen in die Entwicklungsländer erhebliche Schwierigkeiten in den Weg.

Sie liegen einmal darin, daß durch den zweiten Weltkrieg und seine Folgen die deutsche Wirtschaft weitgehend zerstört war und ihr Wiederaufbau, der einen Kapitalbildungsprozeß zwingend voraussetzte, nur mit Mühe in Gang kam.

Der langsame Prozeß der Kapitalbildung ist auch heute noch nicht abgeschlossen. Zum anderen aber mußte sich die Bundesrepublik — ebenfalls eine Folge des Krieges — zu finanziellen Leistungen an das Ausland verpflichten: in der Form von Schuldenzahlungen und sogenannten Wiedergutmachungsleistungen. Bis heute hat all dies einen Betrag von mehr als 17 Milliarden DM erreicht. Der so belastete deutsche Kapitalmarkt hatte daher nur einen sehr geringen Spielraum für Auslandsinvestitionen. Nach amtlichen deutschen Unterlagen belief sich der Gesamtbestand an deutschen Direktinvestitionen im Ausland Ende März 1960 auf 2, 45 Milliarden DM. Von ihnen fiel nur ein geringer Teil auf die Entwicklungsländer in Afrika und Asien:

7 Prozent auf afrikanische und 3 Prozent auf asiatische Länder. 90 Prozent aller Investitionen wurden in den Industriestaaten Europas und Amerikas durchgeführt.

In diesem Mißverhältnis ist eine weitere Tatsache zu erkennen, die sich dem Kapitalfluß von Deutschland in die Entwicklungsländer hemmend entgegenstellen mußte: der Umstand, daß es in den meisten dieser Länder am guten „Investitions-Klima“

fehlt, das ausländisches Kapital anzieht. Es herrscht in vielen Fällen in den Entwicklungsländern noch eine fremden-feindliehe Einstellung in Gesetzgebung und Verwaltung vor, und auch der ausreichende Schutz des ausländischen Eigentums und der gewerblichen Rechte sind noch keineswegs geregelt.

Bedeutung von Investitionsschutzabkommen Es ist eine Tatsache, daß deutsche Unternehmer zweimal in einem Menschenalter alle ihre Investitionen in der Welt restlos verloren haben. Auch diese Erfahrung ist ein natürliches Hindernis. Sie führte dazu, daß er entweder im eigenen Land oder in solchen Staaten investierte, in denen die Sicherheit gegeben ist, sein Vermögen nicht eines Tages durch Maßnahmen des fremden Staates einzubüßen.

Es liegt also im Interesse der Entwicklungsländer selbst, durch die Schaffung gesunder Voraussetzungen auf diesem Gebiet die hochentwickelten Staaten . investitionsfreudiger“ zu machen. Das ist ohne Schmälerung ihrer Souveränität möglich. Die auch von der Bundesrepublik im Ausland aufgenommenen großen Kredite haben die deutsche Unabhängigkeit nicht im geringsten beeinträchtigt, und das gleiche war umgekehrt auch bei den Investitions-und Doppelbesteuerungsabkommen der Fall, die von der Bundesrepublik in letzter Zeit mit einigen Entwicklungsländern abgeschlossen wurden. Es ist zu hoffen, daß auch andere Staaten den Wert solcher Abkommen für ihre eigene Entwicklung erkennen. Denn von dem Zustandekommen solcher Verträge wird es entscheidend abhängen, ob die von der Bundesrepublik seit Beginn de» Jahres 1959 ergriffenen neuen Maßnahmen zur Förderung von Kapitalinvestitionen in den Ent-wicklungsländern sich voll zu deren Vorteil auswirken können.

Schon mit ihrem Haushaltsgesetz von 1959 hat die Bundesrepublik alle Voraussetzungen geschaffen, um deutschen Unternehmern für ihre Kapitalinvestitionen das Risiko weitgehend abzunehmen. Sie garantierte auf Grund des Paragraphen 18 dieses Gesetzes den Unternehmern das politische Risiko ihrer ausländischen Kapitalanlagen. Die Bundesrepublik tritt also für Verluste infolge von Verstaatlichung, Enteignung, Krieg oder sonstigen bewaffneten Ereignissen wie Revolutionen oder Aufruhr, von Zahlungsverboten oder Moratorien, von Unmöglichkeit der Konvertierung oder des Transfers von Beträgen und schließlich auch von Währungsverschlechterungen ein. Sie hat alle Risiken übernommen, die von dem einzelnen Unternehmer weder übersehen noch beeinflußt werden können. Auch diese sehr weitgehenden Maßnahmen sind von der Überzeugung getragen, daß die ungestörte Tätigkeit freier Unternehmer dem wirtschaftlichen Fortschritt auch in den Entwicklungsländern die stärksten Impulse zu geben vermag. Und diese Überzeugung beruht auf den Erfahrungen, die beispielsweise auch in den sogenannten „Frontier Areas“ des vergangenen Jahrhunderts, bei der Entwicklung des amerikanischen Westens oder der „Gründerzeit“ Deutschlands in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts und ganz besonders beim Wiederaufbau der deutschen Wirtschaft nach dem totalen Zusammenbruch im und nach dem zweiten Weltkrieg gemacht wurden. Der aufsehenerregende Wiederaufbau der deutschen Wirtschaft kann nur dem als ein „Wunder“ erscheinen, der nicht weiß, welche Kräfte freie Unternehmungen entfalten können. 1961/62 — Fünf Milliarden für die Entwicklungshilfe Mit dem „Gesetz zur Förderung der Wirtschaftsbeziehungen zum Ausland, insbesondere zu den Entwicklungsländern“ vom vergangenen Jahr hat die Bundesrepublik alle ihre bilateralen Hilfsmaßnahmen auf eine einheitliche gesetzliche Grundlage gestellt. Dadurch ist das gesamte Bürgschafts-und Garantiewesen, das bisher entwickelt wurde, dem Verfahren nach systematisch gestaltet und zu einer dauerhaften Einrichtung zusammengefaßt worden. Gleichzeitig wurde die ganze bilaterale deutsche Kapital-hilfe in der Form administrativ konzentriert, daß einer deutschen Institution, nämlich der Kreditanstalt für Wiederaufbau, die Funktion einer speziellen Entwicklungsbank zugewiesen wurde.

Auf diese Weise sind nun alle Voraussetzungen dafür geschaffen, daß die seit 1961 bereitgestellten erheblich größeren Kapitalhilfemittel der Bundesrepublik administrativ und institutionell mit dem größtmöglichen Effekt für den wirtschaftlichen Aufbau in den Entwicklungsländern eingesetzt werden können.

Der Impuls für diese Kapitalhilfe-Vergrößerung ist allerdings auch auf konjunkturpolitische Überlegungen zurückzuführen. Es soll damit einer weiteren konjunkturellen Erhitzung in der Bundesrepublik entgegengewirkt werden. Das entspricht zunächst einmal den Bedürfnissen der deutschen Wirtschaft selbst. Aber es muß nochmals betont werden, daß alle Maßnahmen, die eine ausgewogene Konjunkturentwicklung in der Bundesrepublik sichern, auch im Interesse der Entwicklungsländer selbst liegen.

Die jüngsten Schritte der Bundesrepublik haben es möglich gemacht, daß für die Jahre 1961/62 ein Betrag von rund 5 Milliarden DM für die Entwicklungshilfe bereitgestellt wird. Diese Summe wird im Zusammenwirken zwischen Staat und Wirtschaft aufgebracht. 1, 5 Milliarden DM kommen aus einer Anleihe der Wirtschaft, der übrige Betrag wird von der Bundesregierung und den Bundesländern gegeben. Es ist aber nicht daran gedacht, es bei dieser einmaligen Zahlung von fünf Milliarden zu belassen, vielmehr soll in Zukunft jährlich ein Betrag, der wahrscheinlich bei zwei Milliarden liegen wird, in die Entwicklungshilfe fließen.

Mit dieser bemerkenswerten Ausweitung der Geldmittel für die deutsche Kapitalhilfe muß die Bundesrepublik naturgemäß auch die bisherigen Vergabemethoden modifizieren. Soweit bis jetzt zu erkennen ist, wird sie die Mittel in größerem Umfang als in der Vergangenheit direkt an die einzelnen Entwicklungsländer verteilen: also unmittelbar von Staat zu Staat. Bisher wurde dieses Verfahren in erster Linie auf die schon genannten Umschuldungsmaßnahmen angewendet. Außerdem dürfte die Vergabe der Mittel im großen und ganzen ohne Bindung an Aufträge für die deutsche Wirtschaft erfolgen. Ein Grundsatz wird jedenfalls unverändert beibehalten: keine politische Bedingung für die deutsche Hilfeleistung.

Damit wird die Zusammenarbeit der Bundesrepublik Deutschland mit den afrikanischen, asiatischen und lateinamerikanischen Ländern auf eine völlig neue, sehr viel breitere Basis gestellt. Und man braucht kein Prophet zu sein, um zu sagen, daß diese Entwicklung sich nur zum Vorteil für beide Partner auswirken kann.

IV. Technische Hilfeleistung — das Zentralproblem der Entwicklungshilfe

Es ist oft betont worden, daß das Kapital allein nicht die vielgestaltigen Aufgaben in den Entwicklungsländern bewältigen kann. Es kann nicht mehr sein als der äußere materielle Rahmen. Wird dieser Rahmen aber nicht ausgefüllt, dann bleibt auch die materielle Hilfe auf die Dauer wirkungslos. Deshalb ist die „Ausfüllung des materiellen Rahmens" die eigentliche und wichtigste Aufgabe der Entwicklungshilfe. Die von den Industriestaaten in diesem Punkt zu lösenden Probleme übersteigen sowohl hinsicht-lich des Schwierigkeitsgrades als auch wegen des sachlich-menschlichen Umfangs alle übrigen Fragen.

Jede Art von Entwickkmgsförderung kann nur dann dauerhafte Erfolge haben, wenn sie bewirkt, daß in den Entwicklungsländern selbst die institutioneile und personelle Bereitschaft und Qualifikation gefördert und gefestigt wird, die Unterstützung ökonomisch richtig, also rationell zu verwenden. Deshalb kommt der „Technischen Hilfe“ die größte Bedeutung zu.

Technische Hilfe als menschliches Problem Dieser Aufgabenbereich ist so umfangreich und vielschichtig, daß der Begriff „Technische Hilfe" kaum ausreicht, ihn voll zu erfassen. Natürlich geht es dabei auch um die umfassende Vermittlung von Wissen und Können, um das „know how" des rationellen Produzierens überhaupt. Aber „Technische Hilfe“ umfaßt nicht allein die Vermittlung von produktionstechnischen, kommerziellen und organisatorischen Fähigkeiten.

Es geht dabei vielmehr auch um die von den Entwicklungsländern gewünschte Beratung für die Gestaltung der gesellschaftlich-institutionellen Rahmenbedingungen für jede wirtschaftliche Tätigkeit.

„Technische Hilfe“ muß also auch den Aufbau einer wirksamen öffentlichen Verwaltung unterstützen. Sie muß Einrichtungen der öffentlichen und privaten Sozialhilfe fördern und auch die Schaffung eines nach den modernsten Gesichtspunkten aufgebauten Gesundheitsdienstes möglich machen. Es war hier schon auf den tief-gehenden Wandel hingewiesen worden, den die in den Entwicklungsländern entstehende neue Industriegesellschaft zur Folge hat: das bedeutet für die „Technische Hilfe", die nun aufgebauten zahlreichen kulturellen Institutionen, vor allem des Erziehungs-und Bildungswesens, diesem Wandlungsprozeß anzupassen. Gerade hier ist richtige Beratung ungeheuer wichtig.

Der Generaldirektor des Internationalen Arbeitsamtes, David A. Morse, hat die Aufgaben der „Technischen Hilfe" ausgezeichnet so formuliert: „Die Techniken und Institutionen der industriellen Gesellschaft Europas und Nordamerikas können nicht mechanisch auf eine fremde Umwelt übertragen werden. Der Sachverständige für Technische Hilfe kann nicht in einem Entwicklungsland unkritisch die Produk-tionsmethoden reproduzieren, die unter den grundverschiedenen Bedingungen eines wirt-schaftlich fortgeschrittenen Landes entstanden sind. Er muß vielmehr von seinem Wissen und seiner Erfahrung Gebrauch machen, um eine originelle, den Bedürfnissen und Verhältnissen der neuen Welt angepaßte Technik zu entwikkeln. Viele der in den Industriestaaten gebräuchlichen Verfahren dienen beispielsweise dem Zweck, menschliche Arbeitskraft entbehrlich zu machen. Umgekehrt besteht in vielen unterentwickelten Ländern die Notwendigkeit, einen ausgedehnteren Gebrauch von der menschlichen Arbeitskraft zu machen und Kapital zu sparen. Wenn also schon eine Produktionstechnik nicht ohne weiteres verpflanzt werden kann, um wie-viel weniger ist es dann möglich, ein ganzes System industrieller Beziehungen zu verpflanzen, dessen Wesenszüge aufs engste mit den historischen Institutionen und den Erfahrungen einer gegebenen Nation verknüpft sind. Die neuen Techniken und die neuen Systeme menschlicher Beziehungen müssen beide hineinpassen in das Gesamtgefüge der sozialen Evolution des betreffenden Landes, und die Gegebenheiten, Hoffnungen und Probleme der Menschen, die es bewohnen, müssen Ausgangspunkt sein.“

Was hier gesagt ist, zeigt deutlich, daß mit der einfachen Übertragung von bei uns vielleicht noch gültigen Normen kaum etwas für die Entwicklungshilfe anzufangen ist. Begriffe, die noch vor wenigen Jahren gültig waren, müssen heute neugefaßt werden, weil sie den Sachverhalten, zu denen sie dienen sollen, nicht mehr gerecht werden. Gerade bei den Entwicklungsländern ist dies wichtig, weil diese Länder durch Lebens-und Weltauffassungen bestimmt und geprägt sind, die häufig, wenn nicht gar durchweg, den abendländischen diametral entgegengesetze Inhalte verkörpern.

Sicherung der kulturellen und wirtschaftlichen Eigenständigkeit der Entwicklungsländer Schon Anfang der zwanziger Jahre hat der große deutsche Soziologe Max Weber durch seine noch immer gültigen Untersuchungen über die „Wirtschaftsethik der Weltreligionen" auf das Spannungsverhältnis zwischen Okzident und Orient verwiesen, das sich hieraus ergibt. Bis heute ist die abendländische Entwicklung durch einen freien und tätigen Menschen mit seinem Sinnen und Streben vorangetrieben worden, das seine Impulse immer wieder aus der christlichen Lehre bezog, nach deren Auffassung Arbeit und Erwerb letztlich die Erfüllung einer gottgewollten Aufgabe sind. Ihre entscheidende Auslegung hat diese Auffassung schließlich in der Prädestinationslehre Calvins erhalten, nach der Form und Erfolg der Arbeit sogar als äußeres Zeichen des göttlichen Erwähltseins betrachtet werden. Wie nachhaltige Auswirkungen diese Lehre auf alle Bereiche des politischen, sozialen und wirtschaftlichen Lebens der europäischen und nordamerikanischen Länder hatte, läßt sich zur Genüge an der historischen Entwicklung der letzten zweihundert Jahre ablesen. Im wirtschaftlichen Bereich sind alle für die Entwicklung des modernen „kapitalistischen Wirtschaftssystems" spezifischen Antriebselemente von diesen religiös-ethischen Inhalten mehr oder weniger geprägt worden: das Ethos der Arbeit, durch Arbeit bedingte Disziplin des Lebens, rationales Denken, Wettbewerb, arbeitsteilige Produktion, private Kapitalbildung und alle die bürgerlichen Tugenden wie Gewerbefleiß und Sparsamkeit — und dieser Katalog könnte noch Weitergeführt werden.

Wie sehr unterscheidet sich von dieser okzi-dentalen Lebens-und Weltauffassung die vor-nehmlich durch Buddhismus, Hinduismus und Islam geprägte des Orients! Auch Buddhismus und Hinduismus beispielsweise messen dem Leben einen positiven Sinn zu. Aber trotzdem liegt für sie die höchste Weisheit des Lebens und der letzte Sinn der göttlichen Ordnung darin, sich aus den „Händeln" der Welt herauszuhalten;

denn die irdische Wirklichkeit ist für sie nur Schein, sie verschleiert nur das Jenseits.

Wie völlig andere Impulse müssen von einer solchen Lebens-und Weltauffassung auf die Entwicklung des politischen, wirtschaftlichen und sozialen Lebens in den von ihnen bestimmten Ländern ausgehen! Wie schwierig, wenn nicht gar unmöglich muß es aber auch sein, in diesen Ländern eine moderne Wirtschaft aufzubauen, wenn dafür allein die Dogmen einer ökonomisch-geistigen Entwicklung als Maßstab gesetzt werden, wie sie sich seit einigen Jahrhunderten in Europa oder Amerika vollzogen.

Jede „Technische Hilfeleistung" muß sinnlos bleiben, ja, von geradezu gegenteiliger Wirkung sein, wenn sie die geistigen, kulturellen und historischen Voraussetzungen in den Entwicklungsländern für diese Hilfe nicht bewältigt und als Ausgangspunkt nimmt. Ausländische Hilfe kann nur Sinn haben, kann nur — auch zu unserem eigenen „Vorteil“ — erfolgreich sein, wenn als „Preis" dafür nicht die Aufgabe der eigenen Lebensart gefordert wird; denn sie ist historisch gewachsen, durch Jahrhunderte und sogar Jahrtausende, ebenso wie die abendländische Kultur das Ergebnis einer sehr vielgestaltigen langen Entwicklung ist. Wer wollte sich angesichts dieser Tatsachen anmaßen, Werturteile zu fällen, um daraus dann gar noch allgemein gültige Maximen für „richtiges Handeln“ abzuleiten?

In der Einstellung zu dieser Problematik unterscheidet sich die östliche und die westliche Bereitschaft zur Hilfeleistung diametral. Gewiß trat auch der Westen über lange Zeit hinweg den heutigen Entwicklungsländern gegenüber mit dem Anspruch auf, seine Denk-und Lebensformen seien universal und für alle Völker verbindlich. Aber er hat die Vermessenheit dieses Anspruchs in dem langen und teilweise schmerzlichen Entwicklungsprozeß seines Verhältnisses zu den afrikanischen und asiatischen Völkern erkennen und seine Beziehungen zu ihnen neu ordnen müssen. Das Ergebnis ist heute in dem ernsten Bemühen zu erkennen, den Völkern in Asien, Afrika und Lateinamerika bei ihrer wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung zu helfen, und zwar in einer Weise, deren Maßstäbe allein von der Bewertung dieser Völker bestimmt werden.

Intoleranz des dialektischen Materialismus Für die von der Ideologie des dialektischen und historischen Materialismus bestimmte Hilfe-leistung des kommunistischen Staatenblocks ist eine solche Toleranz undenkbar. Sie müßte die Preisgabe der für diese Ideologie notwendigen Grundlage bedeuten.

Der dialektische und historische Materialismus ist für den Kommunismus in der Welt, ganz gleich in welcher Prägung er heute auch auftritt, der allgemeingültige Maßstab für jede Entwicklung der menschlichen Gesellschaft. Die aus diesem Dogma abgeleiteten politischen Maximen waren der Kern und die Antriebskraft der gesamten bisherigen Innen-und Außenpolitik der Sowjetunion, und sie bestimmten vor allem die sowjetische Expansion im europäischen Raum während der Nachkriegszeit. Auch die Proklamation der sogenannten „Friedlichen Koexistenz"

durch die Sowjetunion als die angeblich neue Grundlage ihres Verhältnisses zu allen anderen Völkern und Staaten der Welt konnte dieses Dogma nicht aufweichen oder gar beiseite schieben; denn sie besagt lediglich, daß die Übertragung der bolschewistischen Ideologie und des sowjetischen Wirtschafts-und Sozial-systems auf andere Länder nicht mehr ausschließlich mit kriegerischen Mitteln erfolgen soll. Jeder Koexistenz haftet nach sowjetischer Auffassung wesentlich der Charakter der Vorläufigkeit an. Sie bezieht sich nur auf die Zeitspanne, die zwischen dem Auftreten des ersten „sozialistischen" und dem notwendigen Verwinden des letzten „nichtsozialistischen" Landes liegt. Die Moskauer Erklärung der 81 kommunistischen Parteien vom November 1960 stellt hierzu eindeutig fest, daß „die Koexistenz von Staaten mit unterschiedlichen Gesellschaftsformen eine neue Form des Klassenkampfes ist“.

„Koexistenz“ bedeutet also keinesfalls eine endgültige Lösung des Zusammenlebens von Staaten mit verschiedenartiger sozialer Struktur. Der Grundsatz der „Friedlichen Koexistenz“ darf aber nach sowjetischer Ansicht vor allem nicht auf das ideologische Gebiet übertragen werden.

Weder innerhalb noch außerhalb seines Macht-bereiches kann der Sowjetkommunismus das Fortbestehen einer anderen Weltanschauung dulden. Er wird es vielmehr stets als höchste Aufgabe ansehen müssen, sie kompromißlos zu beseitigen.

Diese ideologische und politische Grundhaltung bestimmt in erster Linie das Verhältnis der Ost-blockstaaten zu den Entwicklungsländern und gibt der Hilfeleistung des Ostens, auch in jeder Einzelmaßnahme, erst ihren Sinn. Die östliche Hilfe soll allein dem Zweck dienen, die Staats-, Gesellschafts-und Wirtschaftsordnung des Marxismus-Leninismus auf diese Länder Asiens, Afrikas und Lateinamerikas zu übertragen und damit die Grundlage für die Einbeziehung aller dieser Länder in das „Sozialistische Weltsystem“ zu schaffen, das keine staatlichen und weltanschaulichen Differnzierungen mehr kennt.

Die Bundesrepublik Deutschland konnte bei ihrer Teilnahme an der Technischen Hilfelei-stung der Industriestaaten für die Entwicklungsländer zunächst nur auf geringe Erfahrungen zurückgreifen. Sie gingen nicht wesentlich über die hinaus, die deutsche Experten als Techniker oder Kaufleute im Rahmen der Auslandstätigkeit für ihre Firmen in den afrikanischen, asiatischen und lateinamerikanischen Ländern gewonnen hatten. Angesichts der schwierigen Problematik, der jede Technische Hilfe im Entwicklungsraum nach dem Kriege begegnen mußte, legte die deutsche Hilfe sich deshalb bewußt zunächst eine gewisse Zurückhaltung auf. Sie wollte von den Erfahrungen der anderen Industriestaaten lernen.

Ständige Vergrößerung der deutschen Beiträge für die Hilfsprogramme der Vereinten Nationen Die besten Möglichkeiten dafür bot das Erweiterte Technische Hilfsprogramm, das 1950 von den Vereinten Nationen ins Leben gerufen wurde.

Ihm war die Aufgabe zugewiesen, technische Hilfe bei der Verbesserung der wirtschaftlichen Verhältnisse in den Entwicklungsländern durch Entsendung von Experten und Bereitstellung von Ausbildungsstipendien zu leisten. Nach Umfang und Breitenwirkung mußte dieses Programm die größte Bedeutung haben.

Die Bundesrepublik Deutschland beteiligt sich seit 195 2 an diesem Programm. Ihr Beitrag betrug in diesem ersten Jahr nur 119 000 Dollar.

In den folgenden Jahren bis heute ließ sie aber — ihrer wirtschaftlichen Gesundung nach dem Kriege entsprechend — die Beiträge ständig anwachsen: in den Jahren 1953 bis 1955 auf jeweils 149 000 Dollar, 1956 auf 298 000 Dollar, 1957 auf 476 000 Dollar, 1958 auf ca.

900 000 Dollar, 1959 auf 1, 191 Millionen Dollar und 1960 schließlich auf 1, 429 Millionen Dollar. 1961 wurde der Betrag erneut heraufgesetzt:

auf 2, 12 Millionen Dollar. Der Gesamt-beitrag für das Erweiterte Technische Beistandsprogramm und den schon erwähnten UN-Sonder-fonds stellt sich damit in diesem Jahr auf 23 Millionen DM. Auch für 1961 ist — ebenso wie im Vorjahr — die Aufteilung der Gesamtsumme auf die beiden Fonds dem Sekretariat der Vereinten Nationen überlassen worden. Nach den heute überschaubaren Beitragsleistungen für 1961 liegt die Bundesrepublik mit ihren Zahlungen — abgesehen von den USA, die vierzig Prozent des Gesamtaufkommens tragen — in der Spitzengruppe aller beteiligten Länder. Die Bundesrepublik steuerte zum Erweiterten Technischen Hilfsprogramm seit 1952 eine Summe von sieben Millionen Dollar bei. Auf Grund dieser Leistung wurde sie für die Jahre 1959 und 1960 als einziges Nichtmitgliedsland der UN in den Ausschuß für Technische Hilfeleistung (Technical Assistance Committee) gewählt. Das ist vor allem deshalb bemerkenswert, weil dieser Ausschuß als Führungsgremium des Programms die gesamte Verplanung, Vergabe und Lenkung der eingesetzten Mittel durchzuführen hat.

Der deutsche Beitrag mag dennoch niedrig erscheinen. Dabei bleibt aber zu berücksichtigen, daß das gesamte Aufkommen dieses Programms erst 1957 den Betrag von dreißig Millionen Dollar bei einer Beteiligung von 83 Staaten überschritt und jetzt bei etwa 41, 5 Millionen Dollar liegt. Außerdem ist zu bedenken, daß eine weitere Ausdehnung des Erweiterten Technischen Beistandsprogramms von den Vereinten Nationen zwar beabsichtigt wird, dafür vorerst jedoch ein Planziel von jährlich rund fünfzig Millionen Dollar festgesetzt wurde.

An diesen Zahlen gemessen ist der deutsche Beitrag durchaus beachtenswert. Immerhin hat er schon 1959 den Jahresbeitrag aller Ostblockstaaten zusammengenommen annähernd erreicht und im folgenden Jahr, als dieser Beitrag der Länder des Ostblocks 1, 38 Millionen Dollar betrug, sogar nicht unerheblich überschritten. Ein solcher Vergleich muß vorgenommen werden, wenn der Wert des deutschen Beitrags richtig ermessen werden soll. Die Finanzkraft allein der Sowjetunion übersteigt die der Bundesrepublik um ein vielfaches: Dennoch leistet sie weniger Hilfe für die Entwicklungsländer über die Vereinten Nationen als die Bundesrepublik.

Seiner Leistung entsprechend batte Deutschland, wie die amtlichen Unterlagen der UN ausweisen, auch großen Anteil an der Entsendung von Experten und an der Ausbildung von Stipendiaten im Rahmen des Programms. Von 1952 bis 1958 wurden über fünfhundert deutsche Fachberater der verschiedenen Richtungen von den Vereinten Nationen in den Entwicklungsländern eingesetzt und weit mehr als tausend Stipendiaten aus UN-Mitteln in der Bundesrepublik ausgebildet. Es ist zu beachten, daß die Bundesrepublik über diese Beteiligung hinaus seit Jahren mit namhaften Beiträgen, die zu einem großen Teil ebenfalls für Zwecke der Technischen Hilfe verwendet werden, auch die Finanzierung der vielen Sonderorganisationen unterstützt. Das sind beispielsweise die Organisation der Vereinten Nationen für Ernährung und Landwirtschaft, die Weltgesundheitsorganisation, die Organisation für Erziehung, Wissenschaft und Kultur der UNESCO, weiter die Internationale Arbeitsorganisation, die Internationale Organisation für Zivilluftfahrt oder die Weltorganisation für Meteorologie. Angesichts dieser Tatsachen muß der Bundesrepublik zuerkannt werden, daß sie auch im Rahmen der Vereinten Nationen, ohne überhaupt Mitglied zu sein, erheblich mehr getan als nur den guten Willen unter Beweis gestellt hat, den Entwicklungsländern zu helfen.

Der bilaterale deutsche „Entwicklungsfonds"

Es stand von vornherein außer Frage, daß gerade auf dem Gebiet der „Technischen Hilfe-leistung"

erheblich mehr von deutscher Seite getan werden müßte. Für eine wesentliche Ausweitung der deutschen Leistungen innerhalb der UN bestehen aber nur sehr geringe Möglichkeiten.

Das liegt allein an den Grenzen, die sich die einzelnen Programme der Vereinten Nationen selbst gezogen haben und nicht etwa an einer ungenügenden Bereitschaft der Bundesrepublik, Mittel bereitzustellen. In Anbetracht dieser Lage wurden schon frühzeitig Überlegungen zur Schaffung eines bilateralen Fonds der Bundesrepublik für Technische Hilfeleistung angestellt.

Sie führten 1956 zur Bereitstellung von 50 Millionen DM an einen derartigen Fonds.

Der gleiche Betrag wurde auch in den beiden folgenden Jahren dem „Entwicklungsfonds“ zugeführt.

1959 und 1960 wurde der jährlich aus Haushaltsmitteln aufgebrachte Betrag sogar auf jeweils 70 Millionen DM erhöht. Insgesamt sind das also bisher 290 Millionen DM für den Zeitraum 1956 bis 1960. Die Bundesrepublik hat damit nach den USA den zweitgrößten Betrag gegeben, der innerhalb der freien Welt für bilaterale Maßnahmen der Technischen Hilfeleistung zur Verfügung steht. Auch für die nächsten Jahre kann mit der Fortführung dieses Programms in wenigstens der gleichen Größenordnung gerechnet werden.

Die Erfahrungen, welche die Bundesrepublik durch ihre Mitarbeit im Erweiterten Technischen Hilfsprogramm der UN sammeln konnte, waren ihr zur Gestaltung der Förderungsmaßnahmen aus diesem finanziell sehr beachtlichen „Topf* von größter Bedeutung. Sie kommen nun, gewissermaßen mit einem „Multiplikator-Effekt", den Entwicklungsländern über das bilaterale Hilfsprogramm der Bundesrepublik zugute.

Die bei der Planung und Vergabe von Mitteln aus dem Entwicklungsfonds angewandten Grundsätze sind denen, die für das Erweiterte Technische Hilfsprogramm der UN gelten, möglichst weitgehend angepaßt. Gewisse geringfügige Abweichungen ergeben sich naturgemäß aus dem streng bilateralen Charakter des deutschen Programms.

Die Bundesrepublik ist bemüht, die ihre Technische Hilfe bestimmenden Grundsätze an den geistigen, politischen und wirtschaftlichen Voraussetzungen in den Entwicklungsländern zu orientieren.

Die Mittel aus dem Fonds werden deshalb prinzipiell nur unabhängigen Entwicklungsländern gegeben, und zwar ausschließlich auf deren Antrag.

Denn nur mit Hilfe einer umfassenden technischen Beratung und ebenso mit Kapital-bereitstellung können sie ihre politische Unabhängigkeit und wirtschaftliche Entfaltung auf die Dauer sicherstellen. Diese Erkenntnis macht auch den strikt eingehaltenen Grundsatz verständlich, den Entwicklungsländern keine einseitige Hilfe zuteil werden zu lassen, wodurch diese Länder zu einseitig Nehmenden, die Bundesrepublik aber zu einer Art „Almosenspender" gemacht würde. Vielmehr werden alle Planungen in echter Partnerschaft mit den jeweiligen Ländern durchgeführt. Das bedeutet, daß sich an jedem Einzel-projekt auch das betreffende Land selbst beteiligt, und sei es auch mit einem noch so geringen Anteil. Grundlage für dieses Verfahren sind Vereinbarungen von Regierung zu Regierung, durch die alle Einzelheiten der Zusammenarbeit fest-gelegt werden. Im Sinne dieser Partnerschaft übernehmen die Entwicklungsländer im allgemeinen die Aufgaben des Projektes, die keine Devisen erfordern. Die Bundesrepublik löst die übrigen Aufgaben. Bei der Errichtung von Ausbildungsstätten zum Beispiel stellen die. Entwicklungsländer den notwendigen Grund und Boden und finanzieren den Bau von Gebäuden sowie die einheimischen Mitarbeiter — die Bundesrepublik stellt auf der anderen Seite alle Ausrüstungsgegenstände, die technischen Berater und die ihm Rahmen des Projekts tätigen Lehrkräfte.

Partnerschaftliche Zusammenarbeit bei völliger Gleichberechtigung Dieser Grundsatz entspricht den in allen Entwicklungsländern heute gleichermaßen gegebenen Voraussetzungen für eine fruchtbare und dauerhafte Zusammenarbeit in mehrfacher Hinsicht. Jedes aus dem deutschen Entwicklungsfonds finanzierte Projekt ist das Ergebnis gemeinsamer zweiseitiger Beratungen und Prüfungen der Zweckmäßigkeit und Durchführbarkeit des Vorhabens. Diese Methodik der Vorbereitung und die Partnerschaft der Finanzierung wird auch dem verständlichen Wunsch der Entwicklungsländer nach völliger Gleichberechtigung bei der Zusammenarbeit gerecht. Dadurch wird jeder Vorwurf, die deutsche Entwicklungshilfe sei an politische Bedingungen gebunden, von vornherein ausgeschaltet.

Diesem Vorwurf wird auch durch einen anderen Grundsatz begegnet. Er lautet, daß das gemeinsam durchgeführte Projekt von Anfang an Eigentum des Landes ist, in dem es aufgebaut wird. Die Bundesrepublik löst sich sofort dann vom Projekt und beendet ihre Förderungsmaßnahmen, wenn beide Partner gemeinsam zu dem Ergebnis kommen, daß es vom Entwicklungsland allein zu Ende gebracht werden kann. In der Regel ist das nach drei bis fünf Jahren der Fall. Das Entwicklungsland kann nach dieser Zeit entweder die deutschen Ausbildungs-und Führungskräfe auf seine Kosten behalten oder sie durch einheimische Fachleute ersetzen. Diese Fachleute sind im allgemeinen vorher in der Bundesrepublik auf ihre zukünftigen Aufgaben vorbereitet worden, so daß es in der Durchführung des Projektes keine Unterbrechung gibt.

Auch dieser Grundsatz läßt erkennen, daß die Bundesrepublik in den Entwicklungsländern helfen will, bis diese Länder sich selbst helfen können, und daß sie sich in diesen Staaten unter keinen Umständen auf die Dauer festsetzen will.

In ökonomischer Hinsicht geht der von der Bundesrepublik vertretene Grundsatz der Partnerschaft von der eigenen Erfahrung aus, daß das Interesse eines Staates an einem geschenkten Projekt niemals genau so groß ist wie an einem Vorhaben, an dem er sich selbst finanziell beteiligt. Die bisherigen Förderungsmaßnahmen der Bundesrepublik zeigen eindeutig, wie sehr ihre Grundsätze den Wünschen der Entwicklungsländer nach Hilfeleistung von außen und zugleich'ihren ökonomischen Bedürfnissen auf lange Sicht entgegenkommen. Die Praxis der Entwicklungsförderung wird von dem Leitsatz bestimmt, daß jede Einzelmaßnahme unter Berücksichtigung der jeweils „individuell" zu beurteilenden Grundsätze die Gesamtentwicklung eines Landes fördern soll. Zu dieser Förderung und zur Festigung der wirtschaftlichen Verhältnisse gehört besonders, daß agrarwirtschaftlich durch Hebung der Arbeitsmethoden der kleineren und mittleren bäuerlichen Betriebe und industriell durch Hebung der handwerklichen und technischen Kenntnisse eine erhebliche Produktivitätssteigerung ohne Freisetzung von Arbeitskräften möglich wird. Daraus folgt, daß nicht in erster Linie die Inangriffnahme von Projekten mit direktem kommerziellem Nutzeffekt im Vordergrund der Zusammenarbeit bei der Technischen Hilfe stehen darf, sondern vielmehr die Vermittlung besserer handwerklicher, technischer und landwirtschaftlicher Kenntnisse und Arbeitsmethoden. Der Sinn jeder technischen Hilfeleistung der Bundesrepublik liegt also auch auf dem Gebiet der sozialen und wirtschaftlichen Erziehung und Ausbildung im weitesten Sinn dieser Begriffe.

V. Deutsche Entwicklungshilfe — Förderung einer freiheitlichen, wirtschaftlichen und politischen Entwicklung

Die Förderungsmaßnahmen der Bundesrepublik stellen keineswegs nur die Summe vieler mehr oder weniger zufälliger Einzelmaßnahmen für die Entwicklungsländer dar. Sie alle haben vielmehr ihren festen Platz in einer klaren Gesamt-konzeption der deutschen Entwicklungshilfe, deren Prinzipien von der freiheitlichen Gesellschaftsordnung bestimmt werden. Zur Vermeidung von Mißverständnissen, die sich aus der Betonung der marktwirtschaftlichen Grundlagen der deutschen Entwicklungshilfe ergeben könnten, soll aber noch auf einiges hingewiesen werden. Solche Mißverständnisse sind kaum von den Entwicklungsländern, sondern vielmehr von Staaten zu erwarten, deren Gesellschaftsordnung auf der totalen Staatswirtschaft beruht. Denn diese Staaten sehen eine „Gefahr" in der sozialen Marktwirtschaftsordnung, weil sie alle Möglichkeiten für die Schaffung und Sicherung einer freiheitlichen Staats-, Gesellschafts-und Wirtschaftsordnung bietet. Das muß selbstverständlich die „Attraktivität" jedes Systems in Frage stellen, das den Menschen zum Instrument degradiert. Der Wert und die Wirksamkeit der marktwirtschaftlichen Entwicklungshilfe sind deshalb sehr nachdrücklich durch die Abgrenzung gegen die Grundprinzipien derjenigen Entwicklungshilfe zu erkennen, die von totalitären Staaten geleistet wurde.

Der Faszinationskraft, die von den totalitären Staats-, Gesellschafts-und Wirtschaftssystemen im Anfang und teilweise auch heute noch auf einige Entwicklungsländer ausging, mußten von vorneherein enge Grenzen gezogen sein. Sie wurden schon im Urteil der meisten Entwicklungsländer über totalitäre Gewaltakte in Europa im Jahre 1953 (Niederschlagung des Auf-standes in Berlin) und im Jahre 1956 (Niederschlagung des Aufstandes in Ungarn), nicht zuletzt aber auch über die gewaltsame Beseitigung der Selbständigkeit Tibets, deutlich sichtbar.

Auch jede sachliche Beurteilung des kommunistischen Wirtschaftssystems läßt die Grenzen der Wirksamkeit dieses Systems klar werden. Bis heute ist es mit diesem System nicht einmal gelungen, die dringendsten ökonomischen Probleme innerhalb des Ostblocks selbst zu lösen.

Dabei handelt es sich aber um die gleichen Probleme, zu deren Lösung die Sowjetunion den Entwicklungsländern, gewissermaßen als „Patentlösung“, die Übernahme genau desselben Wirtschaftssystems empfiehlt und dessen Einführung in diesen Ländern sie mit allen ihr möglichen Mitteln und psychologischen „Kunstgriffen" erreichen will.

Das hauptsächliche Merkmal der kommunistischen Planwirtschaft ist heute wie damals der Mangel, der sich in fast permanent auftretenden Versorgungsschwierigkeiten äußert. Von der Bundesrepublik können die typischen Erscheinungsformen dieser Planwirtschaft sozusagen vor der eigenen Haustür täglich beobachtet werden: in dem Teil Deutschlands, der seit 1945 die Folgen dieses kommunistischen Systems zu tragen hat. Für den Bewohner der Bundesrepublik ist es beklemmend, sehen zu müssen, daß zum Beispiel die Entwicklungsländer Nordafrikas trotz ihrer völlig ungenügend entwickelten Volkswirtschaften keine Versorgungsschwierigkeiten in dem Sinne kennen, wie sie im hochindustrialisierten Mitteldeutschland und in an-deren Staaten des Ostblocks mit geradezu unheimlicher Regelmäßigkeit auftreten. Die Plan-wirtschaften des Ostblocks arbeiten unter Aufbietung aller ihrer Kräfte, bis hin zum Einsatz von Kindern und Rentnern. Aber das Ergebnis sind dennoch ständig neue Schwierigkeiten in der Versorgung.

Nach fünfzehnjähriger Erfahrung läßt sich allein schon an diesem Tatbestand erkennen, daß das totale Planwirtschaftssystem einfach unwirksam ist. Es genügt vielleicht, um kollektive Kraftakte von der Art des „Sputnik“ und der Fernraketen vorzuführen. Offensichtlich ist es aber nicht in der Lage, eine der Menge und der Qualität nach ständige und ausreichende Versorgung eines ganzen Volkes zu sichern. Es ließe sich ohne weiteres nachweisen, daß dies heute für alle europäischen Staaten des Ostblocks gleichermaßen zutrifft. Das Phänomen der Nachkriegsentwicklung aller dieser Länder ist, daß für sie statistisch in vielen Bereichen eine Ausweitung der industriellen Produktion nachgewiesen wird, daß andererseits aber der Lebensstandard der Bevölkerung heute zum Teil weit unter dem der Vorkriegszeit liegt. Eine Ausnahme ist allenfalls die Sowjetunion selbst, deren Lebensstandard vor dem Krieg sehr niedrig war.

Trotz dieser negativen Erfahrungen bei der Anwendung des kommunistischen Wirtschaftssystems in weiten Teilen Europas erklären die sowjetischen Führer heute ohne jede Zurückhaltung, daß der Schlüssel zur Lösung der wirtschaftlichen Probleme der Entwicklungsländer allein in der Übernahme dieses Systems zu finden sei. Alle Entwicklungsländer ständen heute im Hinblick auf die anzustrebenden schnellen wirtschaftlichen Wachstumsraten vor der Entscheidung, so argumentierte der sowjetische Ministerpräsident Chruschtschow Ende September 1959 in Peking, entweder den Weg der „kapitalistischen" oder den der „sozialistischen“ Entwicklung zu gehen. Schon ein Vergleich des Entwicklungstempos in den Staaten beider Wirtschaftssysteme zeigt nach seiner Ansicht deutlich, daß das Volk seine schöpferischen Kräfte und Fähigkeiten am besten in der kommunistischen Ordnung entfalten könne. Damit sei bewiesen, daß das System der sich in erster Linie auf Privatunternehmer-Initiative stützenden „kapitalistischen“ Staaten für die Entwicklungsländer ungeeignet sei — ja, wenn es künftig weiter praktiziert werde, müsse es für diese Länder sogar Rückschritt bedeuten.

Dieser offenkundige Widerspruch zwischen der praktischen Erfahrung bei der Anwendung des Systems seit Kriegsende und der „Verheißung“ einer besseren Zukunft für die Entwicklungsländer gerade bei Übernahme dieses Systems braucht eine Erklärung.

Die sowjetischen Führer erwiesen sich in der weltpolitischen Entwicklung der Nachkriegszeit immer wieder als nüchterne Realpolitiker. Allerdings war ihre negative Beurteilung der Lage und Entwicklung in den „kapitalistischen“ Staaten offenbar mehr von einem utopischen Wunschdenken als von nüchterner und objektiver Analyse der Wirklichkeit getragen. Es ist nicht zu bezweifeln, daß sie sich der Realitäten innerhalb ihres Machtbereichs bewußt sind. Wenn daraus dennoch nicht, wie eigentlich zu erwarten sein sollte, die Konsequenzen für die weitere praktische Politik den osteuropäischen Staaten gegenüber gezogen werden und wenn trotzdem ohne jede Einschränkung auch den Entwicklungsländern die Übernahme des sowjetischen Wirtschafts-und Sozialsystems empfohlen wird, so ist dies allein auf den Dogmatismus zurückzuführen, mit dem die Sowjetunion heute wie vor vierzig Jahren an der bolschewistischen Ideologie festhält.

Seit Lenin sieht der Bolschewismus seine „ökonomische Hauptaufgabe" darin, die westlichen Staaten in der Industrieproduktion zu überholen. Heute glaubt die Sowjetunion darauf hinweisen zu können, daß diese Aufgabe weitgehend und zwar „im Wettbewerb mit dem Kapitalismus“ bewältigt worden sei, weil die noch vor drei Jahrzehnten unterentwickelte Sowjetwirtschaft zur zweitgrößten Industriemacht der Erde herangewachsen ist. Diese Tatsache allein wird schon als Beweis dafür gewertet, daß auch die Entwicklungsländer ihre Industrialisierung in schnellem Tempo und — was wichtiger ist — unter einfachem Überspringen ganzer Entwicklungsperioden durchführen könnten, obwohl hinlänglich bekannt ist, welchen jahrhundertelangen und teilweise schmerzlichen Prozeß die westlichen Industriestaaten dazu durchlaufen mußten. Der von der Sowjetunion empfohlene Aufbau einer Schwerindustrie, zu dem sie mit Vorrang alle Mittel bereitstellte, wird als die logische Konsequenz der Erfahrungen eines modernen Industriestaates hingestellt. Alle von den Ostblockstaaten, besonders von der Sowjetunion geleistete Entwicklungshilfe konzentriert sich deshalb fast ausschließlich auf solche spektakulären Objekte. Sie sollen zum vorrangigen Aufbau einer Schwerindustrie führen und die Entwicklungsländer in ihrer langfristigen Planung zu immer stärkerer Ausweitung der staatlich gelenkten Wirtschaftstätigkeit und zu nachhaltiger Einengung der privatwirtschaftlichen Möglichkeiten zwingen. Die scheinbare Logik in der Grundkonzeption der Entwicklungshilfe der totalitär regierten Staaten des Ostens und deren konsequentes Handeln danach in der Praxis verfehlten in einigen Fällen ihre Wirkung nicht. Dennoch läßt sich der tiefere Gehalt dieser Grundkonzeption mit ihren bestimmten Zielsetzungen, welche die Sowjetunion in den Entwicklungsländern verfolgt, ohne Schwierigkeiten herauskristallisieren. Denn bei ihr sind heute dieselben Antriebskräfte ideologischer Art maßgebend, die vor vierzig Jahren auch den „Aufbau des Sozialismus in einem Land“, also die mit diesem Schlagwort gekennzeichnete Durchsetzung und Festigung des Bolschewismus in der Sowjetunion selbst, bestimmten. Lenin mußte einer Industrialisierung zentrale Bedeutung für den Fortgang der „proletarischen Revolution“ beimessen. Denn sie war nicht, wie Marx und Engels vorausgesagt hatten, zuerst in einem hochindustrialisierten Staat ausgebrochen. Trotz fruchtbarer Ansätze für eine industrielle Entwicklung war Rußland 1917 überwiegend ein Agrarland, das keine Voraussetzungen für eine solche Revolution bieten konnte. Aber gerade sie war durch die beiden „Klassiker“ des Marxismus postuliert worden. Die gesellschaftlichen und ökonomischen Bindungen für die Entwicklung des Kommunismus mußten erst geschaffen werden. Es mußte das Industriesystem aufgebaut werden, das überhaupt erst die Entstehung eines Proletariats gewährleistet. Nur über die „maschinelle Großindustrie" waren nach Lenin die materiellen Voraussetzungen für eine sozialistische Gesellschaft in kurzer Zeit zu erreichen — und damit auch die Bedingungen für die „Diktatur des Proletariats“.

Der Aufbau einer Schwerindustrie wurde und wird deshalb als unerläßliche Voraussetzung für Erlangung, Ausübung, Festigung oder Erweiterung von Macht und Einfluß empfunden: in der Sowjetunion früher zur Durchsetzung des marxistischen Dogmas von der „Diktatur des Proletariats" als der entscheidenen Voraussetzung für die Ausbreitung der proletarischen Revolution auf die übrige Welt — in den Entwicklungsländern heute nach den Vorstellungen der Sowjetunion zur Errichtung des Fundamentes für die endgültige Ausbreitung der Weltrevolution auf die ganze Erde außerhalb des Ostblocks.

Diese „Ideologie“ bestimmte gradlinig die wirtschaftliche Entwicklung der Sowjetunion bis heute. Sie wurde zwar schon durch Stalin sehr viel stärker als von seinem Vorgänger auf die Ebene des internationalen „Wettbewerbs mit dem Kapitalismus" verschoben. Praktisch sieht sich jedoch die Sowjetunion heute mit ihrer Wirtschaftshilfe für die asiatischen und afrikanischen Entwicklungsländer zum erstenmal in ihrer Geschichte vor der Notwendigkeit, die bisher theoretisch behauptete, aber nur im eigenen Herrschaftsbereich, also gewissermaßen „konkurrenzlos" praktizierte Allgemeinverbindlichkeit ihres Wirtschafts-und Sozialsystems unter Beweis zu stellen.

Alle Äußerungen des sowjetischen Ministerpräsidenten Chruschtschow seit dem XX. Parteitag der KPdSU von 1956 zeigen unmißverständlich das Festhalten an dieser alten Zielsetzung von der Ausbreitung des Kommunismus auf alle Staaten der Erde. Lenin hatte dieser Zielsetzung bereits den „Weg über Peking und Kalkutta nach den Industriestaaten Europas gewiesen. Heute bestimmt sie mehr als je zuvor die praktische Außenpolitik der Sowjetunion und der Staaten ihres Machtbereichs gegenüber der nichtkommunistischen W’elt.

Die Grundkonzeption der östlichen Hilfeleistung für die Entwicklungsländer ist demnach ohne die expansiven Zielsetzungen der kommunistischen Politik überhaupt nicht verständlich — mehr noch, sie stellt das außenpolitische expansive Programm des Bolschewismus schlechterdings dar. Nur wo Unkenntnis über die fundamentalen Wesenselemente des Bolschewismus und seiner bisherigen außenpolitischen Prakti-ken besteht, kann die Behauptung der Ostblockstaaten auf fruchtbaren Boden fallen, die bisherige und künftige „Entwicklungshilfe" sei nicht an politische Bindungen gebunden, während demgegenüber die auf den Prinzipien der freiheitlichen Gesellschafts-und Wirtschaftsordnung beruhende Entwicklungshilfe des Westens nicht mehr als die Fortsetzung des „Kolonialismus" mit anderen, moderneren Mitteln sei.

Wer etwas von den Hilfeleistungen der Bundesrepublik und den dafür geltenden Grundlagen weiß, ist sich über die Absurdität dieser Behauptung klar. Die bisherige deutsche Hilfe für die afrikanischen, asiatischen und lateinamerikanischen Länder reicht natürlich noch nicht annähernd aus, um eine fühlbare Minderung der wirtschaftlichen Schwierigkeiten in den Entwicklungsländern herbeizuführen. Es bedarf noch vieler Anstrengungen der Industriestaaten, die nicht allein eine erhebliche quantitative und qualitative Intensivierung der Leistungen, sondern auch bewirken müssen, daß die Hilfe den Entwicklungsländern schnell verfügbar gemacht werden muß.

Es ist trotz allem eine unübersehbare Tatsache, daß die Bundesrepublik schon in der kurzen Zeit ihrer Beteiligung an der Entwicklungshilfe den Ländern Afrikas, Asiens und Lateinamerikas wesentlich mehr Unterstützung hat zuteil werden lassen als der gesamte Ostblock seit 1954. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte der Osten außer der unmittelbaren „ideologischen“ Unterstützung der jeweiligen kommunistischen Parteien in diesen Ländern praktisch nichts für diese Staaten getan. Die Kapitalhilfe des Ostblocks ist bis jetzt mit etwa 2, 5 Milliarden Dollar zu veranschlagen. Dabei handelt es sich allerdings überwiegend um Zusagen, nicht aber um bereits realisierte Leistungen. Tatsächlich ist bis heute nicht einmal eine Milliarde Dollar an alle Entwicklungsländer bereitgestellt worden. Auch der Warenaustausch des Ostblocks mit diesen Ländern erreichte 195 8 gerade eben einen Umfang von 1, 6 Milliarden Dollar — und dies war bis einschließlich 1959 auch noch der Höchststand. 1959 betrug der Außenhandel der Sowjetunion mit den Entwicklungsländern 0, 95 Milliarden Dollar und der der Sowjetzone 0, 19 Milliarden Dollar. Dagegen hatte die Bundesrepublik im Außenhandel mit den Entwicklungsländern im selben Jahr die Summe von 3, 8 Milliarden Dollar zu verzeichnen.

Gemessen an den schwierigen wirtschaftlichen Verhältnissen und dem auf lange Zeit vorhandenen Bedarf der Entwicklungsländer, gemessen am Kapitalaufwand der Sowjetunion für die eigene langfristige Entwicklung, verglichen aber auch mit den bisherigen Leistungen der hochindustralisierten Staaten des Westens erscheinen die Zahlen des Ostens in der Entwicklungshilfe kaum beachtenswert. Sie zeigen aber deutlich die erstaunliche Diskrepanz zwischen dem mit allen psychologisch-propagandistischen Mitteln verkündeten Hilfsversprechen und der tatsächlichen Bereitschaft zur Hilfe.

Es muß deshalb überraschen, wenn diese geringe Hilfe des Ostblocks so stark beachtet wurde und ihr Wert von manchen Ländern hoch eingeschätzt worden ist. Aber auch hierfür gibt es eine einfache Erklärung. Seit 1954 wurden nämlich je nach der außenpolitischen Entwicklung in den hilfsbedürftigen Ländern überall dort Schwerpunkte in der Hilfeleistung der Sowjetunion und ihrer Satelliten gebildet, wo sich Möglichkeiten ergaben, Spannungsfelder zu den westlichen Staaten zu schaffen oder zu verstärken. Solche Schwerpunkte lagen nacheinander im süd-und südostasiatischen Raum, im Nahen Osten und dann auch in Afrika. In Süd-und Südostasien, etwa in Afghanistan, Indien, Indonesien und Burma, konzentrierte die Sowjetunion sich im wesentlichen auf rein wirtschaftlich-technische Hilfeleistung — abgesehen von Afghanistan, dem auch erhebliche militärische Hilfe geleistet wurde. Im Nahen Osten — Ägypten, Syrien, Jemen und Irak — liegt demgegenüber, trotz aller bisherigen wirtschaftlichen Hilfsangebote im Zusammenhang mit dem Assuan-Staudamm, das Schwergewicht im militärischen Bereich. Im afrikanischen Raum schließlich, besonders in Ghana, Guinea und Äthiopien, wurde den zur vollen Souveränität gelangten jungen Staaten in der Regel weitgehende wirtschaftliche Hilfe angeboten. Vergegenwärtigt man sich die weltpolitische Entwicklung seit 1954, so zeigt auch diese Schwerpunktbildung, daß der Ostblock seine Hilfe den für ihn günstigen außenpolitischen Möglichkeiten in den jeweiligen Entwicklungsräumen angepaßt und nicht etwa die ökonomischen Notwendigkeiten der Länder berücksichtigt hat.

Auch die praktische Gestaltung der wirtschaftlichen Beziehungen des Ostblocks zu den Entwicklungsländern trägt diesen ideologischaußenpolitischen Zielsetzungen in vollem Umfang Rechnung. Sie geht ausschließlich auf streng bilateraler Ebene vor sich. Das kann auch gar nicht anders sein, denn nur die bilaterale Basis bildet alle Möglichkeiten, die Wirtschaftsbeziehungen zu den einzelnen Partnerländern unabhängig voneinander, von Land zu Land differenziert, zu gestalten. Nur so läßt sich der notwendige Spielraum für die Verfolgung der eigenen Zielsetzungen schaffen. Bei Unterordnung unter multilaterale Gesichtspunkte wäre das undenkbar. Damit findet auch die sehr begrenzte Bereitschaft des Ostblocks ihre Erklärung, die großen Hilfsprogramme der Vereinten Nationen — vor allem des Erweiterten Technischen Beistandsprogrammes und des Sonder-fonds — zu unterstützen. Die hierfür geleisteten Beiträge entsprechen in keiner Weise den Möglichkeiten und der Stärke der Ostblockstaaten. Sie halten ihre Beiträge so niedrig wie möglich, weil nationalstaatliche oder ideologische Interessen der Mitgliedsländer über diese Fonds nicht geltend gemacht werden können. Die Beiträge reichen gerade aus, um Einfluß auf die Gestaltung der Programme zu nehmen — nicht aber, um deren wirtschaftlichen Effekt für die Entwicklungsländer zu vergrößern. Das auch von den Ländern Afrikas, Asiens und Lateinamerikas als objektiv anerkannte Forum der UN wird also vom Ostblock, vor allem von der Sowjetunion, in erster Linie zur Propagierung einer auf weite Sicht angelegten Wirtschafts-und Außenpolitik benutzt, die schließlich in der Praxis mit aller Konsequenz auf zweiseitiger Basis durchgeführt wird.

Bisher ist mit gutem Grund vom „Ostblock“ gesprochen worden. Denn es ist nun einmal eine höchst bemerkenswerte Tatsache, daß die wirtschaftspolitische Aktivität und außenpolitische Einflußnahme des Ostens keineswegs als die Vielzahl unabhängiger Einzelmaßnahmen der verschiedenen östlichen Staaten zu verstehen ist. Vielmehr handelt es sich um eine systematisch von der Sowjetunion gesteuerte Aktion, bei der Moskau nicht zuletzt auch auf das Potential der übrigen Staaten des kommunistischen Machtbereichs zurückgreift. Dabei spielen besonders die hochindustrialisierten Staaten, vor allem die Sowjetzone und die Tschechoslowakei, nach dem Willen der Sowjets eine wichtige Rolle. Allgemein läßt sich feststellen, daß die einzelnen europäischen Ostblockstaaten jeweils die Industriewaren an die Entwicklungsländer zu liefern haben, auf deren Produktion sie sich auf Anweisung der Sowjetunion im Rahmen der produktionstechnischen Integration des Ostblocks spezialisieren mußten. Die Sowjetunion selbst beschränkt sich vornehmlich auf langfristige Investitionsaufgaben und die Gewährung technischer Hilfe. Auch die deutsche Sowjetzone und die Tschechoslowakei betätigen sich in geringem Umfang ebenfalls auf diesen Gebieten.

Bei der Lieferung von Industriewaren an die Entwicklungsländer nehmen die Sowjetzone und die Tschechoslowakei einen besonderen Platz ein, und zwar vor allem deshalb, weil die von ihnen hergestellten Erzeugnisse schon in der Vorkriegszeit in den asiatischen, afrikanischen und lateinamerikanischen Ländern gut eingeführt waren. Sie haben außerdem heute noch immer die größeren Sortimente anzubieten und verfügen über bessere Kenntnisse der Märkte in den Entwicklungsländern, als dies jemals bei der Sowjetunion der Fall war. Besonders die Regierung der deutschen Sowjetzone spekuliert dabei ganz bewußt mit der weitgehenden Unkenntnis, die in den Entwicklungsländern über die Spaltung Deutschlands seit Kriegsende besteht. Sie kennzeichnet beispielsweise die von ihr gelieferten Waren vielfach mit dem Hinweis „german products“ und versucht so, den guten Ruf der deutschen Vorkriegsware in diesen Gebieten für sich in Anspruch zu nehmen.

Es hat sich nun aber mehr als einmal erwiesen, in wie erschreckendem Ausmaß die Qualitäten der Erzeugnisse aus der deutschen Sowjetzone unter dem Einfluß der Sowjetunion auf ihre gesamte wirtschaftliche Entwicklung gelitten haben. Die Industriekonjunktur dieses seit 1945 unter sowjetischer Herrschaft stehenden Teiles Deutschlands, wie sie vor dem Kriege bestand, ist heute praktisch zerstört. Der Neuaufbau nach dem Krieg vollzog sich aber ausschließlich nach der langfristigen Planung der Sowjetunion. Er führte daher zwangsläufig zur Eingliederung der Wirtschaft der deutschen Sowjetzone in die sowjetische Volkswirtschaft. Der Grund hierfür ist leicht zu erkennen, wenn man sich vergegen-wärtigt, daß die Sowjetunion bei der Verwirklichung ihrer eigenen ehrgeizigen und in mancherlei Hinsicht utopischen langfristigen Plan-ziele dringend auf das wirtschaftliche Potential ihrer europäischen Satelliten angewiesen ist. Diese Einverleibung großer Teile der deutschen Wirtschaft, die teilweise mit brutaler Gewalt vorgenommen wurde, blieb für die deutsche Seite nicht ohne Folgen. Vor allem zeigten sie sich in der Flucht zahlreicher Wissenschaftler, Techniker und Facharbeiter aus dem Gebiet der Unfreiheit in die Bundesrepublik. Vielen gerade dieser Geflüchteten hat die mitteldeutsche Wirtschaft aber ihren in der ganzen Welt bekannten Vorkriegsruf zu verdanken.

Wenn die Entwicklungsländer heute also oft mit qualitativ unterschiedlichen Erzeugnissen der deutschen Wirtschaft Bekanntschaft machen müssen, dann ist auch dies eine Konsequenz der Praktizierung des sowjetischen Wirtschafts-und Sozialsystems in der deutschen Sowjetzone. Sie verhindert in der Praxis jede schöpferische Tätigkeit und freie Entfaltung der auch in diesem Teil Deutschlands noch immer in beachtlich großem Maß vorhandenen wissenschaftlichen und technischen Fähigkeiten des einzelnen Menschen. Über diesen Tatbestand vermögen auch die häufigen Diffamierungskampagnen nicht hinwegzutäuschen, die von Vertretern des sowjetkommunistischen Regimes in Deutschland von Zeit zu Zeit immer wieder gegen die Förderungsmaßnahmen der Bundesrepublik für die Entwicklungsländer gestartet werden. Diese Kampagnen bedienen sich der billigen und abgedroschenen Phrasen von einem „westdeutschen Imperialismus", der angeblich mit Hilfe dieser Förderungsmaßnahmen auf eine „aktive Kolonialpolitik'dränge. Es wird versucht, die für die Entwicklungsländer so wichtigen Investitionen deutschen Kapitals mit der Behauptung zu diskreditieren, die Bundesregierung fördere auf diese Weise die „kolonialistische Expansion des westdeutschen Monopolkapitals“. Man glaubt behaupten zu können, die technische Hilfeleistung der Bundesrepublik stehe allein im Dienst irgendwelcher imaginären Kolonialmächte und bezwecke die Aufrechterhaltung und Stärkung der Reste der Kolonialherrschaft.

Es wird hier darauf verzichtet, sich mit diesen absurden und sinnlosen Behauptungen auseinanderzusetzen. Denn sie stellen in erster Linie eine Beleidigung der Regierungen der Entwicklungsländer dar, denen unterstellt wird, angebliche „kolonialistische Bestrebungen" der Bundesrepublik zu unterstützen.

Die bisherige positive Reaktion der Entwicklungsländer auf die deutschen Förderungsmaßnahmen spricht deutlich genug für die Richtigkeit des bis jetzt eingeschlagenen Weges einer konstruktiven Zusammenarbeit. Alle Versuche, die deutsche Entwicklungshilfe zu diffamieren, haben allein das Ziel, diese Zusammenarbeit zu stören und dadurch das Entstehen eines wirtschaftlichen Chaos zu fördern — denn dies ist die zwingende Voraussetzung für die Ausbreitung des Kommunismus.

Die Probleme in den Entwicklungsländern sind zu groß, als daß sie von einzelnen oder wenigen Industriestaaten gelöst werden könnten. Voneinander unabhängiges Handeln der hilfeleistenden Industriestaaten führt, wie die Erfahrung zeigt, allzuoft zu Überschneidungen und Fehl-leitungen wichtiger Kapazitäten. Jeder Wettlauf um außenpolitische Prestigeerfolge, der in den letzten Jahren so oft für die östlichen Maßnahmen zur „Einflußnahme auf die Entwicklungsländer“ kennzeichnend war, muß den wirtschaftlichen Aufbau in diesen Ländern zwangsläufig hemmen statt fördern. Deshalb ist das dringendste Gebot die Koordinierung aller verfügbaren Kräfte.

Von der Bundesrepublik ist diese Forderung nach Zusammenfassung der ökonomischen Kräfte aller Industriestaaten und deren rationeller Einsatz zugunsten der Entwicklungsländer immer wieder vorgetragen worden. Im westlichen Lager schreitet die Koordinierung auch erfreulich fort — die Ostblockstaaten dagegen lehnten bisher stets jedes Zusammenwirken mit den Staaten des Westens ab. Was hier über die Zielsetzung des kommunistischen Staatenblocks im Entwicklungsraum gesagt wurde, läßt die Hintergründe dafür einwandfrei erkennen.

Das Ziel der deutschen Hilfeleistungen ist allein, die Entwicklungsländer bei ihrem Aufbau in Freiheit zu unterstützen und dafür alle verfügbaren materiellen und geistigen Kräfte einzusetzen. Bei der Bewältigung dieser großen Aufgabe werden sicher auch Fehler gemacht. Sie müssen aber angesichts dessen, was schon geleistet wurde, gering erscheinen. Der Wert der Hilfe aus den heutigen Industriestaaten wird in Zukunft einmal an ihrem tatsächlichen Wert für die Entwicklungsländer beurteilt werden — nicht aber an spektakulären Erklärungen, denen keine Leistungen folgen.

Europa und Amerika haben den alten Kulturen der heutigen Entwicklungsländer unendlich viel zu verdanken. Sie sind sich darüber klar, daß ihre Dankesschuld nur unzureichend dadurch abgetragen werden kann, wenn sie diesen Ländern bei der Schaffung gesunder ökonomischer Verhältnisse helfen, die allein die Sicherung eines freiheitlichen politischen, kulturellen und wirtschaftlich-sozialen Lebens möglich machen.

Der einzige politische Zweck der deutschen Entwicklungshilfe ist, daran mitzuhelfen, daß dieses Ziel bald erreicht wird.

Fussnoten

Weitere Inhalte

Anmerkung: Dr. Hans Bräker, Geschäftsführer im Bundesinstitut zur Erforschung des Marxismus-Leninismus (Institut für Sowjetologie), Köln, Schriftleiter der Zeitschrift . Osteuropa-Wirtschaft'.